Betriebliches Eingliederungsmanagement kann auch die private Lebensführung des Arbeitnehmers erfassen

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 19.12.2013

Nach Auffassung des Hessischen Landesarbeitsgerichts kann ein "betriebliches Eingliederungsmanagement" (§ 84 Abs. 2 SGB IX) auch die private Lebensführung des Arbeitnehmers umfassen. Beschränke sich der Arbeitgeber bei einem häufig erkrankten Arbeitnehmer darauf, diejenigen gesundheitlichen Risiken in den Blick zu nehmen, die aus dem beruflichen Tätigkeitsbereich resultieren, sei dies unzureichend. Der Arbeitgeber habe dann nicht alles im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips Erforderliche getan, um den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu sichern. Eine (krankheitsbedingte) Kündigung sei daher sozial nicht gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG (LAG Hessen, Urt. vom 03.06.2013 - 21 Sa 1456/12, BeckRS 2013, 73108).

Im Streitfall war der 47-jährige Kläger, der seit 1991 bei der Beklagten tätig ist, in den Jahren 2008 bis 2011 mehrfach erkrankt (2008: 69 Fehltage, 2009: 74, 2010: 62, 2011 bis Mitte November: 120). In drei Fällen beruhte die Arbeitsunfähigkeit auf Arbeitsunfällen. Eine im Januar 2010 durchgeführte arbeitsmedizinische Untersuchung des TÜV kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger weiterhin im Schichtbetrieb als Maschinenführer vollschichtig eingesetzt werden könne. Es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die gehäuften krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Vergangenheit im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen könnten. Es ergebe sich aus medizinischer Sicht kein sicherer Anhalt dafür, dass künftig weitere krankheitsbedingte längere Fehlzeiten auftreten werden.

Nachdem der Kläger dann aber im Verlaufe der Jahre 2010 und 2011 doch wieder erhebliche AU-Zeiten aufzuweisen hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis im November 2011 fristgerecht. Die Kündigungsschutzklage hatte in den ersten beiden Instanzen Erfolg. Nach Auffassung des Hessischen LAG durfte die Beklagte nicht aufgrund des arbeitsmedizinischen Gutachtens davon absehen, mit dem Kläger ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Ein solches hätte nämlich neben den gesundheitlichen Risiken des Arbeitsplatzes auch die private Lebensführung des Klägers in den Blick nehmen können:

Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass der überdurchschnittlichen Krankheitsanfälligkeit des Klägers nicht durch ein diszipliniertes Gesundheitsmanagement (auch im privaten Bereich) begegnet werden könnte. Dem kann die Beklagte nicht entgegen halten, dass sich das betriebliche Eingliederungsmanagement - ausweislich seiner Bezeichnung - nur auf betriebliche Maßnahmen beschränkt, ein etwaiges privates Gesundheitsmanagement somit nicht Gegenstand eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist. Auch wenn ein Arbeitgeber z. B. nicht verpflichtet ist, seinen Arbeitnehmer zu mehr Sport, einer gesünderen Ernährung oder sonstigen Maßnahmen anzuhalten, die seine private Lebensweise betreffen, so folgt aus dem Zweck des betrieblichen Eingliederungsmanagements, nämlich die Ursachen der bisherigen Ausfallzeiten zu klären und etwaige Möglichkeiten aufzuzeigen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, dass im Rahmen eines derartigen Verfahrens auch erörtert werden muss, ob ein Arbeitnehmer durch Veränderungen seiner generellen (d. h. auch privaten) Lebensweise seine gesundheitliche Verfassung gerade bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten verbessern kann. Stellt sich im betrieblichen Eingliederungsmanagement heraus, dass ein Arbeitnehmer durch Veränderungen seiner privaten Lebensweise seine Krankheitsanfälligkeit verringern kann, so ist der Arbeitnehmer gehalten, dieses so erarbeitete Konzept durch ein konsequentes Gesundheitsmanagement umzusetzen. Der Arbeitnehmer ist somit ebenso wie der Arbeitgeber verpflichtet, das Ergebnis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements durchzuführen (...).

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage hat das LAG die Revision zugelassen.

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