Neuwagenkauf: Zu hoher Verbrauch = Rücktritt

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 30.03.2013
Rechtsgebiete: NeuwagenkaufVerkehrsrecht|2936 Aufrufe

Ist ja auch echt ärgerlich. Auto gekauft - dann festgestellt, dass das gute Teil zuviel verbraucht. Das OLG Hamm hierzu:

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger von der Beklagten gem. § BGB § 346 Abs.
BGB § 346 Absatz 1 BGB die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des X verlangen kann, denn der Kläger war gem. §§  433, 434, BGB § 437 Nr. BGB § 437 Nummer 2,  § 440,  § 323 BGB zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt.

a) Das gesetzliche Rücktrittsrecht ergab sich daraus, dass dem vom Kläger gekauften Fahrzeug i. S. d. § BGB § 434 Abs. BGB § 434 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 u. S. 3 BGB eine Beschaffenheit fehlte, die er nach dem Verkaufsprospekt des Herstellers erwarten durfte.

Aus dem Verkaufsprospekt ergab sich, dass ein X ohne Zusatzaustattung nach dem Messverfahren gem. RL 80/1268/EWG folgenden Kraftstoffverbrauch haben soll

innerorts:10,3 l/100 km

außerorts:6,2 l/100 km

kombiniert:7,7 l/100 km.

Daraus folgt zwar keine Sollbeschaffenheit in dem Sinne, dass diese Verbrauchswerte im Alltagsgebrauch des konkret erworbenen Fahrzeugs erreicht werden müssten. Denn ein verständiger Käufer weiß, dass die tatsächlichen Verbrauchswerte von zahlreichen Einflüssen und der individuellen Fahrweise des Nutzers abhängen und deshalb nicht mit den Prospektangaben gleichgesetzt werden dürfen, die auf einem standardisierten Messverfahren beruhen (Senat, Urteil 28 U 12/11 vom 09.06.2011; Reinking/Eggert Der Autokauf, 11. Aufl. 2012, Rnr. 607).

Der Käufer kann aber erwarten, dass die im Prospekt angegebenen Werte unter Testbedingungen reproduzierbar sind. Das ist bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht der Fall.

Der zum Sachverständigen bestellte Dipl.-Ing. u von der O AG ist beruflich regelmäßig mit der Durchführung von Verbrauchstests - auch für Fahrzeughersteller - befasst. Er hat seine für das Landgericht erstellten schriftlichen Stellungnahmen vor dem Senat erläutert. Daraus ergab sich Folgendes:

Der Sachverständige gab an, den X des Klägers auf einem Prüfstand so getestet zu haben, wie dies im Typengenehmigungsverfahren nach der EG-Richtlinie 80/1268 geschehe. Auch für das Typengenehmigungsverfahren würde man keine fabrikneuen Fahrzeuge verwenden, sondern solche mit einer Laufleistung von 3.000 bis 15.000 km. Diesen Vorgaben habe das Klägerfahrzeug mit einer Laufleistung von seinerzeit 15.000 km entsprochen. Sodann sei der Fahrwiderstand ermittelt worden, indem man bei 125 km/h in den Leerlauf geschaltet und das Fahrzeug habe ausrollen lassen. Dabei habe sich ergeben, dass das Klägerfahrzeug einen deutlich höheren Fahrwiderstand gehabt habe als das vom Hersteller anlässlich der Homologation getestete. Während üblicherweise bei nachträglich getesteten Fahrzeugen deren Fahrwiderstände zu 80-90% den Werten im Typengenehmigungsverfahren entsprächen, sei bei dem Klägerfahrzeug eine deutliche und ungewöhnliche Diskrepanz festzustellen. Die gemessenen Werte lägen bei 33 N statt bei der Herstellerangabe von -47 N.

