Fall Mollath - Muss über die Rechtmäßigkeit der Maßregelvollstreckung nicht mehr entschieden werden?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 01.04.2014

Vergleichsweise wenig Aufsehen – verglichen mit den Entscheidungen im letzten Jahr – hat ein Beschluss des OLG Bamberg vom 24. März 2014 in der Maßregelvollstreckungssache gegen Gustl Mollath erregt.

Es ging um einen (kleinen) Teil des großen Aufräumens nach dem erschütternden Skandal um die siebenjährige Unterbringung Mollaths, die im letzten Sommer durch die Anordnung der Wiederaufnahme durch das OLG Nürnberg endete.

Erst Ende August 2013, also nach der Freilassung Mollaths, hatte das BVerfG über die schon im Januar 2012 eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des OLG Bamberg vom 26.08.2011, mit dem die Vollstreckung bestätigt wurde, entschieden: Die Verfassungsbeschwerde Mollaths sei zulässig und begründet. Das OLG Bamberg habe im August 2011 in verfassungswidriger Weise zu Lasten Herrn Mollaths dessen weitere Unterbringung bestätigt. Die Gründe der Entscheidung hätten insb. der Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgebots in Fragen der (langjährigen) Freiheitsentziehung nicht entsprochen. Die Entscheidung des OLG Bamberg wurde daher vom BVerfG aufgehoben und die Sache an das OLG Bamberg zurückverwiesen.

Da wegen der Freilassung Mollaths über die Verlängerung der  Vollstreckung nicht mehr entschieden werden konnte, hatte Gustl Mollath bzw. sein Verteidiger, RA Strate, nun den Antrag gestellt, festzustellen, „dass die Voraussetzungen der Maßregel seit dem 11.05.2011 nicht mehr vorgelegen haben.“

Letzte Woche nun hat das OLG Bamberg seine Entscheidung  getroffen: Das Verfahren wurde für erledigt erklärt, da der Verfahrensgegenstand durch die Freilassung Herrn Mollaths, und damit auch seine Beschwer, wegen prozessualer Überholung praktisch nicht mehr vorhanden sei.

RA Strate hat diesen Beschluss umgehend kritisiert und eine Gegenvorstellung verfasst.  Die bloße formale Erledigterklärung genüge schon dem Tenor der Entscheidung nicht. Das OLG Bamberg missachte die Bindungswirkung des § 31 BVerfGG.

Zitat Strate:

„Das Oberlandesgericht Bamberg war nach dem unmissverständlichen Tenor der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zu einer erneuten Entscheidung aufgerufen worden, und zwar in der Sache. Eine derartige Entscheidung hat das Oberlandesgericht nicht getroffen, sondern lediglich die angebliche Erledigung der anhängigen Beschwerde konstatiert. Das Oberlandesgericht Bamberg fühlt sich also dem Gesetzesbefehl des § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht unterworfen.“

Die Frage ist, ob Gustl Mollath ein Recht darauf hat, dass die Rechtswidrigkeit seiner inzwischen beendeten Unterbringung vom zuständigen OLG festgestellt wird. Dazu zwei Anmerkungen:

I. Materieller Hintergrund ist eine Entscheidung des BVerfG von 1997 (2 BvR 817/90), mit der es seine vorherige Rechtsprechung änderte: Hieß es zuvor, es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn im Strafprozess überholte Maßnahmen nicht mehr angefochten werden könnten, so gilt seit 1997 (BVerfG NJW 1997, 2163), dass Art. 19 Abs. 4 GG unter bestimmten Voraussetzungen auch die (nachträgliche) Rechtmäßigkeitsüberprüfung  erledigter grundrechtsrelevante Maßnahmen verlangt.  Dass im Grundsatz eine prozessual überholte Maßnahme nicht anfechtbar sei, ist aber nach wie vor verbreitete Meinung in der strafprozessualen Praxis, unterstützt von einigen Kommentaren (OLG Hamm NStZ 2009, 592; Meyer-Goßner-StPO vor § 296 Rn. 18a; KK-StPO Hannich, vor §§ 296-303, Rn.7). Sie interpretieren die genannte verfassungsrechtliche Rechtsprechung eng: Überprüfbar seien Maßnahmen  nur, „wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann“ sprich: bei kurzfristig belastenden Maßnahmen, etwa der Durchsuchung oder Beschlagnahme. In der Tat bezog sich die ursprüngliche Entscheidung des BVerfG auf eine solche Durchsuchungsanordnung.

Das mittlerweile herrschende Schrifttum interpretiert die neue Linie des BVerfG  aber umfassender: Dem verfassungsrechtlichen Sinn nach müsse jeder einigermaßen tiefgreifende Grundrechtseingriff auch bei prozessualer Überholung überprüfbar bleiben (so zB die Kommentierungen von Frisch in SK-StPO § 304 Rn. 53 ff.; Hoch in SSW, vor § 296 Rn. 27 ff.; Matt in LR, vor § 304 Rn. 72). Schaut man auf die weitere Rechtsprechung des BVerfG, muss man diesen Stimmen wohl beipflichten. Das BVerfG gesteht bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen (wozu die Unterbringung jedenfalls gehört) regelmäßig eine fachgerichtliche Überprüfung zu.

Insbesondere das Rehabilitierungsinteresse spricht hier auf den ersten Blick dafür, über den Feststellungsantrag Mollaths materiell zu entscheiden. Dem evtl. dagegen vorgebrachten Argument, die Rehabilitierung Gustl Mollaths sei hinreichend durch die Wiederaufnahme verfolgbar, kann man entgegenhalten, dass selbst wenn das LG Regensburg im Sommer 2014 feststellt, Herr Mollath habe die ihm vorgeworfenen Straftaten nicht begangen, er keineswegs vollständig von dem Stigma rehabilitiert ist, er sei ein Wahnkranker (gewesen) und zu Recht  wegen seiner Gefährlichkeit sieben Jahre lang seiner Freiheit beraubt worden.

II. Beim Argument RA Strates, das OLG habe die Bindungswirkung der verfassungsrechtlichen Entscheidung (Art. 31 BVerfGG) verletzt, bin ich skeptisch:

Wenn das BVerfG eine Sache zur erneuten Entscheidung zurückverweist, ist dies kein bindender Auftrag an das adressierte Gericht, in der (erledigten) Sache materiellrechtlich zu entscheiden. Vielmehr ist die Tenorierung formale Routine, wenn ein Gerichtsbeschluss infolge einer Verfassungsbeschwerde aufgehoben wird (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Das mit der Aufhebung „offene“ Verfahren muss – und zwar in der zuständigen fachgerichtlichen Instanz – irgendwie zum Abschluss gebracht werden. Mit dem Tenor wird aber gerade nicht vorgeschrieben, wie dieser Abschluss erfolgen muss. Wäre es also (entgegen den obigen Ausführungen) richtig gewesen, bei prozessualer Überholung der Sache eine Beschwerde für erledigt zu erklären, dann hätte das OLG damit auch dem Tenor der Entscheidung des BVerfG entsprochen.

