Drogenfahrt ist keine Straftat: LG ist sauer!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.01.2013

Diese Entscheidung habe ich anlässlich anderer Recherchen gefunden. Sie liegt noch nicht allzu lang zurück - daher will ich sie mal hier laufen lassen, obwohl sie auch in einigen Zeitschriften gebracht worden ist. Es ging um eine Drogenfahrt, die als § 316 StGB angeklagt worden war und bei der am Ende nur eine § 24a StVG-OWi herauskam:

 

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin - Jugendrichter - hat die Angeklagte am 4. März 20011 wegen eines fahrlässigen Verstoßes gemäß § 24 a Abs. 2 StVG zu einer Geldbuße von 500 € verurteilt und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft frist- und formgerecht Berufung eingelegt, mit der sie einen Schuldspruch nach § 316 StGB erstrebt. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Die Berufungsverhandlung hat im wesentlichen zu den gleichen persönlichen Feststellungen geführt, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen. Auf die entsprechende Darstellung im Urteil des Amtsgerichts <Bl. 60> wird daher Bezug genommen. Ergänzend ist nur noch festzuhalten, dass die Angeklagte auch in der Zwischenzeit keine Ausbildung begonnen hat. Sie arbeitet weiterhin als Aushilfskraft in der Bäckerei und verdient zusätzlich Geld als Kellnerin.

Am Nachmittag des 31. August 2010 hatte die Angeklagte Streit mit ihrem Freund, nachdem sie erfahren hatte, dass dieser fremd gegangen war. Ihr wurde von Bekannten Kokain angeboten, da sie dann den Ärger „sofort vergessen“ würde. Die Angeklagte konsumierte eine Prise. Dabei konsumierte sie zum ersten Mal dieses Rauschgift. Abgesehen von Kopfschmerzen verspürte sie keine Wirkungen. Gegen diese nahm sie etwa eine Stunde später eine Tilidin-Tablette ein. Anschließend fuhr sie mit einem Pkw BMW, der ihr von ihrem Vater zur Verfügung gestellt wurde, vom Bezirk Wedding nach Waidmannslust und von dort zur Bernauerstraße in Tegel, ohne dass dabei irgendwelche Auffälligkeiten in ihrem Fahrverhalten auftraten. Am Ziel angekommen gab es eine lautstarke Auseinandersetzung mit ihrem Freund, die dazu führte, dass die Polizei gerufen wurde. Diese veranlasste die Entnahme einer Blutprobe bei der Angeklagten. In dieser um 21.13 entnommenen Blutprobe wurden 610 ng/ml Benzoylecgonin, 14 ng/ml Cocain und Nortilidin als Abbauprodukt von Tilidin festgestellt.

Nach dem festgestellten Sachverhalt war die Angeklagte nicht wegen eines Vergehens nach § 316 StGB zu verurteilen:

Wie sich aus der in der Hauptverhandlung verlesenen Aussage von POK F ergab, ist die Angeklagte während der gesamten Fahrt von Polizeibeamten beobachtet worden. Dabei traten keine Hinweise auf eine Fahrt unter Drogeneinfluss auf. Dass die Angeklagte nach Schluss der Fahrt weinte, anschließend aus dem Fahrzeug sprang und hysterisch herumschrie, kann auf den Streit mit ihrem Freund, der immerhin zuvor das Nummernschild ihres Autos abgetreten hatte, zurückzuführen sein. Ihr Verhalten ist somit kein gesichertes Indiz für ein drogenindiziertes Fehlverhalten, das die relative Fahruntüchtigkeit begründen würde.