Ausgehend von diesen festgestellten Fahrwiderstands-, d. h. Lastwerten habe man - so der Sachverständige - dann noch abweichend vom tatsächlichen Fahrzeuggewicht von 1.590 kg eine niedrigere Schwungmassenklasse von 1.470 kg simuliert, obgleich man nach der anzuwendenden Richtlinie das Referenzgewicht eigentlich sogar aus der schwersten Fahrzeugvariante hätte nehmen müssen. Pro Gewichtsklasse ergebe sich aus seiner Erfahrung ein Minderverbrauch von 0,1 bis 0,2 l/100km, wobei er hier den höheren Wert von 0,2 l/100km zugrunde gelegt habe. Daraus ergäben sich entsprechend der Berechnungsvariante 2 die Verbrauchswerte von 11,5 /7,0 /8,6 l/100 km.

Aus dem Umstand, dass bei der Testfahrt der Tank fast leer gewesen sei, während die Richtlinie einen vollen Tank verlange, ergebe sich ausweislich einer vor dem Senatstermin durchgeführten Nachberechnung keine signifikante Abweichung. Sofern man auch noch einen neuen Wartungszustand, d. h. einen Zustand innerhalb des vom Hersteller vorgegebenen Wartungsintervalls, und die Verwendung von Referenzkraftstoff berücksichtige, ergebe sich ein Minderverbrauch von 0,1 l /100 km. Dabei sei insbesondere zu bedenken, dass der zu Testzwecken verwendete Referenzkraftstoff nicht etwa einen höheren Brennwert aufweise als entsprechender Markenkraftstoff. Die chemischen Inhaltsstoffe seien vielmehr entsprechend den gesetzlichen Vorgaben die gleichen. Nur sei der Referenzkraftstoff unter Laborbedingungen hergestellt, während sich bei Markenkraftstoffen durch die industrielle Fertigung innerhalb der Toleranzen ein größere Streuweite ergebe.

Legt man - insoweit zugunsten der Beklagten - diese ergänzenden Feststellungen des Sachverständigen zum Einfluss des Wartungszustands und des Referenzkraftstoffs zugrunde, so rechtfertigt dies einen weiteren Abzug von 0,1 l/100km von den vorgenannten Werten. Damit ist im Streitfall von folgenden Verbrauchswerten bzw. prozentualen Überschreitungen der Prospektangaben auszugehen:

innerorts 11,4 l/100 km statt 10,3 l/100 km (+ 10,68%)

außerorts 6,9 l/100 km statt 6,2 l/100 km (+ 11,29%)

kombiniert 8,5 l/100 km statt 7,7 l/100 km (+ 10,39%).

Der Senat sieht keinen Anlass, an den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. u zu zweifeln, denn er verfügt bei Verbrauchsmessungen an Kraftfahrzeugen über einen großen Sachverstand. Seine Feststellungen waren sorgsam erarbeitet; sie wurden nachvollziehbar erläutert.

Der Senat kann danach insbesondere ausschließen, dass die Diskrepanz zwischen den schlechten Fahrwiderstandswerten am Klägerfahrzeug und den besseren Widerstandswerten an dem vom Hersteller verwendeten Homologationsfahrzeug eine Ursache hat, die dem Kläger zuzurechnen wäre. An dem streitgegenständlichen Fahrzeug sind unstreitig die ab Werk ausgelieferten Reifen montiert. Das mit der Zusatzausstattung zusammenhängende höhere Gewicht des Klägerfahrzeugs wurde durch Simulation des Sachverständigen neutralisiert. Und die technische Abnutzung am Klägerfahrzeug im Vergleich zur Neuauslieferung hätte auch am Homologationsfahrzeug vorhanden sein müssen, wobei der Sachverständige ergänzend ausführte, dass mit zunehmender Fahrzeugnutzung ohnehin nicht zwingend eine Verschlechterung der Verbrauchswerte verbunden sei.