Link: Olaf Przybilla in der SZ  zum Thema.

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30 Kommentare

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Was Sie zu I. schreiben, wäre richtig, wenn es in der Zwischenzeit keine Entscheidung des BVerfG gegeben hätte. Hat es aber. Darin hat das BVerfG bindend (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) festgestellt, dass die Fortdauer der Unterbringung auf der Grundlage der damaligen, unzureichend begründeten Beschlusse nicht rechtmäßig war. Gerade weil das so ist, ist aber für eine erneute sachliche Entscheidung der Fachgerichte hierüber kein Raum - sie könnten aus einer rechtswidrigen Unterbringung ohnehin nicht rückwirkend eine rechtmäßige machen, und eine nochmalige fachgerichtliche “Prüfung” mit dem Ziel, nun auch noch fachgerichtlich auszusprechen, was schon das BVerfG  mit Bindungswirkung festgestellt hat, ist sinnlos und wird insbesondere von keinerlei Rehabilitationsinteresse des rechtswidrig Untergebrachten getragen, das nicht schon durch die Entscheidung des BVerfG erfüllt worden wäre.

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Wäre es - rein theoretisch - möglich, durch einen neuen Beschluss, der eine korrekte Begründung enthält, eine neue Grundlage für die Unterbringung zu schaffen?

Und um Diskussionen über den Zustand von Herrn Mollath vorzubeugen: Die Frage ist rein theoretisch, unabhängig vom Fall Mollath.

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@Gastmann

wäre Ihre Prämisse (das BVerfG habe "festgestellt, dass die Fortdauer der Unterbringung [...] nicht rechtmäßig war") richtig, ließe sich Ihre Argumentation hören. Sie ist aber falsch. Das BVerfG hat nicht entschieden, daß die Unterbringung rechtswidrig war, sondern daß die Entscheidung des OLG Bamberg rechtswidrig war, weil dieses nicht ausreichend geprüft hat, ob die Unterbringung rechtswidrig war (http://dejure.org/2013,22225). Siehe auch Antrag Strate (http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-OLG-Bamberg-2013-12-13.pdf): "Das Bundesverfassungsgericht hat nicht in der Sache selbst entschieden."

Gerade die Weigerung des OLG Bamberg, sich mehr als oberflächlich mit dem Fall zu befassen, stellte den Verfassungsverstoß dar. Wäre die erneute Weigerung des OLG Bamberg das letzte Wort, dann hätte Mollath endgültig keinen Rechtsschutz hinsichtlich seiner Unterbringung (zumindest in den letzten Jahren) erlangt. Daß dieser "rechtsfreie Raum" im Zuständigkeitsbereich der StVK Bayreuth und des OLG Bamberg (von dem auch andere Entscheidungen des BVerfG und des EGMR zeugen) nicht mit den Grundrechten im Einklang stehen kann, sollte Ihnen einleuchten.

Der vom OLG Bamberg in seinem Beschluß (http://dejure.org/2014,5282) gebildete Obersatz, in dem die Einschränkung von dem "typischen Verfahrensablauf" vorkommt, ist durch die Rechtsprechung des BVerfG schon seit 13 Jahren überholt. Hierzu BVerfGE 104, 220 (http://dejure.org/2001,25):

Ein Freiheitsverlust durch Inhaftierung (hier: Abschiebungshaft) indiziert ein Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen, das ein von Art. 19 Abs. 4 GG umfasstes Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Rechtswidrigkeit auch dann begründet, wenn die Maßnahme erledigt ist.

Die Gewährung von Rechtsschutz kann hier weder vom konkreten Ablauf des Verfahrens und dem Zeitpunkt der Erledigung der Maßnahme noch davon abhängen, ob Rechtsschutz typischerweise noch vor Beendigung der Haft erlangt werden kann (Ergänzung zu BVerfGE 96, 27).

Daß das OLG trotzdem versucht, sich auf diesem Weg davonzustehlen, zeugt entweder von Ahnungslosigkeit oder von Böswilligkeit.

Im übrigen wird man die Ausführungen des BVerfG unter II. 3. so verstehen müssen, daß das BVerfG es als selbstverständlich ansah, daß das OLG Bamberg nach Zurückverweisung endlich den Vortrag Mollaths in vollem Umfang einer rechtlichen und tatsächlichen Überprüfung unterzieht. Nur so ist es verständlich, daß es die zentrale Rüge zur Frage der Fehleinweisung hat dahinstehen lassen, obwohl es das Rehabilitierungsinteresse selbst zum Ausgangspunkt seiner Entscheidung gemacht hat.

@Gastfrau

Nein, da hier mit der Anordnung der Wiederaufnahme die Grundlage für die Vollstreckung entfallen ist. Der Sache nach ist das, was das BVerfG beim OLG Bamberg wieder anhängig gemacht hat, ein "Fortsetzungsfeststellungsverfahren".

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Sehr geehrter Herr Gastmann,

Ihre Ansicht ist nicht zutreffend. Das BVerfG ist keine Revisionsinstanz. Es mag Fälle geben, in denen eine Gerichtsentscheidung aufgehoben wird und nur noch eine Entscheidung verfassungsgemäß wäre - aber selbst dann entscheidet nicht das BVerfG anstelle des Fachgerichts. Deshalb gibt es ja die Vorschrift des § 95 Abs.2 BVerfGG. Wenn Sie die Entscheidung des BVerfG  im Fall Mollath lesen, werden Sie bemerken, dass sie sich nur auf die unzureichenden Entscheidungsgründe des OLG bezieht, das damit die Grundrechte des Herrn Mollath verletzt, nicht aber grds. die Unterbringung als verfassungswidrig verwirft.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

PS: Kreuzposting mit Oliver Garcia.

