Fall Peggy – Neue Hauptverhandlung gegen Ulvi K.

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 10.04.2014

Nach dem Fall Mollath, der im vergangenen Jahr die Öffentlichkeit beschäftigt hat, findet nun mit dem Fall Peggy erneut ein Strafverfahren bundesweit Beachtung, das geeignet ist, das  Vertrauen in die bayerischen  Ermittlungsbehörden und die Justiz auf eine harte Probe zu stellen.

Seit heute findet die neue Hauptverhandlung vor dem LG Bayreuth statt.

Soll in einem Mordfall ohne Leiche verurteilt werden, dann stellt dies an die Strafverfolgungsbehörden, an Sachverständige und das Gericht besonders hohe Anforderungen: Die Beweislage muss eindeutig sein, objektiv begründete Zweifel schon daran, dass überhaupt das angeklagte Tötungsdelikt stattgefunden hat, dürfen nicht verbleiben. Im Fall Peggy, dem vor 13 Jahren verschwundenen Mädchen, und dem Strafverfahren gegen Ulvi K., waren die Beteiligten den an sie gestellten Anforderungen nicht gewachsen. Ganz gleich, ob der Fall Peggy jemals aufgeklärt werden kann: Polizei, Staatsanwaltschaft, Gutachter, Gerichten ist multiples Versagen vorzuwerfen.

Das Geständnis von Ulvi K., praktisch das einzige Indiz für die Tat, ist unter derart fragwürdigen Umständen zustande gekommen, dass erhebliche Zweifel verbleiben [im urspr. Text anders formuliert]. Während der Vernehmung haben die Ermittler offenbar den Beschuldigten darüber getäuscht , man habe Blutspuren von Peggy an seiner Kleidung gefunden. Eine Lüge ist nach § 136a StPO eine verbotene Vernehmungsmethode, was zur Unverwertbarkeit des Geständnisses geführt hätte - nach gerichtlicher Wertung sei aber nur fahrlässig getäuscht worden. Das angebliche Geständnis enthielt kein Täterwissen, Ulvi K. konnte die Ermittler nicht zur Leiche führen oder zu sonstigen Spuren oder Indizien, die seine Tat plausibel gemacht hätten.

Wichtige Teile der sich tage- ja wochenlang hinziehenden  Beschuldigtenvernehmung wurden ohne den bestellten Verteidiger durchgeführt, der durch eine Intelligenzminderung behinderte Beschuldigte wurde mit Freundschaftsangeboten (ein Polizist war als vertrauter "Henningvadder" aufgebaut worden), mit Schokolade und damit gelockt, er brauche nicht ins Gefängnis, wenn er gestehe. Man hatte einen Spitzel in der Anstalt, der dann auch über ein angeblich "ausgehorchtes" Geständnis Ulvis sprach - dass dieser Spitzel später seine eigene Aussage widerrief, war einer der Wiederaufnahmegründe. Und am entscheidenden Tag, an dem Ulvi K. gegenüber den Ermittlern sein Geständnis abgab, soll „zufällig“ die Tonaufnahme technisch versagt haben, so dass das angebliche Geständnis nur als Gedächtnisprotokoll der Beamten existiert und, wie sich nun herausstellte, im Wesentlichen mit einer zuvor erstellten Tathergangshypothese übereinstimmt. Man versuchte dann noch seitens der Polizei Entlastungszeugen zum Rückzug ihrer Aussagen zu bewegen, damit der Tatverdacht gegen K. nicht gestört würde. Es fällt wirklich schwer, hier nicht an absichtliche Manipulationen zu Lasten des Beschuldigten zu denken.

Die juristische Kontrolle dieser polizeilichen Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft hat versagt: Entgegen ihrer Verpflichtung, objektiv zu ermitteln und die Beweislage objektiv zu beurteilen, hat die Staatsanwaltschaft die mageren Ermittlungsergebnisse der Polizei offenbar ohne kritische Prüfung zur Anklage gebracht.

Die Strafkammer des LG Hof hat sich mit einer fragwürdigen Beweislage zufrieden gegeben ("ohne jeden Zweifel"). Es hat, um die Glaubhaftigkeit des Geständnisses zu belegen, einen Psychiater beauftragt, der über keine Expertise zur aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsuntersuchung verfügte. Sein Gutachten leidet unter Kardinalfehlern (vgl. dazu die Analyse von Eisenberg in JA 2013, S. 860 ff.; sowie von Sponsel auf seiner Website), wurde aber trotzdem zur entscheidenden Stütze des einzigen Beweismittels.

Schließlich hat auch der erste Senat des BGH seine Kontrollfunktion nicht wahrgenommen und das schwach begründete Mordurteil in der Revision „gehalten“.

Ulvi K. war bei alledem ein leichtes Opfer der ihm übermächtigen Polizeiermittler, die sich offenbar nicht Recht und Gesetz, sondern fragwürdige Kriminalfilme zum Vorbild genommen haben, um ein Ergebnis um jeden Preis zu erzielen.

Erschütternd ist es anzusehen, dass fast alle Fehler, die nach wissenschaftlicher Analyse in der Vergangenheit (in anderen Fällen) zu Falschgeständnissen und Fehlverurteilungen geführt haben, in diesem Fall gemacht wurden.

Zu verdanken ist die bislang erfolgreiche Wiederaufnahme RA Euler und einer rührigen Bürgerinititaive, die es vermochte, auch Journalisten von der Fragwürdigkeit der Verurteilung zu überzeugen.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Immerhin hat die Staatsanwaltschaft schon im vergangenen Jahr signalisiert, dass sie sich einem Wiederaufnahmeverfahren nicht entgegenstellen werde und hat die Ermittlungen zur Suche nach Peggy schon 2012 wieder aufgenommen. Offenbar will man nun die Wahrheit finden. Und nicht mehr nur auf dem einfachsten Weg einen Schwachen mit der schwersten Beschuldigung verurteilen.