Der Auffassung der Beklagten, man dürfe nicht von den am Klägerfahrzeug gemessenen (schlechten) Fahrwiderstandswerten ausgehen, sondern müsse diejenigen des Homologationsfahrzeugs zugrunde legen, folgt der Senat nicht. Ein solcher Berechnungsansatz würde - wie auch der Sachverständige ausführte - zu einem rein theoretischen Ergebnis führen, als ob man lediglich den Verbrauch des Fahrzeugmotors isoliert betrachtet. Der Kläger hat aber nicht nur einen Motor gekauft, sondern ein komplettes Fahrzeug, so dass auch dessen Fahrwiderstand zu berücksichtigen ist. Das ist auch deshalb interessengerecht, weil es ansonsten der Fahrzeughersteller in der Hand hätte, durch optimale Ausgestaltung des Homologationsverfahrens - z. B. durch die Verwendung rolloptimierter Reifen - Verbrauchswerte zu erzielen, die mit den verkauften Fahrzeugen gleichen Typs nicht rekonstruierbar wären.

b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Auslieferung des Klägerfahrzeugs mit den erhöhten Verbrauchswerten auch als erhebliche Pflichtverletzung i. S. d. § 323 Absatz 5 S. 2 BGB anzusehen, die den Kläger zum Rücktritt berechtigt.

Eine erhebliche Pflichtverletzung ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn der im Verkaufsprospekt angegebene (kombinierte) Verbrauchswert um mehr als 10% überschritten wird (BGH NJW 2007, NJW Jahr 2007 Seite 2111; Senatsurteil 28 U 12/11 vom 09.06.2011), was hier bei einem Mehrverbrauch von 10,35% der Fall ist. Auch wenn hier nur eine sehr geringfügige Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle vorliegt, rechtfertigt das bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung keinen Ausschluss des Rücktrittsrechts. Dabei war zu sehen, dass die Berechnung des Sachverständigen ohnehin für die Beklagte eher günstig ausfiel, denn bei der Simulation der geringeren Schwungmassenklasse wäre auch ein Abzug von lediglich 0,1 l/100km statt 0,2 l/100km vertretbar gewesen.

2. Hinsichtlich des von der Beklagten zurückzuzahlenden Kaufpreises von 20.260,00 EUR ist gem. § 346 Absatz 1 u.  § 346 Absatz 2 BGB ein Abzug vorzunehmen, indem der Kläger eine Entschädigung für die bisherige Fahrzeugnutzung zu leisten hat.

Der erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Aufrechnungseinwands war zulässig. Er ist zum einen sachdienlich i. S. d. § 533 Nr. 1 ZPO, weil er eine weitere
Streitigkeit der Parteien anlässlich der Zwangsvollstreckung vermeidet. Bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung sind zudem Tatsachen zugrunde zu legen, mit denen der Kläger nicht gem. §§ 533 Nr. 2, 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ausgeschlossen ist. Das ergibt sich daraus, dass die nach der erstinstanzlichen Schriftsatzfrist des § 128 Abs. 2 S. 2 ZPO mit dem PKW zurückgelegte Fahrleistung ohnehin ein berücksichtigungsfähiger neuer Umstand ist, der Anlass gibt, den jetzigen Kilometerstand und die hypothetische Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs festzustellen. Für die bis zur erstinstanzlichen Schriftsatzfrist angefallene „alte“ Laufleistung sind keine weitergehenden Tatsachen festzustellen.

Die Höhe der Nutzungsentschädigung bemisst sich nach dem linearen Wertschwund, der im Streitfall durch die Formel

20.260,00 EUR * 30.200 km

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200.000 km - 0 km

zu kalkulieren ist und damit einen Abzug von 3.059,26 EUR ausmacht. Die mutmaßliche Gesamtlaufleistung von 200.000 km wurde vom Senat aufgrund der Erfahrungen in zahlreichen Parallelverfahren geschätzt (§ ZPO § 287 ZPO).

OLG Hamm, Urteil vom 07.02.2013 - I-28 U 94/12    BeckRS 2013, 04091

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