@ O. Garcia: Mollath hat doch bereits Rechtsschutz erhalten, und zwar vom BVerfG, indem dieses bindend (s.o.) festgestellt hat, dass die Fortdauerentscheidung und damit auch die weitere Unterbringung rechtswidrig war. Rechtswidrig ist rechtswidrig, das reicht als Rehabilitation und reicht als Grundlage für Schadensersatzansprüche. Und dass die Feststellung durch das BVerfG irgendwie minderwertig wäre, sei es in rechtlicher oder in ideeller Hinsicht, werden Sie auch nicht im Ernst behaupten wollen. Gerade weil hier eine die Rechtswidrigkeit bejahende BVerfG-Entscheidung vorliegt, ist der Fall eben mit den von Ihnen und Herrn Müller zitierten Vergleichsfällen nicht vergleichbar, in denen es noch der fachgerichtlichen Entscheidung zur Rehabilitation bedurfte.

Ihre (und/oder Strates) gegenteilige Auffassung verstehe ich überhaupt nicht. Was würden Sie denn machen, wenn OLG Bamberg mithilfe eines neuen Gutachtens und/oder einer nachgebesserten Begründung zu dem Ergebnis käme, dass die Fortdauer der Unterbringung zum damaligen Zeitpunkt materiell gerechtfertigt war? Würden Sie daraus dann im Ernst die Konsequenz ableiten, der Mangel einer auf unzureichender Grundlage getroffenen Fortdauerentscheidung sei dadurch rückwirkend geheilt und die Grundlage z.B. für Schadensersatzansprüche Mollaths sei entfallen? Doch wohl nicht. Dann müssen Sie aber auch eingestehen, dass das, was Sie jetzt vom OLG Bamberg verlangt haben, keinen vernünftigen Sinn mehr hatte (und zwar schon gar nicht, bevor nicht das Wiederaufnahmeverfahren  -  dessen Erfolg der Fortdauerentscheidung endgültig den Boden entziehen würde  -  abgeschlossen ist, aber das ist eine zusätzliche Baustelle).

(Nebenbei: Warum so heftig? Waren Sie  -  wie bekanntlich schon in der Vergangenheit  -  wieder als Ghostwriter für Herrn Strate tätig und sind deshalb auch persönlich involviert?)

@ H. E. Müller: Klar muss das Fachgericht das anhängige Verfahren nach einer Aufhebung der ursprünglich verfahrensabschließenden fachgerichtlichen Entscheidung durch das BVerfG noch irgendwie prozessordnungsgemäß abschließen. Hat es ja auch gemacht. Die Behauptung, es dürfe und müsse dabei nicht berücksichtigen, dass mittlerweile in der Sache bereits bindend durch das BVerfG entschieden wurde (s.o.), entbehrt jeder prozessualen Grundlage. Überlegenswert finde ich eher, ob das OLG Bamberg nicht klarstellend auch noch die Wirkungslosigkeit der Fortdauerentscheidung des Landgerichts als Vorinstanz hätte feststellen müssen, die hatte das BVerfG nämlich nicht aufgehoben (m.E. hätte das OLG Bamberg das tun sollen).

Allseits beste Grüße
Gastmann

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Herrn Gastmann hatte ich andernorts auf einen ähnlichen Beitrag am 31.3.2014 bereits so geantwortet:

"Nun, Gastmann wird nicht der einzige im Umfeld der bayerischen Justiz sein, der dem OLG Bamberg zur Seite steht. Insoweit betrachte ich ihn weniger als pädagogisches denn als logisches Problem: denn das BVerfG stand vor derselben "prozessualen Überholung“ wie jetzt das OLG und hat dennoch in der Sache entschieden, ohne indes "durchzuentscheiden". Dieser Auftrag wurde an das OLG erteilt.
Was sagt der liebe Gastmann denn eigentlich dazu, daß die GStA Bamberg den Antrag gestellt hatte, den Beschluß des LG Bayreuth von 2011 aufzuheben, mithin in der Sache zu entscheiden?"

Weder Sie noch die GStA gehen zurecht davon aus, daß der angefochtene Beschluß der StVK und die bestätigende Entscheidung des OLG Bamberg gehalten werden können, legt man die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zugrunde, an die das BVerfG leider erneut erinnern mußte. Nach Beendigung des Vollstreckungsverfahrens ist dies im Weg des Feststellungsbeschlusses zu konstatieren, woraufhin dann wie die Dominosteine die gleichartigen Beschlüsse aus dem Jahr 2012 fallen müssen: denn in diesen wurde lediglich fortgeschrieben, was schon im Jahr 2011 gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstieß. Für die Beschlüsse ein Jahr später gilt logischerweise: dann erst recht.

 

2

@Gastmann

Wie gesagt teile ich nicht Ihr Verständnis, das BVerfG habe festgestellt, daß die Unterbringung rechtswidrig war. Ich verstehe aber jetzt besser, wie Sie darauf kommen: Weil die Fortdauerentscheidung des OLG Bamberg verfassungswidrig war, sei es auch die darauf beruhende weitere Unterbringung gewesen. Das ist gut argumentiert, greift aber m.E. zu kurz. Ich räume Ihnen gerne ein, daß gemäß BVerfG-Entscheidung die Unterbringung formell rechtswidrig war (Gesichtspunkt des Art. 104 GG).

Doch der Anspruch Mollaths (und jedes Betroffenen in seiner Situation) ging darauf, daß die materielle Rechtmäßigkeit der Unterbringung geprüft wurde. Die Feststellung formeller Rechtswidrigkeit, die gerade in der Unzulänglichkeit der Prüfung der materiellen bestand, kann letztere doch nicht ersetzen. Wir sind hier genau in einer der Situationen, die mit der Anerkennung des nachträglichen Feststellungsinteresses gemeint sind: Es muß vor Gericht Rechtsschutz geben für die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Freiheitsentziehung vorlagen oder nicht. Die Feststellung, daß es diesen Rechtsschutz nicht (oder nicht ausreichend) gab, ersetzt diesen Rechtsschutz selbst nicht, sondern erfordert ihn gerade erst.

Was würden Sie denn machen, wenn OLG Bamberg mithilfe eines neuen Gutachtens und/oder einer nachgebesserten Begründung zu dem Ergebnis käme, dass die Fortdauer der Unterbringung zum damaligen Zeitpunkt materiell gerechtfertigt war? Würden Sie daraus dann im Ernst die Konsequenz ableiten, der Mangel einer auf unzureichender Grundlage getroffenen Fortdauerentscheidung sei dadurch rückwirkend geheilt und die Grundlage z.B. für Schadensersatzansprüche Mollaths sei entfallen? Doch wohl nicht.

