Alice Schwarzer: In eigener Sache – juristisch alles richtig gemacht und doch in der öffentlichen Diskussion

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 03.02.2014

"Ja, ich hatte ein Konto in der Schweiz.“ So beginnt Alice Schwarzers offenes Bekenntnis auf ihrer Homepage. Aber nicht, um sich zu outen, sondern als Reaktion darauf, dass SPIEGEL ONLINE im Gegensatz zu anderen Redaktionen weder rechtliche noch ethische Bedenken hatte, die ihm vermutlich aus der Schweiz zugegangene Information gestern zu veröffentlichen.

Natürlich kann auch anhand dieses Falls über Sinn und Zweck einer Selbstanzeige diskutiert werden, interessanter finde ich folgende Fragen:


  • Führt das Institut der Selbstanzeige zu einer Verharmlosung der Steuerhinterziehung, die sich als Straftat gegenüber der Gemeinschaft darstellt?
  • Kann sich die Selbstanzeige zum Steuersparmodell entwickeln, mit anderen Worten: Muss die Zeit der Nachzahlung verlängert werden?
  • Hat der SPIEGEL durch die Veröffentlichung das Steuergeheimnis und die Persönlichkeitsrechte von Frau Schwarzer verletzt?
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16 Kommentare

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Zur Verharmlosung führt die Selbstanzeigemöglichkeit kaum, denn Steuerhinterziehung ist schon naturgemäß "harmlos". Die Achtung und der Vorrang des Individuums auf dem Boden des Grundgesetzes bedeutet umgekehrt, dass eine Straftat "gegenüber der Gemeinschaft" als solche nicht in ihrer Bedeutung potenziert werden kann. Geeigneter Maßstab der Rechtsgutsverletzung ist daher nicht die Opferseite sondern die persönliche Bereicherung beim Täter. Die ist meist überschaubar und naturgemäß völlig gewalt- und zwanglos durch Täuschung durch Unterlassen, also mit geringem Schuldgehalt, erlangt.

Dem SPIEGEL fehlt als Presseorgan die nötige Amtsträgereigenschaft, um das Steuergeheimnis zu verletzen. Generell verletzt wurde das Steuergeheimnis vermutlich. Es ist aber zu bedenken, dass ein Steuerstrafverfahren kaum vollständig zu den vom Steuergeheimnis geschützten "Verhältnissen" zählen kann, sondern im Gegenteil Umstand und Ausgang eines Strafverfahrens grundsätzlich außerhalb des Schutzbereiches stehen. Das Thematisieren dieses vordergründigen Anteils der Geschichte führt auch nicht zu einer Persönlichkeitsrechtsverletzung, da Frau Schwarzer sich intensiv an öffentlichen Debatten zu anderen, auch weniger prominenten Personen beteiligt und dabei mögliche strafrechtliche Verfehlungen bzw. aus ihrer Sicht strafwürdiges Verhalten in den Vordergrund rückt. Zu nennen wäre ihre Begleitung des Falles Kachelmann und die Kriminalisierung des Prostitutionsgewerbes bzw. der Inanspruchnahme von Dienstleistungen daraus. Ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich des rechtspolitischen Kriteriums Strafbarkeit ist daher von besonderem öffentlichem Interesse.

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Lieber Herr von Heintschel-Heinegg,

Ein paar Überlegungen zu Ihren Fragen:

1. Wenn man davon ausgeht, dass das Strafrecht nur ultima ratio sein sollte und wenn zugleich die Ziele der Strafbarkeit der Steuerhinterziehung auch mit dem Instrument der Selbstanzeige erreicht werden können, dann sollte sie auch weiterhin Geltung haben. Seit einigen Jahren (in meiner inneren Chronik seit dem Fall Zumwinkel, vielleicht aber auch schon früher) wird Steuerhinterziehung nicht mehr wie zuvor als "harmlos" angesehen. Steuerhinterzieher, insbesondere Prominente, werden in den Medien seither teilweise richtig vorgeführt. Faktisch führt die Selbstanzeige-Möglichkeit also nicht zur Verharmlosung bzw. sie hat als bestehendes Instrument keineswegs  verhindern können, dass Steuerhinterziehung mehrheitlich heutzutage nicht mehr als "Kavaliersdelikt" angesehen wird.

