Datenschutz: Betrag von Martin Schulz in der FAZ - Mission Accomplished?

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 06.02.2014

Der Präsident des EU Parlamentes, Martin Schulz, hat heute in der FAZ einen längeren Beitrag veröffentlicht, den ich gerne hier zur Diskussion stelle:

Einige seiner Thesen:

  • „Wenn wir Menschen durch diese Vernetzung nur noch die Summe unserer Daten sind, in unseren Gewohnheiten und Vorlieben komplett abgebildet und ausgerechnet, dann ist der gläserne Konsumbürger der neue Archetyp des Menschen.“
  • „Der quantifizierte Mensch wird uns künftig wie ein Schatten begleiten: zusammengesetzt aus den Signalen und Daten, die wir und alle anderen senden.“
  • „So wie die „unsichtbare Hand“ eines sich selbst regulierenden Marktes in der Vergangenheit ein Trugschluss war, ist die heute so populäre Annahme, dass durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche automatisch ein Mehr an Lebensqualität, Demokratie, Freiheit, Sicherheit und Effizienz erreicht werden wird, eine naive Fehleinschätzung.“
  • „Deshalb wird eine soziale Bewegung gebraucht, die den Mut aufbringt, das Notwendige zu tun, und die dafür notwendigen normativen und historischen Prägungen mitbringt.“
  • "Die Bewegung „ muss im Bereich der Datensammlung, -speicherung und -weitergabe rechtliche Pflöcke einschlagen, die klarstellen, dass die Privatheit eines jeden ein unveräußerliches Grundrecht ist, und einen etwaigen Missbrauch eindeutig sanktionieren.“
  • „Sie muss überdies durch eine kluge Wirtschaftspolitik sicherstellen, dass wir in Europa technologischen Anschluss halten, damit wir aus der Abhängigkeit und Kontrolle der heutigen digitalen Großmächte befreit werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um Nationalstaaten oder globale Konzerne handelt.“

Wie stehen Sie zu diesen Thesen? Wie viel davon ist "Wahlkampf"?

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5 Kommentare

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"Wie am Ende des 19. Jahrhunderts wird eine Bewegung gebraucht, die die Unverletzlichkeit der menschlichen Würde ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt und die nicht zulässt, dass der Mensch zum bloßen Objekt degeneriert." - das ist so ein typisch sozialdemokratischer Sehnsuchtsappell, der einen verzweifelt ausrufen lässt: "ja, um Himmels willen, dann macht endlich!"

Wahlkampf daran ist vor allem die Aneignung dieses Themas, im SPD-üblichen Modus der Aneignung von Themen von erheblicher sozialer Bedeutung: Es werden verbreitete Sorgen sich zueigen gemacht, es werden berechtigte Bedenken formuliert, es hapert am Mut zur Radikalität bei der Ursachenergründung (und an theoretischer Tiefe) und es mündet in das große "es muss etwas geschehen!"

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Quote:
Wenn wir Menschen durch diese Vernetzung nur noch die Summe unserer Daten sind, in unseren Gewohnheiten und Vorlieben komplett abgebildet und ausgerechnet, dann ist der gläserne Konsumbürger der neue Archetyp des Menschen.
Stimmt. Wenn, wie unlängst geschehen, eine Bank bei der Kreditvergabe einer jahrzehntelangen solventen Kundin einen Kredit verweigert, weil sie den Falschangaben der Schufa mehr traut als ihrer eigenen Erfahrung, dann zählen Daten - egal wie falsch sie sind - mehr als Tatsachen.

