Spanisches Gericht stoppt Betriebsstilllegung ohne vorherige Konsultation

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 23.04.2014

Der Automobilzulieferer Tenneco darf sein Werk im spanischen Gijon nicht schließen, bevor er den Europäischen Betriebsrat und die lokale Arbeitnehmervertretung ordnungsgemäß konsultiert hat (Art. 5 RL 2009/38/EG und darauf basierende nationale spanische Vorschriften). Das hat der Oberste Gerichtshof der nordspanischen Provinz Asturien in Oviedo entschieden (hier das Urteil in spanischer Sprache).

Konsultationsverfahren nach der Richtlinie über Europäische Betriebsräte (EBR-Richtlinie 2009/38/EG)

Die sog. EBR-Richtlinie sieht vor, dass ein Unternehmen (seine "zentrale Leitung") den Europäischen Betriebsrat über bestimmte Maßnahmen unterrichten und ihn anhören muss. "Die Modalitäten der Unterrichtung und Anhörung werden so festgelegt und angewandt, dass ihre Wirksamkeit gewährleistet ist und eine effiziente Beschlussfassung des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe ermöglicht wird" (Art. 1 Abs. 2 Satz 2 RL 2009/38/EG). Zu bilden ist ein "besonderes Verhandlungsgremium" der betroffenen Arbeitnehmervertretungen, das mit der zentralen Leitung des Unternehmens zu einer Vereinbarung über die Betriebsänderung gelangen soll (Art. 6 RL 2009/38/EG).

Beschluss über die Werksstilllegung in der US-Konzernzentrale ohne vorherige Konsultation in Europa gefällt

Zur Überzeugung des Gerichtshofs war der Beschluss, das Tenneco-Werk in Gijon zu schließen, bereits im September 2013 in der Konzernzentrale des Unternehmens in den USA gefallen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Konsultation der europäischen Arbeitnehmervertreter noch nicht einmal begonnen. Später erklärte sich die Werksleitung zwar bereit, eine vom Betriebsrat vorgeschlagene Beratungsfirma hinzuzuziehen; Alternativen zur Schließung des Werkes wurden aber nicht ernsthaft diskutiert. Damit hatte Tenneco gegen das auf der EBR-Richtlinie basierende spanische Recht verstoßen. Ist der Stilllegungsbeschluss bereits endgültig und unwiderruflich gefasst, sind Konsultationen mit den Arbeitnehmervertretern sinnlos und damit unwirksam. Ohne eine wirksame Konsultation darf aber keine Entlassung stattfinden. Aus diesem Grund hat das Gericht angeordnet, dass bis spätestens 25.4.2014 die Produktion wieder aufzunehmen ist und für die Zeit seit dem Produktionsstopp am 23.12.2013 alle Löhne nachzuzahlen sind.

In einer gesonderten Entscheidung vom 21.4.2014 hat der Gerichtshof zudem den Abtransport von Maschinen und Anlagen aus dem Werk gestoppt.

Weitere interessante Informationen über Europäische Betriebsräte und ihre Aufgaben finden Sie hier. Den Hinweis auf das vorgestellte Urteil verdanke ich dem aktuellen Newsletter dieses Netzwerks.

Wenn ich die spanischen Zeitungsberichte richtig verstehe, hat Tenneco seine Entscheidung über die Stilllegung inzwischen revidiert und wird das Werk in Gijon - wenn auch mit verkleinerter Belegschaft - weiter fortführen.

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2 Kommentare

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Eine Interessante Entscheidung,

 

insbesondere im Hinblick auf die Anordnung, die Produktion wieder aufzunehmen. Auf welcher Rechtsgrundlage basiert diese Anorndung ? Aus dem deutschen Recht sind mir nur Nachteilsausgleichsansprüche bekannt, die als Sanktion für unterlassene Kosnultation drohen, evtl. auch ein Unterlassungsanspruch bezüglich der Maßnahme (Stillegung des Betriebes) aber würde man diesen soweit ziehen können, dass tatsächlich eine (u.U. mit hohem Kosten verbundene) vollständige Wiederaufnahme der Produktion (von möglicherweise sogar mittlerweile obsolet gewordenen Gütern) gerichtlich anordnen könnte ?

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@ Henry

Mein Spanisch ist nicht besonders gut. Aber wenn ich die Entscheidung richtig verstehe (Urteilsgründe ab S. 11 unten der verlinkten Entscheidung) stützt sich das Gericht sich vornehmlich auf Art. 51.2 des spanischen Arbeitsgesetzbuchs (Estatuto de los Trabajadores). Dort ist das Konsultationsverfahren, wie es in der RL 2009/38/EG vorgesehen ist, im nationalen Recht implementiert. Das Gericht zitiert (S. 12, 3. Absatz am Ende) ausdrücklich aus der Bestimmung, in der es sinngemäß heißt: "Während der Kosultationsperiode verhandeln die Parteien vertrauensvoll und mit dem Ziel, zu einer Vereinbarung zu gelangen."

Dem entnimmt das Gericht im Folgenden, dass der Arbeitgeber nicht schon vor Abschluss der Konsultationen einen endgültigen Beschluss gefasst haben dürfe, da das Konsultationsverfahren sonst sinnlos sei. Ein solcher Beschluss sei rechtsunwirksam, er könne auch nicht durch ein nachträgliches Verfahren geheilt werden. Das Gericht bezieht sich dabei auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 27.5.2013.

Im deutschen Recht ist seit langem umstritten, ob der Betriebsrat bei Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte bei Betriebsänderungen (§§ 111 ff. BetrVG) einen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber hat. Manche LAG's bejahen ihn, manche nicht. Da es sich vielfach um Verfahren der einstweiligen Verfügung handelt, ist die Rechtsbeschwerde zum BAG nicht eröffnet. Wohl auch deswegen gibt es bis heute keine klare BAG-Entscheidung hierzu. (Der "berühmte" Beschluss vom 3.5.1994 - 1 ABR 24/93, NZA 1995, 40, betrifft nur die sozialen Angelegenheiten des § 87 BetrVG, nicht die wirtschaftlichen der §§ 106 ff. BetrVG).

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