2. Allerdings wäre zu überlegen, die Selbstanzeige-Voraussetzungen so zu ändern, dass eine Verjährung der Steuerschuld ausgeschlossen ist. Das könnte allerdings rechtlich kompliziert werden.

3. Wie schon vom "Gast" geschrieben, hat der Spiegel wohl nicht das Steuergeheimnis verletzt, sondern allenfalls  das Persönlichkeitsrecht von Frau Schwarzer. Mir scheint aber die Vorstellung von Frau Schwarzer ("Weil ich Selbstanzeige erstattet habe, darf darüber nicht berichtet werden") nicht plausibel:  Hier wird man abwägen müssen, inwieweit die Steuerehrlichkeit von Frau Schwarzer als reine Privatangelegenheit zu gelten hat oder ob die Öffentlichkeit auch ein gerechtfertigtes Interesse daran hat, darüber informiert zu werden. Die Schutzwürdigkeit einer Journalistin, die selbst vertritt "das Private ist politisch" und auch schon oft andere Personen wegen ihrer nicht strafbaren Verhaltensweisen moralisch bewertet hat (siehe Beitrag von "Gast"), ist dabei mit abzuwägen. Im Ergebnis sind hier wohl keine Persönlichkeitsrechte verletzt worden. Eine öffentliche Hetze gegen Einzelpersonen, und seien es Prominente, sollte trotzdem nicht stattfinden.
 

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Sehr geehrte Herren, das Problem der Selbstanzeige und der daraus resultierenden Straffreiheit liegt möglicherweise vor allem darin begründet, dass die fehlerhafte Steuererklärung, also ein aktives Tun, anders behandelt wird als der (normale) Betrug gemäß § 263 STGB. Der Betrug ist mit Vollendung strafbar. Die Steuerhinterziehung ist ebenfalls mit Abgabe der (falschen) Steuererklärung vollendet. Durch eine Wiedergutmachungsleistung in der Form der Offenlegung des Betruges und Rückzahlung des durch den Betrug Erlangten kann der Täter einer Strafe nach § 263 STGB nicht entgehen. Den Unterschied kann man dem normalen Menschen nicht erklären. Tatsächlich ist der sachliche Grund für die Differenzierung ja auch ein ausschliesslich fiskalisch monetärer, während zu Gunsten der privat-monetären Interessen dieser Weg nicht eröffnet wird. Hinzu kommt, dass bei entsprechendem und seit Finanzminister Eichel erstmaligem Verfolgungsdruck auf Steuerhinterzieher gezeigt worden ist, dass bei einem entsprechenden Willen des Staates zur Sanktion die Steuerhinterziehung abnimmt. Vor diesem Hintergrund wäre es durchaus erwägenswert, die Straflosigkeit auch bei Selbstanzeige zu beenden und diese als Strafmilderungsgrund unter dem Stichwort der "Tätigen Reue" zu berücksichtigen. Jeder Betroffene wüßte dann, was zum Beispiel ab dem 1.7.2014 auf ihn zukommt und es würde sicher eine umfassende Welle von Selbstanzeigen geben. 

 

Im Übrigen hätte ich die Frage, ob denn jemand, der über JAhrzehnte Steuerhinterziehung systematisch begangen hat, noch Vorstand einer gemeinnützigen Stiftung sein kann.

 

Beste Grüsse aus Düsseldorf

 

Burkhard Niesert

Rechtsanwalt

Mütze Korsch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 

Ist für die Frage des Persönlichkeitsschutzes relevant, ob Frau Schwarzer eine wirksame Selbstanzeige abgegeben hat? Auch Affären, Ski-Unfälle, Scheidungen oder modische Fehlgriffe prominenter Personen werden in den Medien diskutiert - und dürfen das auch, ohne dass es darauf ankommt, ob dort ein strafrechtlicher Vorwurf erhoben wird oder ob dieser begründet ist.

