Hessen muss Lehrer über die gesetzliche Altersgrenze hinaus beschäftigen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 29.07.2013

Das VG Frankfurt a.M. (Beschluss vom 25.7.2013 – 9 L 2184/13.F) belebt die schon befriedet geglaubte Diskussion um die Zulässigkeit einer allgemeinen regulären Altersgrenze. Nach den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Rosenbladt (EuGH 12.10.2010- Rs. C- 45/09= NZA 2010, 1167) und Hörnfeldt (EuGH 5.7.2012- Rs. C- 141/ 11= NZA 2012, 785) hatte sich die Tendenz verfestigt, dass der EuGH in regulären Altersgrenzen keine unzulässige Altersdiskriminierung erblickt und keine allzu hohen Rechtfertigungsanforderungen aufstellt. Vor diesem Hintergrund erscheint eine neuere – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangene – Entscheidung des VG Frankfurt zur allgemeinen Regelaltersgrenze des Hessischen Beamtengesetzes bemerkenswert. Der Antragsteller ist Studienrat, der aufgrund der Vollendung seines 65. Lebensjahres zum 31. Juli 2013 in den Ruhestand treten würde. Im Dezember 2012 hatte er beim Hessischen Kultusministerium – Antragsgegner – beantragt, den Eintritt in den Ruhestand um ein Jahr hinauszuschieben. Der Antragsgegner lehnte den Antrag im Mai 2013 ab. Der Antragsteller hat daraufhin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Das VG Frankfurt hat den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller über den 01.08.2013 hinaus als Studienrat längstens bis zum 31.07.2014 zu beschäftigen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der unionsrechtlich garantierte Schutz des Einzelnen davor durch einen EU-Mitgliedsstaat wegen seines Lebensalters nicht diskriminiert zu werden sei vorliegend verletzt. Der Anspruch des Antragstellers, weiterhin im aktiven Beamtenverhältnis beschäftigt zu werden, beruhe auf der Nichtanwendbarkeit der allgemeinen Regelaltersgrenze nach § 50 Hessisches Beamtengesetz – HGB -. Diese Regelung sei vorliegend nicht anwendbar, weil sie in Widerspruch zur hier einschlägigen, höherrangigen und unmittelbar Gültigkeit beanspruchenden Richtlinie 2000/78/EG stehe. Nach § 6 Abs. 1 dieser RL seien Ungleichbehandlungen wegen des Alters – eine solche liege beim Ruhestandseintritt infolge des Erreichens einer allgemeinen Altersgrenze unstreitig vor – gerechtfertigt, sofern sie zur Erreichung rechtmäßiger Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt angemessen und erforderlich sei. In Anwendung dieser Bestimmung habe der Europäische Gerichtshof – EuGH – entschieden, dass die RL 2000/78/EG einem Gesetz wie § 50 HBG, das die zwangsweise Versetzung von Beamten auf Lebenszeit in den Ruhestand mit Vollendung des 65. Lebensjahres vorsehe, nicht entgegenstehe, wenn es im dienstlichen Interesse liege, sofern dieses Gesetz zum Ziel habe, eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen, um die Einstellung und Beförderung von jüngeren Berufsangehörigen zu begünstigen, die Personalplanung zu optimieren und damit Rechtsstreitigkeiten über die Fähigkeit des Beschäftigten, seine Tätigkeit über ein bestimmtes Alter hinaus auszuüben, vorzubeugen, und es die Erreichung dieses Ziels mit angemessenen und erforderlichen Mitteln ermögliche. Der VG moniert jedoch, es sei vorliegend notwendig gewesen, dass der Gesetzgeber eine auf Tatsachen basierende Prognose über den Anteil derjenigen Lehrer und Lehrerinnen getroffen hätte, die vorzeitig in den Ruhestand treten, die mit der Regelaltersgrenze in den Ruhestand treten und die gegebenenfalls über die Altersgrenze hinaus tätig sein wollten, um eine vernünftige, die widerstreitenden Interessen zum Ausgleich bringende Regelung über den Ruhestandseintritt von Angehörigen dieser Berufsgruppe treffen zu können. Insofern sei die die Notwendigkeit der Beibehaltung einer allgemeinen Altersgrenze auch nicht auf Tatsachen, die es dem Gericht ermöglichten, die ihm obliegende Überprüfung der Angemessenheit und Notwendigkeit dieser Maßnahme positiv festzustellen. Das Fehlen solcher Angaben gehe zu Lasten des insoweit beweispflichtigen Ministeriums.

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9 Kommentare

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Der Antragsteller ist ein Unikum. Bundesweit fühlt sich der Lehrkörper ausgebrannt und überfordert und zieht sich lieber heute als morgen in den Ruhestand zurück - Ausnahmen bestätigen die Regel.