Die Frage, die sich (insbesondere, aber nicht nur) die bayerische Justiz stellen sollte, ist, wie solche Verfahrensweisen künftig vermieden werden können. Eine Forderung liegt seit langem auf dem Tisch: Beschuldigtenvernehmungen und Explorationen - jedenfalls bei schweren Vorwürfen - nur mit kompletter Video- und Tonaufzeichnung als Beweismittel zuzulassen. Eine andere Forderung ist diejenige, auch in solchen Fällen professionell Beteiligte ggf. haften zu lassen, zumindest, wenn eklatante Fehler vorliegen. Bislang ist es wohl eher so, dass Polizeibeamte gelobt werden, wenn der Fall "gelöst" wurde, sogar dann, wenn ein Unschuldiger verurteilt wurde. 

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221 Kommentare

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Die Ortsgebundenheit ("Schmoren") liegt teils daran, dass man sich häufig  -falls nicht ein größerer Ortswechsel geplant ist - im eigenen OLG-Bezirk bewirbt, das ist auch in NRW mit seinen 3 OLGs und besonders ausgeprägt in Baden_Württemberg mit dem "badischen" und dem "schwäbischen" OLG so.

Und gerade in kleineren OLG-Bezirken wie Bamberg ist die Anzahl der Beförderungsstellen, somit auch die Auswahlmöglichkeit, und die Anzahl der konkurrierenden Bewerber meist überschaubar.

Was die Einblicke angeht: es gibt nicht gerade wenige Richter/StAe, die durchaus mal vorher Anwalt waren oder per Auslandsstudium über den Tellerrand geblickt haben. Die Richtersozialisation, die Tucholsky beschrieben hat, gibt es schon lange nicht mehr.

 

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Diese Diskussion ist etwas off-topic, aber deutet schon auf eine (nicht nur bayrische!) Problematik der deutschen Strafjustiz hin: In der Regel besteht eine (nach eigenem Erleben in Bayern im Vergleich zu Berlin ausgeprägtere) Übereinstimmung von Staatsanwälten und Richtern. Dass ein Richter zuvor über längere Zeit als Strafverteidiger tätig war, ist sehr sehr selten. Auch wenn die Sozialisation nicht mehr ganz so gestaltet ist wie zu Zeiten Tucholskys, stellt dies tatsächlich ein Problem dar. Insofern halte ich die Regelung im englischen System für gelungener: Die Barrister vertreten vor den Gerichten mal den Staat, mal Angeklagte. Sie können (sogar am selben Tag) als Staatsanwalt und Verteidiger auftreten. Erst wenn sie dies einige Jahre praktiziert haben, können sie Richter werden. Allerdings ist die Übertragung auf unser System sicher schwierig. Es wäre aber begrüßenswert, wenn für das Strafrichteramt auch Verteidigertätigkeit Voraussetzung wäre.

Henning Ernst Müller schrieb:

Es wäre aber begrüßenswert, wenn für das Strafrichteramt auch Verteidigertätigkeit Voraussetzung wäre.

 

Es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn Verteidiger wirklich verteidigen würden... In den Fällen Mollath und Kulac war das ja nicht so.

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Medienkritik Gerichtsberichtserstattung - 19x  bediente sich das Hofer Gericht der Floskel "zweifelsfrei"

http://www.sgipt.org/forpsy/Kulac/MKEAKr%C3%B6b.htm#Medienkritik

19 mal bedient sich das Hofer Gericht der Floskel "zweifelsfrei", nämlich auf den Seiten: 36, 38, 39, 41, 44, 44 (2x), 51, 78, 82, 84, 85, 91, 91 (2x), 96, 98, 106, 107, 109, 110 von insgesamt 131 Seiten. 

RSponsel schrieb:

Medienkritik Gerichtsberichtserstattung - 19x  bediente sich das Hofer Gericht der Floskel "zweifelsfrei"

http://www.sgipt.org/forpsy/Kulac/MKEAKr%C3%B6b.htm#Medienkritik

19 mal bedient sich das Hofer Gericht der Floskel "zweifelsfrei", nämlich auf den Seiten: 36, 38, 39, 41, 44, 44 (2x), 51, 78, 82, 84, 85, 91, 91 (2x), 96, 98, 106, 107, 109, 110 von insgesamt 131 Seiten. 

 

Gibt es operationale Kriterien, nach denen es möglich ist, ein Geständnis als glaubhaft oder unglaubhaft einzuordnen, im Überblick?

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Es scheint sich um eine allgemein gültige reziproke Funktion in der Justiz zu handeln: je löchriger die Indizienkette und je zweifelhafter die Beweisaufnahme, desto "zweifelsfreier" fallen die Urteilsbegründungen aus:

http://blog.beck.de/2014/04/12/nach-mollath-und-peggy-ein-weiteres-fehlu...

Das wäre doch einmal ein linguistischer Forschungsbereich: werden Strafurteile mit überdurchschnittlichem Gebrauch vom "Zweifelsfreiheit", "Sicherheit" und "Überzeugung" häufiger in der Revision kassiert oder durch Wiederaufnahmeanträge aufgehoben?

Zusammenhang 19x zweifelfrei und Falsche Geständniskriterien?

@Gast #9 vom 09.05.2014

Sinnig in diesem Zusammenhang schien mir eher eine Studie zu Gebrauch, Häufikeit und Bedeutung - inbesondere bei inflationärem Gebrauch - der Floskel "zweifelsfrei" in Urteilen.

Zusammenfassung der Hauptgründe für Falschgeständnisse nach Gudjonsson (1992) - von Kröber falsch - zitiert:

1) Freiweilige falsche Geständnisse ("voluntary falce confessions")
     1.1) Aufmerksamkeits- oder Mittelpunktstreben
     1.2) Selbstbetrafungsmotive
     1.3) Probleme Phantasie und Wirklichkeit auseinanderzuhalten

2) Erzwungene falsche Geständnisse ("coerced-cpmliant false confessions") aufgrund spezieller, langer Vernehmungsmethoden und besonders zunehmenden Druck
     2.1) Es hinter sich bringen wollen
     2.2) Endlich seine Ruhe haben wollen

3) Verinnerlichte Falschgeständnisse ("coerced internalzed false confessions") bei unklaren oder fehlenden Erinnerungen an die Tat (die ja nicht begangen wurde) werden die (suggestiven) Vorgaben der Vernehmer mehr und mehr verinnerlicht.