Eine Person, die sich öffentlich regelmäßig über moralische Fragen äußert, wird es wohl ertragen müssen, dass auch Sachverhalte diskutiert werden, die ihre eigene Einstellung zur (Steuer)Moral beleuchten, vollkommen unabhängig von der juristischen Bewertung dessen.

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Sehr interessant und beachtlich  sind die Ausführungen von RA Ralf Höcker, der immerhin Jörg Kachelmann in etlichen Verfahren, in denen es um Persönlichkeitsrechte ging, gegen Frau Schwarzer vertreten hat. Nach seiner Auffassung hatte der Spiegel kein Recht, über die Selbstanzeige der Frau Schwarzer zu berichten, Auszug:

"Hätte Frau Schwarzer sich in der Vergangenheit kritisch über andere Steuersünder geäußert, hätte man ihr nun Bigotterie nachweisen können. Wohlweislich hat sie zu diesen Fällen jedoch öffentlich stets geschwiegen. Vermutlich wurde sie auch nie dazu befragt, denn ihr Lebensthema sind die Rechte der Frauen und nicht die durchaus geschlechtsneutralen Steuervergehen deutscher Multimillionäre. Auch damit lässt sich eine Berichterstattung also nicht rechtfertigen.

Schwarzers gerichtlich vielfach sanktionierte Vor- und Nachverurteilungen des freigesprochenen Jörg Kachelmann können ebenfalls nicht herangezogen werden, um ein Berichterstattungsinteresse an ihrem Schwarz-Zins-Konto zu begründen. Denn der fehlende Respekt für die Persönlichkeitsrechte eines zu Unrecht Beschuldigten beraubt auch die starrsinnigste politische Agitatorin nicht ihrer eigenen Rechte. Das sogenannte „Recht zum Gegenschlag“ steht nach deutschem Presserecht nur ihrem Opfer Jörg Kachelmann zu, nicht aber den Medien. Frau Schwarzer ist kein Boxsack für jedermann."

Allerdings kritisiert Höcker, dass Frau Schwarzer durch ihre eigene Stellungnahem das Thema nun selbst zur öffentlichen Diskussion freigegeben habe.

@Niesert

Sehr geehrter Herr Niesert,

 

ich bin sprachlich nicht sehr gewandt, versuche aber dennoch den "gefühlten" Unterschied zwischen der Täuschungshandlung bei der Abgabe der Steuererklärung und dem Betrugstatbestand nach §263 StGB darszustellen.

 

Während ich bei der Steuerhinterziehung einen Vorteil durch die verweigerte Abgabe meines Beitrages zum Gemeinwohl erlange, versuche ich mich beim Betrug durch Wegnahme aus dem Vermögen des Anderen zu berreichern.

 

Man mag einwenden, dass wäre der subtile ideologische Nährboden auf dem der "Kavalliersdeliquent" seine Rechtfertigung sucht und das ist sicher durchaus richtig. Richtig ist aber auch, dass im Unterschied Abgabe/Wegnahme ein vollumfängliches staatsphilosophisches Verständnismodell steckt.

 

Unter der Perspektive der Wegnahme bedeutet dies einen Gesamtanspruch des Staates auf die Leistung der Bürger. Der Staat entscheidet über die wechselnden Steuersätze nur noch wieviel er ihm übrig lässt, sein Anspruch geht aber auf 100%.

Die Implikationen dieses Modelles liegen auf der Hand.

 

Mit Solidarität hat diese Art der Beitragsbemessung der Leistungsträger nicht mehr viel zu tun. 

 

Meinem Gemeinschaftsinn entspricht dieses Modell aber nicht, denn konsequenterweise wäre darin auch kein Platz mehr für Moral, sondern es bliebe blosser Ungehorsam. Keine Werte mehr, sondern purer Zwang. Eine Konsensbildung über einen Gesellschaftsvertrag wäre auch gar nicht mehr möglich, denn die einzelnen wären ihrer freien Willensbildung von vornherein beraubt. Entsprechend brauchen wir auch nicht mehr von Demokratie sprechen.