Zunächst: Ich glaube nicht, daß in diesem Zusammenhang Schadenersatzansprüche irgendeine Rolle spielen. Daß ist eine ganz andere Baustelle. Wegen der Rechtswidrigkeit der Entscheidungen im Strafvollstreckungsverfahren wird es keinen Schadenersatz geben. Da ist das Richterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB vor. Neben den Almosenzahlungen nach StrEG aufgrund Aufhebung des Urteils nach der Wiederaufnahme kommen Amtshaftungsansprüche unter dem Gesichtspunkt der Falschbegutachtung durch Dr. Leipziger (ausführlich: http://blog.delegibus.com/2013/02/24/der-fall-mollath-ein-mehrpersonenst...) und dem der (von der StA ursprünglich bejahten) Rechtsbeugung durch VRiLG Brixner in Betracht.

Um nun Ihre Frage zu beantworten: Aber sicher kann in der erforderlichen gerichtlichen Prüfung herauskommen, daß die Voraussetzungen für die Unterbringung weiter vorlagen. Wir müssen nur vom Fall Mollath abstrahieren, wo mittlerweile der gesunde Menschenverstand weiß, daß sie nicht vorlagen (und deshalb auch die bayerischen Ministerien unter neuer Leitung jetzt ganz selbstverständlich davon sprechen, daß ein Fall Mollath sich nicht wiederholen dürfe). In einem Fall dieser Art ist es aber durchaus möglich, daß ein Betroffener psychisch krank im Sinne von § 63 StGB ist und für die Allgemeinheit gefährlich, aber trotzdem seine Grundrechte verletzt wurden, weil die Gerichte diese Fragen nicht ausreichend geprüft haben. Das sind zwei verschiedene Gesichtspunkte, die von vornherein nicht im Verhältnis einer "Heilung" zueinander stehen.

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Die gerichtliche Erledigterklärung eines Rechtsmittels ist mir gänzlich unbekannt. Ich weiß nicht, ob es eine solche Rechtsfigur in China oder Nordkorea gibt. Mit dem deutschen Recht ist sie jedenfalls nicht vereinbar.

Ja, im Zivilprozess gibt es die Möglichkeit, den Rechtsstreit für erledigt zu erklären, und in der Strafvollstreckung die Unterbringung. Das ist doch aber etwas ganz anderes. Auch durch Wegfall der Beschwer erledigt sich das Rechtsmittel nicht, sondern wird allenfalls unzulässig, wobei sich bei hoheitlichen Eingriffen dann die Frage nach dem aus Grundrechten abgeleiteten Fortsetzungsfeststellungsinteresse stellt. Das wurde vom BVerfG aber ausdrücklich bejaht.

Eine Zwischenfrage: Ist diese sonderbare Erledigterklärung der sofortigen Beschwerde durch das OLG eine Sachentscheidung oder eine Zulässigkeitsentscheidung?

Sehr geehrter Herr Kolos,

es handelt sich im Falle der prozessualen Überholung  - nach der Kommentarliteratur - um eine nicht unübliche Entscheidung; dann, wenn die mit der Beschwerde angegriffene Maßnahme inzwischen fortgefallen ist oder beendet wurde und (deshalb) keine Beschwer mehr vorliegt, soll die angegriffene Entscheidung als gegenstandslos und das Rechtsmittel für erledigt erklärt werden. Aber es ist - auch angesichts der konkreten Entscheidung des OLG Bamberg -  fraglich, ob dies auch systematisch passt. In der Entscheidung des OLG wird ja die Beschwerde zunächst eindeutig als zulässig bezeichnet (S. 4), dann aber die Beschwer (eigentlich  Zulässigkeitsvoraussetzung) verneint (S. 5). Deshalb kann ich Ihre Skepsis nachvollziehen. Nach der hier (s.o.) vertretenen Auffassung ist durch die prozessuale  Überholung die Beschwer gegen den Grundrechtseingriff gerade nicht fortgefallen, wenn auch die Beschwerde nichts mehr zum Fortgang des inzwischen beendeten Verfahrens beitragen kann.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Wie sieht es grundsätzlich mit dem Feststellungsinteresse aus?

Im Familienrecht gibt es immerhin § 62 FamFG

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1. schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2. eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

Das Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen wird vom BGH auch dem Angehörigen nach Tod des Betroffenen zugestanden. Beschluss des V. Zivilsenats vom 6.10.2011 - V ZB 314/10 -

Zudem können auch immer noch unbekannte oder unbezifferte Schadenersatzansprüche oder deren Abwehr davon abhängen. Wenn in diesem Fall die Leistungsklage verlangt wird, wälzt der Staat seinen Wunsch nach Prozessökonomie nur auf den Kläger ab. Aber das hat ja auch Methode.

Wie das in ZPO und StPO geregelt ist, würde mich interessieren.

 

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Sehr geehrter Herr Lippke,

so etwas wie das Feststellungsinteresse gibt es in der StPO nicht. Es gibt auch nicht den "(Fortsetzungs-)feststellungsantrag bzw. die -klage, wenn eine Anfechtung sich erledigt hat, wie etwa im Verwaltungsprozess. Vielmehr galt strafprozessrechtlich lange, dass ein Rechtsmittel unzulässig ist, wenn keine aktuelle Beschwer mehr vorliegt. Dass auch ein Feststellungsinteresse aus den von Ihnen genannten Gründen die Entscheidung über ein Rechtsmittel gebieten kann, war dem Strafprozessrecht bis dahin unbekannt. Das änderte sich, wie ich oben angeführt habe, erst entscheidend mit der BVerfG-Entscheidung von 1997. Da man sich aber in der Praxis (und auch z.T. in der Theorie) nicht gern vom Verfassungsgericht sagen lässt, dass man prozessual auf dem Holzweg war/ist, gibt man in der herrschenden Praxis nur ganz zögerlich nach. Hinzu kommt, dass es z.T. recht aufwändig wäre, jeweils nachträglich zur Rechtmäßigkeit eigentlich erledigter Maßnahmen zu ermitteln. 

Die von (ehem.) BGH-Richtern erstellten in der Praxis maßgeblichen Kommentierungen (KK-StPO; Meyer-Goßner StPO) sagen mehr oder weniger: Es gebe bei prozessualer Überholung grds. keine Beschwer, aber das BVerfG schreibe nun (leider) vor, dass man doch noch entscheiden müsse - aber eben nur "ausnahmsweise". Eine solche Ausnahme, so das OLG Bamberg, liege eben im Fall Mollath nicht vor.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Henning Ernst Müller schrieb:

Sehr geehrter Herr Lippke,

so etwas wie das Feststellungsinteresse gibt es in der StPO nicht.

