Vorratsdatenspeicherung - der EuGH hat gesprochen. Was meinen Sie?

von Dr. Axel Spies, veröffentlicht am 08.04.2014

Der EuGH hat heute entschieden, dass die EU-RiLi zur Vorratsdatenspeicherung in der jetzigen Fassung gegen europäisches Recht verstößt. Geklagt hatten eine irische Bürgerrechtsorganisation, die Kärntner Landesregierung und mehrere Tausend österreichische Staatsbürger. Sie argumentieren, dass die Speicherung ihre Grundrechte auf Privatleben, Datenschutz und freie Meinungsäußerung verletze.

Vorratsdaten umfassen keine Aufzeichnungen von Telefonaten und keine Texte von verschickten E-Mails. Stattdessen werden nur die Verbindungsdaten (bis zu 2 Jahren) gespeichert.

Die Richter waren der Ansicht, dass die Richtlinie die Grenzen der Verhältnismäßigkeit überschritten hat.  In der vorläufigen Mitteilung heißt es: “It entails a wide-ranging and particularly serious interference with the fundamental rights to respect for private life and to the protection of personal data, without that interference being limited to what is strictly necessary." (hier als PDF). Zu Deutsch: " Sie beinhaltet einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt."

Allerdings ist der Mitteilung auch zu entnehmen, dass eine gesetzlich anders ausgestaltete Form der Vorratsdatenspeicherung angemessen sein könnte:  “Although the retention of data required by the directive may be considered to be appropriate for attaining the objective pursued by it, the wide-ranging and particularly serious interference of the directive with the fundamental rights at issue is not sufficiently circumscribed to ensure that that interference is actually limited to what is strictly necessary.” Zu Deutsch:Zwar ist die nach der Richtlinie vorgeschriebene Vorratsspeicherung der Daten zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet, doch beinhaltet sie einen Eingriff von großem Ausmaß und von besonderer Schwere in die fraglichen Grundrechte, ohne dass sie Bestimmungen enthielte, die zu gewährleisten vermögen, dass sich der Eingriff tatsächlich auf das absolut Notwendige beschränkt. Die schriftliche Urteilsbegründung wird im Laufe des Tages hier veröffentlicht.

Die RiLi ist nun rückwirkend nicht mehr gültig. Die EU könnte aber eine neue RiLi erarbeiten.  In Deutschland gibt es derzeit keine gesetzliche Regelung der Vorratsdatenspeicherung. Das BVerfG hatte 2010 das entsprechende deutsche Gesetz für verfassungswidrig erklärt (hier) und mehrfach im Blog.  Die derzeitige Bundesregierung wollte die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen, hatte aber betont, erst dieses EuGH-Urteil abwarten zu wollen.

Finden Sie das Urteil juristisch überzeugend?

Wie geht es jetzt in Deutschland weiter?

(Danke Herrn Josef Wittmann für die Zusammenfassung.)

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11 Kommentare

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Lieber Herr Spies,

in der Äußerung "limited to what is strictly necessary" scheint der Ansatz zu stecken, in welcher Form die VDS  europarechtskonform gestaltet werden könnte. Und darin steckt natürlich auch ein gewisser Beurteilungsspielraum, denn was wirklich "strikt notwendig" ist, um bestimmte Ziele zu erreichen, das wird sicherlich diskutiert werden. Ich denke, die Diskussion um die VDS ist damit nicht beendet, wenn auch erst einmal eine Denkpause eintreten wird.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Lieber Herr Spies,

eine Anmerkung nicht zum EuGH-Urteil, sondern zu Ihrem Beitrag: Es ist mir unbegreiflich, daß Sie eine auf Deutsch geführte Diskussion einleiten wollen, indem Sie aus der in allen Amtssprachen der EU vorliegenden EuGH-Pressemitteilung nicht auf Deutsch, sondern in einer anderen Amtssprache breit zitieren.

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Lieber OGarcia,

da haben Sie natürlich recht. Ich habe den deutschen Text mit in die Meldung oben reingenommen.

Beim Vergleich der Fassungen kann man mal wieder erkennen, wie schwer es ist, juristische Texte vom Englischen ins Deutsche und umgekehrt zu übersetzen. Ist z.B. das "absolut Notwendige" identisch mit "strictly necessary"?

Danke für den konstruktiven Hinweis und Grüße aus Washington

AS

Lieber Herr Spies,

danke. :-)

In welche Richtung übersetzt wurde, wird sich vielleicht mit dem Volltext, der im Lauf des Tages erscheinen soll, herausstellen. Die Verfahrenssprache könnte Deutsch (Vorlage durch den österreichischen VfGH) oder Englisch sein (Vorlage durch den irischen High Court). Allerdings könnte die Originalsprache des Urteils auch weniger mit der Verfahrenssprache zu tun haben als mit den Vorlieben des Berichterstatters (die Schlußanträge des - spanischen - Generalanwalts waren auf Französisch).

