Hilfe, Bewertungseinheit!

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 20.10.2012

Auf die hohe Fehleranfälligkeit bei der Anwendung des Betäubungsmittelrechts habe ich im Blog-Beitrag „Flüchtigkeitsfehler mit Folgen“ vom 22.09.2012 bereits hingewiesen.  Eine besondere Rechtsfigur im Betäubungsmittelrecht ist dabei besonders häufig betroffen: die Bewertungseinheit.

Die Bewertungseinheit als Unterfall der tatbestandlichen Handlungseinheit verknüpft mehrere Tathandlungen zu einem Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, wenn sich diese Tathandlungen auf den Absatz der Gesamtmenge beziehen. Fährt der Betäubungsmittelhändler z.B. in die Niederlande, kauft dort Betäubungsmittel zum Weiterverkauf (Erwerb), schmuggelt diese in das Bundesgebiet ein (Einfuhr)  und verkauft sie dann gewinnbringend weiter, liegt nur ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln vor, in dem die unselbständigen Teilakte des Erwerbs und der Einfuhr aufgehen (§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG). Eine Ausnahme gibt es nur beim Zusammentreffen von Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) und Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG), die in Tateinheit stehen, da die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 2 Jahren gegenüber dem Handeltreiben nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG mit einer Mindestfreiheitsstrafe von (nur) einem Jahr einen besonderen Unrechtsgehalt hat.

Ein weiterer in der Praxis häufig vorkommender Anwendungsfall der Bewertungseinheit ist der mehrfache Verkauf von Betäubungsmitteln aus einer zuvor gekauften Menge. Bezieht der Täter etwa 1 kg Kokain, welches er anschließend in 10 Fällen in 100g-Mengen an 10 verschiedene Abnehmer verkauft, ist er nur wegen einem Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu verurteilen und nicht wegen 11 Fällen. Auch wenn dies zum Standardwissen eines jeden Strafrechtlers gehört, der mit Betäubungsmitteldelikten zu tun hat, passieren auch hier häufig Fehler. So hob der BGH mit Beschl. v. 23.5.2012, 5 StR 12/12 (BeckRS 2012, 12752 = NStZ 2012, 517) ein Urteil der Vorinstanz auf, in dem eine Bewertungseinheit angenommen wurde, obwohl nicht geklärt war, inwieweit die festgestellten Verkäufe aus einem einheitlichen, zuvor erworbenen Vorrat stammten. Der Zweifelssatz gebietet es nämlich nicht, festgestellte Einzelverkäufe zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil eine nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass diese ganz oder teilweise aus einer einheitlich erworbenen Rauschgiftmenge stammen (s. dazu BGH, Beschl. v. 29.5.2012, 1 StR 178/12, BeckRS 2012, 13714 = NStZ-RR 2012, 280; Patzak/Körner/Volkmer, BtMG, 7. Auflage, § 29/Teil 4, Rn. 412).

Mit einer besonderen Variante hatte sich ganz aktuell der 2. Strafsenat des BGH zu befassen. Es ging um einen Fall, in dem der Angeklagte folgende Betäubungsmittelmengen kaufte: März 2011 und am 9. April 2011 jeweils 100 g Kokain, am 10. April 2011 500 g Kokain, am 16. April 2011 300 g Kokain und danach weitere 700 g Kokain. Mit diesen Betäubungsmitteln legte der Angeklagte ein Depot an, welches aber vor dem geplanten Weiterverkauf aufgefunden und in dem insgesamt 955,5 g Kokain sichergestellt werden konnten. Das Landgericht sah hierin eine Bewertungseinheit und verurteilte den Angeklagten wegen eines Falles des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Falsch, wie der 2. Strafsenat zu Recht meinte (Beschl. v. 21.8.2012, 2 StR 277/12, BeckRS 2012, 21112):

Das Landgericht ist im Hinblick auf die sukzessive Auffüllung des Drogenvorrats davon ausgegangen, dass der Angeklagte insgesamt nur eine Tat im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG begangen habe. Dagegen bestehen rechtliche Bedenken. Beim wiederholten Rauschgifterwerb zum Weiterverkauf in Kleinmengen sind die Handlungen des Käufers grundsätzlich nicht als eine Tat im Sinne einer Bewertungseinheit anzusehen. Dies gilt selbst dann, wenn die einzelnen Portionen von einem Lieferanten erworben werden, der sie seinerseits aus einem einheitlichen Vorrat entnommen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 587/09, NStZ-RR 2011, 25, 26). Alleine der gleichzeitige Besitz mehrerer Drogenmengen verbindet die hierauf bezogenen Handlungen nicht zu einer Tat des unerlaubten Handeltreibens (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Februar 2008 - 2 StR 619/07, NStZ 2008, 470). Deshalb führt auch das wiederholte Auffüllen eines Betäubungsmittelvorrats nicht zur Verklammerung der Erwerbsakte zu einer Bewertungseinheit (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2000 - 3 StR 162/00, NStZ 2000, 540 f.). Auf die Zahl der Einzelverkäufe kommt es hier nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2002 - 3 StR 491/01, NJW 2002, 1810 f.). Bei allen Einkaufsmengen handelte es sich um nicht geringe Mengen. Danach wäre von fünf Taten im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG auszugehen statt nur von einer derartigen Tat“.

 

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