Basiswissen StPO: Der Auslandszeuge als Gegenstand des Beweisantrags

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.04.2014
Rechtsgebiete: BGHAuslandszeugeStrafrechtVerkehrsrecht3|6716 Aufrufe

Ja, der Auslandszeuge ist immer wieder gern gewähltes Verteidigungsmittel. Natürlich ist es immer schwer für das Gericht, den zu bekommen. Die StPO ist da aber mal wieder toll und regelt auch den Umgang mit dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen. Hier musste sich der BGH mit der Thematik befassen:

Die Rüge, das Landgericht habe bei der auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützten Zurückweisung eines Beweisantrages auf Einvernahme der Zeugin B. gegen Verfahrensrecht verstoßen, ist jedenfalls unbegründet.
a) Nach dem Revisionsvorbringen stellte der Verteidiger des Angeklagten am 14. Verhandlungstag den Antrag, die in C. /Tschechien zu la- dende Zeugin B. zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass sich der Angeklagte am 24. November 2010 um 14.30 Uhr in C. befunden habe. Die Zeugin werde bestätigen, dass sich der Angeklagte am angegebenen Tag, also auch zum Tatzeitpunkt, bei ihr aufgehalten habe. Mit Beschluss vom selben Tag lehnte das Landgericht die beantragte Beweiserhebung gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO ab und führte zur Begründung aus, dass es aufgrund des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt sei, dass der Angeklagte am Tattag in B. vor Ort und an dem Geschehen beteiligt war. Im Anschluss daran stellte das Landgericht das bisherige Beweisergebnis dar und führte abschließend aus, dass nach einer Gesamtwürdigung dieser Be-weismittel keine Veranlassung bestehe, die erst jetzt benannte Auslandszeugin zu laden und zu hören, da ihre Vernehmung keinen Einfluss auf die Überzeu-gungsbildung haben könne.

b) Diese Verfahrensweise hält rechtlicher Überprüfung stand.

aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein auf die Vernehmung eines Auslandszeugen gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Be-weiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 244 Abs. 2 StPO). Dabei ist das Gericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entschei-dung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Be-weisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags, als auch der in der bisherigen Beweisaufnah-me angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist eine Ablehnung des Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden (st. Rspr.; vgl. BGH, Be-schluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 401/10, NStZ-RR 2011, 116, 117; Be-schluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349, 350; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 62; weitere Nachweise bei Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 356). In dem hierfür erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 StPO) müssen die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller mög-lich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen und das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Antragsablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalles erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2010 – 1 StR 644/09, wistra 2010, 410, 411; Urteil vom 18. Januar 1994 – 1 StR 745/93, BGHSt 40, 60, 63; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 359).

bb) Diesen Anforderungen wird der angegriffene Ablehnungsbeschluss gerecht.

(1) Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 StPO, die Beweisaufnahme zur Er-forschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Be-weismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines Auslandszeugen nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweili-gen Besonderheiten des Einzelfalles beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter Beweisgrundlage eher von der Vernehmung des Auslandszeugen abgesehen werden kann. Dagegen wird die Vernehmung des Auslandszeugen umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden wer-den müssen; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349, 351; Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 357 mwN).
(2) Daran gemessen hat das Landgericht hier die Grenzen zulässiger antizipatorischer Beurteilung nicht überschritten.
Das Landgericht, das ersichtlich davon ausgegangen ist, dass die Zeugin B. die in ihr Wissen gestellte Beweisbehauptung bestätigen werde, hat in den Beschlussgründen die von ihm bisher erhobenen Beweise im Einzelnen dargestellt, deren Aussagekraft ausführlich erörtert und auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung verdeutlicht, warum seine Überzeugung von der Anwesenheit des Angeklagten am Tatort soweit gesichert ist, dass sie durch eine gegenteilige – auf einen Alibibeweis abzielende – Zeugenaussage nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt werden kann. Dabei hat es nicht nur auf die Aussage des Nebenklägers abgestellt, sondern weitere Indizien von Gewicht (aufge-zeichnetes Gespräch des Angeklagten mit dem Zeugen S. , spontane An- gaben des Nebenklägers gegenüber der Polizei am Tatort, Verwendung des Pkw des Angeklagten zur Tatbegehung) herangezogen. Die dazu angestellten Erwägungen sind tragfähig und nachvollziehbar. Zwingend brauchen sie nicht zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NStZ 2005, 701 Rn. 12).
Eine besondere Beweissituation, der durch die Anlegung eines strengeren Maßstabes an die Ablehnung des Beweisantrages Rechnung zu tragen ge-wesen wäre, lag nicht vor. Der den Angeklagten durch seine Angaben belas-tende Nebenkläger stand in der Hauptverhandlung für eine konfrontative Befra-gung (Art. 6 Abs. 3d MRK) zur Verfügung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 5 StR 401/13, NStZ 2014, 51). Weder die verfahrensgegenständliche Tat noch die Beweisführung weisen einen die Verteidigung erschwe-renden besonderen Auslandsbezug auf (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 – 3 StR 274/09, BGHSt 55, 11 Rn. 37). Schließlich ist auch nicht von einer typischen Aussage-gegen-Aussage-Konstellation auszugehen, bei der ein seine Schuld im Kern bestreitender Angeklagter allein durch die Aussage eines einzelnen Zeugen belastet wird und objektive Beweisumstände fehlen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. April 2003 – 3 StR 181/02, NStZ 2003, 498, 499; Beschluss vom 18. Juni 1997 – 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; Beschluss vom 22. April 1987 – 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1).