Noch eine inhaltliche Anmerkung: Ich finde es erfreulich, daß der EuGH laut PM von den Schlußanträgen des Generalanwalts jedenfalls insoweit abgewichen ist, als er die grundrechtswidrige Richtlinie nicht für übergangsweise anwendbar erklärt hat. Die Argumentation des Generalanwalts hielt ich nicht für stichhaltig. Selbst wenn man anerkennen wollte, daß "die Relevanz und sogar die Dringlichkeit der Endziele der betreffenden Grundrechtseinschränkung außer Frage" stehen, dann erfordern es "zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit" keineswegs, daß gerade die Richtlinie in Kraft bleibt. Denn die Richtlinie bewirkt ja nur, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind die (Mindestanforderungen der) Richtlinie umzusetzen. Das Fehlen einer Richtlinie hindert die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber nicht, in eigener Zuständigkeit die Erforderlichkeit einer Vorratsdatenspeicherung zu prüfen und sie gegebenfalls einzuführen. Deshalb konnte aus EU-Sicht nicht in die Abwägung eingestellt werden, welche (tatsächlichen oder vermeintlichen) Gefahren das Fehlen einer Vorratsdatenspeicherung darstellen würde, sondern vielmehr nur die "Gefahr", daß ein mitgliedstaatlicher Gesetzgeber so unbelehrbar ist, die "Dringlichkeit der Endziele" anders zu beurteilen als der Generalanwalt (oder der EuGH). Daß diese "Gefahr" aber kein zwingender Grund ist, einen Grundrechtsverstoß vorübergehend hinzunehmen, sollte auf der Hand liegen.

Jedenfalls hätte der Generalanwalt diese Argumentation vertiefen müssen. Zur Frage, ob die Nichtigkeit der Richtlinie die Nichtigkeit der Umsetzungsakte, die vor der Nichtigkeiterkklärung vorgenommen wurden, zur Folge hat: Giegerich, ZEuS 2014, 3 mit Hinweis auf Payandeh, DVBl. 2007, 741.

Beste Grüße,
Oliver García

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OGarcia schrieb:

Noch eine inhaltliche Anmerkung: Ich finde es erfreulich, daß der EuGH laut PM von den Schlußanträgen des Generalanwalts jedenfalls insoweit abgewichen ist, als er die grundrechtswidrige Richtlinie nicht für übergangsweise anwendbar erklärt hat. Die Argumentation des Generalanwalts hielt ich nicht für stichhaltig. Selbst wenn man anerkennen wollte, daß "die Relevanz und sogar die Dringlichkeit der Endziele der betreffenden Grundrechtseinschränkung außer Frage" stehen, dann erfordern es "zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit" keineswegs, daß gerade die Richtlinie in Kraft bleibt. Denn die Richtlinie bewirkt ja nur, daß die Mitgliedstaaten verpflichtet sind die (Mindestanforderungen der) Richtlinie umzusetzen. Das Fehlen einer Richtlinie hindert die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber nicht, in eigener Zuständigkeit die Erforderlichkeit einer Vorratsdatenspeicherung zu prüfen und sie gegebenfalls einzuführen. Deshalb konnte aus EU-Sicht nicht in die Abwägung eingestellt werden, welche (tatsächlichen oder vermeintlichen) Gefahren das Fehlen einer Vorratsdatenspeicherung darstellen würde, sondern vielmehr nur die "Gefahr", daß ein mitgliedstaatlicher Gesetzgeber so unbelehrbar ist, die "Dringlichkeit der Endziele" anders zu beurteilen als der Generalanwalt (oder der EuGH). Daß diese "Gefahr" aber kein zwingender Grund ist, einen Grundrechtsverstoß vorübergehend hinzunehmen, sollte auf der Hand liegen.

Jedenfalls hätte der Generalanwalt diese Argumentation vertiefen müssen. Zur Frage, ob die Nichtigkeit der Richtlinie die Nichtigkeit der Umsetzungsakte, die vor der Nichtigkeiterkklärung vorgenommen wurden, zur Folge hat: Giegerich, ZEuS 2014, 3 mit Hinweis auf Payandeh, DVBl. 2007, 741.

 

Selbstverständlich kann eine vorübergehende Anwendbarkeit der Richtlinie zum Zwecke der Gefahrenabwehr nicht damit begründet werden, dass die Nichtigkeit der Richtlinie zukünftige nationale Gesetzesvorhaben zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung verhindert.

Nimmt man aber an, dass die Nichtigkeit der Richtlinie die Nichtigkeit der Umsetzungsakte zur Folge hat (s. Verweis in dem zitierten Beitrag), so hätte eine solche vorübergehende Anwendbarkeit durchaus diskutiert werden müssen. Für eine solche Nichtigkeitsfolge spricht zumindest, dass die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts - also auch bei der Umsetzung europäischer Richtlinien in nationales Recht - an die Unionsgrundrechte gebunden sind (Art. 51 I GRCh).