Bei Ulvi Kulac hätten beachtet werden müssen: 1.2, 1.3, 2.1, 2.2, 3, also 5 Warnraketen für den Kenner, Könner und Woller  ...

Eine neuere wichtige Arbeit hat Volbert (2013) vorgelegt.

RSponsel schrieb:

Zusammenfassung der Hauptgründe für Falschgeständnisse nach Gudjonsson (1992) - von Kröber falsch - zitiert:

1) Freiweilige falsche Geständnisse ("voluntary falce confessions")
     1.1) Aufmerksamkeits- oder Mittelpunktstreben
     1.2) Selbstbetrafungsmotive
     1.3) Probleme Phantasie und Wirklichkeit auseinanderzuhalten

2) Erzwungene falsche Geständnisse ("coerced-cpmliant false confessions") aufgrund spezieller, langer Vernehmungsmethoden und besonders zunehmenden Druck
     2.1) Es hinter sich bringen wollen
     2.2) Endlich seine Ruhe haben wollen

3) Verinnerlichte Falschgeständnisse ("coerced internalzed false confessions") bei unklaren oder fehlenden Erinnerungen an die Tat (die ja nicht begangen wurde) werden die (suggestiven) Vorgaben der Vernehmer mehr und mehr verinnerlicht.

 

Sie zählen Gründe für Falschgeständnisse auf, deren Vorliegen aber nicht zwingend zu einem falschen Geständnis führen muss. Ich hatte mehr an Eigenschaften falscher (wahrer) Geständnisse gedacht. Was ist z.B. ein Geständnis wert, das keinerlei spezielles Täterwissen enthält, stattdessen im Widerspruch zu den forensischen Rekonstruktionen steht, das zudem durch weitere Inplausibilitäten und Erinnerungslücken imponiert?

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Eigenschaften falscher Geständnisse - Konzertiertes Versagen

@Gast #10 Neu

"Sie zählen Gründe für Falschgeständnisse auf, deren Vorliegen aber nicht zwingend zu einem falschen Geständnis führen muss. Ich hatte mehr an Eigenschaften falscher (wahrer) Geständnisse gedacht. Was ist z.B. ein Geständnis wert, das keinerlei spezielles Täterwissen enthält, stattdessen im Widerspruch zu den forensischen Rekonstruktionen steht, das zudem durch weitere Inplausibilitäten und Erinnerungslücken imponiert?"

 

Da haben Sie recht. Die drei Eigenschaften, die Sie aufzählen, sind sicher gute Kandidaten für eine Checkliste "Eigenschaften":  1) kein Täterwissen, 2) Widersprüche zu anderen forensischen Rekonstruktionen, 3) Implausibilitäten, vielleicht noch 4) Realkennzeichenprobleme, 5) Unangemessene Einflussnahmen bei den Vernehmungen, 6)  Probleme der Aussageentstehung und Aussageentwicklung und natürlich ganz besonders 7) der Geständniswiderruf.

Der Fall Ulvi Kulac strotzt durch dermaßen viele Fehler der Politik, Polizei, Staatsanwaltschaft, Sachverständigen, des Hofer Gerichts und des BGH, dass man klipp und klar sagen muss: die Revision ist eine völlig untaugliche Kontroll-Konstruktion und gehört längst reformiert. Mit wohl verstandenem Rechtsstaat hat das alles gar nichts zu tun. Und das gehört als Dauerthema in die Öffentlichkeit.

Der Fall Ulvi Kulac strotzt durch dermaßen viele Fehler der Politik, Polizei, Staatsanwaltschaft, Sachverständigen, des Hofer Gerichts und des BGH, dass man klipp und klar sagen muss: die Revision ist eine völlig untaugliche Kontroll-Konstruktion und gehört längst reformiert.

 

Sie sind (nach eigener Aussage) Psychologe. Weder sind sie Politikwissenschaftler, Jurist noch Kriminalist. Mit obiger Aussage wollen sie aber deutlich machen, dass Sie zu allem nicht nur eine klare Vorstellung haben, sondern auch meinen, uns diese mitteilen zu müssen.

 

Ist das nicht ein klein wenig viel an Kompetenzanmassung?

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Sehr geehrter Herr Konstanz,

oben in meinem Beitrag habe ich geschrieben (falls Sie es noch nicht gelesen haben):

Soll in einem Mordfall ohne Leiche verurteilt werden, dann stellt dies an die Strafverfolgungsbehörden, an Sachverständige und das Gericht besonders hohe Anforderungen: Die Beweislage muss eindeutig sein, objektiv begründete Zweifel schon daran, dass überhaupt das angeklagte Tötungsdelikt stattgefunden hat, dürfen nicht verbleiben. Im Fall Peggy, dem vor 13 Jahren verschwundenen Mädchen, und dem Strafverfahren gegen Ulvi K., waren die Beteiligten den an sie gestellten Anforderungen nicht gewachsen. Ganz gleich, ob der Fall Peggy jemals aufgeklärt werden kann: Polizei, Staatsanwaltschaft, Gutachter, Gerichten ist multiples Versagen vorzuwerfen.

Das unterscheidet sich nicht sehr von der Kritik, die Herr Sponsel anführt. Ich stehe nach wie vor dazu und lese gern Ihre Einwände, allerdings bitte ich Sie (wie alle) um Sachlichkeit. Dies ist ein Forum in der Juristen und Nichtjuristen Argumente austauschen dürfen. Da Sie (im Gegensatz zu Herrn Sponsel und mir) anonym bleiben möchten (- das ist auch völlig in Ordnung), erscheint es mir eine unfaire Argumentationsweise, die Kompetenz des Diskussionspartners ohne sachliches Argument in Frage zu stellen.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

"Das unterscheidet sich nicht sehr…" – aber doch in entscheidenden Punkten: im sachlichen Bezug zum Problem "Mordfall ohne Leiche" und vor allem im Ton. Die massive, allzu oft pauschalisierende Anklage belastet atmosphärisch die Diskussion und wirkt dem tieferen Verstehen, der genaueren Analyse entgegen, wie schon die monatelange Mollath-Debatte gezeigt hat. Und noch etwas: wer über lange Zeit mitunter stark personalisierend die Kompetenz von Ärzten und anderen Akteuren angreift, provoziert früher oder später Fragen zur eigenen Kompetenz.