(3) Soweit das Landgericht in seinem Ablehnungsbeschluss berücksichtigt hat, dass der Beweisantrag zu einem späten Zeitpunkt („erst jetzt benannte Auslandszeugin“) gestellt worden ist, macht dies seine Entscheidung nicht rechtsfehlerhaft. Zwar hatte sich der Angeklagte – wie sich aus den auf die Sachrüge hin zu beachtenden Urteilsgründen ergibt – bis zur Antragstellung noch nicht zum Tatvorwurf geäußert, sodass aus dem Umstand, dass die dem Beweisbegehren zugrunde liegende Alibibehauptung nicht früher aufgestellt worden ist, keine Schlüsse zu seinem Nachteil gezogen werden durften (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2009 – 3 StR 80/09, NStZ 2009, 705; Beschluss vom 23. Oktober 2001 – 1 StR 415/01, NStZ 2002, 161, 162; Urteil vom 25. April 1989 – 1 StR 97/89, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 10; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 213; Rose, NStZ 2012, 18, 24), doch vermag der Senat auszuschließen, dass es sich bei dieser Erwägung um einen die Ablehnungsentscheidung tragenden Gedanken handelt.
(4) Da das Landgericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass eine Ein-vernahme der Zeugin für die Sachaufklärung nicht notwendig ist, war es – entgegen der Auffassung des Revisionsführers – nicht gehalten, eine Ladung der Zeugin zu versuchen oder Vernehmungsalternativen zu prüfen. Denn mit der Ablehnung nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO entfällt die Pflicht, sich um den Zeugen weiter zu bemühen. Der Tatrichter hat auch nicht mehr zu prüfen, ob eine Vernehmung im Wege der Rechtshilfe möglich ist. Es entfällt auch die Entscheidung, ob im Rahmen des erweiterten Erreichbarkeitsbegriffs (vgl. Becker in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 259 mwN) eine Vernehmung in der Hauptverhandlung durch eine Vernehmung im Ausland im Wege der Videokonferenz nach § 247a StPO ersetzt werden kann (BGH, Beschluss vom 5. September 2000 – 1 StR 325/00, BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Aus-landszeuge 9; Beschluss vom 21. August 2007 – 3 StR 238/07, NStZ 2009, 168, 169).

BGH, Urteil  vom 13.3.2014 - 4 StR 445/13 

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3 Kommentare

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Wenn eine Tatsacheninstanz aufgrund einer negativen vorgefassten Meinung gegen den Angeklagten die Ladung und Vernehmung eines Entlastungszeugen ablehnt, dann halte ich dies für sehr bedenklich.

Der Wahrheitsfindung würde dienen, den Entlastungszeugen zu laden und zu hören.

Von vorneherein zu sagen, daß man ihm sowieso nicht glauben würde, erscheint nicht nur rechtlich bedenklich, sondern auch logisch und wissenschaftlich zweifelhaft, da man objektiv betrachtet wohl niemals mit 100%tiger Sicherheit vorhersagen kann, ob eine entlastende Zeugenaussage nicht vielleicht doch den Tatverdacht entkräften wird (auch wenn das Gericht im vorhinein damit nicht rechnet).

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Keine Bedürfnisse, Entlastungszeugen zu laden und anzuhören, sehen derzeit auch die Strafgerichte in Ägypten.

Vielleicht nähern wir uns allmählich deren Verhältnissen an ... ?

Ich glaube nicht, daß da alle dagegen wären ...

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@Stefan:

Die Vorschrift gibt es schon seit längerem in der StPO. Die Ablehnung setzt eben voraus, dass die bisherige Beweisaufnahme bestimmte Ergebnisse erbracht hat und erlaubt ausnahmsweise eine vorweggenommene Beweiswürdigung. Hintergrund ist u.a., dass gelegentlich  nach langen Beweisaufnahmen plötzlich gerne Zeugen aus Verwandtschaft und/oder Milieu benannt werden, die ein Alibi bezeugen sollen. z.B. die  Großmutter in den albanischen Bergen dafür, dass der Angeklagte zur Tatzeit mit ihr die schönsten Reden Enver Hodschas im Fernsehen betrachtet hat.  Ganz so einfach kann man die Vernehmung eines Entlastungszeugen aber nun auch wieder nicht ablehnen, wie z.B. die Entscheidung 1 StR 244/09 des BGH zeigt.

Vor Kurzem war in der ZRP ein Aufsatz über mögliche StPO-Reformansätze zur Hauptverhandlung. Der begann damit, dass der Autor feststellte, der Hamburger "Piraten-Prozess" gegen ein paar Somalier habe etwa 100 Tage Verhandlung in Anspruch genommen (inklusive Anträge auf Vernehmung von Auslandszeugen aus Indien....; das Urteil ist auf rechtsprechung-hamburg.de abrufbar). Eine gleichartige Sache sei in Frankreich in 3 Wochen verhandelt worden. So viel zum rechtsstaatlich betriebenen Aufwand..

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