Analphabetismus für sich ist keine Behinderung

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 25.11.2013
Rechtsgebiete: Familienrecht1|10370 Aufrufe

Der Betroffene ist Analphabet, weswegen er wünscht, dass für ihn eine Betreuung eingerichtet werde. Er könne seine Angelegenheiten selbst nicht sachgerecht besorgen, weil er nicht lesen könne und fürchte, dass ihm dies zum Nachteil gereiche, insbesondere befürchte er, dass seine geschiedene Ehefrau dies ausnutzen werde. Sobald die Trennung endgültig geregelt sei und er eine neue Wohnung gefunden habe, habe er vor, einen Alphabetisierungskurs zu besuchen, um Lesen und Schreiben zu lernen. Körperliche Behinderungen bestehen nicht. Es bestehen auch keine geistigen oder psychischen Einschränkungen, der Hausarzt des Betroffenen hat sich aufgrund dessen ausdrücklich geweigert, entsprechende Einschränkungen zu attestieren. Mit Beschluss vom 28.12.2012 hat das Amtsgericht die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Betroffenen vom 21.01.2013, die dieser damit begründet hat, dass Analphabetismus nach seiner Auffassung eine geistige Behinderung sei.

Die Beschwerde blieb erfolglos.

Das Landgericht Kleve (Beschluss vom 07.03.13 - 4 T 29/13):


Analphabetismus selbst ist weder ein angeborenes, noch ein erworbenes Intelligenzdefizit. Analphabetismus ist definiert als die "Unfähigkeit, die eigene Sprache zu lesen und zu schreiben (weil es nicht gelernt worden ist)" (Duden - Das große Fremdwörterbuch, 2. Aufl. 2000, Stichwort "Analphabetismus") bzw. die "mangelhafte oder fehlende Kenntnis und Beherrschung des Lesens und Schreibens" (dtv-Lexikon, Ausgabe 1999, Stichwort: "Analphabetismus");

Dass Analphabetismus die Folge einer geistigen Behinderung sein kann, macht diesen nicht selbst zu einer geistigen Behinderung. Vorliegend gibt es keinen Anhalt dafür, dass der Betroffene geistige Behinderungen hätte, die Ursache seines Analphabetismus sein könnten. Sie bestehen nicht, der Hausarzt des Betroffenen hat sich geweigert, solche zu attestieren. Auch der Betroffene selbst hat erklärt, dass andere Einschränkungen nicht vorlägen. Überdies spricht der Plan des Betroffenen, einen Alphabetisierungskurs zu besuchen, ebenfalls dagegen, dass dieser das Lesen und Schreiben aufgrund geistiger Behinderungen nicht erlernen könnte.

Eine analoge Anwendung des § 1896 BGB auf Analphabeten kommt nicht in Betracht. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke. Dem Gesetzgeber war bekannt, dass es Analphabeten gibt, als er das Betreuungsgesetz verabschiedet hat, auch die Definition des Analphabetismus ist seit langem im Kern unverändert. Daraus entstehende Probleme im Rechts- und Geschäftsverkehr hat der Gesetzgeber auch nicht etwa übersehen, sondern einer anderweitigen Lösung zugeführt, etwa durch die in § 126 Abs. 1 Fall 2 BGB eröffnete Möglichkeit, der Schriftform durch Unterzeichnung mit einem notariell beglaubigten Handzeichen zu genügen. Der Gesetzgeber war auch nicht verpflichtet, Analphabeten auf Wunsch die Einrichtung einer Betreuung zu ermöglichen. Betreuungen sind nur einzurichten, wenn die Betroffenen anders ihre Angelegenheiten nicht besorgen können und kein Instrument einer allgemeinen Lebenshilfe, wie einer Schreib- und Lesehilfe

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Interessant wäre zu wissen, ob sich das Gericht bei dieser Entscheidung auch mit der Frage beschäftigt hat, dass der Kläger als Analphabet auch von einer Lese-Rechtschreibstörung (die in der auch in Deutschland gebräuchlichen Krankheitsklassifikation ICD-10 der WHO unter F 81.0 gelistet ist) betroffen sein könnte.

Aufgrund der Tatsache, dass ca. 4-6% aller Menschen unter einer Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie) leiden und sich diese sich nicht "auswächst", kann man meines Erachtens davon ausgehen, dass  Teile der von Analphabetismus betroffenen Erwachsenen Legastheniker sind und also z.B. unter einer auditiven Wahrnehmungsstörung oder einer Störung des simultanen Sehens, des ganzheitlichen Erkennens von Buchstabenverbindungen oder anderen Lesestörungen leiden (http://www.lernpraxis-deutsch.de/kleines-lexikon-der-fachbegriffe/analphabetismus).

Es ginge also nicht wie ausgeführt um eine geistige Behinderung im Sinne einer Intelligenzminderung, sondern um die Frage, ob eine der genannten zentralen Seh- oder Hörstörungen bei dem Betroffenen vorliegt und dies für die Einrichtung einer Betreuung hinreichend wäre.

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