Dass angesichts der in ihrer Blutprobe festgestellten Befunde von einer absoluten Fahruntüchtigkeit auszugehen ist, hat die Kammer nicht feststellen können. Sie hat in diesem Zusammenhang den Sachverständigen Dr. med. Frank Wendt gehört, der folgendes ausgeführt hat:

Zwar werden die von der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft „Bundeseinheitlicher Tatbestandskatalog“ (sog. Grenzwertkommission) am 4. September 2007 festgesetzten Grenzwerte (für Benzoylecgonin 75 ng/ml und Kokain 10 ng/ml) im vorliegenden Fall jeweils übertroffen. Dies führt aber ebenfalls nicht zur Annahme einer absoluten Fahruntüchtigkeit: Denn bei diesen Grenzwerten handelt es sich um analytische und nicht um normative Grenzwerte. Da bundesweit nicht jedes Labor aufgrund der dort vorhandenen Ausstattung mit entsprechenden Spezialgeräten in der Lage ist, auch Kleinstmengen von Kokain oder dessen Abbauprodukten zu bestimmten, hat die Kommission bundeseinheitlich festgelegt, von welcher Mindestmenge an, jedes Labor in Deutschland in der Lage ist, sicher anzugeben, dass Kokain konsumiert wurde. Dabei entfaltet der Nachweis des Abbauprodukts Benzoylecgonin nur dann Relevanz, wenn Kokain selbst nicht nachgewiesen wurde. Im vorliegenden Fall ist also allein der Wert von 10 ng/ml Kokain zu diskutieren. Eine Rückrechnung ist anders als bei Alkohol nicht möglich, da diese Droge schnell an- und ebenso schnell abflutet und sich lineare Berechnungen deshalb verbieten. Aus dem Überschreiten des analytischen Grenzwertes kann also nur sicher geschlossen werden, dass die Angeklagte während der Fahrt unter dem Einfluss von Kokain stand. Wie hoch dosiert das Rauschgift konsumiert wurde, lässt sich aber ebenso wenig angeben wie die Auswirkungen auf das Fahrverhalten.

Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass sich Kokainkonsum in vielerlei Hinsicht nachtteilig auf das Fahrverhalten auswirken kann. In der euphorischen Phase bewirkt er eine risikobereite oder aggressive Fahrweise etwa durch unangepasst hohe Geschwindigkeit oder riskante Überholmanöver, da das eigene Leistungsvermögen überschätzt wird. Die mit dem Rauschgiftkonsum einhergehende Pupillenerweiterung kann zu einer Verminderung des Sehvermögens führen, was sich besonders bei Tunnel- und Nachtfahrten bemerkbar machen kann. Beim Abklingen der Wirkung sind Auffälligkeiten (z. B. wechselnde Fahrgeschwindigkeiten oder Schwierigkeiten beim Spurhalten) aufgrund eines körperlichen Erschöpfungszustandes zu erwarten.

Weitergehende Feststellungen über Kokain-Konsum und Fahrverhalten lassen sich nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht treffen, wobei der Sachverständige insbesondere auf aktuelle empirische Studien aus Frankreich (2003) und Norwegen (2008 und 2011) zurückgreifen konnte. Da Kokain in unterschiedlicher Konzentration bei unterschiedlichen Personen zu ganz unterschiedlichen Folgen führen kann, ist ein normativer Grenzwert, bei dem die absolute Fahruntauglichkeit anzunehmen wäre, derzeit nicht in Sicht.

Bei dem Sachverständigen Dr. ... handelt es sich um einen ausgewiesenen Spezialisten für die hier aufgeworfenen Fragen. Er ist Rechtsmediziner, hat klinisch-psychiatrisch in der Forensik mit Abhängigkeitserkrankten gearbeitet und nicht zuletzt im Handbuch für forensische Psychiatrie den Abschnitt zur Wirkweise psychotroper Substanzen verfasst. Sein Gutachten war wissenschaftlich auf dem aktuellen Stand und überzeugend begründet, so dass sich die Kammer nach eigener Prüfung diesem anschließen konnte.