 

Nehmen wir einmal an, X sei zu Unrecht wegen Diebstahks verurteilt worden, hätte seine "Strafe" abgesessen, sei also wieder frei, und  erst dann geht der Polizei der Dieb Y ins Netz, dem dann auch der Diebstahl nachgewiesen wird, wegen dem X zu Unrecht verurteilt wurde. Nun ist der X zwar wieder frei, hat aber Haft zu Unrecht erlitten und ist laut Führungszeugnis als Dieb gebrandmarkt, was praktisch bedeutet, dass er zur Arbeitslosigkeit verurteilt ist.

 

Liegt nach Juristenansicht eine Beschwer darin, dass er noch keinen gerichtlich anerkannten Anspruch auf Haftentschädigung hat, liegt nach Juristenansicht eine Beschwer darin, dass ihm zu Unrecht ein Führungszeugnis ausgestellt wird, demnach er keine Aussicht hat, eine Arbeit zu finden, oder gilt X im finktiven Fall als unbeschwert?

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Um das Problem mal auf eine Kernfrage der Justiz zu bringen, auch wenn es nicht zu 100% hier passt. Motto: Zurück in die Zukunft!

Fallkonstellation:

1. A zeigt Richter B wegen Rechtsbeugung an. Es wird (v)ermittelt.

2. Richter B zeigt A wegen falscher Beschuldigung, Verdächtigung etc. an. Es wird ermittelt.

Das Ermittlungsverfahren A gegen Richter B wird eingestellt.

Im Ermittlungsverfahren Richter B gegen A wird Anklage erhoben, es folgt Deal oder Strafe.

A erhebt Verfassungsbeschwerde, das BVerfG hält die Beschwerde für begründet. Urteil zu 2. wird aufgehoben.

Wird nun Fall 1 wieder aufgenommen? A hat eine Interesse, weil bei Verurteilung des Richter B die Wiederaufnahme anderer Verfahren zulässig wird.

Die Konstellation ist natürlich unrealistisch, diese Fälle werden wohl frühestens in ? Jahren in Deutschlands Justiz prägend sein.

 

 

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Sehr geehrter Herr Lippke,

Ihr geschilderter Fall hat mit dem hiesigen nichts zu tun. Wie in Fällen von Aussage gegen Aussage zu ermitteln und zu urteilen ist, ist anders, als Sie annehmen bzw. voraussetzen (es handelt sich auch nicht um die dem hiesigen Fall zugrundeliegende  juristische "Kernfrage"). Realistischerweise würden beide Ermittlungsverfahren eingestellt (wenn es außer bloßen Behauptunegn nichts gibt). Es trifft insbesondere nicht zu, dass jede Strafanzeige, die sich als nicht belegbar herausstellt, gleich eine falsche Verdächtigung darstellt und jede Verurteilung, die sich als falsch oder fehlerhaft herausstellt, eine Rechtsbeugung ist. Dass die Wiederaufnahme ohnehin ein Spezialfall ist, dazu s.u.

Besten Gruß

 

Sehr geehrter Gast,

Sie schildern einen Wiederaufnahme-Fall nach rechtskräftiger Verurteilung, der speziell geregelt ist und sogar noch zulässig sein kann, wenn X gestorben ist (§ 361 StPO).  In der hiesigen Diskussion geht es aber um das Rechtsmittel der Beschwerde.

Zudem habe ich geantwortet auf die Frage, ob die StPO (= Gesetz, nicht "Juristenansicht") ein Feststellungsinteresse kennt bzw. regelt.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Die Beschwerde für erledigt erklärt hat auch das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 30.03.09 (2 Ws 84 und 85/09, veröffentlicht bei Burhoff.de) über die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung, nachdem die Haftstrafe zum Zeitpunkt der Entscheidung vollständig verbüßt war.

Das OLG hat sich zwar mit der 97er Entscheidung des BVerfG auseinandergesetzt, die Beschwer aber u.a. aus folgenden Gründen verneint:

"Zwar ist nicht anzuzweifeln, dass die Ablehnung der bedingten Entlassung das Freiheitsrecht eines Verurteilten tatsächlich beeinträchtigt. Es ist aber schon zweifelhaft, ob nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen eine die bedingte Entlassung ablehnende Entscheidung selbst einen "tiefgreifenden Grundsrechtseingriff" in diesem Sinne darstellt. Denn Grundlage der gesamten Strafvollstreckung ist stets das zugrundeliegende Urteil, das aufgrund des Strafausspruches die Strafhöhe festlegt, durch die angefochtene Entscheidung hinsichtlich eines Strafrestes nicht suspendiert wird und damit letztlich den Grundrechtseingriff bewirkt (Senatsbeschluss vom 30. April 1998 – 2 Ws 189/98 -, zitiert nach juris Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 15. Januar 1998 – 3 Ws 11/98 -, zitiert nach juris Rn. 10)."

Danach wäre Mollath trotz prozessualer Überholung immer noch beschwert, denn die Fortdauerentscheidung der StVK stellt einen eigenen und von dem Einweisungsurteil unabhängigen und "tiefgreifenden Grundsrechtseingriff" dar. Denn über die Dauer der Unterbringung wird nicht im Urteil entschieden.

Sehr geehrter Herr Müller,

ich hatte in meinem Beispiel (#12 Rechtsbeugung) EINE juristische Kernfrage angesprochen und schon im Voraus eingestanden, dass dies nicht mit der hiesigen Detailfrage deckungsgleich ist. Das diese Kernfrage mit dem hiesigen Fall nichts zu tun hat, sehe ich jedoch als das übliche Muster der Juristen, die Romane mit der Lupe und notfalls mit dem Fernrohr lesen, um ja nicht von ihren engen formalen Wahrheiten abgelenkt zu werden. Die Frage, warum gegen Brixner (Fall Mollath), Trapp (Fall Arnold) nicht ermittelt wird, ist eine Kernfrage der Strafjustiz. Das billige Ermessen des "unabhängigen" Richters kontakariert jeden hier gestreng verfolgten Formalismus. Die Gründe für Unabhängigkeit und Ermessensspielräume sind mir bekannt. Sie werden in der Praxis oft, wenn nicht sogar meist ins Gegenteil verkehrt bzw. missbraucht. Die Fälle Mollath, Arnold sind keine Einzelfälle, keine Ausnahmen. Wie wir wissen, sperrt sich die Justiz und wohl auch die Rechtslehre vor einer Evaluation der tatsächlichen Verhältnisse. Es ist die Angst vor der Offenbarung.

