Disziplinarmaßnahme gegen einen Strafgefangenen, der zu viel (Wasser) trinkt?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 13.02.2013

In den JVA - zumal  in Abteilungen, in denen Gefangene einsitzen, die wegen Verstößen gegen das BtMG verurteilt wurden -  sind Gefangene auf Anordnung bzw. regelmäßig verpflichtet, Urinproben abzugeben, um nachzuweisen, dass sie "drogenfrei" sind. Die Manipulation der Urinprobe kann zu einer Disziplinarmaßnahme führen. Das OLG Hamm (1 Vollz (Ws) 566/12) war in diesem Rahmen mit einer Rechtsbeschwerde nach § 116 StVollzG befasst: Die Strafvollstreckungskammer des LG Kleve hatte die Entscheidung der Anstalt bestätigt, ein Gefangenen habe seine Urinprobe verdünnt und sei deshalb mit 4wöchigem Ausschluss von gemeinsamen Freizeitveranstaltungen zu disziplinieren. Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen hatte Erfolg  (Zitate aus der Entscheidung):

Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Zur Begründung führt sie aus, dass die Urinprobe verdünnt worden sein müsse, da ansonsten der festgestellte niedrige Kreatininwert von 10 mg/dl mangels Erkrankung des Betroffenen nicht erklärbar sei.

(...)

Gegen den Beschluss hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt. Er meint, der Zulassungsgrund der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung liege vor und verweist auf eine andere Entscheidung des Landgerichts Kleve mit s.E. gleichem Sachverhalt, die aber gegenteilig entschieden worden sei. Ein Kreatininwert von unter 0,2 g/l könne durchaus normal sein, z.B. wenn vor der Abgabe der Urinprobe viel Flüssigkeit aufgenommen wurde.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet und führt auf die dem Vortrag des Betroffenen zu entnehmende Sachrüge hin zur Aufhebung und Zurückverweisung (§ 119 Abs. 4 S. 1 und 3 StVollzG).

Die Beweiswürdigung des Landgerichts, mit der es den Betroffenen einer Manipulation der Urinprobe, und damit eines Disziplinarvergehens i.S.v. § 102 StVollzG für überführt erachtet, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. (...) Die Strafvollstreckungskammer hat zwar die Möglichkeit eines erniedrigten Kreatininwertes wegen möglicher Erkrankung des Betroffenen ausgeschlossen, nicht aber andere Gründe, insbesondere eine etwaige erhöhte Flüssigkeitsaufnahme vor Abgabe der Urinprobe. Eine starke Verdünnung der Urinprobe führt dazu, dass aus ihr ggf. keine hinreichenden Rückschlüsse auf einen Betäubungsmittelkonsum mehr möglich sind. (...) 

Grund für einen stark erniedrigten Kreatininwert kann grundsätzlich aber auch eine verstärkte Diurese sein (vgl. neben der bereits oben erwähnten Entscheidung des LG Kleve: VG Augsburg, Beschl. v. 26.04.2002 - Au 3 S 02.442 – juris; VG Augsburg, Beschl. v. 02.02.2009 - Au 7 S 08.1767 – juris).

Ob eine verstärkte Flüssigkeitsaufnahme als Grund für die starke Verdünnung der Urinprobe ausgeschlossen werden kann, wird die Strafvollstreckungskammer nunmehr zu überprüfen haben. Sollten sich Zweifel ergeben, dass der hier relevante Kreatininwert allein durch verstärkte Diurese erreichbar ist, wäre dies ggf. unter sachverständiger Beratung aufzuklären.

