Basiswissen StPO: Der Beweisantrag

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 05.04.2013
Rechtsgebiete: BeweisantragStrafrechtVerkehrsrecht1|14011 Aufrufe

Schön, wenn man mal wieder etwas zu der lockeren Serie "Basiswissen" beim BGH findet. Diesmal etwas zum Beweisantragsrecht: Was macht einen Beweisantrag zum Beweisantrag und wann liegt ein Beweisantrag "ins Blaue hinein" vor?

 

 

Ein Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 bis 6 StPO setzt die konkrete und bestimmte Behauptung einer Tatsache und die Benennung eines be-stimmten Beweismittels voraus, mit dem der Nachweis der Tatsache geführt werden soll. Bei einem Antrag auf Vernehmung eines Zeugen kommen als Beweisbehauptung nur solche Tatsachen in Betracht, die der benannte Zeuge aus eigener Wahrnehmung bekunden kann (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 – 5 StR 279/93, BGHSt 39, 251, 253 f.). Ist aus dem Inhalt des Beweisbegeh-rens ein verbindender Zusammenhang zwischen der Beweisbehauptung und dem benannten Zeugen nicht ohne weiteres erkennbar, ist für das Vorliegen eines Beweisantrages weiterhin erforderlich, dass der Antragsteller näher dar-legt, weshalb der Zeuge überhaupt etwas zu dem Beweisthema bekunden kön-nen soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10, NStZ 2011, 169 Tz. 11 ff.; vom 17. November 2009 – 4 StR 375/09, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 47; vom 22. Juni 1999 – 1 StR 205/99, NStZ 1999, 522; Urteil vom 28. November 1997 – 3 StR 114/97, BGHSt 43, 321, 329 f.; zweifelnd Urteil vom 14. August 2008 – 3 StR 181/08, NStZ 2009, 171 Tz. 13). Die Ausführungen zur Konnexität im weiteren Sinne (zur Terminologie vgl. Schneider, Festschrift Eisenberg 2009, S. 609, 618 ff.) sollen dem Gericht eine sachgerechte Prüfung und Anwendung der Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 StPO ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 3 StR 201/05, NStZ 2006, 585, 586; Beschluss vom 22. Juni 1999 – 1 StR 205/99 aaO), wobei hier – anders als bei der Bestimmtheit der von dem benannten Zeugen wahrgenommenen Beweistatsache – der Ablehnungsgrund der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels nach § 244 Abs. 3 Satz 2 3. Alt. StPO im Vordergrund steht (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 – 5 StR 317/97, NStZ 1998, 97; Schneider aaO). Durch den Bezug auf die völli-ge Ungeeignetheit, die nur aus dem Beweismittel selbst in Beziehung zu der Beweisbehauptung ohne Rückgriff auf das bisherige Beweisergebnis abgeleitet werden darf (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 232 mwN), werden die unter dem Gesichtspunkt der Konnexität im weiteren Sinne erforderlichen Angaben zugleich auf solche beschränkt, die die Wahrnehmungssituation des benannten Zeugen betreffen. Ausführungen zur inhaltlichen Plausibilität der Beweisbehauptung können dagegen vom Antragsteller in diesem Zusammenhang nicht verlangt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2009 – 4 StR 375/09 aaO).....

....b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlt einem Antrag, mit dem zum Nachweis einer bestimmten Beweistatsache ein bestimmtes Be-weismittel bezeichnet wird, die Eigenschaft eines nach § 244 Abs. 3 bis 6 StPO zu bescheidenden Beweisantrages, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne begründete Vermutung für ihre Richtigkeit aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10, NStZ 2011, 169 Tz. 7 f.; Urteil vom 4. Dezember 2008 – 1 StR 327/08, NStZ 2009, 226, 227; Beschluss vom 12. März 2008 – 2 StR 549/07, NStZ 2008, 474; Urteil vom 13. Juni 2007 – 4 StR 100/07, NStZ 2008, 52, 53; Beschlüsse vom 4. April 2006 – 4 StR 30/06, NStZ 2006, 405; vom 5. März 2003 – 2 StR 405/02, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 39; vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01, NStZ 2002, 383; Urteil vom 12. Juni 1997 – 5 StR 58/97, NJW 1997, 2762, 2764; Be-schlüsse vom 10. November 1992 – 5 StR 474/92, NStZ 1993, 143, 144; vom 31. März 1989 – 3 StR 486/88, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 8 mwN zur früheren Rspr.; offen gelassen in BGH, Beschlüsse vom 19. September 2007 – 3 StR 354/07, StV 2008, 9; vom 20. Juli 2010 – 3 StR 218/10, StraFo 2010, 466). Ob eine solche nicht ernstlich gemeinte Beweisbehauptung gegeben ist, beurteilt sich aus der Sicht eines verständigen Antragstellers auf der Grundlage der von ihm selbst nicht in Frage gestellten Tatsachen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 2010 – 1 StR 497/10 aaO), wobei zu beachten ist, dass es dem Antragsteller grundsätzlich nicht verwehrt sein kann, auch solche Tatsachen unter Beweis zu stellen, die er lediglich für möglich hält oder nur vermutet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. April 2006 – 4 StR 30/06 aaO, vom 31. März 1989 – 3 StR 486/88 aaO). Nicht ausreichend ist, dass die bisherige Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Beweisbehauptung ergeben hat (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01 aaO) oder dass die unter Beweis gestellte Tatsache objektiv ungewöhnlich oder unwahr-scheinlich erscheint oder eine andere Möglichkeit näher gelegen hätte (BGH, Beschluss vom 12. März 2008 – 2 StR 549/07 aaO). Vielmehr wird für erforderlich gehalten, dass die Bestätigung der Beweisbehauptung aufgrund gesicherter bisheriger Beweisaufnahme offensichtlich unwahrscheinlich sein muss, was etwa anzunehmen sein soll, wenn eine Mehrzahl neutraler Zeugen eine Tatsache übereinstimmend bekundet hat und, ohne Beleg für entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte, das Gegenteil in das Wissen eines völlig neu benannten Zeugen oder eines Zeugen gestellt wird, dessen Zuverlässigkeit naheliegenden Zweifeln begegnet (BGH, Beschlüsse vom 12. Juni 1997 – 5 StR 58/97 aaO; vom 5. Februar 2002 – 3 StR 482/01 aaO).

