Manche Tatbestände mag man ja kaum glauben ...

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 16.12.2013

aber der hier entstammt einer aktuellen Pressemitteilung des BAG:

Die Klägerin sieht sich aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert. Im Kleinbetrieb ihrer Arbeitgeberin galt zwar nicht das Kündigungsschutzgesetz, für die schwangere Klägerin bestand jedoch der besondere Kündigungsschutz des § 9 MuSchG. Anfang Juli 2011 wurde aus medizinischen Gründen zudem ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG für die Klägerin ausgesprochen. Dem Ansinnen der Beklagten, dieses Beschäftigungsverbot nicht zu beachten, widersetzte sich die Klägerin. Am 14. Juli 2011 wurde festgestellt, dass ihre Leibesfrucht abgestorben war. Für den damit notwendig gewordenen Eingriff wurde die Klägerin auf den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt. Sie unterrichtete die Beklagte von dieser Entwicklung noch am 14. Juli 2011 und fügte hinzu, dass sie nach der Genesung einem Beschäftigungsverbot nicht mehr unterliegen werde. Die Beklagte sprach umgehend eine fristgemäße Kündigung aus und warf diese noch am 14. Juli in den Briefkasten der Klägerin. Dort entnahm sie die Klägerin nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus am 16. Juli 2011.

Hatte die Arbeitgeberin tatsächlich geglaubt, mit dieser Verhaltensweise bei Gericht auf Verständnis zu stoßen? Die Arbeitnehmerin jedenfalls beanspruchte eine Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG), weil sie wegen ihrer Schwangerschaft und damit ihres Geschlechts diskriminiert worden war. Das Sächsiche Landesarbeitsgericht sprach ihr (für mein Verständnis eher bescheidene) 3.000 Euro zu. Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Arbeitgeberin, die offenbar wegen § 2 Abs. 4 AGG Hoffnung schöpfte. Damit aber wurde sie vom Achten Senat des BAG enttäuscht:

Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 3.000,00 Euro zugesprochen hatte, bestätigt. Die Klägerin wurde wegen ihrer Schwangerschaft von der Beklagten ungünstiger behandelt und daher wegen ihres Geschlechtes benachteiligt, § 3 Abs. 1 Satz 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in Verbindung mit § 1 AGG. Dies ergibt sich schon aus dem Verstoß der Beklagten gegen das Mutterschutzgesetz. Da Mutter und totes Kind noch nicht getrennt waren, bestand noch die Schwangerschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Auch der Versuch, die Klägerin zum Ignorieren des Beschäftigungsverbotes zu bewegen und der Ausspruch der Kündigung noch vor der künstlich einzuleitenden Fehlgeburt indizieren die ungünstigere Behandlung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft. Der besondere, durch § 3 Abs. 1 AGG betonte Schutz der schwangeren Frau vor Benachteiligungen führt jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden auch zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG. Dies ist unabhängig von der Frage zu sehen, ob und inwieweit Kündigungen auch nach den Bestimmungen des AGG zum Schutz vor Diskriminierungen zu beurteilen sind.

BAG, Urteil vom 12.12.2013 - 8 AZR 838/12

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6 Kommentare

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Es drängt sich die Frage auf, ob das Arbeitsklima kausal für das Fehlgehen der Schwangerschaft war. Wird wohl leider nicht zu klären sein. Hoffen wir, dass der Arbeitgeber sie sich zumindest morgens vor'm Spiegel stellt.

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Armes Deutschland.

 

Da beklagt man sich über die Geburtenrate und man mag trotdem keine Kinder. Vielleicht sollte man mehr Werbung machen, wie wunderbar es ist Kinder zu haben und wie wunderbar es ist als Eltern die Kinder zu betreuen. Auf geht's GroKo, auf geht's liebe Eltern.

 

Eine weitere offene Frage bleibt noch: Hat der Arbeitgeber in diesem Fall selbst Kinder?

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Ausweislich des Berufungsurteils (Sächsisches LAG, Urt. vom 27.07.2012 - 3 Sa 129/12, BeckRS 2013, 68459) ist die beklagte Arbeitgeberin eine juristische Person, vermutlich eine GmbH. Kinder sind also nicht zu erwarten (allenfalls Tochtergesellschaften, aber darauf zielte die Frage wohl nicht).

Anderthalb Sätze des LAG möchte ich hier gerne zitieren, da sie mir aus der Seele sprechen:

"Verlangt wird vom Arbeitgeber im Kleinbetrieb vielmehr nur ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme." (unter A.1.a) der Gründe)

"...so kann man das Verhalten der Beklagten getrost als auf moralisch unterster Stufe stehend bezeichnen." (unter B.2.a)(2) der Gründe)

 

 

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Aus der Urteilsbegründung: "Da Mutter und totes Kind noch nicht getrennt waren, bestand noch die Schwangerschaft im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung."

So stellt sich formal juristisches Denken dar. Hier im günstigen Fall. Dies ist vermutlich juristisch notwendig. Aber können Juristen verstehen, dass Nichtjuristen solches Denken und Formulieren irgendwie als krank empfinden?

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@ Christian Rolfs:

 

Sie haben meine Frage richtig verstanden (s. Klammer).

 

Wenn der Vertreter des Arbeitgebers selbst Kinder hätte, wäre seine Entscheidung vielleicht anders ausgefallen. Aber es könnte ja auch sein, dass er einen schlechten Draht zu seinen Kindern hat.

 

Ein Aufruf: Bitte kümmert euch selbst um eure (Klein-)Kinder und gebt sie nicht ab, damit Deutschland etwas "reicher" werden kann.

 

@ Lutz Lippke:

 

"irgendwie als krank"?

 

Das ist völlig krank. Mensch = Produkt

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