BAG: Kirchenaustritt kann Kündigung rechtfertigen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 05.05.2013
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtKündigungKircheBAGKirchenaustritt4|6717 Aufrufe

Der sog. „Dritte Weg“ der christlichen Kirchen aber auch die arbeitsrechtliche Absicherung der Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre sind weiterhin Gegenstand kontroverser Diskussionen und gerichtlicher Auseinandersetzungen. Neuere Urteile des BAG können durchaus als Bestätigung des hohen Stellenwerts des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 2 WRV) gewertet werden. Besonders deutlich kommt dies in den Entscheidungen des 1. Senats vom 20.11.2012 (NZA 2013, 437 und 448) zum Ausdruck, in denen das Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen im Grundsatz bestätigt wurde. Eine neuere Entscheidung des 2. Senats (25.4.2013 - 2 AZR 579/12 -, Pressemitteilung Nr. 29/13) befasst sich wieder einmal mit der Kündigung kirchlicher Mitarbeiter (vgl. zur Kündigung eines Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederheirat zuletzt BAG NZA 2012, 443). Hier hatte ja vor kurzem der EGMR im Falle Schüth (Urteil vom 23.9.2010, NZA 2011, 279) eine umfassendere Interessenabwägung unter Einbeziehung des Rechts auf Schutz der Privatsphäre angemahnt. Vor diesem Hintergrund ist es interessant, wie das BAG mit Kündigungsfällen jetzt umgeht. Im Falle Schüth ging es um einen Organisten und Chorleiter einer katholischen Kirchengemeinde, der sich von seiner Frau getrennt hatte und später mit einer neuen Lebensgefährtin zusammenlebte. Nunmehr hatte das BAG den wohl schwerwiegenderen Fall der fundamentalen Abwendung von der Kirche zu beurteilen. Es ging um die Klage eines seit 1992 beim beklagten Caritasverband beschäftigten Sozialpädagogen gegen eine auf seinen Austritt aus der katholischen Kirche gestützte Kündigung. Der Kläger arbeitete in einem sozialen Zentrum, in dem Schulkinder bis zum 12. Lebensjahr nachmittags betreut werden. Die Religionszugehörigkeit der Kinder ist ohne Bedeutung. Religiöse Inhalte werden nicht vermittelt. Im Februar 2011 trat der Kläger aus der katholischen Kirche aus. Gegenüber dem Beklagten nannte er als Beweggründe die zahlreichen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen, die Vorgänge um die „Piusbruderschaft“ und die Karfreitagsliturgie, in der eine antijudaische Tradition der katholischen Kirche zu Tage trete. Das BAG gab hingegen dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen den Vorrang. Der Kläger habe durch seinen Austritt gegen seine arbeitsvertraglichen Loyalitätsobliegenheiten verstoßen. Aufgrund dessen sei es dem Beklagten nicht zumutbar gewesen, ihn als Sozialpädagogen weiterzubeschäftigen. Nach dem kirchlichen Selbstverständnis habe der Kläger unmittelbar „Dienst am Menschen“ geleistet und damit am Sendungsauftrag der katholischen Kirche teilgenommen. Ihm fehle infolge seines Kirchenaustritts nach dem Glaubensverständnis des Beklagten die Eignung für eine Weiterbeschäftigung im Rahmen der Dienstgemeinschaft. Zwar habe auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Klägers ein hohes Gewicht. Sie müsse aber hier hinter das Selbstbestimmungsrecht des Beklagten zurücktreten. Dieser könne im vorliegenden Fall von den staatlichen Gerichten nicht gezwungen werden, im verkündigungsnahen Bereich einen Mitarbeiter weiterzubeschäftigen, der nicht nur in einem einzelnen Punkt den kirchlichen Loyalitätsanforderungen nicht gerecht geworden ist, sondern sich insgesamt von der katholischen Glaubensgemeinschaft losgesagt hat. Beschäftigungsdauer und Lebensalter des Klägers fielen demgegenüber im Ergebnis nicht ins Gewicht. Für Sozialpädagogen gibt es zudem auch außerhalb der katholischen Kirche und ihrer Einrichtungen Beschäftigungsmöglichkeiten. Auch den Gedanken an eine Diskriminierung im Sinne das AGG erteilt das BAG eine Absage. Die Ungleichbehandlung wegen der Religion hält das BAG nach § 9 Abs. 1, Abs. 2 AGG für gerechtfertigt. Das ist für das BAG offenbar auch im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 so klar, dass es von einer Vorlage an den EuGH meinte absehen zu können. Im Ergebnis spricht alles für die Richtigkeit dieser Sichtweise. Interessant dürfte es werden, wenn ein Fall zu entscheiden ist, bei dem es nicht um einen Mitarbeiter aus dem verkündigungsnahen Bereich geht. 