Meines Erachten wäre aber auch in diesem Fall äußerst fraglich, ob man im Rahmen einer solchen Abwägung zu einer vorübergehenden Anwendbarkeit der Richtlinie gelangen müsste.

 

Nebenbei wohl auch ein interessantes Urteil  für viele Landesjustizprüfungsämter. ;)

JosWittmann schrieb:

Nebenbei wohl auch ein interessantes Urteil  für viele Landesjustizprüfungsämter. ;)

Würde ich nicht sagen, abgesehen von der allgemeinen Relevanz der Thematik.

Das Urteil hat wenig juristische Substanz, wie man an den knappen Ausführungen zum Wesensgehalt der betroffenen Grundrechte sieht.
Eine Argumentation findet nicht statt. Der EuGH hat eine politische Frage politisch beantwortet, nämlich mit dem Fehlgriff der "absoluten Notwendigkeit". Das entzieht jeden denkbaren Regelungsansatz einer ordentlichen rechtsmethodischen Eingrenzung. Das Ziel bestimmt, was absolut notwendig ist. Wenn ich zwei Jahre in die Vergangenheit forschen will, muss ich zwei Jahre speichern. Absolut notwendig. Dass das irgendwie mit Grundrechten konfligiert, wusste man vorher auch schon. Jetzt soll es halt gerade so nicht gehen.

Entsprechend wird die Politik nun versuchen, die vom EuGH beispielhaft zusammen gewürfelten Konkretisierungsmöglichkeiten aus den ohnehin vorhandenen Umsetzungsakten in Grundzügen auf die Richtlinienebene zu transportieren und es damit dann nochmal zu versuchen. Am Ende steht dasselbe in Grün bzw. mit einer anderen inneren Normenhierarchie.

Verschenkt hat das Gericht letztlich die Möglichkeit zu der meines Erachtens naheliegenden Rechtsmeinung, dass die VDS ihrer Natur nach eine Ermittlungsmaßnahme ist (1), und ein Vorgriff von Ermittlungsmaßnahmen (2) zur Strafverfolgung (3) gegen den unbescholtenen Bürger nicht statthaft ist.

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Volltext (deutsch):

http://www.janalbrecht.eu/fileadmin/material/Dokumente/C_0293_2012_DE_ARR.pdf

Rz. 65:

"Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Richtlinie 2006/24 keine klaren und präzisen Regeln zur Tragweite des Eingriffs in die in Art.7 und Art.8 der Charta verankerten Grundrechte vorsieht. Somit ist festzustellen, dass die Richtlinie einen Eingriff in diese Grundrechte beinhaltet, der in der Rechtsordnung der Union von großem Ausmaß und von besonderer Schwere ist, ohne dass sie Bestimmungen enthielte, die zu gewährleisten vermögen, dass sich der Eingriff tatsächlich auf das absolut Notwendige beschränkt."

Ich gehe nicht davon aus, dass unter den Bedingungen des EuGH eine Vorratsdatenspeicherung grundrechtskonform hinzubekommen ist. Eine völlig verdachtsunabhängige Speicherung ist damit nicht machbar. Daher muss das wohl zwangsläufig auf "Quick Freeze" hinauslaufen. Alles andere würde wieder vor Gericht zerrissen.

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Lieber Herr Spies,

das Urteil ist deutlich und bestimmt: Die Richtlinie ist ohne Einschränkungen nichtig. Der EuGH unternimmt nicht einmal den Versuch die Richtlinie  durch teilweise konforme Auslegug zu retten. Die Botschaft an die Regierungen der Mitgliedsstaaten ist wohl eindeutig: So geht es nicht.

Zu erinnern ist auch noch einmal daran, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof (u.a.) und nicht das BVerfG dem EuGH die Frage vorgelegt hat. Auch wird in dem Urteil des EuGH klarer die Verletzung der einzelnen Grundrechte herausgearbeitet. In der Gesamtschau zum NSA Skandal lässt sich vielleicht noch hervorheben, dass Europa hier einmal Konsens zu Standards von Datenschutz und Schutz der Privatssphäre gesprochen hat. 

Interessante offene Fragen bleiben insbesondere was nun aus dem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrebublik Deutschland wird. Der Streitgegenstand - Verletzung einer Umsetzungspflicht - ist wohl mit dem Urteil ex tunc weggefallen - 

 

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Wenig überraschend: Die Grünen drohen mit einer neuen Klage, wenn Deutschland notfalls im Alleingang die Vorratsdatenspeicherung einführt.

http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/unions-vorstoss-gruene-drohen-mit-neuer-klage-gegen-vorratsdatenspeicherung/9795312.html

Wie sehen Sie die Chancen einer solchen Klage?

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