Berufung per SMS: Ist das eigentlich noch ok?!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.09.2013
Rechtsgebiete: SchriftformStrafrechtVerkehrsrecht6|3460 Aufrufe

Im September brachte die NStZ-RR eine Entscheidung des OLG Brandenburg, Beschluss vom 10. Dezember 2012 - 1 Ws 218/12, die auf den ersten Blick erstaunlich scheint, auf den zweiten dargegen angesichts der sonstigen Rechtsprechung zur Schriftform eigentlich gar nicht mehr komisch wirkt, sondern vielmehr konsequent. Der Verurteilte hatte nämlich per „SMS-to-Fax-Service“ wirksam  Berufung mit folgendem Wortlaut eingelegt:

„ag fr…..(...])ich lege gegen d.urteil v.a-gericht ...(04.04.2012/10uhr!)-sofortige berufung ein(folgt schriftl.)!m.f.g.c...“.

aus den Gründen des OLG:

Das Landgericht hätte die gegen das Urteil vom 4. April 2012 gerichtete Berufung der gesetzlichen Vertreterin des Angeklagten nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Die mit Hilfe eines „SMS-to-Fax-Service“ per Telefax vom 5. April 2012 eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 312, 298 Abs. 1 StPO, § 67 Abs. 3 JGG), fristgerecht (§ 314 Abs. 1 StPO) und auch im Übrigen zulässig.

Insbesondere ermangelt das Rechtsmittel nicht der gesetzlichen Form. Nach § 314 Abs. 1 StPO ist die Berufung zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich einzulegen.

a) Keine Bedenken ergeben sich aus der Wahl des Übertragungsmittels eines „SMS-to-Fax-Service“. Dem Sinn und Zweck des Schriftlichkeitserfordernisses, dem Schriftstück den Inhalt der Erklärung wie auch die Person desjenigen, der sie abgibt, hinreichend zuverlässig entnehmen zu können, genügt es, wenn ein Absender im Wege der elektronischen Datenübermittlung veranlasst, dass die maßgebliche Erklärung erst andernorts und nur maschinenschriftlich niedergelegt wird. Maßgeblich ist allein die auf Veranlassung des Absenders am Empfangsort erstellte, für den Adressaten bestimmte Urkunde, so dass es nicht darauf ankommt, ob diese auf einer Urschrift beruht, die am Absendeort aufgenommen und vom Erklärenden unterzeichnet worden ist. Aus diesem Grund ist seit langem anerkannt, dass Rechtsmittelschriften durch Telegramm, Fernschreiben und sog. Computerfax ihrer Art nach dem Schriftlichkeitserfordernis genügen (vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes NJW 2000, 2340, 2341; BGH NStZ 1983, 36 f. – je mit zahlr. Nachweisen). Ebenso wie bei diesen Übertragungsmitteln wird – anders als etwa bei einer Übermittlung durch elektronische Post über das Internet (E-Mail) – bereits vom Absender ein Ausdruck an Empfängerstelle veranlasst und so ohne Zutun des Empfängers, der entsprechende Technik vorhält, ein Substrat geschaffen. Dieses kann dann die notwendigen Angaben zu Inhalt der Erklärung und Person des Erklärenden erhalten.

b) Zur Schriftform gehört weiter, dass ein Schriftstück vorliegt, aus dem die Person, von der sie ausgeht, schon im Zeitpunkt des Eingangs der Erklärung bei Gericht entnommen werden kann. Die Einhaltung von Formvorschriften ist nicht Selbstzweck; auch sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Verfahrensbeteiligten, indem sie die einwandfreie Durchführung des Prozesses sicherstellen. Für die Wahrung des Schriftformerfordernisses ist daher auch bei fristgebundenen Rechtsbehelfen eine handschriftliche Unterzeichnung nicht unbedingt notwendig; entscheidend ist, dass aus dem Schriftstück in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise oder jedenfalls hinreichend zuverlässig ersichtlich ist, von wem die Erklärung herrührt (vgl. Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes NJW 1980, 172, 174; RGSt 62, 53, 54; 63, 246, 247 f.; 67, 385, 388; BGHSt 2, 77, 78; 12, 317; BGH NJW 1984, 1974; BGH NStZ 2002, 558; BVerfGE 15, 288, 291 f.; BVerfG [K] NJW 2002, 3534, 3535; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, Einleitung, Rdnr. 128).

Dem Telefax-Schreiben vom 5. April 2012, das auf Veranlassung des Absenders der elektronischen Kurznachricht (SMS) ausgedruckt worden ist, lässt sich eine bestimmte Person als deren Urheber noch hinreichend zuverlässig entnehmen. Der Text bezeichnet den Namen des Erklärenden, indem er mit den Buchstaben „…“ schließt.

