Oh je: Der BGH will kleine Münze für alle urheberrechtlichen Werkarten

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 13.11.2013

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 13. November 2013 (I ZR 143/12 - Geburtstagszug) entschieden, dass an den Urheberrechtschutz von Werken der angewandten Kunst grundsätzlich keine höheren Anforderungen zu stellen sind als an den von Werken der zweckfreien Kunst. 

In seiner früheren Rechtsprechung hatte der Bundesgerichtshof die höheren Anforderungen an die Gestaltungshöhe von Werken der angewandten Kunst, die einem Geschmacksmusterschutz zugänglich sind, damit begründet, dass für solche Werke der angewandten Kunst mit dem Geschmacksmusterrecht ein dem Urheberrecht wesensgleiches Schutzrecht zur Verfügung stehe. Da sich bereits die geschmacksmusterschutzfähige Gestaltung von der nicht geschützten Durchschnittsgestaltung abheben müsse, sei für die Urheberrechtsschutzfähigkeit ein noch weiterer Abstand, das heißt ein deutliches Überragen der Durchschnittsgestaltung zu fordern.

Aus dem Pressetext: "An dieser Rechtsprechung kann - so der Bundesgerichtshof - im Blick auf die Reform des Geschmacksmusterrechts im Jahr 2004 nicht festgehalten werden. Durch diese Reform ist mit dem Geschmacksmusterrecht ein eigenständiges gewerbliches Schutzrecht geschaffen und der enge Bezug zum Urheberrecht beseitigt worden. Insbesondere setzt der Schutz als Geschmacksmuster nicht mehr eine bestimmte Gestaltungshöhe, sondern die Unterschiedlichkeit des Musters voraus. Da zudem Geschmacksmusterschutz und Urheberrechtsschutz sich nicht ausschließen, sondern nebeneinander bestehen können, rechtfertigt der Umstand, dass eine Gestaltung dem Geschmacksmusterschutz zugänglich ist, es nicht, ihr den Urheberrechtsschutz zu versagen oder von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen. An den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst sind deshalb - so der Bundesgerichtshof - grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens. Es genügt daher, dass sie eine Gestaltungshöhe erreichen, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer "künstlerischen" Leistung zu sprechen."

Pressemitteilung:
http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=65848&linked=pm&Blank=1

Man mag den BGH dafür kritisieren; denn das ist eine sehr gefährliche Ausweitung des Urheberrechtsschutzes. Aber er konnte wohl nicht anders. Der EuGH hat in mehreren Urteilen eine Art Acquis communautaire fixiert, wonach die künstlerische Leistung für den Urheberrechtsschutz ausreicht (so etwa in EuGH, Urteil v. 16.07.2009, Az. C‑5/08, Infopaq). Hatte der BGH erst eine Absenkung der Schutzhöhe offengelassen (BGH, Urteil vom 12. Mai 2011 - I ZR 53/10 - Seilzirkus), mußte er sich jetzt dem europäischen Druck beugen. Aber die Folgen!!

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12 Kommentare

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Mich erreichen gerade viele Mails - etwa im Tenor: Meine Güte - das werden jetzt die DesignerInnen um sich schlagen und Urheberrechtskanzleien reich. Wem ist denn mit so etwas geholfen? Dazu gleich mehr. Gruss Th

Also zunächst einmal für alle, die mich mit Mailanfragen bombardieren: Für mich ist das auch ein Schock. Wir sollten hier im Beck Blog darüber diskutieren.

M.E. zeichnete sich die Entwicklung hin zu diesem Urteil schon ab, wie oben beschrieben. Aber man muß die Entscheidungsgründe genau lesen, wenn sie veröffentlicht sind. Gilt das Urteil nur für angewandte Kunst/Design? Oder ist jetzt wirklich für alle Werkarten kleine Münze angesagt? Und: Was bedeutet das für den Schutzumfang? Gilt jetzt ähnlich wie im Marken der Grundsatz - kleine Münze - kleiner Schutzumfang (etwa bei Bearbeitungen)?

