Polizeibeamter schlägt gefesselte Frau in Polizeigewahrsam - aus Notwehr?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 07.02.2013
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologieMaterielles Strafrecht168|38866 Aufrufe

Die Presse berichtet über ein Vorkommnis im Münchener Polizeigewahrsam, das, wenn die Berichte zutreffen, geeignet ist, das Vertrauen in die Polizei auf eine harte Probe zu stellen:

Eine wehrlose Frau (gefesselt und von mehreren Beamten festgehalten) wurde mit einem so kräftigen Faustschlag ins Gesicht traktiert, dass zwei Frakturen die Folge gewesen sein sollen.

Nun heißt es zur Verteidigung, der Polizeibeamte habe in Notwehr gehandelt.

    "Um die Frau zu beruhigen, so sagt Reinhold Bergmann, Leiter der Pressestelle der Polizei, habe man sie in die Zelle gebracht. Fünf bis sieben Beamte seien in der Zelle mit dabei gewesen. Laut Erlmeier (Rechtsanwalt der betr. Frau)  lag die 23-Jährige seitlich auf einer Holzpritsche und wurde von vier Beamten niedergedrückt. Die sehr zierliche und kleine Frau wollte sich wehren, beleidigte die Beamten und spuckte einen von ihnen an. Daraufhin schlug der Polizist ihr mit der Faust ins Gesicht." (SZ)

    „Die Frau, die nach ihren eigenen Aussagen unter dem Einfluss mehrerer Drogen stand, schlug um sich. Um die Gefährdung der Beamten zu minimieren, mussten ihr Handschellen angelegt werden. Sie wurde in eine Zelle gebracht. Dort spuckte sie einem Beamten ins Gesicht und setzte zu einem Kopfstoß an. Wegen dieser Bedrohungssituation kam es zu einem Schlag.“ (Focus)

Ehrlich gesagt genügt meine Phantasie kaum, mir in der geschilderten Situation eine Notwehrlage (des Polizisten!) nach § 32 StGB vorzustellen, geschweige denn, dass - einmal die "Bedrohungssituation" durch die Frau als wahr unterstellt  -  ein derart hochgradig aggressives  Vorgehen "erforderlich" gewesen sein soll, um den drohenden Angriff zu stoppen. Und, mal abgesehen vom Strafrecht   möchte ich - ehrlich gesagt - als Bürger nicht Beamten begegnen, die meinen, sie dürften aus Notwehr in so einer Situation einer jungen Frau das Gesicht demolieren.

Nun wird dieser Fall wohl zu einer Art Feuerprobe für das neuartige  interne Ermittlungsverfahren, das der bayerische Innenminister - nach Vorwürfen gegen Polizeibeamte in anderen Polizeipräsidien Bayerns -   eingerichtet hat.

Ich gebe zu, dass ich skeptisch bin.

 

Anlässlich des aktuellen Falles hat die SZ meinen Kollegen Tobias Singelnstein interviewt.

 

UPDATE 21. Mai 2013:

Die Staatsanwaltschaft hat jetzt, nach einigen Monaten intensiven Ermittlungen, Anklage wegen Körperverletzung im Amt erhoben. Diese Entscheidung deckt sich mit meiner Einschätzung, dass eine Notwehr nach den übereinstimmenden veröffentlichten Einlassungen seitens Polizei und seitens des Opfers wohl nicht gegeben war. Alles weitere wird sich in einer Hauptverhandlung ergeben. Quelle SZ.

UPDATE 06.08.2013:

Der Polizeibeamte wurde heute nach eintägiger Hauptverhandlung vom AG München zu zehn Monaten Freiheitsstrafe (mit Strafaussetzung zur Bewährung)  verurteilt (SZ-Bericht). Nach Presseberichten deckt sich die Erkenntnis des Gerichts mit meiner Einschätzung: Eine Notwehrlage hat nicht bestanden. Ich schätze, ein Rechtsmittel des Verurteilten hätte wenig Sinn - aber das muss ihm sein Verteidiger sagen.

UPDATE 23.12.2013

Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute über das anstehende Berufungsverfahren - im Februar wird erneut verhandelt.