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@ Dr. Sponsel

Sie schreiben in #9, Kröber habe die Hauptgründe falsch zitiert. Um dies nachvollziehen zu können, wären Belege bzw. die Quelle schon hilfreich.

Zu Gudjonsson: die Trennschärfe zwischen 2.1 und 2.2 scheint mir doch eher gering ausgeprägt, dann gibt es ja auch noch Punkt 3. und 4. (bei Ihnen erwartbar als 2.3 und 2.4), dazu kommt die zurückhaltende Formulierung ("may include") – insgesamt keine tragfähige Grundlage für verbindliche Listen. Und ist das reine Abarbeiten solcher Listen schon ein Qualitätsmerkmal an sich? Ihr Urteil bzgl. des Nichtbeachtens der "fünf Warnraketen" sagt doch mehr über eigene methodische Vorlieben aus als über die tatsächliche Kompetenz und Motivation, über die der Leser sich mangels Quellenkenntnis kein eigenes Urteil bilden kann.

Volbert nennt weitere wichtige Gründe für falsche Geständnisse: das Decken des eigentlichen Täters und das Ablenken von anderen schweren Straftaten, wobei insbesondere ersteres im vorliegenden Fall zu prüfen wäre. Für die unter Druck entstandenen Geständnisse nennt sie eine Reihe von Risikofaktoren, u.a. geringe Intelligenz, macht dabei deutlich, dass für die Entstehung falscher Geständnisse meist eine Kombination verschiedener Faktoren ursächlich ist. Die Kunst dürfte nun darin bestehen, diese einzelnen Faktoren zu identifizieren, zu gewichten und in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen – was einer Operationalisierung entgegenlaufen dürfte.

Wenn man sich nur ein wenig mit der Materie beschäftigt, wird schnell klar, dass die Beurteilung von Geständnissen eine sehr spezifische Qualifikation erfordert. Methodische Transfers aus dem einen wie aber auch aus dem anderen Fachgebiet sind gewiss problematisch: "Hierbei ist allerdings zu beachten, dass andere Rahmenbedingungen vorliegen als bei der Begutachtung von Zeugenaussagen und dass eine schematische Übertragung der Methode von der einen auf die andere Fragestellung zu falschen Ergebnissen führen kann“ (Volbert).

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@ Dr. Sponsel

Das war wohl ein Missverständnis. Ich meinte mit Belegen Zitate aus dem Gutachten bzw. dieses selbst. Ohne Zugang zu den Quellen lassen sich Ihre Befunde und Bewertungen nur sehr eingeschränkt nachvollziehen und diskutieren. Abgesehen davon fällt es mir aufgrund des teilweise expressionistisch anmutenden Sprachstils und des ausgeprägten „Mängel“-Furors schwer, Ihre methodenkritische Erst-Analyse nicht als Pamphlet wahrzunehmen.

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Nicht wirklich unerwartet hat die Staatsanwaltschaft nun einen Freispruch beantragt:

"Ein mit hoher Wahrscheinlichkeit richtiges, aber nicht ausschließbar falsches Urteil kann nicht Grundlage für eine Verurteilung sein", betonte nun die Staatsanwältin. "Wir haben keine Spuren, keinen Tatort, keine Leiche. Wir haben nur das Geständnis des Angeklagten."

http://www.sueddeutsche.de/bayern/wiederaufnahme-in-bayreuth-staatsanwal...

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Der 7. Prozesstag im BR-Liveblog:

"Nun schlägt zum letzten Mal in diesem Wiederaufnahmeverfahren die Stunde von Kulacs Verteidiger Michael Euler. Äußerst detailliert zitiert er aus dem Schuldspruch des Landgerichts Hof vom 30. April 2004. Er schildert die Vorwürfe noch einmal und bemüht sich um eine Persönlichkeitsanalyse Kulacs. Inzwischen habe dieser gelernt, dass Geschlechtsverkehr mit Kindern verboten ist. In der Klinik sei er gefördert worden und habe Entwicklungsfortschritte gemacht, so Euler. ..."   http://www.br.de/nachrichten/oberfranken/mordfall-peggy-siebter-prozesst...  
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Kröbers Fehlleistung hinsichtlich der vom ihm zitierten Geständnisliteratur

@Gast   #17 vom 12.05.2014

Da Sie offenbar nicht lesen wollen, hier das Zitat, das sich an der angegebenen Stelle findet, Kröber (S. 115): "Alle in der wissenschaftlichen Literatur  genannten Gründe für ein unwahres Geständnis [FN3] treffen bei ihm nicht zu." In FN3 zitiert er Wegener und Gudjonsson, und zwar falsch, wie ihm Eisenberg zu Recht um die Ohren haut, und bei mir sehr detailliert mit der Originalarbeit von Gudjonsson nachgewiesen wird.

Dass die Richter in Hof, Kröbers hochgradigen Unsinn abgekauft haben, ist abermals ein Beleg dafür, dass das Justizsystem in Bayern nicht stimmen kann. Diese Richter sind, wenn sie nicht nur im Falle Kulac so unprofessionell und inkompetent agieren, völlig fehl am Platze. Die gehören ins Archiv oder jedenfalls an einen Ort, wo sie keinen solchen Schaden anrichten können. Aber ich fürchte, dieses System lässt es nicht zu, dass Inkompetenzlinge an schadensarme Stellen versetzt werden.

RSponsel schrieb:

Dass die Richter in Hof, Kröbers hochgradigen Unsinn abgekauft haben, ist abermals ein Beleg dafür, dass das Justizsystem in Bayern nicht stimmen kann. Diese Richter sind, wenn sie nicht nur im Falle Kulac so unprofessionell und inkompetent agieren, völlig fehl am Platze. Die gehören ins Archiv oder jedenfalls an einen Ort, wo sie keinen solchen Schaden anrichten können. Aber ich fürchte, dieses System lässt es nicht zu, dass Inkompetenzlinge an schadensarme Stellen versetzt werden.

