Private Enforcement und Schutz von Geschäftsgeheimnissen – keine klare Linie der Kommission

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 20.03.2013

Der private Rechtsschutz bei Kartellrechtsverstößen gehört mittlerweile zur Tagesordnung. Die Europäische Kommission will hierzu in diesem Jahr den Entwurf einer gesetzlichen Regelung vorlegen (ohne collective redress). Das hat Kommissar Almunia zuletzt in der Fragerunde nach seinem Vortrag auf der Arbeitstagung der Studienvereinigung Kartellrecht am 08.03.2013 in Brüssel verkündet.

Die Kommission scheint in einem Punkt noch keine klare Linie gefunden zu haben. Einerseits bekämpft sie aus Furcht um eine tatsächliche oder vermeintliche Beeinträchtigung ihrer Kronzeugenregelung die Anträge von Schadensersatzklägern auf Einsicht in die Kartellverfahrensakten und wird deswegen immer wieder von den enttäuschten Antragstellern vor Gericht gezerrt. Andererseits hatte sie sich in letzter Zeit häufiger vor Gericht zu verteidigen, weil sie nach der Vorstellung der Adressaten von Untersagungs- und Bußgeldentscheidungen unzureichend um Geschäftsgeheimnisse bereinigte Fassungen ihrer Entscheidungen veröffentlichen wollte.

Um letzteres ging es auch in dem Fall, der zu einer Anordnung des Präsidenten des Gerichts vom 11.03.2013 in der Sache Pilkington / Kommission führte (Rs. T-462/12 R). Was war passiert?

Die Kommission hatte beschlossen, ihre Entscheidung in dem Kartellverfahren Autoglas mit möglicherweise vertraulichen Informationen neu zu veröffentlichen. Das Unternehmen wendete sich deshalb im Wege einer Nichtigkeitsklage und eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Entscheidung des Anhörungsbeauftragten, der den überwiegenden Teil der Geheimhaltungsanträge des Unternehmens abgelehnt hatte. Die Europäische Kommission hatte die streitigen Informationen in drei Kategorien eingeteilt. Kategorie 1 betraf Kundennamen und Produktnamen, Kategorie 2 u.a. die Zahl der gelieferten Teile, Preiskalkulationen und Preisänderungen und Kategorie 3 Informationen, mit denen einzelne Mitarbeiter des Unternehmens hätten identifiziert werden können. Der Präsident des Gerichts gewährte hinsichtlich der Informationen der Kategorien 1 und 2 einstweiligen Rechtsschutz. Im Hinblick auf die Informationen der Kategorie 3 lehnte er den Antrag ab.

Die Prüfung des Präsidenten des Gerichts soll hier nicht im Einzelnen nachvollzogen werden. Mir geht es nur um einen Aspekt. Die Kommission hatte die Ansicht vertreten, dass die fraglichen Informationen aufgrund ihres Alters von mehr als fünf Jahren als historisch anzusehen seien. Der Präsident folgte dem nicht, sondern ließ sich von der Argumentation der Antragstellerin vorläufig überzeugen. Für die Informationen der Kategorie 2 hatte der Antragsteller vorgetragen, dass die Verträge auf dem betroffenen Markt häufig mehrere Jahre vor der eigentlichen Produktion verhandelt würden und es sich um langfristige Verträge handele, die zudem häufig verlängert würden, da ein Hersteller von Glasfenstern die Autohersteller über mehrere Generationen eines Automodells hin beliefere. Der Präsident schloss hieraus, dass die Informationen noch Marktrelevanz hätten und nicht als historisch angesehen werden könnten. Die Kommission konnte sich damit nicht auf die in der Rechtsprechung zu solchen Fällen anerkannte generelle Regel stützen, dass Informationen mit einem Alter von mehr als fünf Jahren als historisch anzusehen seien.

Interessanterweise vertritt die Europäische Kommission bei Anträgen nach der Verordnung 1049/2001 auf Einsicht in ihre Kartellverwaltungsakten die Gegenposition, indem sie pauschal behauptet, die fraglichen Informationen, zu denen Zugang verlangt wird, seien Geschäftsgeheimnisse. Auf das Alter stellt sie hierbei nicht ab. Sie begründet in ihren Entscheidungen über Zweitanträge nach der genannten Verordnung auch nicht näher, wieso die Informationen trotz ihres Alters noch Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen darstellen sollen.

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass sie in ganz anderem Zusammenhang – nämlich in ihren Horizontal-Leitlinien – zum Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen die Auffassung vertritt, dass es keine festgelegte Schwelle gebe, ab der Daten zu historischen Daten werden, d.h. alt genug seien, um kein Wettbewerbsrisiko mehr darzustellen. Sie führt in den Horizontal-Leitlinien ausdrücklich aus, dass dies von den besonderen Merkmalen des relevanten Marktes abhänge und insbesondere davon, wie häufig in der betreffenden Branche neue Verhandlungen über Preise stattfänden. Auch die durchschnittliche branchenübliche Laufzeit von Verträgen kann dabei eine Rolle spielen.

Es kommt also - wie so oft - auf den konkreten Einzelfall an. Dem muss die Kommission allerdings durch eine entsprechende einzelfallbezogene Begründung auch Rechnung tragen.

Es scheint so, als würde es noch eine Weile dauern, bis die Europäische Kommission im Bereich des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen zu einer klaren Linie findet.

 

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