Immer wieder Probleme mit der Rückrechnung...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.07.2013

...gibt es auch beim BGH. Dabei ging es diesmal um die Schuldfähigkeit:

Die Strafzumessung des Landgerichts begegnet durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken, weil sie lückenhaft und widersprüchlich ist.

a) Das Tatgericht hat den Angeklagten mit sachverständiger Hilfe für uneingeschränkt schuldfähig gehalten und dies bei einer zugrunde gelegten (wahrscheinlichen) Alkoholisierung von 2,2 ‰ vornehmlich damit begründet, der Angeklagte habe nur geringe Ausfall- und keine Entzugserscheinungen gehabt. Überdies sei er morgens auch nicht angetrunken gewesen. Zudem sprächen Wucht und Zielgerichtetheit der Schläge gegen Koordinationsstörungen. Diese Einschätzung werde durch eine Rückrechnung bei einer festgestellten Atemalkoholkonzentration von „0,99 ‰“ gestützt. Diese Bewertung des Landgerichts ist nicht tragfähig.

Die Strafkammer ist bei der Ermittlung des Alkoholisierungsgrades einem Sachverständigengutachten gefolgt. Dabei hat sie wohl das Gewicht des Angeklagten, den Trinkbeginn, die Tatzeit und die Anzahl der ausgetrun-kenen Rotweinflaschen mitgeteilt, nicht aber den Alkoholgehalt und die Menge des konsumierten Rotweins. Der Senat vermag unter diesen Umständen und mangels weiterer Anhaltspunkte schon den vom Tatgericht zugrunde gelegten Alkoholisierungsgrad, der mit 2,2 ‰ deutlich über 2,0 ‰ liegt, mit Blick auf die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit nicht nachzuvoll-ziehen. Die Feststellung vollends vorhandener Schuldfähigkeit wird darüber hinaus umso fragwürdiger, als das Tatgericht – gewissermaßen als Kontrolle – den Einklang seiner Annahme auf Grund der festgestellten Atemalkohol-konzentration von „0,99 ‰“ festzustellen glaubt, freilich ohne das näher zu belegen. Abgesehen von der Unsicherheit eines Atemalkoholkonzentrati-onswertes (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 3. April 2001 – 4 StR 507/00, BGHSt 46, 358), ergibt sich bei einem angenommenen (Indiz-)Wert (vgl. BGH, Urteil vom 1. November 1994 – 5 StR 276/94, NStZ 1995, 96, 97) von „0,99 ‰“ und einer vorzunehmenden Rückrechnung zur acht Stunden zu-rückliegenden Tatzeit einschließlich des Sicherheitszuschlags schon ein Al-koholisierungsgrad von 2,79 ‰. Unter diesen Umständen sind die vom Tat-gericht aufgeführten psychodiagnostischen Anzeichen einer neuen Bewer-tung zuzuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. November 2007 – 2 StR 465/07, BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 39). Dies gilt um-so mehr als die vom Landgericht festgestellte Äußerung des Angeklagten „Bruder, verzeih mir“ (UA S. 6) wie auch derart heftige Schläge gegen den Kopf des Opfers, dass der Zeuge C. den Geschädigten lediglich an dessen Jacke erkannte (UA S. 6), eher den Schluss auf eine rauschbedingte Vorgehensweise nahe legen.

BGH, Beschluss vom 11.4.2013 - 5 StR 113/13

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