 

Liebe GRüsse TH

 

Eine "eher" unjuristische Argumentation:

 

Zum Thema: Wem ist denn mit sowas geholfen, wenn Designer um sich schlagen? Grundsätzlich dürfte doch ganz allgemein jede Person ein Interesse daran haben, dass die von ihr persönliche geleistete (Gestaltungs-)Arbeit (1.) honoriert, (2.) nicht ohne wenn und aber kopiert oder nachgeahmt wird und (3.) entsprechenden Schutz genießt.

Wenn man sich teilweise in der Designlandschaft umschaut, wird man erstaunt sein, festzustellen, wie häufig hier im großen Stil vom Anderen nachgeahmt, kopiert und das Ganze als eigene Leistung verkauft wird und wie schwierig es ist, sich hiergegen zur Wehr zu setzen.

Warum sollte man der eigentlichen (Design-)Leistung, die ja durchaus auch eine künstlerische ist, nicht denselben Schutz gewähren wie einem Werk der bildenden bzw. zweckfreien Kunst? Worin besteht denn der so gravierende Unterschied zwischen der eigentlichen Gestaltungsleistung des Designers und der des bildenden Künstlers? Letztlich ja wohl lediglich in der Art der Verwendung des Werkes...

 

Besten Gruß,
P.M. (http://www.iurastudent.de)

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Lieber P.M.,

besten Dank für Ihren Kommentar. Für Design gibt es schon Schutzsysteme wie das Geschmacksmusterrecht und den Schutz nach § 4 Nr. 9 UWG. Umgekehrt: Wollen wir wirklich einen Schutz bis 70 Jahre nach dem Tod des Designers geben, der den Geburtstagszug entwickelt hat? Gerade Design lebt vom bekannten Formenschatz, ist oft nur eine Variante von alten designformen. Aber was solls? Nun haben wir den vollen Schutz für Design und damit viele, viele künftige Prozesse. Gruss TH

Lieber Herr Prof. Dr. Hoeren,

ebenfalls besten Dank für Ihre Antwort. Wenn nun eine maßgebliche Voraussetzung die Gestaltungshöhe sein soll, dann müsste man m.E. allgemein über diesen Begriff nachdenken und Abstand davon nehmen, nach verschiedenen Werktypen, Verwendungsweisen oder ähnlichem zu differenzieren. Dem Geburtstagszug würde ich dabei eine solche Gestaltungshöhe / Schöpfungshöhe sogar noch eher zusprechen wollen als beispielsweise dem (bildenden) Werk "Fabric Painting (blue), 2011" von Andrea Büttner (http://www.mmk-frankfurt.de/de/sammlung/werkdetailseite/?werk=2012%2F45).

Sicherlich ist zuzugeben, dass Design vom Bekannten ausgeht, Elemente übernimmt bzw. weiterentwickelt. Ich bin kein Kunstexperte, aber dürfte das nicht genauso für Werke der Baukunst und Werke der bildenen Kunst gelten? Auch hier gibt es doch Stile, die immer wieder aufgegriffen werden und bestimmte Formgebungen oder Methoden, die zu einer bestimmten Zeit hauptsächlich verwendet wurden. Man käme ja auch nicht auf den Gedanken, den Werken von Schülern von Walter Gropius urheberrechtlichen Schutz zu versagen, weil die maßgebliche Entwicklung der Bauhausformen auf Gropius zurückgeht?

Das Schwierige im Rahmen dieser Auseinandersetzung ist m.E., dass man bei dem Thema allzu schnell dazu neigt, dem subjektiven Empfinden den Vorrang zu geben. Um es etwas plakativ zu sagen: Es ist wohl wie mit dem Grünkohl - dem Einen schmeckt er, dem Anderen nicht. Und dementsprechend ist man im Rahmen der Gestaltungshöhe wohl auch allzu schnell bei der Hand, dem Geschmack den Vorrang zu geben. Und die schnöde "Werbung" (für viele ist ja Design = Werbung) hat halt immer ein bestimmtes Geschmäckle.