Allerdings könnte der Erfolg der Rechtsbeschwerde nach Ansicht des OLG Hamm durchaus auch nur ein Pyrrhus-Sieg sein, denn:

Kommt eine verstärkte Flüssigkeitsaufnahme als Grund der starken Verdünnung in Betracht, so schließt dies allerdings eine disziplinarrechtliche Ahndung nicht von vornherein aus. Hätte der Betroffene in Kenntnis oder Erwartung der bevorstehenden Urinkontrolle in einem Maße Flüssigkeit aufgenommen, die weder dem gesundheitlich notwendigen oder dem aufgrund von Temperatur oder körperlicher Belastung angemessenen Maß entsprach und deutlich über seiner normalen Flüssigkeitsaufnahme lag, so kann auch darin eine bewusste Manipulation der Urinkontrolle gesehen werden, welche disziplinarisch geahndet werden könnte.

In Kurzform: Ein Strafgefangener, der vor einer Urinprobe viel trinkt, um den Nachweis der Betäubungsmitteleinnahme zu erschweren, kann nach dieser Ansicht ebenso diszipliniert werden, wie ein Gefangener, der seine Urinprobe erst nachträglich verdünnt.

Ergibt sich also eine Pflicht, im Hinblick auf anstehende Kontrollen seinen Stoffwechsel "unbeeinflusst" zu lassen? Kann Wasser-Trinken bestraft werden?

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6 Kommentare

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Wenn auch nicht unmittelbar, so doch dem Rechtsgedanken nach sollte hier die Wertung des § 258 V StGB herangezogen werden: Unterstellt, der Gefangene gibt in der Tat eine "gefälschte" Urinprobe ab, um sich nicht einer Sanktion unterwerfen zu müssen, so handelt er in Selbstbegünstigungsabsicht. Der Gesetzgeber hat in § 258 V StGB niedergelegt, dass er in solchen Fällen von einer notstandsähnlichen Situation ausgeht, der er mit Nachsicht gegenübertritt und von einer Bestrafung absieht. Solange er mit seiner Vereitelungshandlung nicht andere Rechtsgüter beeinträchtigt (falsche Verdächtigung, Beleidigung/Verleumdung etc.), müsste Gleiches auch vorliegend gelten. 

Sehr geehrter Herr Isfen,

ja, daran dachte ich auch. Jedoch unterscheidet sich - allein unter diesem Aspekt betrachtet - schon die "normale" nachträgliche Verdünnung der Probe mit Wasser nicht von einer Verdünnung durch (übermäßiges) Trinken.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Kollege Müller,

 

in der Tat! Aber ich sehe auch keinen Unterschied zwischen beiden Konstellationen. Sie kommen quasi auf verschiedenen Wegen zum gleichen Ergebnis, nämlich Selbstbegünstigung ohne Übergriff auf andere Rechtsgüter. Mit welchen Erwägungen hier eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt werden könnte, erschließt sich mir nicht.

 

Beste Grüße

Osman Isfen

Sie scheinen alle beide zu verkennen, dass der Strafgefangene hier in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise (BVerfG 2 BvR 2280/07) zusätzlichen disziplinarrechtlich sanktionsbewehrten Verhaltens- und Mitwirkungspflichten unterworfen ist, die es außerhalb des Strafgefangenenverhältnisses nicht gibt.

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Sehr geehrter Herr Gastmann,
das verkenne ich durchaus nicht. Die Privilegierung der allgemeinen Selbstbegünstigung wird durch die (nach BVerfG verfassungsrechtlich unprobl.) Verpflichtung zur Abgabe von Urinproben im Strafvollzug verdrängt. Ich habe nur Zweifel, ob die disziplinarisch bewehrte Verpflichtung zur Mitwirkung auch ein Unterlassen von (Wasser-) Trinken vor der Urinprobe gebietet.
Freundliche Grüße
Henning Ernst Müller

Eine Disziplinarstrafe in diesen Fällen halte ich für unverhältnismäßig. Schließlich kann die Anstalt Drogenkontrollen unangekündigt durchführen, um Manipulationen durch Trinken vorzubeugen. Bedenkt man, dass auch Sport oder starkes Schwitzen die Kreatininwerte senken können, ist es doch absurd, Gefangene inzident über die Strafandrohung vor angekündigten UK jegliche Aufnahme von Wasser zu verbieten und ihnen ein Bewegungsverbot aufzuerlegen.

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