Die neue Hauptverhandlung gegen Gustl Mollath - Ausblicke

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 12.12.2013

Wie heute der Presse zu entnehmen war, konkretisieren sich langsam die Vorbereitungen für die Hauptverhandlung im Fall Mollath, die wohl im ersten Quartal 2014 am LG Regensburg anberaumt werden wird.

Ich hatte vor einiger Zeit in einem Interview mit Christian Rath (taz) schon ein paar Überlegungen dazu angestellt und will sie hier noch einmal wiederholen und ergänzen:

"CR: „Was wird genau verhandelt?

HEM: Es müssen vier Fragen beantwortet werden. Hat Herr Mollath seine Frau geschlagen und die Reifen von vermeintlichen Widersachern zerstochen? Wenn ja, litt er dabei unter dem Wahn, dass seine Frau und viele andere sich gegen ihn verschworen haben, um Schwarzgeldgeschäfte zu vertuschen? Wenn ja, war dieser Wahn ursächlich für die Taten? Wenn ja, besteht eine Gefahr für die Allgemeinheit, falls Mollath in Freiheit bleibt.

CR: Könnte es sein, dass Mollath am Ende erneut weggesperrt wird?

HEM: Ich glaube, er muss sich wenig Sorgen machen. Eine Gefängnisstrafe ist prinzipiell ausgeschlossen. Weil Herr Mollath im ersten Verfahren wegen möglicher Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde, darf er in der Wiederaufnahme nicht schlechter wegkommen.

Und eine erneute Unterbringung in der Psychiatrie ist nur möglich, wenn alle vier Fragen mit ja beantwortet werden. Das halte ich angesichts der dünnen Beweislage, der lange vergangenen Zeit und des derzeit sehr besonnenen Auftretens von Herrn Mollath für äußerst unwahrscheinlich – zumal es inzwischen auch unverhältnismäßig wäre.“

Im Mittelpunkt der heutigen Berichterstattung stand die Ankündigung, dass zur Beurteilung der Schuldfähigkeit Gustl Mollaths zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Straftaten mit Prof. Nedopil ein neuer psychiatrischer Gutachter (mit ausgezeichnetem Ruf) beauftragt werde.

Dies hat insofern Aufsehen erregt, als die Aufklärung der Schuldfähigkeit dann entbehrlich ist, wenn schon die rechtswidrige Verwirklichung der angeklagten Straftatbestände (gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung) nicht nachgewiesen werden kann.

Allerdings entsprechen Ermittlungen zur Schuldfähigkeit der gängigen Übung, dass man zu einer Hauptverhandlung sämtliche Voraussetzungen der Schuldstrafe (oder aber deren Verneinung) gleichzeitig aufklärt. Im deutschen Strafprozess ist eine mehrstufige Aufklärung mit dazwischen liegenden Unterbrechungen nicht vorgesehen, d.h. alle für Verurteilung oder Freispruch erheblichen Ermittlungen werden in einer möglichst unterbrechungsfreien Hauptverhandlung zusammengeführt. Deshalb werden ja auch häufig Zeugen geladen, die dann nicht mehr notwendig sind, weil die Hauptverhandlung einen unvorhergesehenen Verlauf genommen hat. So kann durchaus auch ein Sachverständiger überflüssig werden, wenn sich im Verfahren ergibt, dass sich schon die Straftatbegehung nicht nachweisen lässt.

Ich halte es für fraglich, ob sich die vorgeworfenen Taten überhaupt nachweisen lassen. Aber wenn jetzt eine neue psychiatrische Begutachtung geplant ist, bedeutet dies zunächst nur, dass das LG Regensburg den Prozess grundsätzlich genauso gestalten will wie andere Prozesse, in denen es Anhaltspunkte für eine die Schuldfähigkeit tangierende psychische Erkrankung des Angeklagten gibt.

Da die Begehungszeitpunkte der vorgeworfenen Taten im Fall Mollath mittlerweile neun bzw. über zwölf Jahre zurückliegen, wird es – vorsichtig ausgedrückt – kein Gutachter leicht haben, den Zustand zur Tatzeit zweifelsfrei zu beurteilen. Ich glaube fast, dass dies unmöglich ist, ganz unabhängig von einer gegenwärtigen Diagnose.

