Zu klein für Pilotenausbildung – Entschädigung wegen Diskriminierung?

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 01.12.2013

Die Luftfahrtbranche liefert mal wieder ein interessantes Lehrstück zum Thema Diskriminierung im Arbeitsleben. Diesmal ging es beim Arbeitsgericht Köln (Urteil vom 28.11.2013, 15 Ca 3879/13) um die Klage einer Bewerberin, die sich erfolglos um eine Ausbildung als Pilotin bei der Lufthansa beworben hatte. Das beklagte Luftfahrtunternehmen hatte den Abschluss des Ausbildungsvertrages abgelehnt, weil die 161,5 cm große Klägerin die in den tarifvertraglich geregelten Auswahlrichtlinien vorgesehene Mindestgröße von 165 cm nicht erreichte. Damit fehlten der jungen Frau ganze 3,5 Zentimeter für ihren Traumjob. Sie machte geltend, dass die Regelung der Mindestgröße von 165 cm sie als Frau mittelbar diskriminiere. Frauen seien durchschnittlich kleiner als Männer, mehr als 40% der Frauen seien kleiner als 165 cm. Demgegenüber seien lediglich 2,8% der Männer kleiner als 165 cm. Sie erhob Klage gegen die Lufthansa und forderte eine Entschädigung in Höhe von 135.000 Euro nach dem AGG. Der Anwalt der Gegenseite behauptete dagegen, ein Pilot müsse auch große Passagiermaschinen fliegen können, und berief sich auf die Anforderungen der Luftverkehrssicherheit. Die ArbG Köln gab der Klägerin insoweit recht, als es ebenfalls von einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts ausging. Der Vorsitzende Richter Nicolai Fabricius äußerte sich in der Verhandlung dahingehend, dass der festgelegte „Korridor“ von 1,65 bis 1,98 Meter weitaus mehr Frauen als Männer von der Ausbildung ausschließe: mehr als 40 Prozent der Frauen über 20 Jahre, aber nur vier Prozent der Männer über 20 Jahre. „Wir müssen davon ausgehen, dass über die Größenregelung deutlich weniger Frauen zum Zug kommen, als Männer“, sagte Fabricius. Gleichwohl wies das Gericht die Klage ab, da sich die Lufthansa an ihren Tarifvertrag gehalten habe. Somit habe das Unternehmen „nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig“ gehandelt. Damit wendet das ArbG Köln offenbar § 15 Abs. 3 AGG an, wonach der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zu Entschädigung verpflichtet ist, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Allerdings ist die Richtlinienkonformität dieser Ausnahme fraglich. Das ArbG Köln hätte daher die Frage auch dem EuGH vorlegen können. Verpflichtet war es dazu nicht. Eine eventuelle Richtlinienwidrigkeit der Bestimmung dürfte wohl nicht die Unanwendbarkeit zur Folge haben, so dass sie ArbG Köln in der Tat heranziehen durfte.

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3 Kommentare

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Aha. Umgekehrt ist es aber nicht diskriminierend, wenn Männer genausoviel in eine Versicherung zahlen müssen, wie Frauen, obwohl letztere im Schnitt länger leben; Stichwort Unisex-Tarife. Das ist doch alles die reine Willkür.

 

Davon mal abgesehen wird sich doch wohl irgendjemand irgendwas dabei gedacht haben, dass man als Pilot eine bestimmte Körpergröße haben muss, oder?

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Wenn Richter Fabricius einen Autounfall hat, muss er auch davon ausgehen, dass bei seiner Rettung bedeutend weniger Frauen als Männer zum Zug kommen. Alles nur aufgrund von Diskriminierung!

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Volltext lesen, da steht nämlich was ganz anderes drin, als in der Analyse.

Bspw: "Von einer groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 15 Abs. 3 AGG (bei der Begehung der Benachteiligung in Anwendung der mittelbar diskriminierenden Verbandstarifvertragsnorm) ist schon und jedenfalls dann auszugehen, wenn eine erste Gerichtsentscheidung ergangen ist, die die diskriminierende Wirkung der Tarifnorm zum Gegenstand hat (vgl. ErfK-Schlachter § 15 AGG, Rn 14). Das kann eine Entscheidung wie die vorliegende sein, eine Entscheidung in einem Verfahren gemäß § 9 TVG oder eine Entscheidung im Beschlussverfahren nach §§ 99, 100 BetrVG oder hier den entsprechenden Regelungen des TV PV."

[...]

"Schon bei der nächsten abgelehnten Bewerberin wird sich die Beklagte zu 1 oder ein anderes Unternehmen, das zum Geltungsbereich des hier umstrittenen Verbands-Tarifvertrags gehört, nicht mehr darauf berufen können, es handele nicht zumindest grob fahrlässig. Denn es kennt dieses Urteil. In diesem Sinne ist eine Entscheidung wie die vorliegende, nach dem Verständnis der EuGH-Rechtsprechung trotz Anwendung des § 15 Abs. 3 AGG „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“."

Es lohnt sich immer die Volltexte zu lesen...

In dem Sinne

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