LAG Hessen: Mitleid rechtfertigt Befristung des Arbeitsverhältnisses

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 04.06.2013
Rechtsgebiete: ArbeitsrechtBefristungMitleid5|5694 Aufrufe

Die Klägerin war bei der Beklagten als Bankangestellte gegen eine Vergütung von rund 3.800 Euro beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst auf sechs Monate befristet. Während dieser Zeit hatte die Klägerin erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten zu verzeichnen. Kurz nach Ablauf der sechs Monate (31.08.2011) vereinbarten die Parteien am 05.09.2011 eine "Verlängerung" der Befristung um weitere drei Monate. Diese "Verlängerung" konnte nicht nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 TzBfG wirksam sein, da sie hierfür zu spät (nämlich erst nach Ablauf der ursprünglichen Befristungsdauer) vereinbart worden war.

Das LAG Hessen (Urt. vom 04.02.2013 - 16 Sa 709/12, BeckRS 2013, 68872) hat jedoch geprüft, ob der erneute befristete Vertrag aus in der Person der Arbeitnehmerin liegenden Gründen (§ 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG) berechtigterweise befristet war und dies bejaht:

"Die am 18. August/5. September 2011 vereinbarte Befristung ist nach § 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG aus in der Person der Arbeitnehmerin liegenden Gründen gerechtfertigt. Dies ist der Fall, wenn es ohne den in der Person des Arbeitnehmers begründeten sozialen Zweck überhaupt nicht zum Abschluss eines Arbeitsvertrags, auch nicht eines befristeten Arbeitsvertrags, gekommen wäre. In diesem Fall liegt es auch im objektiven Interesse des Arbeitnehmers, wenigstens für eine begrenzte Zeit bei diesem Arbeitgeber einen Arbeitsplatz zu erhalten. Die sozialen Erwägungen müssen das überwiegende Motiv des Arbeitgebers sein. An einem sozialen Beweggrund für den Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages fehlt es, wenn die Interessen des Betriebs oder der Dienststelle und nicht die Berücksichtigung der sozialen Belange des Arbeitnehmers für den Abschluss des Arbeitsvertrages ausschlaggebend waren (Bundesarbeitsgericht 21. Januar 2009 - 7 AZR 630/07 - NZA 2009, 727, Rn. 9). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zum Zeitpunkt des Gesprächs über die Vereinbarung einer Verlängerung der Befristung am 18. August 2011 war die Klägerin bereits seit 26. Mai 2011 durchgehend arbeitsunfähig krank und hatte überhaupt nur zu Beginn ihrer Beschäftigung für wenige Wochen eine Arbeitsleistung erbracht. Zu diesem Zeitpunkt war nicht absehbar, ob die Klägerin bis zum Ende der ins Auge gefassten Laufzeit des Vertrags (30. November 2011) überhaupt noch einmal eine Arbeitsleistung werde erbringen können oder ob sie bis dahin weiterhin arbeitsunfähig krank sein würde. Bei rationaler Betrachtung konnte die Beklagte daher weder mit einer künftigen Arbeitsleistung der Klägerin rechnen noch diese in ihre Arbeitsabläufe einplanen. Die Verlängerung der Befristung erfolgte ausschließlich aus Mitleid mit der persönlichen Situation der Klägerin (Krankheit, Trauerfall). Ohne diese in der Person der Klägerin liegenden sozialen Gründe wäre es keinesfalls zu einer Verlängerung des befristeten Arbeitsvertrags der Klägerin gekommen, da ein betriebliches Interesse an der Arbeitsleistung der dauerhaft erkrankten Klägerin nicht bestehen konnte."

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5 Kommentare

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Mooooment mal. Wo kein Kläger, da kein Richter - d. h. die Arbeitnehmerin hat erst "aus Mitleid" eine Verlängerung ihres Arbeitsvertrages bekommen und später die Wirksamkeit der Befristung gerichtlich angegriffen? Da mag man sich ja eine Meinung bilden.

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leser schrieb:

Mooooment mal. Wo kein Kläger, da kein Richter - d. h. die Arbeitnehmerin hat erst "aus Mitleid" eine Verlängerung ihres Arbeitsvertrages bekommen und später die Wirksamkeit der Befristung gerichtlich angegriffen? Da mag man sich ja eine Meinung bilden.

Zuerst gab es eine Befristung. Wenn darauf nicht rechtzeitig eine weitere Befristung folgt und der AN weiter arbeitet, dann wird daraus automatisch eine unbefristete Stelle, die hier nachträglich wieder befristet wurde.