Was für ein nichtjuristisches Publikum vielleicht schwierig ist, ist die logisch zutreffende, aber faktisch gegenläufige Anwendung von in dubio pro reo  bei den §§ 63, 20, 21 StGB, wenn Zweifel verbleiben: Ein Angeklagter hat im Rahmen des § 20 StGB ein (unverzichtbares) Recht darauf, dass Zweifel an seiner Schuldfähigkeit zur Tatzeit zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Wenn also nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig war, dann ist er mangels Schuld freizusprechen. Für eine belastende Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB muss aber wiederum zu seinen Gunsten im Zweifel davon ausgegangen werden, dass die Straftaten nicht infolge dieses Zustands begangen wurden. Es reicht hier nicht (anders als in § 20 StGB), dass die Voraussetzungen der Unterbringung lediglich nicht auszuschließen sind.

Beide Fragen (§ 20 und § 63) sind deshalb voneinander getrennt zu erörtern und zu beurteilen.

Ganz unabhängig vom konkreten Fall ist generell anzumerken: Je größer der zeitliche Abstand zwischen Begutachtung und vorgeworfener Straftat ist, desto eher werden hinsichtlich der Tatzeitschuldfähigkeit Zweifel bestehen, die dann in § 20 StGB und § 63 StGB eben gegenläufig zugunsten eines Angeklagten wirken.

Falls Herr Mollath sich nicht explorieren lässt, wozu er auch nicht verpflichtet ist (einen Ratschlag in der einen wie der anderen Richtung halte ich an dieser Stelle für unangemessen), müsste wiederum eine Beurteilung auf "Aktengrundlage" erfolgen. Dies ist rechtlich zulässig, aber wirft natürlich die Frage auf, welche Aktenbestandteile dem Gutachter zur Verfügung gestellt werden und wie er diese (was in früheren Gutachten sträflich vernachlässigt wurde) auch kritisch würdigt.

Im ersten Mollath-Gutachten ist die Tatzeitschuldunfähigkeit und der symptomatische Zusammenhang für § 63 StGB kaum schlüssig begründet worden. Gutachter und Gericht haben weitgehend spekulativ angenommen, Herr Mollath, den sie zum Urteilszeitpunkt für psychisch krank hielten, sei mit Gewissheit auch schon zur mehrere Jahre zurückliegenden Tatzeit schuldunfähig bzw. zumindest vermindert schuldunfähig gewesen und die Taten hätten auf seiner Erkrankung beruht.  Dieser symptomatische Zusammenhang zwischen Erkrankung und Tat wird vom Gesetz vorausgesetzt, damit „die Anlasstat nicht in sachfremder Weise zum bloßen Auslöser für die Unterbringung wegen einer psychischen Störung werden kann, die strafrechtlich nicht relevant geworden ist.“ (Zitat van Gemmeren in MüKo StGB Rn. 56 zu § 63). Im Verstoß gegen diesen gesetzlich verankerten Grundsatz lag auch ein entscheidender Fehler im Fall Mollath.

Ich gehe davon aus, dass unter dem kritischen Blick der Öffentlichkeit ein solcher Fehler im neuen Verfahren ausgeschlossen ist.

Update 12.12.2013 abends: Nach Bericht des BR hat sich Herr Mollath bereits ablehnend zu einer Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen geäußert.

Update 14.12.2013: Wie jetzt RA Strate ganz zutreffend erklärt, ist die Heranziehung eines Sachverständigen zur Hauptverhandlung formell schon nach § 246 a StPO obligatorisch, sofern eine Unterbringung in Betracht kommt. Eine Vorabentscheidung über die Richtung der gerichtlichen Aufklärung ist damit nicht verbunden. Die Entscheidung Herrn Mollaths, sich nicht psychiatrisch explorieren zu lassen, sei zudem dem LG Regensburg bereits im November mitgeteilt worden.

Update 23.12.2013: Ich habe die Kommentarfunktion nun abgeschaltet. Ich wünsche allen Lesern und Kommentatoren angenehme Festtage. Die Diskussion wird im neuen Jahr mit einem neuen Beitrag zum Fall wieder eröffnet.

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