Hierauf kann es m.E. aber nicht ankommen! Entscheidend muss doch - und zwar unabhängig vom Werktypus - der Grad der Individualtität der Schöpfung an sich sein. Der entscheidende Begriff, der näher betrachtet werden müsste, wäre demnach die Individualität der jeweiligen Schöpfung. Dieser würde die nötige Offenheit geben, schutzwürdigen Werke unabhängig ihres Werktypes sachgerecht urheberrechtlichen Schutz zuzusprechen und "Design"-Arbeiten wie den Geburtstagszug, aber auch den blauen Farbbalken, auszusortieren.

Im Hinblick auf den Schutz nach dem Geschmacksmusterrecht ließe sich monieren, dass ein solcher nur nach Eintragung bestünde:

Angenommen wir würden ein Werk der bildenen Kunst und ein Werk der angewandten Kunst vor Augen haben, von dem wir sagten, beide besitzen die gleiche Gestaltungshöhe, aber das Werk der angewandten Kunst solle aus einem urheberrechtlichen Schutz ausscheiden, hier seien nämlich höhere Anforderungen zu stellen - , dann kämen wir zu dem Ergebnis, dass, obschon beide Schöpfer das gleiche Maß an Individualität, Kreativität und Handwerksgeschick verwandt haben, dem einen urheberrechtlichen Schutz zukäme, der andere einen Schutz aber nur bei Eintragung für sich in Anspruch nehmen könnte.

Ferner gewährt das UWG nicht in jedem Fall dem Schöpfer einen Anspruch, sondern lediglich den § 8 UWG genannten Anspruchsberechtigten...

 

Besten Gruß,
P.M. (http://www.iurastudent.de)

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1. Geschmacksmusterschutz ist gem. Art. 11 GGV auch ohne Registereintragung möglich (zudem kostenlos).

 

2. Im Hinblick auf § 4 Nr. 9 UWG ist die Aktivlegitimation nach ganz h.M. abweichend von § 8 Abs. 3 UWG auf den Leistungserbringer beschränkt.

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Verstehe ich das jetzt richtig, wenn ich noch einmal darüber nachdenke: Jeder Designer kriegt also jetzt - sofern er ein neues Design entwirft - ein "Superschutzrecht", nämlich Geschmacksmusterschutz (quasi jede Benutzung des Musters im gewerblichen Bereich verboten, da sehr enge Schranken) UND Urheberrechtsschutz (auch für Benutzungshandlungen im Privatbereich, bis 70 Jahre nach dem Tod, keine Eintragung, keine Bearbeitungen etc.). Man hebelt also mit dem einen Schutzrecht nahezu alle Schranken des anderen aus und umgekehrt...?

Beste Grüße

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Stolz (Nr. 6) hat recht; er bringt die Sache auf den Punkt. Zu 7: Nicht eingetragene Geschmacksmuster helfen nur sehr eingeschränkt;der Schutzbereich ist sehr eng -und das bringt gerade das Problem mit dem Urheberrecht auf die Spitze. Gruss AC

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Die unterschiedlichen Anforderungen an die Schöpfungshöhe bei Werken der freien und angewandten Kunst waren immer problematisch. Denn Muster der freien Kunst konnten früher oder später auch als Muster für Produkte der angewandten Kunst verwendet werden und umgekehrt. Das neue Urteil ist kein Problem, wenn man den Grundsatz gelten lässt, dass bei banalen Mustern, die sowohl Werke der angewandte als auch der freien Kunst sein können, der Schutzumfang so gering ist, dass selbst kleine Formabweichungen noch keine Urheberrechtsverletztungen sind. Das ist bei Mondrian ganz leicht.  Das Urteil hat einen Vorteil. Es zeigt dass man  das Geschmackmusterrecht  (das Jodeldiplom unter den Rechte) gar nicht braucht. Bemerkenswert erscheint mir außerdem, dass auch an Lichtbildwerke kein höheren Anforderungen gestellt werden, obwohl es auch da als Unterbau für den urheberrechtlichen Schutz den Leistungsschutz für einfache Lichtbilder gem. § 72 UrhG gibt.

MfG
Johannes

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Schmunzelkunst schrieb:

... Das neue Urteil ist kein Problem, wenn man den Grundsatz gelten lässt, dass bei banalen Mustern, die sowohl Werke der angewandte als auch der freien Kunst sein können, der Schutzumfang so gering ist, dass selbst kleine Formabweichungen noch keine Urheberrechtsverletztungen sind ...