Nachtrag (Feb. 2014)

Ergebnis der Berufungsverhandlung: Zehn Monate Freiheitsstrafe bestätigt, Degradierung des Polizeibeamten. (Münchner Merkur)

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168 Kommentare

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Selbst wenn es Anhaltspunkte für solche Ermittlungen gibt: Es wirft kein gutes Licht auf die Münchener Polizei, wenn sie versuchen sollte, dem Kollegen dadurch zu Hilfe zu kommen, dass man der Geschädigten "etwas anhängt". Da die Öffentlichkeit diesen Fall äußerst kritisch betrachtet, kann ich mir auch nicht vorstellen, dass  eine solche "Strategie" letztlich erfolgreich wäre.

@M. Deeg:

Dass Bekannte (jetzt schon Plural? Im Artikel ist es wenigstens nur einer!) in Haft genommen werden, um "so" Belastendes zu erfahren, ist vermutlich reiner Journalistenkäse.

Ok., man hat auf ihrem Handy offenbar Interessantes gefunden, das nicht nur ein einmaliger Verkauf einer Graszigarette war. Offenbar war es so interessant, dass weitere Ermittlungen - glaubt ja niemand im Ernst, dass ein Haftbefehl aus einer SMS resultiert - einen recht ordentlichen Tatvorwurf ergab (Handeltreiben? Nicht geringe Menge?), denn entgegen anderslautenden Gerüchten wird auch in Bayern niemand wegen ein paar Graszigaretten oder XTCs in U-Haft gesteckt.

Also: Anfangsverdacht, dringender Tatverdacht. Der Beschuldigte wird vernommen, wie es gerüchteweise auch in der StPO an verschiedenen Stellen geregelt sein soll (z.B. bei Haftbefehlseröffnung). Ein Dealer wird üblicherweise wohl zu  1. seinen Quellen 2. seinen Abnehmern vernommen werden. Und wenn man auf ihn erst einmal aufgrund der Handydaten Tamara/Teresas gekommen ist, liegt nahe, dass er auch konkret zu dieser Abnehmerin befragt wird. Das Konstrukt: Haftbefehl, nur um an Belastendes über Tamara/Teresa zu kommen, ist schon eine perfider und unverhüllter  Kampagnenjournalismus.

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meine5cent schrieb:
 Das Konstrukt: Haftbefehl, nur um an Belastendes über Tamara/Teresa zu kommen, ist schon eine perfider und unverhüllter  Kampagnenjournalismus.
Woher genau nehmen Sie die Formulierung "Haftbefehl, nur um an Belastendes über T.Z. zu kommen"?

Aus dem Artikel stammt diese Behauptung jedenfalls nicht und der Vorwurf der perfiden Kampagne fällt auf Sie selbst zurück.

Prügelopfer Teresa Z.: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Polizisten (SZ)

Quote:
Die Staatsanwaltschaft München I hat am Dienstag Anklage gegen einen 33-jährigen Polizeibeamten der Inspektion Au erhoben: Aufgrund eines Gutachtens geht die Behörde davon aus, dass der Beamte am 20. Januar 2013 der gefesselten Münchnerin Teresa Z. "ohne Rechtfertigung (...) mindestens einen Faustschlag in das Gesicht versetzt hat".

Zehn Monate auf Bewährung für Prügelpolizisten (SZ)

"Das war sicher kein Reflex, ein Faustschlag ist eine aktive Handlung", sagte der Richter dagegen zur Urteilsbegründung. "Ich glaube dass Sie sauer waren, weil Sie angespuckt wurden." Das sei zwar menschlich verständlich, dennoch dürften nicht die Pferde so mit einem durchgehen. ... Ein Gutachter hatte den Polizisten zuvor schwer belastet: "Der Schlag muss intensiv gewesen sein", sagte Jiri Adamec vom Institut für Rechtsmedizin. Zudem würden verschiedene Hinweise eher für einen intendierten Schlag als für eine Selbstschutzmaßnahme sprechen."

Die Einlassung des Beamten (Reflex?? lachhaft!) ist so dreist, dass ich nicht ganz nachvollziehen kann, warum die Strafe nur 10 Monate beträgt. In einem Fall mit so einer schweren Verletzung wäre es mir lieber gewesen, wenn die Beendigung des Beamtenverhältnisses zwingende Folge gewesen wäre. Aber das kennt man ja: Bei Beamten maximal 11 Monate, sonst verlieren sie ja ihren Job (s. Rosenheim). Hier haben wir wirklich ein Zwei-Klassen-Strafrecht... :-(

