Keine Parallelvollstreckung von "Schonfrist"-Fahrverboten?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.02.2013

Es gibt sie doch noch: Die verkehrsrechtlichen Themen, über die man endlos streiten kann. Beim Fahrverbot wird etwa über die Vollstreckung mehrerer Fahrverbote gestritten. Ich bin ja bekanntermaßen Befürworter der Möglichkeit einer Parallelvollstreckung bei gleichzeitiger Rechtskraft - und zwar auch bei so genannten Schonfristfahrverboten (ich verweise etwa auf § 17 meines Buches "Fahrverbot in Bußgeldsachen" und auf meinen Beitrag zu dem Thema in DAR 2008, 54). In der letzten Zeit gab es da auch einige Entscheidungen, die in diese Richtung gingen. Umso mehr freut es mich, auch mal wieder die Gegenmeinung zu lesen:

 

Der gemäß §§ 103,104 OWiG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet.

Gemäß § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG sind die Fahrverbote die gegen den Betroffenen verhängt wurden, nacheinander in der Reihenfolge ihrer Rechtskraft zu vollstrecken.

§ 25 Abs. 2 a Satz 2 StVG bestimmt, dass mehrere Fahrverbote nacheinander zu vollstrecken sind, dabei grundsätzlich, aber nicht ausschließlich, in der Reihenfolge ihrer Rechtskraft (Amtsgericht Viechtach, Beschluss vom 09.08.2007, 6 II OWi 01045/07; Amtsgericht Viechtach, Beschluss vom 04.03.2008, 7 II OWi 307/08; Amtsgericht Offenbach, Beschluss vom 06.09.2008, 27 OWi 272/08; Amtsgericht Waiblingen, Beschluss vom 07.05.2008, 5 OWi 5/08).

Der Betroffene trägt vor, die Vorschrift des § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG sei nicht anwendbar, da beide Bescheide und damit beide Fahrverbote gleichzeitig rechtskräftig geworden seien, was dazu führe, dass keine Reihenfolge der Vollstreckung feststellbar sei. Folglich sei parallel zu vollstrecken. Er beruft sich dabei auf eine Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 19.01.2010, 13 OWi 705 Js 23983/09.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.

Zwar geht die Regelung in § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG ihrem Wortlaut nach davon aus, dass sich eine Reihenfolge der Rechtskraft feststellen lässt, dies ist jedoch nicht Voraussetzung. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Bußgeldbescheide mit Fahrverboten gegen dieselbe Person zufällig gleichzeitig rechtskräftig werden, ist so gering, dass dies nicht ausdrücklich geregelt werden muss. Es liegt somit auch keine Gesetzeslücke vor, vielmehr kann diese vermeintliche Unklarheit durch Anwendung gewöhnlicher Auslegungsregeln geklärt werden.

Danach ist, wenn der Wortlaut einer Vorschrift im Einzelfall unklar bleibt, eine teleologische Auslegung vorzunehmen und zu fragen, was der Gesetzgeber mit seiner Regelung bezwecken wollte.

§ 25 Abs. 2 a S. 2 StVG bezieht sich auf die Situation, dass ein Fahrverbot mit Abgabefrist und ein weiteres Fahrverbot, mit oder ohne Abgabefrist, zeitlich zusammentreffen. Für diesen Fall bestimmt die Norm, dass die Vollstreckung der Fahrverbote nacheinander erfolgt und zwar grundsätzlich in der Reihenfolge ihrer Rechtskraft.

Folgte man in dem seltenen Fall der gleichzeitigen Rechtskraft der Auffassung des Betroffenen, so müsste ihm nun die Möglichkeit eingeräumt werden, in einem Monat zwei Fahrverbote von je einem Monat verbüßen zu dürfen. Dieses Ergebnis stünde dem Zweck der Vorschrift des § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG diametral entgegen. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG versucht, die Vorteile, die die Viermonatfrist dem Betroffenen gewährt, aus Gründen der Gleichbehandlung und zur Verhinderung von Missbräuchen durch den Nachteil, den die Norm dem Betroffenen auferlegt, auszugleichen.