  • /span><span> schrieb:
    „Der quantifizierte Mensch wird uns künftig wie ein Schatten begleiten: zusammengesetzt aus den Signalen und Daten, die wir und alle anderen senden.“
    Stimmt - das ist der Traum aller, die an "Big Data" verdienen, von Google über Facebook bis Schufa, Creditreform, Arvato und GfK.
  • Quote:
    So wie die „unsichtbare Hand“ eines sich selbst regulierenden Marktes in der Vergangenheit ein Trugschluss war
    Blödsinn. Nicht der Markt ist schuld - der funktioniert immer: es hat noch jedes Mal in der Wirtschaftsgeschichte einen sich selbst regulierenden Markt in Reinform - nämlich einen Schwarzmarkt - gegeben, wenn durch Regulierungen der offizielle/legale Markt seine Aufgabe nicht für alle ausreichend erfüllt hat. Wenn ein Markt nicht die Ergebnisse bringt, die von der Mehrheit gewünscht oder akzeptiert werden, dann ist es Aufgabe der Politik, den Rahmen so zu setzen, dass unerwünschte Ergebnisse vermieden werden.
  • Quote:
    ist die heute so populäre Annahme, dass durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche automatisch ein Mehr an Lebensqualität, Demokratie, Freiheit, Sicherheit und Effizienz erreicht werden wird, eine naive Fehleinschätzung.
    Ob diese Annahme tatsächlich so populär ist, kann bezweifelt werden -> Wahlkampf. Allerdings haben digitale Medien, insbesondere das Internet, tatsächlich einen Wissensaustausch ermöglicht, der nur mit der Einführung des Buchdrucks vergleichbar ist. Demokratiebewegungen wie im Iran oder der Türkei sind durch Twitter und Facebook erst ermöglicht worden, Patienten können sich mit dramatisch geringerem Aufwand als früher über Behandlungsmethoden und deren Risiken informieren und sind nicht mehr der Willkür ihres Arztes ausgeliefert.
  • Quote:
    Deshalb wird eine soziale Bewegung gebraucht, die den Mut aufbringt, das Notwendige zu tun, und die dafür notwendigen normativen und historischen Prägungen mitbringt.
    Heiße Luft -> Wahlkampf
  • Quote:
    Die Bewegung „ muss im Bereich der Datensammlung, -speicherung und -weitergabe rechtliche Pflöcke einschlagen, die klarstellen, dass die Privatheit eines jeden ein unveräußerliches Grundrecht ist, und einen etwaigen Missbrauch eindeutig sanktionieren.
    Rechtliche Pflöcke einschlagen kann nur eine Gesetzgebung. Wenn aus politischen Forderungen oder aus Parteien eine "Bewegung" gemacht werden soll (so wie Jörg Haider die FPÖ mit Vorliebe "Freiheitliche Bewegung" nannte), dann gehen bei mir immer die Warnlampen an. Eine "Hauptstadt der Bewegung" in der Geschichte ist schon eine zuviel.
  • Quote:
    Sie muss überdies durch eine kluge Wirtschaftspolitik sicherstellen, dass wir in Europa technologischen Anschluss halten, damit wir aus der Abhängigkeit und Kontrolle der heutigen digitalen Großmächte befreit werden, unabhängig davon, ob es sich dabei um Nationalstaaten oder globale Konzerne handelt.
    Forderung nach besserer Bildungs- und Ordnungspolitik und mehr Transparenz -> Sonntagsreden. Man könnte ja mal bei den nichtdigitalen Großmächten anfangen und die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den USA öffentlich machen. Wenn eine von der Exekutive (EU-Kommission und Ministerrat) heimlich ausgehandelte Vereinbarung dazu führt, dass demokratisch legitimierte Gesetzgebung durch Schadensersatzklagen von Großkonzernen ausgehebelt wird, dann gute Nacht, Gewaltenteilung.

Wesentliches Problem solcher Statements ist, dass es eine Aneinanderreihung von Worthülsen und Phrasen ist. Oberflächlich zusammengeschustert in Kreisen, die auf Präsentation und Vermarktung von Trendthemen ausgerichtet sind. Dann endlos wiederholt in Vorträgen, Medienbeiträgen und auf Konferenzen, bis sie abgeschliffen, inhaltsarm und geschmeidig die "Politik für Alle" erreichen. Dort werden sie von "Neuland"-Politikern wie tiefgreifende wissenschaftliche Erkenntnisse und Handlungsoptionen dargestellt und von den Medienmegaphonen tausendfach kopiert, bis wir die Botschaft von Oben glauben müssen. Diejenigen, die sich schon länger mit dem Thema beschäftigten, schütteln nur den Kopf, versuchen verzweifelt Substanz reinzubringen oder wenden sich ab. Substanz im Datenschutz in Deutschland wäre, Strafrecht/Disziplinarrecht für die deutschen Verantwortlichen der Missachtung deutscher Rechtsnormen und Grundrechte. Um Substanz geht es aber gar nicht, denn das nächste Trendthema wartet ja schon.