 

Die Richter in Bayern und anderswo dürften wohl wissen, was von der Psychiatrie in Wahrheit zu halten ist. Das macht den Skandal natürlich nicht kleiner, es geht aber um die Frage ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Und die Antwort heißt: Vorsatz bzw. Absicht.  Einen Ulvi in Freiheit brauchte keiner von denen, aber das System braucht gute "Aufklärungsquoten". 

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Also wenn man von der Stimmung in und nach der Verhandlung liest und diese Fotos betrachtet,

http://www.br.de/nachrichten/oberfranken/mordfall-peggy-achter-prozessta...

müsste doch eigentlich klar sein, warum das Gericht für den Mollath-Prozess, bei dem noch mehr und womöglich noch lautere Interessierte zu erwarten sind, Sicherheitsvorkehrungen trifft. Niemand dürfte das doch ernsthaft (!?) mit einer möglichen Gefährdung durch Mollath in Verbindung gebracht haben.

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Freispruchbewertung
"Ein Freispruch kann aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen erfolgen. Die Freisprechung aus tatsächlichen Gründen wird erforderlich, wenn der Tatvorwurf nicht bewiesen oder sogar widerlegt ist." Eschelbach in BeckOK StPO § 260 Rn 18 - 20, Stand: 30.09.2013.

Im Karlruher Kommentar wird ausgeführt: "Randnummer 25 Es gibt nur eine Art von Freisprechung (als Bestätigung der Unschuldsvermutung nach Art 6 Abs 2 S 2 MRK, Rn 17). Zusätze wie „mangels Beweises“, „wegen erwiesener Unschuld“ oder „aus Rechtsgründen“ gehören nicht in die Urteilsformel(BGHSt 16, 374 = NJW 1962, 404)."

Demnach scheinen die Zusatzformeln keine besondere Bedeutung zu haben, etwa für Schadenersatzansprüche:
Freispruch aus rechtlichen Gründen
Freispruch aus tatsächlichen Gründen
Freispruch wegen Schuldunfähigkeit
Freispruch aufgrund erwiesener Unschuld
Freispruch aus subjektiven Gründen
Freispruch aus Mangel an Beweisen

Ist das so?

 

Wie schon in anderen Fällen (insbesondere im Fall Kachelmann), ist zu sagen: Im Strafrecht gibt es keine verschiedenen Klassen von Freisprüchen. Jeder Freispruch aus Mangel an Beweisen ist ein Freispruch aus tatsächlichen Gründen, jeder Freispruch aus tatsächlichen Gründen ist auch einer aus rechtlichen. Ohne Beweise gibt es keine (festgestellten) Tatsachen und ohne Tatsachen gibt es keine (rechtlichen) Schlussfolgerungen. Das hat auch damit zu tun, dass die Aufklärungspflicht nur in einer Richtung besteht. Kommt man zum Ergebnis, dass eine Verurteilung ausscheidet (aus welchen Gründen auch immer), ist das Gericht nicht verpflichtet weiterzuermitteln, um eventuell auch noch herauszufidnen, ob es der Angeklagte überhaupt gewesen sein kann oder ob er keinesfalls die Tat begangen hat. Die dennoch (tatsächlich/moralisch etc.) bestehenden Unterschiede zwischen Freisprüchen können Gerichte durch entsprechende Formulierungen ausdrücken. Wenn z.B. trotz des eingeschränklten Programms  herauskommt, dass der Angeklagte erwiesenermaßen keine Straftat begangen hat (etwa weil ein anderer für die Tat verantwortlich ist oder weil es gar keine Tat gibt), dann ist es immerhin für den Angeklagten eine Genugtuung, wenn das auch im Urteil mitgeteilt wird. Umgekehrt halte ich es für fragwürdig, in das Urteil hineinzuschreiben, es sei "nur" in dubio pro reo ergangen.

Die "Schuldunfähigkeit" als Freispruchgrund hat allerdings durchaus rechtliche Bedeutung, weil noch Maßregeln in Betracht kommen. Zudem ist, auch wenn die Schuld fehlt, die Feststellung einer rechtswidrigen Straftat wichtig für evtl. Betetiligte an der Tat des schuldlos Handelnden.

 

Geht dieser blog weiter oder nicht?

Sehr geehrter Herr Prof. Müller: Nachdem das Urteil erledigt ist stellt sich Frage, ob das Blogthema erweitert wird zum Thema Freilassung von Ulvi Kulac oder nicht bzw. evtl. als eigener blog?

 

Herr Dr. Sponsel, sind Ihnen Akten bekannt, auf deren Grundlage man diskutieren könnte?

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@R.Sponsel:
Nachdem sich der Wiederaufnahmeantrag nur auf die Verurteilung wegen Mordes bezog und Ulvi K diese Strafe niemals verbüßt hat, sondern wegen Taten einsitzt, wegen derer ihn sogar seine Mutter angezeigt hatte:Machen Sie doch Ihren eigenen Justizkriminalitäts-blog auf.

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Vielleicht muss sich auch unter Ermittlern und Juristen noch die eigentlich selbstverständliche Erkenntnis durchsetzen, dass ein Geständnis nicht immer das Nonplusultra ist und allein die Tatsache, dass der Angeklagte seine Schuld zugegeben hat, noch nicht zwangsläufig zur Verurteilung führen darf. Die Drucksituation, unter der jemand steht, der wegen einer schweren Straftat vernommen wird, führt häufig dazu, dass er lieber das sagt, was die Gegenseite hören will.

Siehe auch hier: http://sie-hoeren-von-meinem-anwalt.de/2014/05/fall-peggy-welchen-beweis...

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Dass hier immer so getan wird, als seien justizielle Fehlentscheidungen generell unbeabsichtigt,  ist spätestens seit dem Fall Mollath nicht mehr akzeptabel.