Dagegen hat sich der AN gewehrt in der Hoffnung, dass die zweite Befristung kassiert wird, weil eben zu spät.

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Der AGB-rechtliche Teil des hier vorgestellten Urteils des LAG Hessen ist sicher diskussionswürdig.

 

Der Hinweis auf den "sozialen" Sachgrund (§ 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG) geht ins Leere, wenn unter Umgehung des Kündigungsschutzes mit der Befristung, die als "sozal" gerechtfertigt werden soll, bezweckt wird, ein zuvor unbefristetes Arbeitsverhältnis abzulösen (BAG, Az.: 7 AZR 552/00, in: NZA 2002, 759).

 

Unter Beachtung dieser Rechtsprechung musste das LAG Hessen daher untersuchen, ob die ursprüngliche Befristung, an die sich die weitere, nunmehr "soziale" Befristung anschließen sollte, überhaupt wirksam war. Bedenken bestanden deshalb, weil im ersten Vertrag die Klausel über die Befristung an versteckter Stelle mitten im Vertragstext verborgen war. Ein solcher Passus wird dann normalerweise nicht Vertragsbestandteil (§ 305 c Abs. 1 BGB). Damit er es doch wird, muss entweder eine Individualabrede getroffen worden sein (was im Fall der Klägerin ausschied), oder aber - wie das LAG Hessen unter Anführung einer entsprechenden Fundstellen aus dem Münchener Kommentar zum BGB darstellt - der überraschende Charakter der Befristungsabrede ist dadurch entfallen, dass die Arbeitnehmerin einen Hinweis auf die Befristung enthielt, "sofern er klar und deutlich gefasst ist".

 

Hierfür will das LAG Hessen genügen lassen, dass eine beim Arbeitgeber beschäftigte Frau B. am Tag der Vertragsunterzeichnung mit der Klägerin am Telefon den Arbeitsvertrag "blockweise" durchging und im Zeugenstand ausgesagt hatte, auch in anderen Fällen weise sie die neu Eingestellten auf die Befristung hin. Konkreter wurde die Zeugin im Hinblick auf den Fall der Klägerin nicht; die Klägerin selbst "meine schon, dass wir die Befristung durchgegangen sind".

 

Reicht das im AGB-rechtlichen Sinne für einen "klar und deutlich gefassten Hinweis" des Arbeitgebers auf die Befristung aus? Ich meine nein. Meines Erachtens ist das "blockweise" Durchgehen des gesamten Vertragstexts am Telefon kein ausreichend "klar und deutlich gefasster Hinweis", der der überraschenden Klausel ihren Überraschungseffekt nimmt. Vielmehr steht das "blockweise" Durchgehen eines Vertragstexts, ähnlich wie das Vorlesen einer Urkunde durch den Notar, vom Informationsgehalt nur dem eigenen Durchlesen der Vertragsurkunde gleich und schließt daher nach meiner Ansicht die Annahme einer überraschenden Klausel i. S. d. § 305 c Abs. 1 BGB nicht aus. Die Bekanntgabe des Vertragstexts - und sei dieser wie hier fernmündlich vermittelt - ist für sich allen noch kein "klar und deutlich gefasster Hinweis" auf bestimmte Inahlte in einer Weise, die ihnen den überraschenden Charakter nähmen. Ob AGB in gesonderten Blättern als sog. "Kleingedrucktes" beigefügt oder als Teil eines Vertrages vom Verwender und seinem Vertragspartner unterschrieben werden, ist für die rechtliche Beurteilung, ob eine Klausel überraschend ist, bekanntlich gleichgültig (vgl. nur BGH, Urt. v. 01.03.1978, Az.: VIII ZR 70/77, in: NJW 1978, 1519). Das zusätzliche "blockweise Durchgehen" eines Vertragstexts am Telefon stellt vergleichen damit kein derartiges Informations-Plus dar, bei dem man sagen dürfte, jetzt sei nichts mehr überraschend. Zu diesem Ergebnis komme ich erst recht, wenn ich mir die Sachverhalte der BGH-Urteile zum Ausschluss des Überraschungscharakters durch gesonderte Hinweise ansehe, die bei Basedow im Münchener Kommentar bei Rn. 8 zu § 305 c BGB aufgeführt werden (denn diese Fundstelle hat das LAG Hessen in seinem Urteil zitiert).

 

 

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