3

@Kafka:
Sie haben offenbar keine Ahnung davon, dass die Folgen für das Berufsleben bei jedem Betroffenen oder Angeklagten ein Strafzumessungskriterium sind. Sei es Fahrverbot oder Fahrerlaubnisentzug bei Berufskraftfahrern, die seit einigen Jahren bestehende 1-Jahres-Grenze  be Betrug, Untreue etc.  in § 6 GmbHG und im AktG (kurioserweise ist eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung kein Ausschlussgrund), Das gleiche gilt bei Verurteilungen von Rechtsanwälten, Steuerberatern,  Ärzten (wegen Zulassung bzw. Approbation).  
Der Durchschnittsarbeitnehmer hat allenfalls ein Problem bei einer Vollzugstrafe oder wenn der Arbeitgeber überhaupt von dem Strafverfahren erfährt, ansonsten juckt das meist niemanden. Wer verlangt schon ein Führungszeugnis, in dem sogar noch weniger steht als  im BZR eingetragen ist?

 Was Sie anscheinend auch nicht wissen: Ab1 Jahr ist ein Beamter automatisch draußen, egal ob ein Tatbezug zum dienstlichen Handeln besteht oder nicht. Unter 1 Jahr mit Bezug zur Dienstausübung kann immer noch eine disziplinarische Entlassung zur Folge haben. 

Wie heftig Jagscheininhaber  heulen und kämpfen, um ja nicht mehr als 60 Tagessätze Geldstrafe zu bekommen, haben Sie wohl auch noch nicht erlebt. 

0

[quote=Henning Ernst Müller]

Das LG München hat die Berufung als unbegründet verworfen und damit das Urteil des AG bestätigt: Zehn Monate Freiheitsstrafe für den Polizeibeamten, die Vollstreckung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte kann noch Revision einlegen.

[/quot

 

Gibt es außerdem eine Disziplinarstrafe oder gar Ausscheiden aus dem Polizeidienst ?

 

 

 

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Doku: Die Polizei im Fadenkreuz - BR Fernsehen, 5.5. 20.15 (Wh. 0.45)

Hintergrund zu den Gesprächspartnern in der Sendung:

Hermann Benker, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft 
Ramona Schmidt, Polizistin
Stefan Schubert, Autor von "Inside Polizei" 
Josef Eder, Ex-Polizist
Thomas Feltes, Kriminologe und Polizeiwissenschaftler

Motto: "Hat die bayrische Polizei ein Gewaltproblem?"

@ Gast:

Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig, die Suspendierung des Beamten (unter vollen Bezügen, insgesamt mittlerweile ca. 39.000 Euro netto fürs Zuhause sitzen) wurde aufgehoben - er kehrt in den Polizeidienst zurück, allerdings in den Innendienst. Das Diszi läuft noch: es wurde eine Degradierung und eine fünfjährige Beförderungssperre beantragt.

Mit dem geforderten Schmerzensgeld hat man sich dagegen viel Zeit gelassen - erst als die SZ wieder berichtete, hieß es, man habe eine ungenannte Summe überwiesen. Ob es so viel ist wie gefordert (weniger als die Hälfte der o.g. Beamtenbezüge), sagte man nicht.

Opfer wartet noch immer auf Schmerzensgeld (15.07.14)
Prügel-Polizist wieder im Dienst (16.07.14)

Die Münchner Polizei scheint noch weitere Baustellen zu haben: in Pressemitteilungen werden rechtsradikale und neonazistische Motive mehrfach verschwiegen - was die Frage aufwirft, ob man dort verharmlosen will oder prinizipiell auf dem rechten Auge blind ist.

 

Zum Sachverhalt im konkreten Moment wird mitgeteilt: " in eine Zelle gebracht. Dort spuckte sie einem Beamten ins Gesicht und setzte zu einem Kopfstoß an. Wegen dieser Bedrohungssituation kam es zu einem Schlag.“ Man nenne mir die konkrete Handlungsalternative, wie einem solchen rechtswidrigen Angriff auf deutsche Polizeibeamte effektiv und durchgreifend hätte entgegengetreten werden sollen. Solange mir diese nicht nachvollziehbar genannt wird, sehe ich eher Anlass, dem Beamten eine dienstliche Belobigung auszusprechen. Man könnte erwägen: durchspuckfeste Tüte über den Kopf ziehen und diesen dann festbinden und fixieren. Dies wohl eher nicht wegen Erstickungsgefahr. 

a) Angriff durch Kopfstoß  b) Anspucken eines Menschen. Das soll NICHT rechtswidrig sein? Da soll keine Notwehrlage vorliegen?

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