 

Ganz offensichtlich gibt es Situationen, in denen Ermittler, Gutachter, Staatsanwälte und Richter dolos auf Ergebnisse hinarbeiten, die mit der Sach- und Rechtslage in Wahrheit nicht übereinstimmen, und die Arroganz und Sewlbstverständlichkeit,  mit der entsprechendes Verhalten praktiziert wird, lassen die Gewohnheit und das Fehlen jeden Schuldbewusstseins insofern  erkennen.

 

Diese Zustände zu verklären, kann und darf nicht die Lösung sein. Hier ist vielmehr zu analysieren, Ursachenforschung zu betreiben, um dann den Ursachen für dieses absolut nicht akzeptable Verhalten entgegenzutreten.

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@ Gast #35

Ja, ganz sicher gibt es diese Situationen, in denen sich Verantwortliche von sachfremden Motiven leiten lassen und ganz sicher funktionieren die Kontrollen oft genug nicht.

Aber dass "hier immer so getan wird, als seien justizielle Fehlentscheidungen generell unbeabsichtigt", kann ich nicht erkennen, am wenigsten bei der ausführlichen Diskussion des von Ihnen erwähnten Falles Mollath, der infolge des Engagements von Report Mainz, RA Strate und der SZ überwiegend als Ergebnis einer fortgesetzten Manipulation wahrgenommen wird. Hier ist es sehr viel anstrengender, den Standpunkt zu vertreten, dass die Verfahren vor dem Amtsgericht unter rechtsstaatlichen Aspekten wohl nicht zu beanstanden sind. Wenn man akzeptiert, dass sich in diesem Fall Korrektes und Manipulatives zueinander gesellen, ist es besonders schwer, diesen Fall zu verstehen und weitreichende Aussagen zu treffen. Und was die Aufdeckung des dolosen Elements angeht, bin ich wenig optimistisch, denn es ist gerade nicht die Eigenschaft des Dolosen, dass es eine Gebrauchsanweisung zu dessen Auflösung mitliefert. Wir wissen ja noch nicht einmal ganz genau, welches Verhalten welchen Akteurs in welcher Weise inakzeptabel ist, wie sollen wir dann Ursachenforschung betreiben?

Im besten Fall wird die bevorstehende Hauptverhandlung eine zufriedenstellende Sachaufklärung leisten und Anlass geben, die bisherigen Einschätzungen zu Schuld und Veratwortung und deren Ursachen zu überdenken.

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@ Gast #36. Sie empfehlen hier die Akzeptanz des Unerträglichen, bauen dabei auf der (falschen) These, der Vorsatz sei im Falle justizieller Entgleisungen nicht nachweisbar. Wirklich nicht? Wieso denn gerade in diesem Falle nicht, in anderen aber doch? Ihren Ausführungen folgend dürfte man nur noch wegen Fahrlässigkeitsstraftaten verurteilen.

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@ Gast #37

"Sie empfehlen hier die Akzeptanz des Unerträglichen, bauen dabei auf der (falschen) These, der Vorsatz sei im Falle justizieller Entgleisungen nicht nachweisbar."

Das ist Ihre Interpretation, gewiss nicht meine Empfehlung, auch nicht meine These.

Was man allerdings akzeptieren muss, ist die Diskrepanz zwischen persönlicher bzw. öffentlicher Aufarbeitung des Falles auf der einen und juristischer Aufarbeitung auf der anderen Seite.

Nun kann man die juristische Parallelwelt beklagen, man kann aber auch viel über die Justiz und rechtsstaatliche Prinzipien lernen. Beispielsweise, dass Anschuldigungen auch bewiesen werden müssen. Und gerade das dürfte im Fall der für die "Verräumung" Mollaths Verantwortlichen schwierig werden. Die schlüssige Interpretation der Akten, flankiert von öffentlicher Empörung, reicht wohl nicht für eine Verurteilung, man braucht schon Beweise und belastbare Motive.

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Ulvi Kulac: Bayreuther Justizpsychiatrie unfähig ? Nicht nach 3, sondern nach 13 Jahren immer noch nicht therapiert?
"Neuer Anwalt soll Ulvi K. helfen  Unterstützergruppe will eine schnelle Freilassung ? BAYREUTH — Die Betreuerin des geistig Behinderten Ulvi K. will mit einem neuen Verteidiger die schnellstmögliche Entlassung ihres Schützlings aus der Psychiatrie erreichen." - so die Nürnberger
Nachrichten (NN) am 4.11.2014, S. 14. "Schnellstmöglich" nach 13 Jahren, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen? Man kann oder muss sich natürlich an dieser Stelle fragen, wenn eine forensische Psychiatrie für einen solchen Fall von (schuldunfähigem) Exhibitionismus/ Kindesmissbrauch nicht 3, sondern 13 Jahre zur Therapie braucht, ob man eine solche Stätte der Unfähigkeit oder
Unwilligkeit nicht besser gleich schließt. Und dass noch nicht einmal ein gelernter Jurist und Richter erkennt, dass dies mit
Verhältnismäßigkeit nicht das Geringste zu tun haben kann, ist nicht minder erschreckend.

http://www.sgipt.org/medppp/NadP.htm#Ulvi%20Kulac:%20Bayreuther%20Justizpsychiatrie%20unf%C3%A4hig

 

Aber Herr Dr. Sponsel,

Quote:
wenn eine forensische Psychiatrie ... nicht 3, sondern 13 Jahre zur Therapie braucht, ob man eine solche Stätte der Unfähigkeit oder Unwilligkeit nicht besser gleich schließt.
Damit unterstellen Sie eine Therapierbarkeit.

Ist diese im vorliegenden Fall denn gegeben?

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Die für die Taten wohl  mitursächliche Intelligenzminderung ist meist  nicht so gut therapierbar, vor allem, wenn/weil sie organische Ursachen hat, aber vielleicht hat Herr Sponsel ja eine Wundertherapie  gefunden, die Kulacs frühkindliche  durch Meningitis entstandene Hirnschäden beseitigt?

Ach so, die unfähigen Richter und Staatsanwälte könnten bei Nicht/schwerer Therapierbarkeit, je nachdem, inwieweit die Fälle vergleichbar sind, z.B. auch auf 2 BvR 708/12 verweisen. Dort wurden fast 20 Jahre im Ergebnis nicht beanstandet und die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

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13 Jahre genügen Bayreuth nicht - na ja, 100.000 bringt ein 63er pro Jahr ...

