Kettenbefristung durch Tarifvertrag

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 24.06.2013

Im April hatte ich hier im BeckBlog über ein Verfahren berichtet, das eine durch Tarifvertrag gestattete Kettenbefristung betraf: Ein konzerninternes Zeitarbeitsunternehmen hatte mit der IG Metall einen Tarifvertrag abgeschlossen, in dem von der Möglichkeit des § 14 Abs. 2 Satz 3 TzBfG Gebrauch gemacht wurde, die sachgrundlose Befristung über die Dauer von zwei Jahren hinaus zu gestatten und die Anzahl der zulässigen Verlängerungen auf über drei zu erhöhen. In dem Tarifvertrag heißt es:

§ 6. Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses

Die bereits bestehenden befristeten Arbeitsverträge der Arbeitnehmer können abweichend von § 14 Abs. 2 Satz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz bis zum 31.12.2017 befristet werden und innerhalb der Gesamtdauer der Befristung auch mehr als dreimal verlängert werden.

Der Kläger ist Kranfahrer und Mitglied der IG Metall. Er war seit 2005 aufgrund von insgesamt neun befristeten Verträgen bei der Zeitarbeitsfirma beschäftigt, die ihn ausschließlich an ein Schwesterunternehmen desselben Konzerns verlieh. Der Kläger hält die Vertragsgestaltung für ein rechtsmissbräuchliches Umgehungsgeschäft und begehrt die Feststellung, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit dem entleihenden Unternehmen besteht. Seine Klage blieb jetzt auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg (LAG Düsseldorf, Urt. vom 21.06.2013 - 10 Sa 1747/12).

Tarifvertrag ist durch die Tarifautonomie gedeckt

Entgegen seiner ersten Einschätzung im Hinweisbeschluss vom 05.04.2013 gelangt das LAG nun zu der Überzeugung, dass der Tarifvertrag nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Zwar könnten auch die Tarifparteien sachgrundlose Befristungen nicht schrankenlos zulassen. Nicht ausreichend sei insoweit der Verweis der Beklagten auf „konjunkturelle Schwankungen" gewesen. Der Haustarifvertrag habe aber eine zeitlich gestaffelte Verpflichtung enthalten, eine bestimmte Anzahl von Mitarbeitern durch den Entleiher zu übernehmen. Angesichts der grundgesetzlich verbürgten Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) seien damit aufgrund der vereinbarten gestaffelten Übernahmeverpflichtung auch unter Berücksichtigung der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) die Schranken der tariflich zulässig zu regelnden Befristungsmöglichkeiten nicht überschritten gewesen.

Kein institutioneller Rechtsmissbrauch

Zur Begründung führt das LAG weiter aus, ein Arbeitsverhältnis mit der Entleiherin sei nicht aufgrund institutionellen Rechtsmissbrauchs zustande gekommen.

Dieser Teil der Begründung vermag kaum zu überzeugen: Die Rechtsfigur des "institutionellen Rechtsmissbrauchs" (§ 242 BGB) ist vom BAG (Urt. vom 18.07.2012 - 7 AZR 443/09, NZA 2012, 1351) fruchtbar gemacht worden, um eine nach dem Wortlaut des Gesetzes oder des Tarifvertrages an sich zulässige Befristung für unwirksam zu erklären, wenn mit ihr entgegen der Befristungs-Richtlinie 1999/70/EG Verträge zu häufig oder über einen zu langen Zeitraum verlängert worden sind. Der "institutionelle Rechtsmissbrauch" knüpft damit an die Vorgaben des EuGH aus dem "Kücük"-Urteil (EuGH, Urt. vom 26.01.2012 - C-586/10, NZA 2012, 135) an. Allerdings hat der EuGH mittlerweile entschieden, dass die RL 1999/70/EG im Bereich der Zeitarbeit gar keine Anwendung findet (EuGH, Urt. vom 11.04.2013 - C-290/12 "Oreste Della Rocca", NZA 2013, 495). Damit fehlt jeder Anlass, eine nach § 14 TzBfG (bzw. einem hiervon abweichendem Tarifvertrag) gestattete Befristung im Bereich der Zeitarbeit aus unionsrechtlichen Gründen mit dem Verdikt des "institutionellen Rechtsmissbrauchs" zu belegen.

Das LAG hat die Revision zugelassen.

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