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4 Kommentare

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Selten habe ich solch eine krasse Fehlinterpretation des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gesehen wie in dieser BAG-Entscheidung.

Ich bin auf die Urteilsbegründung wirklich gespannt, denn die den Caritas-Richtlinen zu Arbeitsverträgen enthält ausdrücklich keine Mitgliedspflicht in der kath. Kirche, denn es ist dort auch ausdrücklich von nicht katholischen Mitarbeitern die Rede:

Nach § 4 Abs. 3 AVR "erfordert der Dienst in der katholischen Kirche … vom katholischen Mitarbeiter, dass er seine persönliche Lebensführung nach der Glaubens- und Sittenlehre sowie den übrigen Normen der katholischen Kirche einrichtet. Die persönliche Lebensführung des nichtkatholischen Mitarbeiters darf dem kirchlichen Charakter der Einrichtung, in der er tätig ist, nicht widersprechen."

Dass das BAG in seiner Entscheidungsankündigung den zweiten Satz unter den Tisch hat fallen lassen, zeigt schon die Voreingenommenheit des Senats.

Eine Verfehlung in der persönlichen Lebensführung wurde dem Mitarbeiter aber nicht zum Vorwurf gemacht, die Kündigung bezog sich alleine auf seine Entscheidung, aus der katholischen Kirche auszutreten. In der BAG-Ankündigung heißt es weiter:

Der Beklagte beschäftigt ca. 800 Arbeitnehmer. Die angestellten (Sozial-)Pädagogen sind ausnahmslos Mitglieder christlicher Kirchen.

Christlich, wohlgemerkt - nicht: katholisch. Also hat der Arbeitgeber kein Problem mit nichtkatholischen Angestellten. Ob jemand evangelisch, griechisch- oder russisch-orthodox, koptisch oder armenisch christlich ist, macht aus katholischer Sicht aber keinen Unterschied: es sind alles Abtrünnige vom wahren Glauben. Und die AV-Richtlinien der Caritas differenzieren nur zwischen katholischen und nichtkatholischen Mitarbeitern. Ob christlich, muslimisch, agnostisch oder atheistisch - es gibt überhaupt keinen Unterschied in der Rechtsgrundlage.

Aus einer Nachmittags- und Hausaufgabenbetreuung, bei der ausdrücklich religiöse Inhalte nicht vermittelt werden, eine "verkündungsnahe" Tätigkeit zu konstruieren ist schon eine Frechheit, die ihresgleichen sucht. Wollte man das postulieren, dann dürften nur katholische Soz.Päd. dort arbeiten. Herr Stoffels, da hätte mir von Ihnen ich ein bisschen mehr intellektuelles Durchdringen der Materie gewünscht.

Und: ob die Eltern muslimischen Glaubens ihre Kinder weiterhin zu der Einrichtung bringen wenn sie erfahren, dass dort nach Ansicht der Caritas missioniert werden soll?