Anfang 2013 wandte ich mich an das Projekt: WatchTheCourt -  Ein Forschungsprojekt zum Zustand der Justiz - Univ.-Prof. Dr. Martin Schwab - und erfragte die Resonanz und Anerkennung bei Juristen und den Grund des Ausschlusses von Nichtjuristen. Ich erhielt auch Antwort, die aber nichts wesentlich Neues hervorbrachte. Der Umstand, dass das Projekt bei keinem der gravierenden Fälle wie Mollath, Arnold usw. involviert war, belegt die Untauglichkeit, den Placebo-Effekt. Dies mit der Machtlosigkeit der Rechtslehre zu erklären, überspannt meine Gutgläubigkeit.  

Herzlichen Grüsse

Lutz Lippke

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Sehr geehrter Herr Lippke,

ein Problem, das sich in den Fällen Mollath, anders im Fall Arnold (korr. ich hatte an den Fall Wörz gedacht, s.u.) und Peggy/Kulac zeigt, ist sicherlich eine (teilweise selbst hergestellte) Unangreifbarkeit der Angehörigen der Richterschaft, der Strafverfolgungsbehörden und psychiatrischen Gutachter, die sich selbst für eklatante Fehlentscheidungen oftmals nicht persönlich verantworten müssen. Diese strukturelle Unverantwortlichkeit trägt auch den Keim des Missbrauchs in sich. Aber so sehr ich in einigen Punkten auf Ihrer Seite bin, weiter kommen wir nicht, wenn Sie sich in allg. Juristen-Bashing verlieren. Es gibt kaum eine Berufsgruppe, in der Widerspruch und Meinungsstreit so verbreitet sind wie in der Juristenzunft. Auch die genannten Fälle sind von Juristen diskutiert worden und werden/wurden (neben vielen Personen aus anderen Berufsgruppen) auch von Juristen einer Aufklärung zugeführt. Es sind vielleicht (zu) wenige für ein (zu) großes Problem, aber als Placebo bezeichnet zu werden motiviert nicht gerade.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

http://www.derpatriot.de/----Grossartig-und-verstoerend----Viel-Lob-fuer...

 

http://epaper.derpatriot.de/edition-dpl/data/20140405/pages/DPL000000218...

 

Ein Grimme-Preis für „Restrisiko“. Am Entstehen dieser eindrucksvollen Dokumentation war die Forensik in Eickelborn wesentlich beteiligt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Saimeh: Das LWL-Zentrum für Forensische Psychiatrie Lippstadt erhält immer wieder Anfragen von TV-Teams und Filmproduzenten, die sich für das Thema „Forensik“ interessieren. Zusammen mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe als Träger entscheiden wir zum Beispiel nach dem vorgelegten Exposé und dem Drehplan, ob das filmische Vorhaben sinnvoll und machbar erscheint und ob es geeignet ist, die Bürgerinnen und Bürger über die Aufgaben der Forensischen Psychiatrie und die Arbeit hinter den Klinikmauern zu informieren.

Wie viel Zeit hat das Projekt in Anspruch genommen – und wie war das sicherlich nicht einfache Miteinander?

Saimeh: Vorgespräche und Vorbereitungen erstrecken sich in aller Regel über mehrere Wochen. Die eigentlichen Dreharbeiten für „Restrisiko“ dauerten 14 Tage. Ein solcher Film kann nur zustande kommen, wenn das Filmteam sich an die Sicherheitsauflagen der Klinik hält und durchgehend von Mitarbeitern begleitet wird. Organisatorisch ist das in jedem Fall eine sehr aufwendige Betreuung. Den Mitarbeitenden des Pflegedienstes ist dafür ganz besonders zu danken. Es gibt ja keine Minute, in der ein Filmteam hier in der Klinik komplett alleine ist.

Wie haben sich nach Ihrem Eindruck die beteiligten Patienten dargestellt. War das glaubwürdig? Und konnten die Patienten den Fernsehbeitrag auch sehen?

Saimeh: Zunächst: Die Mitwirkung an Filmaufnahmen ist für jeden Patienten immer freiwillig. Die Patienten müssen dafür vollständig einwilligungsfähig sein, sie dürfen zum Beispiel nicht unter gesetzlicher Betreuung stehen. Also: Hätte es keine Patienten gegeben, die bereit gewesen waren, sich filmen und befragen zu lassen, dann hätte es den Film nicht gegeben. Diejenigen Patienten, die mitgewirkt haben, haben sich in ihrem Leben in der Klinik sehr authentisch dargestellt. Das transportiert der Film auf beeindruckende Weise. Natürlich konnten die Patienten den Film im TV sehen.

Wie bewerten Sie die Dokumentation? Was hat „Restrisiko“ – im Lichte der Öffentlichkeit – so wertvoll gemacht?

Saimeh: Die Stärke des Films ist sicher die Kombination aus unvoreingenommenem Wissensdurst und echtem Interesse, sich mit dem Innenleben der Forensischen Psychiatrie zu befassen. Der Film hat eine Offenheit in der Fragestellung und gleichzeitig – und das ist sehr wichtig – eine große Sachlichkeit und Nüchternheit. Wie ja auch die Grimme-Preis-Jury geurteilt hat, ist die Filmemacherin nie parteiisch, sie bleibt bei allem mitmenschlichen Interesse immer auch distanziert, ohne die Menschen vorzuführen. Der Film gibt keine Antworten, er bietet dem mündigen Zuschauer aber viele reale Eindrücke, die ihn dazu befähigen, sich ein eigenes Bild zu machen. All das macht das Stück sehenswert. Hinzu kommt, dass in jüngerer Zeit – wenngleich mit dem Fokus auf Bayern – viel von der Forensik als „Dunkelkammer“ die Rede ist. Solche Filme und die Bereitschaft der LWL-Einrichtungen, sich im Sinne wohlverstandener Transparenz auf umfangreiche Dreharbeiten in einer Klinik über Wochen einzulassen, sind ein wichtiges Signal, dass die Forensik keine Parallelgesellschaft ist, sondern Psychiatrie im Dienste einer differenzierten und humanen Rechtsstaatlichkeit. Auch wenn der Film weit vor dem aktuellen Dunkelkammer-Vorwurf entstanden ist.

Gibt es Ihrerseits auch kritische Anmerkungen?

Saimeh: Kritisch bleibt, Filme wie dieser rücken die Behandlung und Sicherung von Sexualstraftätern mit Persönlichkeitsstörungen dramaturgisch in den Vordergrund. Der größte Teil der Patienten hat aber keine Sexualstraftaten aus Persönlichkeitsstörungen heraus begangen, sondern leidet unter Psychosen und hat weit weniger „spektakuläre“ Unterbringungsdelikte.

Wie war das Echo auf den Preis innerhalb des Landschaftsverbandes?

Saimeh: Der LWL freut sich über diese hohe Medienauszeichnung für die Verantwortlichen. Die große Mühe hat sich somit auch für Patienten und Personal im LWL-Zentrum gelohnt.