#40, Ramon, 05.11.2014

Die Therapierbarkeit ("Besserung") unterstellen das BKH Bayreuth - neben dem Gesetz und den Gutachtern - , ohne es anscheinend wirklich zu können, denn 13 Jahre genügen offenbar nicht. Vielleicht hat man dort 30 oder 130 ;-)  Jahre im Auge. Immerhin bringt ein "63er" rund 100.000 Euro pro Jahr. Und wenn man nicht "bessert" (therapiert), nur verwahrt, rechnet sich das noch viel besser. Möglicherweise ist verwahren ja die spezielle "Kompetenz" einiger forensischen Psychiatrien, z.B. die bayerischen Vorzeigeanstalten Bayreuth oder Taufkirchen.

Überragende Fortschritte - obwohl man sich wie üblich nicht einig ist in der Forensischen Psychiatrie

#41, gaestchen, 5.11.2014

Geistig behinderte StratäterInnen sind zweifellos eine besondere Herausforderung an die forensische Psychiatrie. Daher muss natürlich gefragt werden, ob Bayreuth überhaupt dafür geeignet ist, da sie ja nicht einmal in 13 Jahren fertig werden, obwohl jeder unbefangene Sachkundige, ohne Mühe feststellen kann, dass Ulvi Kulac überragende Fortschritte gemacht hat (womöglich trotz forensisch-psychiatrischer Inkompetenz?). Allerdings ist die Herkunft der Intelligenzminderung ohne Belang. Denn es geht ja nicht darum, aus einem IQ von 70 einen von 90 zu machen. Im übrigen behauptete Kröber - entgegen der Familie und Betreuerin - nach Aktenanalyse: "Im Alter von zwei Jahren und zwei Monaten war der Proband zwar an einer durch Meningokokken bedingten Hirnhautentzündung (Meningitis) erkrankt und wurde fast sechs Wochen vom 21.02. bis 01.04.1980 stationär im Kinderkrankenhaus behandelt. Bereits nach der ersten Woche war unter Penicillin-Behandlung eine deutliche Besserung eingetreten, diese Erkrankung ist auch [> GA Kräöber 2002, S.111] nach späteren kinderärztlichen Nachuntersuchungen folgenlos ausgeheilt. Es ist dies auch der typische, gutartige Verlauf bei Entzündungen der Hirnhaut (nicht zu verwechseln mit der Hirnentzündung, der Enzephalitis, die oftmals mit Restschäden ausheilt). Mehrere Nachuntersuchungen, zuletzt noch im September 1983, waren ohne Hinweise auf Erkrankungsfolgen (siehe dies Gutachten S. 8)."

Herr Dr. Sponsel,

Quote:
Die Therapierbarkeit ("Besserung") unterstellen das BKH Bayreuth - neben dem Gesetz und den Gutachtern - , ohne es anscheinend wirklich zu können, denn 13 Jahre genügen offenbar nicht.
Sie behaupten also lieber die Unfähigkeit der Klinik anstatt eine nicht existente oder schwierige Therapierbarkeit eines Geistig Behinderten auch nur in Erwägung zu ziehen?

Quote:
Immerhin bringt ein "63er" rund 100.000 Euro pro Jahr. Und wenn man nicht "bessert" (therapiert), nur verwahrt, rechnet sich das noch viel besser.
Ich kann mir nicht helfen, aber mit so einer Unterstellung disqualifizieren Sie sich meiner Meinung nach erneut. Mit dieser "Meinung", die Sie als Fachwissen verkaufen, wollen Sie ernsthaft objektive, wissenschaftlichen Maßstäben genügende Beurteilungen über Fachleute abgeben? Und das Ergebnis ist seltsamerweise unabhängig von Gutachter, Fall oder Patient immer dasselbe. Fällt nur mir das auf?

 

Quote:
Geistig behinderte StratäterInnen sind zweifellos eine besondere Herausforderung an die forensische Psychiatrie. Daher muss natürlich gefragt werden, ob Bayreuth überhaupt dafür geeignet ist, da sie ja nicht einmal in 13 Jahren fertig werden, obwohl jeder unbefangene Sachkundige, ohne Mühe feststellen kann, dass Ulvi Kulac überragende Fortschritte gemacht hat (womöglich trotz forensisch-psychiatrischer Inkompetenz?)
Immerhin erkennen Sie selbst die Unlogik in ihrer Argumentation. Entweder der Patient hat "überragende Fortschritte" gemacht oder aber die Klinik ist inkompetent. Oder wurde Ulvi in der Klinikcafete durch seinen Besuch "therapiert"?
Dass Ulvi weder überragende Fortschritte gemacht hat (wir reden ja hauptsächlich von Fortschritten bzgl. der Kontrolle seines Sexualtriebes) und deshalb nicht für ein Leben in Freiheit geeignet ist oder dass Therapieerfolge generell nie garantiert sind, diese Möglichkeiten unterschlagen Sie vollständig.

 

Quote:
obwohl jeder unbefangene Sachkundige, ohne Mühe feststellen kann, dass Ulvi Kulac überragende Fortschritte gemacht hat
Sehen Sie sich selbst als unbefangen und sachkundig in dieser Sache?

 

 

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@R. Sponsel #42: Wenn Sie meinen, dass das Gesetz eine Therapierbarkeit unterstelle/voraussetze, liegen Sie falsch.
Therapierbarkeit ist für eine Unterbringung nach § 63 StGB eben nicht erforderlich (anders als bei § 64 StGB). Leuchtet auch ein. Sonst könnte jeder untherapierbar psychisch kranke schuldunfähige Massenmörder frei herumlaufen. Sicherungsverwahrung geht nämlich nur neben Freiheitsstrafe oder aber als nachträgliche nach Erledigung einer 63er-Unterbringung. Für § 63 kommt es primär auf die Gefährlichkeitsprognose und die Schwere der zu erwartenden Strafaten an. 

