Anspruch auf Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 25.02.2014

Die Kündigung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Menschen bedarf nach §§ 85, 91 SGB IX der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Dieser besondere Kündigungsschutz tritt neben alle übrigen Kündigungsschranken, insbesondere neben das Erfordernis der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung (§ 1 KSchG) im Anwendungsbereich des KSchG. Daher findet eine Prüfung dieser Voraussetzungen  durch das Integrationsamt grundsätzlich nicht statt. Allenfalls bei offenkundiger Unwirksamkeit der beabsichtigten Kündigung kann die Zustimmung verweigert werden. Die Zustimmung gibt dem Arbeitgeber nur diejenige Rechtsstellung zurück, die er hätte, wenn es den besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen nicht gäbe. Bei der Entscheidung des Integrationsamts können daher nur diejenigen Umstände Relevanz gewinnen, die speziell aus der Fürsorge des Staates gegenüber schwerbehinderten Menschen resultieren. Es hat nur zu prüfen, ob und inwieweit die Kündigung durch die besonderen Leiden des schwerbehinderten Menschen bedingt ist (ErfK/Rolfs, § 89 SGB IX Rn. 2).

Kündigung nach Widerspruch gegen den Betriebsübergang

Im Jahr 2011 beschloss die Arbeitgeberin, Teile ihres Betriebs auf die Gesellschaft I zu übertragen, an der sie und die Firma X jeweils zur Hälfte als Gesellschafter beteiligt waren. Hiervon betroffen waren die Arbeitsbereiche Buchhaltung, Personalwesen, Aus- und Weiterbildung, ICT, allgemeine Verwaltung, Versicherung und Qualitätsmanagement. In dieser Zeit beschäftigte die Arbeitgeberin insgesamt 190 Arbeitnehmer, davon zehn Schwerbehinderte. Am 22.6.2011 schloss sie mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan anlässlich der beabsichtigten Veränderungen ab. Sie informierte die Arbeitnehmer über den geplanten Betriebsübergang sowie über ihr Widerspruchsrecht und wies zugleich darauf hin, dass im Falle des Widerspruchs eine Kündigung ausgesprochen werde, da die Arbeitsplätze nach dem Übergang bei ihr nicht mehr vorhanden seien. Der - ordentlich unkündbare - Kläger widersprach dem Betriebsübergang. Daraufhin beantragte die Arbeitgeberin beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Diese wurde erteilt. Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner Klage. Dies blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg:

Die Entscheidung der Beigeladenen, Teile ihrer Tätigkeit auf eine andere Gesellschaft zu übertragen, hat mit der Schwerbehinderung des Klägers offensichtlich nichts zu tun. ... Der Zweck des Sonderkündigungsschutzes für Schwerbehinderte erfordert grundsätzlich nicht, dem Integrationsamt die Prüfung eines wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB abzuverlangen, bevor es der außerordentlichen Kündigung seine Zustimmung erteilt. Das Integrationsamt hat auch nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial ungerechtfertigt ist. ... Es ist nicht Sinn des Sonderkündigungsschutzes, dem schwerbehinderten Beschäftigten Belastungen eines Kündigungsrechtsstreites mit dem Arbeitgeber abzunehmen. Derartige Lasten können alle Arbeitnehmer treffen; der Schwerbehinderte hat insoweit grundsätzlich keinen besonderen Schutzanspruch. Denn das SGB IX will ihn nicht gegenüber Nichtbehinderten bevorzugen, sondern lediglich seine behinderungsbedingten Nachteile ausgleichen. Der Schwerbehinderte muss sich deshalb, was die privatrechtliche Wirksamkeit der Kündigung anlangt, auf die Überprüfung durch die Arbeitsgerichte verweisen lassen und kann vom Integrationsamt nur verlangen, dass dieses - im Rahmen der durch § 91 SGB IX gezogenen Grenzen - seine spezifischen, in der Behinderung wurzelnden Schutzinteressen gegenüber den vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründen in die Abwägung einbringt und prüft, ob diesen Schutzinteressen der Vorrang vor den vom Arbeitgeber geltend gemachten Auflösungsgründen zukommt. Lediglich in dem Fall, dass sich aus den vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründen offensichtlich kein wichtiger Grund für eine Kündigung herleiten lässt, kann es zulässig sein, dass das Integrationsamt abweichend vom Regelfall die Zustimmung zur Kündigung nach § 91 Abs. 4 SGB IX versagt, obwohl die Kündigung aus einem Grund erfolgen soll, der mit der Behinderung nicht im Zusammenhang steht.

VG Düsseldorf, Urt. vom 10.6.2013 - 13 K 6670/12, BeckRS 2013, 54472

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