Die erforderliche an den Umständen des Einzelfalls ausgerichtete Prüfung, von wem das Schriftstück herrührt und ob dieser zum Kreis der Beschwerdeberechtigten gehört, ergibt, dass das Rechtmittel von der gesetzlichen Vertreterin des Angeklagten, Frau X, eingelegt worden ist. Die Identität des Erklärenden ergibt sich hier bereits aus dem Schriftstück, d. h. der auf seine Veranlassung am Empfangsort erstellten körperlichen Urkunde selbst (vgl. dazu BVerfGE 15, 288, 291; BGH NStZ 2002, 558; BGH NJW 1984, 1974; RGSt 67, 385, 388; BayObLG NJW 1980, 2367; KG JR 1971, 252, 253; s. auch: Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., Stand 1. Januar 2003, § 314 StPO, Rdnr. 19). Auch ohne den Inhalt weiterer Schriftsätze, die etwa vom gleichen Mobilfunkanschluss aus veranlasst worden sind, oder andere Umstände und Beziehungen aus dem vorausgegangenen Verfahren zur Ermittlung der Identität des Absenders heranzuziehen, steht hinreichend zuverlässig fest, dass mit „…“ die im Hauptverhandlungsprotokoll des Amtsgerichts ... aufgeführte gesetzliche Vertreterin des Angeklagten Berufung eingelegt hat. Dass dann ein Buchstabe des Zunamens fehlt, ist dadurch erklärbar, dass die SMS-Nachricht die 160-Zeichen-Grenze erreicht.

Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem Telefax lediglich um einen Entwurf gehandelt hat oder die Erklärung ohne Wissen und Wollen der Beschwerdeführerin dem Gericht zugeleitet wurde, sind nicht gegeben. Angesichts des sehr bestimmt formulierten Textes „ich lege […] sofortige Berufung ein“ ist der Ergänzung „(folgt schriftl.)“ nicht zu entnehmen, Berufung solle jetzt noch nicht, sondern erst mit einem (weiteren) Schriftsatz eingelegt werden.

Das Ergebnis entspricht den Forderungen des Verfahrensgrundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG. Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, der Anspruch des Bürgers auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle, fordert, dass die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Bei der Anwendung und Auslegung prozessrechtlicher Vorschriften, die die Gewährung rechtlichen Gehörs sichern sollen, dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. BVerfG [K] NJW 2002, 3534, 3535).

Also, ich fänd`s gut, wenn der Gesetzgeber tätig werden würde und da schon ein wenig mehr für eine Schriftform verlangen würde...

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6 Kommentare

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Was der Gesetzgeber verlangt schon ein wenig mehr für die Schriftform. Ich fänd's gut, wenn zumindest Gerichte das beachten würden.

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Na, ich finde es schon durchaus komisch, wenn so Berufung eingelegt wird. Meine ganz persönliche Meinung ist: Genauso, wie wir unter anderen wichtigen Dokumenten an vielen Stellen im Recht tatsächlich auch eine Schriftform mit Unterschrift verlangen (so etwa beim richterlichen Urteil, das ja auch nicht per SMS abgesetzt wird), könnte man gut im Rechtsmittelrecht Ähnliches verlangen? Ich hielte es durchaus für zumutbar und der tatsächlichen Bedeutung angemessen, wenn man immer auch eine Unterschrift verlangen würde - oder eben eine eindeutige Signatur im elektronischen Rechtsverkehr. Das aber so etwas Flüchtiges wie eine SMS nur weil sie später dann auch ausgedruckt wird akzeptiert wird ist angesichts der jetzigen Rechtslage natürlich konsequenterweise ausreichend - ich finde es trotzdem deutlich zu leichtgewichtig für ein juritisches Schwergewicht wie ein Rechtsmittel im Strafprozess.

Mir hätte auch die eigenhändige Unterschrift gefehlt. Ich hielt sie bis jetzt auch für erforderlich, um die Schriftform zu wahren. Soweit ich mich an die Rechtsprechung aus der Pionierzeit des Faxes noch erinnern kann, hieß es damals, dass auch dem Faxschreiben mangels Originalunterschrift die Schriftform fehlte, gleichwohl die Frist mit dem Fax gewahrt werden konnte, wenn das Original nachgeschickt wurde. Daraus entwickelte sich auch die Formulierung: per Fax vorab. 

Weil die vielen Doppel aber die Akten unübersichtlich machten, sah die Praxis später von dem Nachschicken des Originals ab. Zumal die anfangs schnell verblassende Druck- und Papierqualität der Faxgeräte durch eine Qualität ersetzt werden konnte, die dem Original im nichts nachsteht.

Trotzdem freut mich die Entscheidung des OLG. Es ist schön zu lesen, dass Formvorschriften obergerichtlich am Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemessen werden und dem Rechtsgebrauch ein höheres Gewicht zugestanden wird als Formalien, deren Sinn wohl nur in gewohnheitsmäßiger Tradition liegen dürfte. Denn ich weiß nicht, welchen anderen Sinn eine Unterschriftsgrafik in einem Faxschreiben noch haben sollte. 

Ich würde mich jetzt aber trotzdem nicht darauf verlassen wollen, dass ein anderes OLG es genauso sieht wie das OLG Brandenburg.

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