Dass es für eine rauschbedingte absolute Fahruntüchtigkeit nach Kokainkonsum wie übrigens auch nach Cannabiskonsum (vgl. KG Beschluss vom 28. Februar 2012 - (3) 161 Ss 35/12 (2912) m. w. N.) keine dem Alkoholkonsum vergleichbaren absoluten Grenzwerte gibt, erscheint unbefriedigend: Denn es steht fest, dass die Teilnahme am Straßenverkehr unter Drogeneinfluss die Unfallgefahr erhöht. Es erscheint widersinnig, dass der Erwerb von Drogen strafrechtlich sanktioniert ist, während man sich ungestraft unter Drogeneinfluss ans Steuer setzen kann. Dieser Widerspruch lässt sich aber nicht dadurch lösen, dass Gerichte irgendwelche Grenzwerte für eine absolute Fahruntüchtigkeit aufstellen, die sich wissenschaftlich nicht begründen lassen. Er könnte nur durch den Gesetzgeber aufgehoben werden. Wie dies verwirklicht werden könnte, zeigt das Beispiel Frankreichs, wo jedes Fahren unter Drogeneinfluss strafbar ist.

Nach der jetzt geltenden Rechtslage hat die Angeklagte lediglich eine fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG i. V. m. Anlage zu § 24a StVG begangen, für die eine Geldbuße von 500,00 € festzusetzen war. Außerdem war ihr nach § 25 StVG für die Dauer eines Monats zu verbieten, Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.

 

LG Berlin: Urteil vom 10.04.2012 - (524) 11 Ju Js 1853/10 (36/11)    BeckRS 2012, 08812

 

 

Ausführlich zur Drogenfahrt nach § 316 StGB und § 24a StVG:

 

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5 Kommentare

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Weder skandalös noch begrüßenswert. Die Entscheidung entspricht der h.M. und der sonstigen Rechtsprechung. Es ist halt eigenartig, wenn in den Urteilsgründen (vor allem im fett gedruckten Abschnitt) so drastisch die Unzufriedenheit mit der Rechtslage nach Außen getragen wird....

Ich fände auch Richtwerte begrüßenswert. Der Punkt ist, Alkohol wird recht schnell vom Körper abgebaut, und ist dann nicht mehr nachzuweisen. Auch andere Drogen. Nur mit Cannabis ist es halt anders. Man konsumiert es, und es ist ewig nachweisbar. Und das mit den Flashbacks halte ich für Schwachsinn.

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Für die strafrechtliche Sanktionierung des Fahrens nach Drogenkonsum besteht möglicherweise deshalb kein gesetzgeberisches Bedürfnis, weil die Akte ohnehin sofort an die Fahrerlaubnisbehörde geschickt wird. Und verwaltungsrechtlich ist der Drops schon seit Jahren ausgelutscht. Praktisch jeder nachgewiesene Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Kfz-Fahrt führt entweder zum sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis, mindestens aber zu einer teuren MPU-Anforderung. Da die MPUs zumeist negativ ausfallen oder nicht vorgelegt werden, ist auch dann der Lappen weg. Das ist für die Betroffenen viel teurer und ärgerlicher als 30 Tagessätze Geldstrafe. Zudem ist der Betroffene in diesem Fall sehr lange Zeit weg von der Straße - viel länger als dies ein strafrechtliches Fahrverbot gewährleisten könnte. Und Fahren ohne Fahrerlaubnis ist ganz sicher und nachweisbar eine Straftat - ob ohne Drogen oder nicht.

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RA Germann trifft den Nagel auf den Kopf. Bei einer derartigen Fallkonstellation wird die Fahrerlaubnis zur Gefahrenabwehr ohne Weiteres von der Fahrerlaubnisbehörde entzogen. Diese - oft Monate später eintretende Rechtsfolge - wird von den Betroffenen regelmäßig als wesentlich schwerwiegender erlebt als die Verurteilung zu einer Geldstrafe und die Verhängung eines kurzen Fahrverbots. Daran würden auch Grenzwerte für den Strafrichter nichts ändern.

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