 

Das kann man so nicht verstehen. Ich wollte sagen, das bei banalen Werken, das Schutzumfang so gering sein sollte, dass nur identische Kopien eine Schutzrechtsverletzung sind.

Durch das neue Urteil lohnt sich m. E. die Eintragung als Geschmacksmuster nur noch, wenn man an der Sperrwirkung interessiert ist. Die Sperrwirkung bedeutet im Wesentlichen, dass das neue Geschmacksmuterrecht im Gegensatz zum Urheberrecht nicht nur einen  Schutz vor Nachbildungen gewährt. Auch Doppelschöpfungen sind im neuen Geschmacksmusterrecht nicht erlaubt. Als Doppelschöpfungen werden identische oder nahezu identische Werke bezeichnet, die unabhängig von einander, d.h. ohne Kenntnis des jeweils anderen geschaffen wurden. Außerdem ist unklar, ob nach dem neuen Geschmacksmusterrecht die frühere Auffassung noch gilt, dass sich die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten urheberrechtlichen Grundsätze und insbesondere die Schrankenregelungen des UrhG auch auf das Geschmacksmusterrecht übertragen lassen. Für Doppelschöpfungen gilt das wie gesagt nicht, aber was ist z. B. mit der Panoramafreiheit (vgl. § 59 UrhG) und was ist mit dem unwesentlichen Beiwerk (vgl. § 57 UrhG). Im Geschmacksmustergesetz gibt es dazu keine Paragrafen. Fotos sind m. E. das größte Problem. Mein Vorschlag war und ist: "Auf Fotos sind - nicht immer nur als unwesentliches Beiwerk - oft Gegenstände zu sehen, die geschmacksmusterrechtlich oder als Werke der banalen Kunst sogar urheberrechtlich geschützt sind (Puppen, Teddys, Blumenvasen, Gartenzwerge, Gummibärchen, Nussknacker, Masken im Karneval, Playmobilmännchen, ...). Wenn es hier je zu Streitigkeiten kommen sollte, bleibt noch die Möglichkeit, bei diesen Objekten den urheberrechtlichen bzw. geschmacksmusterrechtlichen Schutzumfang entsprechend gering anzusetzen und nahezu jede Abbildung als freie Benutzung zu betrachten - außer vielleicht reine Produktfotos, wie sie z. B für die Veröffentlichung in Kaufhauskatalogen hergestellt werden." Besser wäre aber vielleicht sogar eine neue Schrankenregelung, nach der  Gestaltungsformen, die "für jedermann ohne weiteres zugänglicher Bestandteil des öffentlichen Umfeldes sind", zur Wiedergabe mit bildlichen Mitteln freigegeben werden. Im berühmten Parfum-Flakon-Urteil ist der BGH dem Argument, dass die dauerhafte Präsenz eines beweglichen Musters in der Öffentlichkeit, die ja bei Massenartikeln (Blumenvasen, Kerzenleuchter etc) die Regel ist, für eine Quasipanoramafreiheit derartiger Muster spricht, allerdings (zunächst noch) entgegengetreten.

MfG
Johannes

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Ich als Designer begrüße das sehr. Denn ich selbst habe schon Teile entworfen auf denen sogar meine Handschrift zu lesen war die 1 zu 1 kopiert wurden ohne Folgen für den der aus meinen Designs Geld gemacht hat und die Teile im großen Stile als Großhändler vertrieben hat. Wer selber keine Ideen hat soll die Finger von anderer Ideen lassen! Sich mit fremden Federn zu schmücken ist einfach - hört aber jetzt endlich und hoffentlich auf.

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Eine Eintragung als Geschmacksmuster hatte bisher den unschätzbaren Vorteil der Schöpfungsbestätigung zum Anmeldedatum. Interessant wird es, wenn die Initiative zur Gründung eines Urheberregisters auf (www.startnext.de/ccroipr) Erfolg hat. Dann würde dem Geschmacksmuster eine Urheberurkunde gegenüberstehen. Durch die Veröffentlichung im Internet würde der Nachweis einer Doppelschöpfung dann nahezu unmöglich. Google-Bilder sind International im Umlauf.

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