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Datenschutz wird heute nicht in der EU oder in Deutschland entschieden sondern emissiv beim Individuum und rezeptiv dem Punkt auf dem Erdball mit dem niedrigsten Datenschutzniveau bei gleichzeitig vorhandenem Internetanschluss.

Was schlägt denn Genosse Schulz vor, wenn sich die Bevölkerungsmehrheit weiterhin nicht seiner "Bewegung" anschließt und ihre Daten weiter per WhatsApp und Facebook in die Welt exportiert? Die Errichtung eines Antidigitalen Schutzwalls?

Datenschutzregulierer sollten sich mal klar machen, dass auch rationale Erwägungen keine demokratische Legitimität haben können. Insbesondere soweit sie sich gegen den Drang des Menschen zu freier Entfaltung und die dafür eingegangenen, teils irrationalen Kompromisse wenden. Der Durchschnittsbürger lebt mit der Verletzung seiner Privatsphäre weil er sie und sich für zu unwichtig hält gegenüber dem, was er dafür bekommt. Wahrscheinlich liegen die meisten damit sogar richtig.
Das mag nicht gefallen. Verkehrstote gefallen auch nicht, werden aber dem Nutzen geopfert. So ist der Mensch, und wer sich dagegen wendet, der braucht in der Demokratie mehr als ein Argument und das Recht des Einzelnen.

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#4

Der Ansatz ist schon falsch. Das Individuum will einen Dienst nutzen (z.B. Facebook) und klickt auf "Datenschutzerklärung gelesen". Es nutzt Passworte, richtet persönliche Gruppen ein etc. Das Individuum will keineswegs, dass der Diensteanbieter seine Nutzung heimlich und meistbietend an Geheimdienste oder Jedermann verkauft. Es liegt ein Betrug des Anbieters vor und ebenso des Gesetzgebers, der solch heimliche Datensammlungen zulässt. Die meisten Nutzer haben zudem private Profile, die der persönlichen Entfaltung außerhalb des Beruflichen dienen, so dass auch die Ausforschung z.B. durch Arbeitsämter und Arbeitgeber Grenzüberschreitungen sind.

Die Sorglosigkeit oder Nutzen/Schaden-Abwägungen der Nutzer sind allenfalls persönliche Entscheidungen und keine Entlastung für die Politik. Schon gar nicht berechtigt diese Sorglosigkeit zur Organisation orwellscher Staatsphantasien oder deren Verharmlosung. Mit dieser Argumentation soll nur Verantwortung verschoben, Unfähigkeit vertuscht und Absicht verleugnet werden. Dies erinnert mich an die Schuldzuweisung an den Verbraucher für die unsägliche Tierquälerei in der Massentierhaltung. Als würden täglich tausende Verbraucher für gequälte Hühner oder Pestizidgemüse auf die Strasse gehen. 

Die Behauptung, der Datenschutz würde an den Endpunkten entschieden und von den Usern freiwillig dem Nutzen geopfert, ist auch technisch Blödsinn. Die von den Nutzern nicht hingenommenen Verletzungen ihrer Privatsphäre erfolgen heimlich und überwiegend auf der "Strecke". Sie sind staatlich organisiert und bedingen den offiziellen oder geduldeten Zugang zu Datenknotenpunkten auch in Deutschland. Zumindest dann, wenn die Kommunikation nicht über ausländische Mediendienste oder Netze geschieht. Das Post- und Fernmeldegeheimnis in Deutschland wird durch staatliche Stellen und Diensteanbieter grundrechtswidrig verletzt. Es handelt sich um Straftaten.

Ich empfehle

http://ilmr.de/2014/internationale-liga-fuer-menschenrechte-initiiert-strafanzeige-gegen-geheimdienste-und-bundesregierung-wegen-geheimdienstlicher-massenueberwachung-und-ausforschung-durch-nsa-co

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