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@Prof. Müller
Zur Frage der "(selbst hergestellten) Unangreifbarkeit" :

Der Fall Arnold dürfte bei alledem etwas aus der Rolle fallen, weil die Tatsache, dass die "Geschädigte" eine notorische Lügnerin ist, sich erst im Nachhinein aufgrund der Angaben einer Kollegin/Freundin (??? hab es gerade nicht parat) herausgestellt hat, die Wiederaufnahme ging dann, nachdem die Zeugin sich gemeldet hatte, offenbar recht zügig.  Auch bei Kulac dürfte der entscheidende Fehler primär bei der Polizeiarbeit liegen (Stichwort: Reid-Methode und Tathergangshypothese). Mollaths Verurteilung war dagegen  tendenziell eher von der Justiz "verschuldet". Ob er zu Unrecht verurteilt wurde, im Wesentlichen also (neben den angeblichen Sachbeschädigungen) : die Ex gelogen hat, wird dann vielleicht die Verhandlung in Regensburg klären. 

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nochsongast schrieb:
Der Fall Arnold dürfte bei alledem etwas aus der Rolle fallen, weil die Tatsache, dass die "Geschädigte" eine notorische Lügnerin ist, sich erst im Nachhinein aufgrund der Angaben einer Kollegin/Freundin (??? hab es gerade nicht parat) herausgestellt hat
"Aus der Rolle": wenn man es mit der Arbeit an anderen Landgerichten vergleicht, dann schon - wenn man es mit Verfahren aus der jüngeren Zeit am LG Darmstadt (wie zum Beispiel dem Doppelmord von Babenhausen) vergleicht, leider nicht.

Das zum WA-Verfahren führende notorische Lügen war nicht der einzige Skandal im ersten Prozess, alleine das mit einer analen Vergewaltigung nach normalem menschlichen Ermessen nicht erklärbare Verhalten der Falschbeschuldigerin und das Fehlen und nachträgliche Selbstzufügen von Verletzungen hätten bei einem Gericht, das juristisch-handwerklich auch nur Mindeststandards eingehalten hätte, nie zu einer Verurteilung geführt. Nicht ohne Grund kommt das Kasseler LG im WA-Verfahren zum Schluss

die Darmstädter Kammer [hat] seinerzeit bei der Urteilsfindung „elementare Grundregeln der Wahrheitsfindung“ verletzt.

nochsongast schrieb:
 die Wiederaufnahme ging dann, nachdem die Zeugin sich gemeldet hatte, offenbar recht zügig.
Auch das ist falsch

2008 beantrage er die Wiederaufnahme des Falls. Die zuständige StA KAssel ließ sich ein Dreivierteljahr Zeit, bis sie, ohne auch nur auf ein einziges Argument einzugehen, die zurückweisung des Antrags forderte, wie es bei Staatsanwaltschaften allgemein der Brauch zu sein scheint. Dann dauerte es wieder, bis die Kasseler Kammer den Zulassungsbeschluss fasste. Mittlerweile schrieb man das Jahr 2010.

Urteil und Freispruch dann im Juli 2011. Den Vergewaltigungsprozess möchte ich sehen, der von Einreichung der Anklageschrift bis Zulassung der Anklage zwei Jahre braucht.

 

@nochsongast,

ja, ich hatte den Fall Arnold zuvor mit dem Fall Wörz verwechselt. Und je näher man einzelne  Fälle betrachtet, desto mehr Unterschiede sind erkennbar. Deshalb sollte man auch nicht ganze Berufsgruppen verdammen. Es gibt ja überall auch viele Leute (Richter, Polizisten, Psychiater...), die korrekt arbeiten. Im Fall Arnold ist insbesondere die Rehabilitation des Betr. nach der Wiederaufnahme misslungen - aber dafür sind auch andere Stellen verantwortlich. Im Fall Kulac lag zudem ein schwerwiegendes Fehlgutachten vor, das das Geständnis bestätigte.

Henning Ernst Müller

Zu #19

Eine beeindruckende Dokumentation,  die leider - anscheinend aus Gründen des Jugendschutzes - nicht in der Mediathek abrufbar ist.

"Der Film ist keine leichte Kost. Er taucht ein in eine fremde, unheimliche Welt. In ihr leben Menschen, die auf den ersten Blick nicht krankhaft, böse oder triebgesteuert wirken. Im Gegenteil. Sie sind ausgesprochen höflich, äußerst zuvorkommend. Und doch sind sie gefährlich, manchmal überdurchschnittlich intelligent und äußerst manipulativ. Wie Herr F., der sich seine eigene Wahrheit zurechtbastelt, damit er sich nicht mit der Realität auseinandersetzen muss. Im Maßregelvollzug wird er dazu genötigt, hier besteht ein Zwang zur Therapie."

http://www.br.de/fernsehen/bayerisches-fernsehen/inhalt/film-und-serie/r...

Die Dokumentation gewährt auch einen seltenen Einblick in die Arbeit der Pfleger, die im letzten Jahr  immer wieder als Monster oder Nazis dargestellt wurden, ohne dass sie selbst zu Wort gekommen wären.

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@ Prof. Müller #18

Ich würde auch nicht von Placebo sprechen. Aber wie weit nun beim Fall Mollath die Aufklärung durch Juristen und Vertreter anderer Berufsgruppen, gemeint sind wohl in erster Linie Journalisten, bisher gediehen ist, sei einmal dahingestellt. Sollte man da nicht sehr weit gekommen sein, mag das an der Überforderung durch die Aufgabe liegen, aber auch am Arbeits- und Kommunikationsstil und natürlich daran, dass viele Informationen, etwa die Anklageschrift und die Protokolle aller Zeugenvernehmungen jetzt im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens, nicht öffentlich zugänglich sind. Ohne die vollständigen Akten sind schlüssige Darstellungen zwar möglich, Verzerrungen bis hin zur Mythenbildung aber vorprogrammiert.

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Zu #17, 18:

 

Die Haftung der beteiligten Richter und Psychiater scheint es nur in eine Richtung zu geben: Wird ein Untergebrachter/Gefangerer/Beschuldigter zu Unrecht als nicht (mehr) gefährlich eingeschätzt und kommt es deshalb zu einer Straftat zu Lasten Dritter, wird die Staatsanwaltschaft schnell tätig - der Fahrlässigkeitstatbestände sei Dank. Umgekehrt, d.h. wenn der Untergebrachte/Gefangere/Beschuldigte zu Unrecht als gefährlich eingeschätzt (oder schuldig gesprochen) wird, braucht sich niemand vor Strafverfolgung zu fürchten. Warum gibt es eigentlich keinen Tatbestand der "leichtfertigen Rechtsbeugung/Freiheitsberaubung"? Jeder Arzt haftet straf- und zivilrechtlich schon bei Fahrlässigkeit - warum nicht auch Richter?