Das Urteil ist in Ergebnis wie Begründung sehr interessant. Ob des die Obergerichte überzeugend wird, bleibt abzuwarten. Es zeigt aber m. E. - auch in Verbindung mit der Rechtsprechung zur Vergütung von Beamten und Richtern - auf, dass Altersdiskriminierung im Sinne des Gesetzes an ganz anderen Punkten auftritt und beklagt wird, als der Gesetzgeber sich einmal vorgestellt haben wird.

 

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Ich unterstelle, dass der Antragsteller mit einer egoistischen Alterssturheit gesegnet ist: Weshalb sonst, blockiert dieser Studienrat die potenzielle Nachfolge eines jüngeren Lehrers ? Und wie sehen eigentlich die generellen Rechte junger, nachrückender Lehrer in diesem Zusammenhang aus?

Das Land anzugreifen, weil es eine Stelle nicht ausschreibt, weil sie noch besetzt ist, dürfte aussichtslos sein.

keine freie Stelle = keine Ausschreibung = keine Diskriminierung im Auswahlverfahren
Die "Rechte" junger Lehrer wurden bei der Fassung des Gesetzes, wenn man es denn so anwendet wie das VG, im Gesetzgebungsverfahren nicht so berücksichtigt, wie man das als wünschenswert empfinden kann. Das ist es, was ich auch meinte: Das Verbot der Altersdiskriminierung entfaltet ganz andere Wirkungen, als man sich das wahrscheinlich gedacht hat.

Privilegien älterer Arbeitnehmer/Beamte beim Urlaub sind bereits gefallen, die bessere Vergütung wackelt, umgekehrt bröselt durch den vorliegenden Fall die Altersgrenze, begründet jeweils mit dem Fehlen einer ausreichenden Begründung. Die Gerichte schließen dabei nicht aus, dass es eine solche Begründung geben kann - doch wann diese Schwelle erreicht ist, ist schwer zu prognostizieren. Trial-and-Error jedoch kann recht kostspielig sein. Der Gesetzgeber wird daher vermutlich gehalten sein, die an das Alter anknüpfenden Regelungen nach und nach entfallen zu lassen, was gesellschaftlich höchst interessant wäre. Mal sehen, wie weit man sich dieses Schauspiel anzusehen bereit ist.

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... außerdem sind beamtete Lehrer nichts anderes als Bildungsdienstleister mit fragwürdigen Privilegien. Der zielgerichtete Einsatz freier, zertifizierter Bildungsdienstleister - die engagiert sind, weil sie an ihren Leistungen gemessen werden - würde der Schule zweifelsfrei besser bekommen. 

Lutz Breunig schrieb:

... außerdem sind beamtete Lehrer nichts anderes als Bildungsdienstleister mit fragwürdigen Privilegien. Der zielgerichtete Einsatz freier, zertifizierter Bildungsdienstleister - die engagiert sind, weil sie an ihren Leistungen gemessen werden - würde der Schule zweifelsfrei besser bekommen. 

 

Messen an den Leistungen? Das ist eigentlich der Punkt, wo man Trolle nicht weiter füttern sollte, aber seis drum:

Wer soll denn Lehrer an den Leistungen messen? Die Schüler, die, zumindest über weite Teile ihrer Schullaufbahn dazu wohl gar nicht in der Lage sein werden?
Oder die Eltern, für die inzwischen doch eher der Lehrer schuld sind, wenns in der Schule nicht läuft. Kann ja nicht sein, dass das eigene Kind schuld ist, wenn die Noten schlecht sind. Und es kann auch nicht sein, dass es überfordert wurde, als die Eltern es trotz Hauptschulempfehlung aufs Gymnasium geschickt haben.

 

Jedenfalls müssten Sie doch dann eigentlich das Urteil begrüßen? Denn es ist, wenn man mal andere Quellen zu dem Thema liest, wohl ziemlich unstreitig, dass dieser Lehrer als sehr gut und engagiert angesehen wird. Also jemand, der "der Schule gut bekommt", verbeamtet oder nicht.

Aber nein - Engagement über das nötige Maß (die Altersgrenze) hinaus ist dann schon wieder Alterssturheit.

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I.S. schrieb:

Wer soll denn Lehrer an den Leistungen messen? ... Jedenfalls müssten Sie doch dann eigentlich das Urteil begrüßen? ... 

 

Wie wäre es denn, wenn man den "Dienstleistungsbetrieb Schule" einem ähnlichen Qualitätsmanagement unterstellt, wie beispielsweise den "Dienstleistungsbetrieb Krankenhaus" ? Ich wüsste nicht - korrigieren Sie mich - dass es so etwas schon gibt in unserem Schulsystem. Und selbstverständlich analysiert ein solches System die Leistung sämtlicher Beteiligten, die den Bildungsfortschritt der Schüler förden oder behindern. Und natürlich muss es auch Schülern - quasi Kunden des "Dienstleistungsbetriebs Schule" - erlaubt sein, eine begründete Wertung abzugeben. Und selbstverständlich  - um es vorwegzunehmen - müssen auch Kunden/Schüler entsprechende Verpflichtungen im Gegenzug erfüllen können.