Danke für den Hinweis auf das Kröber-Gutachten und die Ausführungen zur Meningitis. Was ist denn laut Kröber oder anderen im Prozess eingeholten Sachverständigengutachten die Ursache der Intelligenzminderung und was die Ursache der eingeschränkten/aufgehobenen Schuldfähigkeit bei den Missbrauchstaten? Bei Wikipedia wird nur auf eine "frühkindliche Hirnhautentzündung" als Ursache verwiesen.

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Grundinformation Ulvi Kulacs Behandlung im BKH Bayreuth: 4808 Tage.

Das BKH Bayreuth schreibt in seinen Jahresgutachten nach § 67e StGB regelmäßig in seiner Einleitung:

"mit Urteil des Landgerichts Hof vom 30.04.2004, rechtskräftig seit dem 26.01.2005, wurde Herr Kulac wegen Mordes aufgrund vollständiger Schuldfähigkeit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig wurde die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB in Verbindung mit § 20 StGB wegen wiederholtem sexuellen Missbrauchs von Kindern angeordnet. Bereits seit dem 07.09.2001 ist Herr Kulac — zunächst in vorläufiger Unterbringung gemäß § 126 a StPO — in der Klinik für Forensische Psychia­trie des Bezirkskrankenhauses Bayreuth untergebracht. Seit dem 21.04.2004 wird er kon­tinuierlich auf einer geschlossenen forensischen Station behandelt, die speziell für Patienten mit einer Intelligenzminderung/Lernbehinderung und/oder Entwicklungs­rückständen konzi­piert ist."

    Vom 07.09.2001 bis heute, 6.11.2014, sind es 4808 Tage. Gibt man ein halbes Jahr am Anfang dazu, also seit 7.3.2002, so sind es 4627 Tage. Und seit dem 21.04.2004 wird er sogar auf einer Spezialstation "kontinuierlich" behandelt, also seit 3851 Tagen.

Herr Dr. Sponsel,

worauf wollen Sie denn mit Ihrem letzten Beitrag hinaus?

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13 Jahre und 64 Tage

Frank3 schrieb:

Herr Dr. Sponsel,

worauf wollen Sie denn mit Ihrem letzten Beitrag hinaus?

Ich schlage vor, Sie versuchen es mit Lesen. Vielleicht hilft auch ein anderes Format:
http://www.sgipt.org/forpsy/Kulac/BZK-Freilassung/UK_frei.htm

Heute sind es übrigens 4812 Tage seit 7.9.2001 und für die spezielle, hochprofessionelle Kompetenzbehandlung "für Patienten mit einer Intelligenzminderung/Lernbehinderung und/oder Entwicklungs­rückständen" 3855 Tage.

   13 Jahre und 64 Tage ist sicher vorsichtiger Ausdruck Bayerischer Verhältnismäßigkeitsvorstellungen, vermutlich deshalb, weil Ulvi Kulac, nachdem er wegen Mordes im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen wurde, seine besondere Gefährlichkeit nun erst recht entfalten konnte.

@ Frank3:

Fällt Ihnen der Widerspruch im Bayreuther "Gutachten" zwischen "vollständiger Schuldfähigkeit" und Unterbringung nach § 63 ivM § 20 StGB denn nicht auf?

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Herr Dr. Sponsel,

aus Ihrem Link:

Quote:
Ich bin seit über 30 Jahren - auch - forensisch tätig, ohne bis Frühajhr 2012 zu ahnen, was hierzulande in und mit der forensischen Psychiatrie und der Unterbringungsjustiz tatsächlich geschieht. Die Oberflächlichkeit, der Murks und Pfusch ist von einem Ausmaß und verstößt derartig gegen grundlegende Regeln, dass nicht weiter weggeschaut und geschwiegen werden darf. Mängel und Fehler, die begründet und nachvollziehbar aufgezeigt werden bleiben solche, egal durch welchen Bürger oder Menschen sie aufgedeckt werden. Deshalb sind Sachverständige auch als Bürger und Menschen gefordert. So kann und darf es nicht weiter gehen.

Das bringt es ziemlich deutlich auf den Punkt. Das ist Ihr Startpunkt für Ihre wissenschaftlich-unabhängige Gutachen. Sie wissen schon zuvor, was hinten rauskommen muss und wird.
Genau das missfällt mir.

Quote:
13 Jahre und 64 Tage ist sicher vorsichtiger Ausdruck Bayerischer Verhältnismäßigkeitsvorstellungen
Lassen Sie uns doch mal ganz offen sein: dieser Mann hat trotz aller Maßnahmen seinen Sexualtrieb nicht unter Kontrolle und das geht zu Lasten Dritter. So war das damals und so ist das offenbar noch heute. Zu diesem Schluss kommen mehrere Gutachten, erst kürzlich das mit allem Wohlwollen des Gerichts neu in Auftrag gegebene und unabhängige Gutachten, das eine weitere Unterbringung empfiehlt. Da war das Mordurteil schon vom Tisch.

Sie setzen wie der neue Anwalt auf das letzte verbleibene Argument - die Verhältnismäßigkeit. Dabei werden Äpfel mit Birnen verglichen. Eine Haftstrafe wird verglichen mit einem Klinikaufenthalt. Nur ist für eine Haftstrafe eine gegebene Schuldfähigkeit vonnöten, hier setzt man auf Einsicht und Reue. Bei der Unterbringung nach $63 ist die Therapie der Schlüssel zur Wiedereingliederung. Ist eine Therapie nicht erfolgreich so bedeutet das, es geht noch immer eine Gefahr von dem jeweiligen Patienten aus. Solange diese Gefahr besteht darf der Patient nicht raus. Da geht es um keine Verhältnismäßigkeit der Unterbringungsdauer, die es schlichtweg nicht gibt. Es geht allein darum, dass die Gefahr gebannt wird.
Wo ist in Ihren Überlegungen Platz für die Opfer? Die bisherigen und die zukünftigen? Verdienen die keinen Schutz?

Ulvi Kulac geht es in der Klinik gut, er bekommt eine so umfassende Betreuung, wie er sie niemals in Freiheit erhalten kann.

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