So kann die Frage, ob ein Betroffener einen oder zwei Monate auf seinen Führerschein verzichten muss, nicht von dem Zufall abhängig gemacht werden, ob die beiden Bußgeldbescheide nacheinander oder gleichzeitig rechtskräftig werden. Dies wäre willkürlich und somit ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Artikel 3 GG. Eine grundgesetzkonforme Auslegung des § 25 Abs. 2 a S. 2 StVG zwingt dazu, auch in einem solchen Fall mehrere Fahrverbote nacheinander zu vollstrecken und nicht parallel. Das gleichzeitige Eintreten der Rechtskraft hindert demnach den Nacheinandervollzug nicht (vgl. auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., StVG, § 25, Rn. 30).

Überdies dient § 25 Abs. 2 a StVG dazu Missbrauchsfälle, die ansonsten durch ein geschicktes Einspruchsmanagement entstehen würden, zu verhindern. Entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts Meißen vom 19.01.2010, 13 OWi 705 Js 23983/09, ist somit auch bei gleichzeitiger Rechtskraft ein Nacheinandervollzug zu bejahen. Ansonsten würde der Sinn und Zweck der Norm konterkariert und überdies von der Rechtsfolgenseite der Norm auf deren tatbestandliche Voraussetzungen geschlossen. Die Reihenfolge der Rechtskraft ist nämlich nicht Voraussetzung der Norm sondern lediglich Rechtsfolge. Die Unklarheit der Bestimmung auf Rechtsfolgenseite kann dabei durch sachgerechte Auslegung geschlossen werden, insofern als ein sachgerechter Nacheinandervollzug der Fahrverbote zu erfolgen hat. Sei es durch Wahl des Betroffenen selbst, wie im vorliegenden Fall, oder durch Vollstreckung des zunächst älteren Fahrverbotes.

Dies muss insbesondere dann gelten, wenn der gleichzeitige Rechtskrafteintritt nicht zufällig eingetreten ist, sondern zielgerichtet herbeigeführt wurde. Würde man in diesen Fällen eine parallele Vollstreckung vornehmen, so hätte dies zur Folge, dass zahlreiche Einsprüche und Rechtsmittel nur deshalb eingelegt würden, um sie gleichzeitig zurücknehmen zu können. Dies würde zu einem erheblichen, überflüssigen und teuren Aufwand bei Verwaltung und Gericht führen, der dem eigentlichen Ziel beider Behörden, gerechte Entscheidungen zu treffen, zuwiderlaufen würde. Insbesondere würde es das Institut des Einspruchs konterkarieren und einen Mehrfachtäter über Gebühr bevorzugen. So ist es denkbar, dass ein Betroffener, der weiß, dass demnächst ein Fahrverbot gegen ihn verhängt wird oder gegen den ein Fahrverbot bereits verhängt ist, dieses jedoch noch nicht rechtskräftig ist, darauf spekuliert, dass weitere Fahrverbote ihn für eine gewisse Zeit nicht mehr treffen würden, wenn er sich eines kreativen Einspruchsmanagements bedient. Der eigentliche Zweck eines Fahrverbotes, die künftige Beachtung der StVO zu fördern, wäre damit in sein Gegenteil verkehrt.

Welches der beiden Fahrverbote im Falle gleichzeitigen Rechtskrafteintritts zuerst vollstreckt werden soll, ist dabei eine überwiegend formale Frage. Im vorliegenden Fall hat der Betroffene diese selbst entschieden und Einspruch sowie Rechtsbeschwerde taggleich am 4.6.2012 zurückgenommen und damit jeweils die 4-Monats-Frist in Gang gesetzt. In Fällen, in denen der Betroffene selbst keine Wahl getroffen hat, ist es naheliegend, zunächst den ältesten Bußgeldbescheid zu vollstrecken, jedenfalls ist ein Parallelvollzug aus genannten Gründen abzulehnen.

 

AG Nördlingen: Beschluss vom 17.09.2012 - 1 OWi 608 Js 125792/11    BeckRS 2012, 23215

 

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