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Sehr geehrter Herr Müller,

in #18 haben Sie mir Juristen-Bashing vorgehalten und auf den Meinungsstreit der Zunft hingewiesen. Ich gebe Ihnen teilweise recht, denn auch zugespitzte Argumentation trägt den Keim der Ungerechtigkeit in sich. Einen Missbrauch in meinem Fall sicherlich nicht, da ich als einflussarme Einzelstimme ohne definierte Funktion nichts missbrauchen kann. Trotzdem war eine Demotivation von kritischen Juristen nicht mein Ziel. Ich arbeite fast täglich mit Juristen zusammen und bin auf ihre Motivation in der Sache angewiesen. Ich versuche auch schon längere Zeit allgemein das kritische Potential der Juristen in Politik, Justiz und Anwaltschaft für mich herauszufinden. Es gibt kritische Juristen und sie haben gute Absichten und ein hohes Fachwissen. Ihr Blog ist da sicher eine wichtige Adresse.

Sie schreiben: "... eine (teilweise selbst hergestellte) Unangreifbarkeit der Angehörigen der Richterschaft, der Strafverfolgungsbehörden und psychiatrischen Gutachter, die sich selbst für eklatante Fehlentscheidungen oftmals nicht persönlich verantworten müssen. Diese strukturelle Unverantwortlichkeit trägt auch den Keim des Missbrauchs in sich."

Ich glaube, Sie wissen selbst, das diese Selbstermächtigung nicht nur den Keim des Missbrauchs, sondern schon den Verlust jeder Berechtigung und Reputation der Amtsausführung in sich trägt. Sie ist verfassungsfeindlich, verstösst gegen einfaches Gesetz, den Amtseid und ist mit den mehrheitsfähigen und demokratischen Grundlagen dieses Landes unvereinbar. Mir ist bewusst, dass das Eingeständnis dieser Folgerung schwer fällt. Aber es fällt auch schwer, zuzusehen wie sich Juristen trotz der Tatsachen das Fortbestehen der Reputation immer wieder zurechtreden und in einen komplexen Meinungsstreit transformieren, bei dem Nichtjuristen wegen mangelnder Fachkenntnisse nicht immer mithalten können.

Ich bin also auch bei Ihnen, wenn es darum geht sich um Sachlichkeit im Einzelfall zu bemühen. Der vielfache Einzelfall der selbsthergestellten Unangreifbarkeit kann dabei aber nicht ausgeschlossen werden, denn er greift in viele Gerichtsfälle mit gravierenden Folgen ein. Das ist mir aus mehrfachem persönlichem Erleben bekannt.

Herzliche Grüsse
Lutz Lippke

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Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 24.3.2014
Verfassungsbeschwerde gegen die Weigerung des OLG Bamberg gemäß der Entscheidung des Budesverfassungsgericht vom 26.8.2013 eine neue Entscheidung in der Sache ergehen zu lassen.

http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Verfassungsbeschwerde-201...

@ Gastmann

schrieb am 1.4.2014: "Nebenbei: Warum so heftig?"

Das war auf Oliver Garcias Beitrag gemünzt - nicht auf den 1. April.

Während meiner aktiven Zeit habe ich sicher über Tausend Schriftsätze von Anwälten gelesen, von denen nur der geringere Teil so sachlich gefasst war wie die von Gastmann bezogene Stellungnahme Garcias. 

Die eingangs angeführte Kritik halte ich deshalb für völlig unberechtigt und sehe sie als Versuch an, die hier vorherrschende sachliche Kommunikationskultur aus welchen Gründen auch immer zu stören.

Der Diskussionsverlauf zeigt, dass dieser Versuch gescheitert ist.

 

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Ich bin kein Jurist. Aber für mich stellt sich der Beschl. des BVerfG so dar, als habe es eine mangelnde Tatsachenermittlung festgestellt, die Nichtberücksichtigung von Mollaths Vorbringen und die Ausübung des richterlichen Ermessens beanstandet, die Möglichkeit offen gelassen die Entscheidung noch nachträglich ordnungsgemäß zu begründen. 

Der neuerliche Beschl. des OLG BA ist mit einer verfahrensmäßigen Erledigung begründet. Zunächst denkt man an die Weigerung des Gerichts einmal getroffene Entscheidungen zu überprüfen und sich überhaupt einer Kontrolle des BVerfG für die Vergangenheit zu verweigern, eine solche nur für die Aufhebung einer Unterbringungsverfügung für die Zukunft anzuerkennen. 

Könnte es sein, daß Mollath im Wiederaufnahmeverfahren mangels Beweisen freigesprochen wird, weil es sich bei dem Attest des Arztes der Ehefrau Mollaths auf dem Kopfbogen seiner Mutter um eine "unechte Urkunde" handelt?

Und was wäre dann mit der Sichtweise des OLG BA und der neuerlichen Verfassungsgeschwerde?

Was mir noch aufgefallen ist: Die Meinung eines Kommentators hat keine normative Wirkung. Eine solche kann sich nur aus der Wiedergabe der Amtlichen Begründung eines Gesetzes ergeben und dies auch nur dann, wenn das Gesetz unverändert inkraft getreten ist und sich der Gesetzgeber sich diese damit zu eigen gemacht hat. Meinungen von Kommentatoren geben mitunter eine persönlich gefärbte oder eine politisch geprägte Sichtweise wieder. Diese kann man nicht einfach den Entscheidungen des BVerfG entgegensetzen.

Wenn es notwendig sein sollte, daß es eine Klarstellung in der StPO gibt, dann wird sie das BVerfG auch einfordern und dem Gesetzgeber eine Frist setzen. Das OLG BA hätte das Verfahren dem BVerfG auch selbst vorlegen können, wenn es sich aufgrund der StPo gehindert gesehen hat dem Beschl. des BVerfG zu folgen.

Es wird eher so sein, daß das OLG BA unnötige Arbeit vermeiden wollte oder wegen des Krähenprinzips in der Medizin. Neue Gutachten hätten wiederum die alten bestätigen können.

Am Dienstag, den 13.5., soll das Urteil des LG Bayreuth im Wiederaufnahmeverfahren gegen Ulvi Kulac ergehen. Hoffentlich wird es kein Pechtag für den Angeklagten.

 

 

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