Dass das BAG diesen Fall dem EuGH nicht vorliegt, kann nur als Trotzreaktion gedeutet werden - nach dem Motto: "ihr habt beim Orgelspieler unsere kirchentreue Linie aufgeweicht, da wird dieser Soz.Päd. schon sehen was er davon hat".

Dazu auch http://hpd.de/node/15794 und http://www.humanistische-union.de/nc/presse/2013/pressedetail_2013/back/...

 

Ich denke, dass man das etwas differenzierter sehen muss. Insofern wären in der Tat einige Details interessant, die in der Pressemitteilung nicht enthalten sind. Es wäre nach meiner Meinung allerdings konsequent und zu respektieren, dass die Caritas die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche als Mindestvoraussetzung für die Beschäftigung als Sozialpädagoge verlangt. 

Außerdem darf man den EGMR nicht mit dem EuGH verwechseln. Für die Frage der Vorlagepflichtigkeit spielt die Schüth-Entscheidung des EGMR keine Rolle. Hier geht es allein um die Interpretation der Rechtsfertigungsanforderungen der Richtlinie. 

Ich räume aber ein, dass eine abschließende Bewertung erst nach Lektüre der Entscheidungsgründe möglich ist. Das gilt auch für eine kritische Betrachtung. Von einer Frechheit zu sprechen, die ihresgleichen sucht, ist nicht nur voreilig, sondern auch unsachlich.

stoffels schrieb:
Es wäre nach meiner Meinung allerdings konsequent und zu respektieren, dass die Caritas die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche als Mindestvoraussetzung für die Beschäftigung als Sozialpädagoge verlangt.
Und welcher Rechts- oder Vertragsgrundlage wollen Sie diese Beschränkung auf die christlichen Kirchen entnehmen?

Die katholische Kirche kennt nur Katholiken oder "Ungläubige". Darum differenzieren die Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas auch nur zwischen Katholiken und Nichtkatholiken.

Wie gesagt: ob jemand der evangelischen, orthodoxen oder gar keiner Kirche angehört, macht für die juristische Beurteilung überhaupt keinen Unterschied. Wenn die Caritas auch nichtkatholische Soz.Päd. für diese Tätigkeit anstellt - was ich der Bezeichnung "christliche" entnehme - dann darf sie zwischen den nichtkatholischen nicht wegen deren Glaubensbekenntnis diskriminieren.

Und ich bleibe bei meiner Auffassung, dass - mittels einer Hilfskontruktion namens "Sendungsauftrag" - das Ausweiten der "verkündungsnahen Dienste" auf eine Tätigkeit, bei der die Vermittlung religiöser Inhalte ausdrücklich keine Rolle spielt, eine Frechheit ist. Genauso gut könnte man einem Schiedsrichter gestatten, die Mannschaftsaufstellungen zu bestimmen - das gehört ja auch im weiten Sinne zu seinem "Fußballauftrag".

Das BVerfG in seiner rückwärtsgewandten Weltsicht unendlichen Weisheit hat nun die vom BAG aufgehobene Kündigung des wiederverheirateten Chefarztes nach einer Verfassungsbeschwerde des Krankenhauses an die Fachgerichte zurückverwiesen:

Kirche darf Wiederverheirateten kündigen (SZ)

Wer hätte gedacht, dass die katholische Kirche jemals fortschrittlicher sein würde als das BVerfG? Katholische Kirche gewährt Wiederverheirateten Sakramente. Aber Freiburg i. Br. liegt von Karlsruhe aus gesehen antürlich am anderen Ende der Welt und was die Katholiken machen, kann kein Maßstab dafür sein, was die Herren Richter als passend für die der katholischen Kirche nahestehenden Arbeitgeber erachten. 

Die Caritas ist übrigens keine Glaubensgemeinschaft, die sich auf die im GG bzw. in der WRV festgeschriebenen Rechte der Selbstverwaltung ihrer inneren Angelegenheiten berufen könnte. Das sind nur die kath. Bistümer selbst.

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