 

 

BGH, Beschluss vom 4.12.2012 - 4 StR 372/12 

 

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Sicher sind viele Anwälte zu blöd, einen Beweisantrag zu stellen. Aber die hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Zulässigkeit eines Beweisantrags stellt, könnten den Eindruck erwecken, als bestünde seitens der Justiz gar kein ernsthaftes Interesse, den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Wenn ein Angeklagter- zumal wenn er nicht verteidigt ist - zum Ausdruck bringt, daß er noch bestimmte Tatsachen zu seiner Entlastung aufgeklärt wissen möchte und jedem verständigen Menschen klar ist, worauf er hinaus will, ist es in meinen Augen ein Unding, wenn solches Beweisbegehren unter Hinweis auf formale Hürden zurückgewiesen wird. Wenn ein Richter ernsthaft Interesse hat umfassender Sachaufklärung hat und unvoreingenommen ist, wird er auch formal unzulässigen Beweisanträgen stattgeben. Der Streit um die Zulässigkeit von Beweisanträgen ist für die Justiz oftmals unwürdig und befördert Fehlurteile.

 

Völlig absurd wird es mitunter, wenn der Angeklagte eine Negativtatsache bewiesen haben möchte, z.B. daß er oder dein Dritter zu einer bestimmten Zeit nicht an einem bestimmten Ort war und sein Begehren zurückgewiesen wird, weil er den Antrag falsch formuliert habe, obwohl für jedermann (außer offenbar für BGH-Richter) erkennbar ist, worauf der Antrag zielt.

 

Wie kann man als angeblich unvoreigenommener und unparteilicher Richter ein behauptetes Alibi eines Angeklagten unaufgeklärt lassen, nur weil der Beweisantrag falsch formuliert ist? Im übrigen erlebt man nur recht selten, daß auf diese Weise mit Beweisanträgen der Staatsanwaltschaft umgegangen wird. Die StA muß vielfach gar keine Beweisanträge stellen, sondern nur formlos vorbringen, was sie noch aufzuklären wünscht, während der Angeklagte bzw. sein Verteidiger Schreibarbeit leisten müssen bis die Hand raucht.

 

Ich verkenne nicht, daß das Beweisanträgsrecht von vielen Verteidigern mißbraucht wird. Aber  Rechtsmißbrauch und Verschleppungsabsicht werden m. E. viel zu schnell unterstellt, wie auch die formalen Hürden für Beweisanträge mittlerweile so hoch liegen, daß "böswillige" Richter fast jeden Beweisantrag ablehnen können, zumal dann, wenn er von einem unverteidigten oder schlecht verteidigten Angeklagten gestellt wird.

 

Beispiel: Ich habe kürzlich beantragt, durch richterlichen Augenschein festzustellen, daß das von dem Zeugen beschriebene Haus - entgegen dessen Darstellung - nicht weiß sondern blau gestrichen ist. Was macht der Richter? Er geht natürlich nicht einfach mal auf dem Nachhauseweg an dem unweit gelegenen Haus vorbei, um sich selbst ein Bild zu machen, sondern schickt einen Polizeibeamten, der Fotos von dem Haus machen soll. Dieser fotografiert das Haus im gleißenden Sonnenlicht mit unrichtigen Kameraeinstellungen so "geschickt", daß die blaue Fassade weiß wirkt und die Behauptung des Belastungszeugen "bestätigt" ist. Der Richter regt sich anschließend über eine angeblich unrichtige Beweisbehauptung auf. Bei solchen Berufsauffassungen muß man sich über Fehlurteile nicht wundern.

5

Kommentar hinzufügen