 

Es macht also durchaus Sinn dem Selbstanzeiger durch die Straffreiheit eine freiwillige Eingliederungsmöglichkeit in den Gesellschaftskonsens zu eröffnen. Er gibt ja auch ab und trägt in der Folge am Staatsapparat dazu bei.

 

Ich weiss nicht, ob das verständlich war, aber für mich macht das Sinn.

 

 

 

   

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Sehr geehrter Herr Niesert,

Sie schreiben:

das Problem der Selbstanzeige und der daraus resultierenden Straffreiheit liegt möglicherweise vor allem darin begründet, dass die fehlerhafte Steuererklärung, also ein aktives Tun, anders behandelt wird als der (normale) Betrug gemäß § 263 STGB. Der Betrug ist mit Vollendung strafbar. Die Steuerhinterziehung ist ebenfalls mit Abgabe der (falschen) Steuererklärung vollendet. Durch eine Wiedergutmachungsleistung in der Form der Offenlegung des Betruges und Rückzahlung des durch den Betrug Erlangten kann der Täter einer Strafe nach § 263 STGB nicht entgehen. Den Unterschied kann man dem normalen Menschen nicht erklären. Tatsächlich ist der sachliche Grund für die Differenzierung ja auch ein ausschliesslich fiskalisch monetärer, während zu Gunsten der privat-monetären Interessen dieser Weg nicht eröffnet wird.

Ich denke schon, dass man (analog der Erklärung von Mustermann) einem "normalen Menschen" den Unterschied erklären kann. Und dieser Unterschied entspricht auch ansatzweise dem zwischen Tun und Unterlassen. Das Steuerstrafrecht behandelt jeden Steuerpflichtigen praktisch als Garanten, was es m. E. rechtfertigt, zwischen Steuerhinterziehung und Betrug zu differenzieren. Abgesehen davon: Der Betrug ist nicht bereits mit der Täuschungshandlung vollendet, wie Sie es analog für die Steuererklärung formulieren. Was Ihr Argument "ausschließlich fiskalisch-monetärer Grund" angeht - ja, was sonst? Das ist nun einmal der Schutzzweck der Norm. Ich hätte aber auch nichts dagegen, bei anderen reinen Vermögensdelikten entsprechende Straffreiheitsmöglichkeiten zu schaffen, etwa für den vermögensgefährdenden Betrug.  Bei § 142 StGB (Unerl. Entf. vom Unfallort) werden ja auch ähnliche Ansätze zumindest für die Bagatellfälle diskutiert.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Aus dem schon verlinkten Kommentar von Fischer in der Zeit:

"Natürlich gibt es auch Unverbesserliche. Zum Beispiel dieser Ribéry! Ein ganz unverschämter Sünder: Kaum wird er rechtskräftig vom Vorwurf des Kontakts zu einer minderjährigen Prostituierten freigesprochen, da wagt er es, "am nächsten Wochenende auf dem Platz zu stehen, als sei nichts gewesen"! Emma, Zentralorgan für Gerechtigkeit, kann es nicht fassen. Oder dieser Kachelmann! Wird rechtskräftig freigesprochen und behauptet trotzdem frech, er habe nichts verbrochen! Damit solche Leute keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen, gibt es die Gerechten. Sie schreiben Kolumnen und speisen mit den Großen der Welt."

und:

"Gern klagen die, die es angeht, über die Verletzung des Steuergeheimnisses – als sei es ein Menschenrecht, dass Straftaten geheim bleiben. Als werde von den geifernden Medien das Innerste unschuldiger Kleinsparer nach außen gekehrt, die doch nichts getan haben, außer einen "Fehler" zu machen, einen Staatskonzern zu leiten, einen Sportverein, eine Wochen- oder eine Frauenzeitung."

 

 

Nur zur Klarstellung:

Es wurden nicht 3,5 Millionen hinterzogen, auch nicht die Zinsen auf die 3,5 Millionen, sondern der Bruchteil der Steuern an den Zinsen von diesen 3,5 Millionen. 

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