Basiswissen Verkehrsstrafrecht: Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit UND Garantenpflicht nach Unfall

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.01.2013

Zwei echte Standardprobleme verkehrsrechtlicher Fallgestaltungen hatte der BGH in einem Fall zu entscheiden, in dem der alkoholisierte heranwachsende Fahrzeugführer einen Fußgänger anfuhr und dann flüchtete. Das LG hatte daraus § 316 Abs. 2 StGB in Tatmehrheit mit §§ 142, 316 Abs. 1, 323c, 52 StGB gemacht. Der BGH fand das nicht so gut:

 

1. Die Jugendkammer hat für den ersten Tatkomplex rechtsfehlerhaft nur fahrlässige Trunkenheit im Verkehr, § 316 Abs. 2 StGB, bejaht. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass sich der Angeklagte von Anfang an seiner Fahruntüchtigkeit bewusst war. Die Annahme der Jugendkammer, der Angeklagte habe sich aufgrund jugendlicher Selbstüberschätzung und auch durch den Alkoholkonsum bedingter Fehleinschätzung irrig für fahrtüchtig gehalten, wird von den Feststellungen nicht getragen. Der Angeklagte hat sich in seiner Einlas-sung nicht einmal selbst darauf berufen.
Darüber hinaus hat es die Jugendkammer rechtsfehlerhaft unterlassen zu prüfen, ob sich der Angeklagte der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht hat.
Bei der Prüfung der Frage, ob ein Verkehrsunfall für einen alkoholbedingt fahruntüchtigen Kraftfahrer auf ein pflichtwidriges Verhalten zurückzuführen und vermeidbar war, ist nicht darauf abzustellen, ob der Fahrer in nüchternem Zustand den Unfall und die dabei eingetretenen Folgen bei Einhaltung derselben Geschwindigkeit hätte vermeiden können; vielmehr ist zu prüfen, bei welcher geringeren Geschwindigkeit er – abgesehen davon, dass er als Fahruntüchtiger überhaupt nicht am Verkehr teilnehmen durfte – noch seiner durch den Alko-holeinfluss herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit bei Eintritt der kritischen Verkehrslage hätte Rechnung tragen können, und ob es auch bei dieser Geschwindigkeit zu dem Unfall und den dabei eingetretenen Folgen gekommen wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 1970 – 4 StR 26/70, BGHSt 24, 31; Urteil vom 2. Oktober 1964 – 4 StR 297/64, VM 1965 Nr. 41; BayObLG, NStZ 1997, 388 m. Anm. Puppe; OLG Celle, VRS 36, 276; OLG Hamm, BA 1978, 294; OLG Koblenz, DAR 1974, 25; VRS 71, 281; OLG Zweibrücken, VRS 41, 113, 114). Es liegt nahe, dass der Angeklagte bei einer seiner alkoholbedingt herabgesetzten Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit angepassten geringeren Geschwindigkeit selbst im Falle eines auch dann un-vermeidbaren Anstoßes zumindest geringere Verletzungen des Nebenklägers bewirkt hätte.

2. Im zweiten Tatkomplex beanstanden die Revisionsführer zu Recht, dass die Jugendkammer eine Garantenstellung des Angeklagten verneint hat.
Die Strafkammer hat auch in diesem Tatkomplex für die Frage, ob die Pflichtwidrigkeit des Angeklagten für den Unfall ursächlich geworden ist, allein auf den Vergleich mit einem vorschriftsgemäß am Straßenverkehr teilnehmenden Autofahrer abgestellt. Dieser Ausgangspunkt trifft nicht zu, wie oben darge-stellt. Es liegt nahe, dass der Angeklagte angesichts seines alkoholisierten Zustands zu schnell gefahren ist und dadurch pflichtwidrig den Unfall oder jedenfalls schwerere Verletzungen des Nebenklägers verursacht hat. In diesem Fall wäre ohne weiteres eine Garantenstellung des Angeklagten gegeben (vgl. für den schuldlosen Kraftfahrer BGH, Urteil vom 6. Mai 1986 – 4 StR 150/86, BGHSt 34, 82 m. Anm. Rudolphi, JR 1987, 162, und Herzberg, JZ 1986, 986; vgl. auch MünchKommStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 126).

 

 

BGH, Urteil vom 6.12.2012 - 4 StR 369/12

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