Das Urteil ist nicht durch "Engagement" begründet sondern durch "Altersdiskriminierung". Engagement im "Unruhestand" sei dem Studienrat gegönnt - aber auch seinem potenziellen Nachfolger im "Wartestand".

 

Lutz Breunig schrieb:

Wie wäre es denn, wenn man den "Dienstleistungsbetrieb Schule" einem ähnlichen Qualitätsmanagement unterstellt, wie beispielsweise den "Dienstleistungsbetrieb Krankenhaus" ?[...] Und selbstverständlich analysiert ein solches System die Leistung sämtlicher Beteiligten, die den Bildungsfortschritt der Schüler förden oder behindern.

Patienten haben in der Regel ein Interesse an Mitarbeit mit den Ärzten, um schneller gesund zu werden. An Schulen gibt es oft genug das Problem, dass viele Schüler gar nicht interessiert an der Zusammenarbeit sind - das sind zumindest die Aussagen der Lehrer, mit denen ich regelmäßig kommuniziere. (Und das ist nicht nur in "sozialen Brennpunkten" oder Hauptschulen so.)

Und dass ein Lehrer, der auf Leistung achtet und nicht Noten verschenkt, sicherlich schlechter von vielen Schülern bewertet wird (und von vielen Eltern auch), dürfte zu vermuten sein.
 

Zwar nur ein Einzelfallbeispiel, aber das fällt mir spontan bei "Qualitätsmanagement in der Schule einführen" ein:
Ein verbeamteter Realschullehrer (aus einer einer Kleinstadt in Niedersachsen) aus meinem Bekanntenkreis hat ein Jahr eher aufgehört als eigentlich vorgesehen. Begründung: "Die Arbeit mit den Schülern mache ich gerne und das würde ich auch noch ein paar Jahre machen. Was mit auf die Nerven geht, sind die Bürokraten, die einen mit immer neuem Unsinn von der eigentlichen Arbeit abhalten, deshalb spar ich mir das letzte Jahr."

(Der hat da übrigens nicht nur seine Zeit abgesessen, sondern zusätzlich zum normalen Unterricht mehrere freiwillige Arbeitsgruppen nachmittags angeboten.)

Quote:
Das Urteil ist nicht durch "Engagement" begründet sondern durch "Altersdiskriminierung". Engagement im "Unruhestand" sei dem Studienrat gegönnt - aber auch seinem potenziellen Nachfolger im "Wartestand".

Der Hinweis mit dem Engagement bezog sich auf diese Aussage von Ihnen und nicht auf die Urteilsbegründung:
Quote:
Der zielgerichtete Einsatz freier, zertifizierter Bildungsdienstleister - die engagiert sind, weil sie an ihren Leistungen gemessen werden - würde der Schule zweifelsfrei besser bekommen.

Ob ein freier Dienstleister engagiert ist oder ein verbeamteter Lehrer dürfte im positiven Effekt für Schüler und Schule egal sein.

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I.S. schrieb:

... An Schulen gibt es oft genug das Problem, dass viele Schüler gar nicht interessiert an der Zusammenarbeit sind ...

Stimmt, primär weil kein Interesse geweckt und gefördert wird - vielmehr wird Leistung nur abgerufen.

 

I.S. schrieb:

... Und dass ein Lehrer, der auf Leistung achtet und nicht Noten verschenkt, sicherlich schlechter von vielen Schülern bewertet wird (und von vielen Eltern auch), dürfte zu vermuten sein ...

Mag sein, nur sind gute Leistungen die Folge von gewecktem Interesse.

 

I.S. schrieb:

... Ein verbeamteter Realschullehrer: Was mir auf die Nerven geht, sind die Bürokraten, die einen mit immer neuem Unsinn von der eigentlichen Arbeit abhalten ...

Ein funktionierendes Qualitätsmanagement ist insbesondere darauf ausgerichtet bürokratische Hindernisse abzubauen. Deshalb ist ein solches Qualitätsmanagement auch von unabhängiger, neutraler Stelle zu etablieren und zu kontrollieren.

 

I.S. schrieb:

... Ob ein freier Dienstleister engagiert ist oder ein verbeamteter Lehrer dürfte im positiven Effekt für Schüler und Schule egal sein ...

Richtig, aber wenn beide unfähig sind, wird dem freien Bildungsdienstleister gekündigt und der verbeamtete Lehrer bleibt.

 

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