Stundenlöhne von 1,59 Euro bis 3,46 Euro sittenwidrig - Pizza-Service in der Uckermark

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 09.12.2013

Das ArbG Eberswalde hatte das zweifelhafte Vergnügen, über Ansprüche des JobCenters gegen einen Arbeitgeber entscheiden zu dürfen, der seinen Mitarbeitern sittenwidrig niedrige Entgelte zahlt (z.B. 100 Euro brutto monatlich für 14,5 Wochenstunden oder 430 Euro brutto monatlich für eine Vollzeitstelle mit 40 Wochenstunden). Dadurch benötigen diese Aufstockungsleistungen zum Lebensunterhalt nach SGB II, deren Ersatz das JobCenter nun begehrt. Das Arbeitsgericht hat den Arbeitgeber zur Zahlung von über 10.000 Euro verurteilt:

1. Das Jobcenter kann von einem Arbeitgeber Aufstockungsbeträge, die es im Rahmen der Grundsicherung als Hilfe zum Lebensunterhalt an Arbeitnehmer leisten muss, weil der Arbeitgeber sittenwidrige Löhne zahlt, erstattet verlangen. Die Ansprüche der Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber auf Zahlung angemessener Löhne, die der Arbeitgeber nur zu einem kleinen Teil erfüllt, gehen auf das Jobcenter bis zur Höhe der geleisteten Hilfen über, sofern die Arbeitnehmer bei Zahlung des angemessenen Lohnes nicht hilfebedürftig wären, ansonsten in Höhe der Differenz zwischen geleisteter Hilfe und trotz angemessener Lohnzahlung zustehender Aufstockungsbeträge.

2. Ein Arbeitgeber, der an seine Arbeitnehmer Stundenlöhne von 1,59 Euro, 1,65 Euro, 2,48 Euro, 2,72 Euro und 3,46 Euro brutto zahlt, betreibt Lohnwucher.

3. Das Jobcenter kann die im Hotel- und Gaststättengewerbe in der Wirtschaftsregion des Landkreises an gering Qualifizierte üblicherweise gezahlte Vergütung ermitteln, indem es seine aus den Arbeitsvermittlungen erworbenen Kenntnisse über die durchschnittlich gezahlten Löhne zur Grundlage macht.

Traurige Nebenerkenntnis der Entscheidung: Im Hotel- und Gaststättengewerbe der Uckermark sind die Arbeitgeber überwiegend nicht tarifgebunden. Zur Bestimmung des "üblichen Lohns" konnte daher der Tarifvertrag nicht herangezogen werden. Anhand der vom JobCenter vermittelten Arbeitsverträge ergab sich für gering qualifizierte Arbeitnehmer ein durchschnittlicher Stundenlohn in dieser Branche und Region von gerade einmal 6,78 Euro (zu I. 1. b aa der Entscheidungsgründe). Nach der Rechtsprechung des BAG, die Sittenwidrigkeit bei Unterschreitung der 2/3-Grenze annimmt (BAG, Urt. vom 18.04.2012 - 5 AZR 630/10, NZA 2012, 978), wären daher Stundenlöhne von 4,52 Euro an aufwärts noch zu akzeptieren gewesen.

ArbG Eberswalde, Urt. vom 10.09.2013 - 2 Ca 428/13, BeckRS 2013, 73090

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