Keine Scheinselbständigkeit im Deutschen Bundestag?

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 19.01.2014

Scheinselbständigkeit im Bundestag? Nein hier geht es nicht um die Abgeordneten und das Problem der Fraktionsdisziplin. Es geht um den umstrittenen Einsatz von „freien Mitarbeitern“ zur Betreuung von Veranstaltungen durch den Deutschen Bundestag. Diese Praxis ist vor einiger Zeit bekannt geworden und hatte heftige Kritik hervorgerufen (vgl. hierzu BeckBlog-Beitrag vom 6.11.2012). Daraufhin hat die Bundestagsverwaltung ihre Praxis geändert. Jetzt war noch über die Beurteilung von Altfällen zu entscheiden, und zwar durch das Sozialgericht Berlin (Urteil vom 14.1.2014 - S 89 KR 1744/10), da sich natürlich auch die Frage der Sozialversicherungspflichtigkeit dieser Tätigkeit stellte. Der vom Sozialgericht ermittelte Sachverhalt stellt sich wie folgt dar: Der Bundestag hatte mit dem heute 41jährigen Berliner im Dezember 2000 einen Rahmenvertrag als „freier Mitarbeiter“ über die selbständige Betreuung von Veranstaltungen (z. B. Wanderausstellungen, Messen, Bundestags-Mobil) im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit geschlossen. Zu den Aufgaben des Mitarbeiters gehörte es unter anderem, vor Ort die Presse zu unterrichten und Informationsgespräche mit Einzelbesuchern sowie mit Vertretern von Wahlkreisbüros, Schulen und den gastgebenden Institutionen zu führen. Der Rahmenvertrag sah vor, dass die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen beim Mitarbeiter liegen. Als Honorar waren 480 DM pro Einsatztag vereinbart. Die Einsätze erfolgten jeweils aufgrund eines Einzelauftrags. Bis 2009 leistete der Mitarbeiter zwischen 52 und 135 Einsatztage pro Jahr und erzielte Honorare zwischen rund 14.000 € und 40.000 € jährlich. Im Sommer 2009 beantragte der Mitarbeiter bei der Rentenversicherung eine Entscheidung über seinen sozialversicherungsrechtlichen Status. Die Rentenversicherung erließ daraufhin gegenüber dem Bundestag im Jahr 2010 einen Bescheid, in welchem sie feststellte, dass der Mitarbeiter abhängig beschäftigt und somit von Anfang an sozialversicherungspflichtig gewesen sei. Hiergegen erhob der Bundestag im September 2010 Klage beim Sozialgericht Berlin. Er machte geltend, dass es sich bei dem Mitarbeiter um eine (selbständige) Honorarkraft gehandelt habe. Das Sozialgericht Berlin bestätigte jetzt die Beurteilung des Deutschen Bundestags. Der Mitarbeiter sei in der Tat selbständig – also nicht abhängig beschäftigt – tätig gewesen. Dies ergebe sich aus der vertraglichen Vereinbarung mit dem Bundestag, die auch überwiegend mit den tatsächlichen Verhältnissen übereingestimmt habe. Der Mitarbeiter habe sich im Rahmenvertrag nicht zur Erbringung von Diensten verpflichtet und habe den Einsatz seiner Arbeitskraft auch tatsächlich selbst steuern können. Auch habe er das Risiko, vor einem Einsatz zu erkranken, selbst getragen, denn ein Ausfallhonorar habe der Bundestag nicht gezahlt. Der Mitarbeiter habe weder über ein eigenes Büro noch über einen Telefonanschluss oder eine Email-Adresse in der Bundestagsverwaltung verfügt. Bei der Ausübung seiner Tätigkeit habe er inhaltliche Freiheiten genossen, insbesondere bei der Betreuung von Besuchergruppen. Insgesamt sei er nicht derart in die betriebliche Organisation des Bundestags eingebunden und weisungsgebunden gewesen, wie es für eine abhängige Beschäftigung typisch sei. Schließlich spreche auch die Art der Entlohnung (Honorarbasis) für eine selbständige Tätigkeit. Die Vorsitzende Kammer betonte allerdings in der mündlichen Verhandlung, dass das Gericht den Fall nur rechtlich zu prüfen habe. Es habe demgegenüber nicht darüber zu entscheiden, ob es sozialpolitisch sinnvoll ist, wenn der Bundestag für seine mobile Öffentlichkeitsarbeit sozialversicherungsfreie Honorarkräfte einsetzt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam angefochten werden. Eine Klärung der Frage durch das Landessozialgericht bzw. das Bundessozialgericht wäre in der Tat wünschenswert, hatte doch eine andere Kammer des Sozialgerichts Berlin im Oktober 2012 (26.10.2012 -S 81 KR 2081/10 = BeckRS 2012, 75106) hinsichtlich einer Besucherbetreuerin des Bundestags genau entgegengesetzt entschieden. 

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