Hafenarbeiter protestieren gegen Sexualstraftäter als Kollegen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 30.06.2013

Spiegel Online berichtete am 28.6.2013 von einem Vorfall beim Hafenbetreiber Eurogate in Bremerhaven, der einige arbeitsrechtlich interessante Fragen aufwirft: Eurogate stößt wegen der Beschäftigung eines verurteilten Sexualstraftäters auf massiven Widerstand bei der Belegschaft. Als der Mann am Freitag seinen Dienst am Containerterminal in Bremerhaven antreten wollte, legten rund 300 Kollegen der Spätschicht aus Protest eine Stunde lang die Arbeit nieder. Der Betriebsrat äußerte Verständnis für diese Reaktionen. Der 37-jährige Hafenarbeiter war Ende 2012 vom LG Bremen wegen Missbrauchs seiner zehnjährigen Stieftochter und des Besitzes kinderpornografischen Materials zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Eurogate hatte ihm daraufhin gekündigt. Dagegen hatte der Mann erfolgreich geklagt. Als Freigänger wollte er seine Arbeit wieder aufnehmen. Wegen des Streiks am Freitag ist nach Angaben des Unternehmens ein Schaden in fünfstelliger Höhe entstanden. Mehrmals sei die Belegschaft aufgefordert worden, die Arbeit wieder aufzunehmen. Dies sei aber erst geschehen, als der Verurteilte gegangen sei. Eurogate habe zwar Rechtsmittel gegen das Urteil des Arbeitsgerichts eingelegt. Mit einer Entscheidung in zweiter Instanz sei aber frühestens in einem halben Jahr zu rechnen. Bis dahin müsse das Unternehmen der Aufforderung des Gerichts nachkommen, den Arbeiter zu beschäftigen. Andernfalls drohe ein Zwangsgeld. Arbeitsrechtlich interessant sind folgende Fragen:

1. Wirksamkeit einer Kündigung wegen außerdienstlichen Verhaltens? Können hier auch vorhersehbare Auswirkungen auf den Betriebsfrieden in die Wirksamkeitsbeurteilung einbezogen werden?

2. Ansprüche des Unternehmens gegen die Streikenden? Lohnkürzung und Schadensersatzansprüche – sicherlich ja, da keine Rechtfertigung der Aktion. Daher auch Abmahnungen möglich.

3. Weiterbeschäftigungsanspruch auch dann, wenn der Betriebsfrieden massiv gestört wird? Immerhin ist anerkannt, dass im Einzelfall trotz erstinstanzlich festgestellter Unwirksamkeit der Kündigung überwiegende Interessen des Arbeitgebers der Weiterbeschäftigung entgegenstehen können.

4. Besonders kritisch: Könnte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach diesen Vorkommnissen eine sog. Druckkündigung aussprechen. Der Betriebsrat war bislang noch nicht soweit gegangen, dies vom Arbeitgeber zu fordern (§ 104 BetrVG). Im übrigen muss der Arbeitgeber sich in einer solchen Situation zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer stellen. Nur wenn diese Bemühungen erfolglos bleiben, kommt als letztes Mittel eine Kündigung in Betracht.

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Prof. Stoffels hat zweifellos die aufgeworfenen arbeitsrechtlichen Fragen bestens herausgearbeitet. Allerdings stellt sich m.E. noch eine weitere wichtige Frage: Warum ist eine Kündigung eines Mitarbeiters unwirksam, der zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt ist? Der Mitarbeiter ist - verschuldet - für fast drei Jahre an der Arbeitsleistung verhindert. Anders als bei der Elternzeit, den Vorschriften zur Teilzeit und vielen anderen Gesetzen, die dem Arbeitgeber sozialpolitische Aufgaben auferlegen, gibt es kein Gesetz, das den Arbeitgeber zur Mitarbeit bei der Resozialisation verpflichtet. Dennoch hat das BAG eine Regelung erfunden, die - vereinfacht wiedergegeben - besagt, dass bei einer Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren in der Regel kein personenbedingter Grund zur Kündgung gegeben ist (BAG vom 25.11.2010, NZA 2011, 686). Natürlich gibt es die Möglichkeiten des gelockerten Strafvollzugs, wie auch der vorliegende Fall zeigt, bei dem der Verurteilte offenbar schon nach einem halben Jahr einen Freigängerstatus erlangte. Dies ist aber im Zeitpunkt der Verurteilung nicht absehbar. Warum muss der Arbeitgeber eine solche Möglichkeit über Monate, Jahre abwarten? Muss er sich womöglich selbst im Sinne des Mitarbeiters für solche Lockerungen einsetzen? M.E. nein! Das Arbeitsverhältnis ist ein vertragliches Austauschverhältnis, und allen gesetzlichen und richterrechtlichen Auflagen zum Trotz und auch entgegen früheren nicht unbelasteten Theorien ist das Arbeitsverhältnis kein personenrechtlicher Bund fürs Leben. Das die Kündigung abweisende erstinstanzliche Urteil und das Ergebnis der Berufung werden zeigen, ob hier besondere Gründe für die Unwirksamkeit einer Kündigung wegen dauerhafter Arbeitsverhinderung vorlagen, oder ob hier weiter an der Zementierung von Arbeitsverhältnissen an Stellen gearbeitet wird, an denen der Gesetzgeber dem Arbeitgeber bisher zu Recht keine Aufgaben übertragen hat.

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