Pistorius-Verteidigung am Wendepunkt?

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 27.05.2014

Seit vielen Wochen wird auch in Deutschland mit großem Interesse der Prozess des Paralympics-Stars Oscar Pistorius verfolgt. Bislang war seitens der Verteidigung nicht die Rede davon, dass der Angeklagte für die tödlichen Schüsse auf seine Freundin nicht verantwortlich sei.  Die Verteidigung verfolgte zunächst die These, der Mandant habe in Panik gehandelt und gegenüber seiner Freundin ohne Tötungsabsicht gehandelt. Aber dann beschrieb sich der Angeklagte selbst als ein psychisches Wrack, den Schlaflosigkeit und Albträume plagen und der Antidepressiva nehmen müsse. Dieser Wechsel in der Verteidigungsstrategie brachte Pistorius in die missliche Lage, einen Monat lang auf Antrag der Staatsanwaltschaft psychiatrisch untersucht zu werden.

War dieser Schachzug eine kluge Verteidigungsstrategie?

Wie die Medien heute berichten, hat die Untersuchung gestern in der Früh als Tagespatient im Weskoppies Psychiatric Hospital in Pretoria begonnen. Jeweils am späten Nachmittag darf Pistorius nach Hause zurückkehren.

Die  psychiatrische Untersuchung  enthält für die Verteidigung gravierende Unsicherheiten: Sie kann die  angeschlagene Glaubwürdigkeit des Angeklagten entscheidend erschüttern, sogar die volle Schuldfähigkeit bestätigen, aber ihn auch bei attestierter Schuldunfähigkeit für viele Jahre in die Psychiatrie bringen.

Die Verteidigungsstrategie könnte für Pistorius also bittere Konsequenzen haben! Ob diese Verteidigungsstrategie seines "ausgebufften" (die Formulierung, die man immer zu Beginn des Prozesses las) Verteidigers klug war, wird sich erst am Ende des Prozesses zeigen. Riskant ist sie aber auf jeden Fall!

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10 Kommentare

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Es gibt Verteidigerkollegen, die schwören auf psychiatrische Sachverständigengutachten. Die beantragen diese sogar ohne konkretes Beweisthema und reden dem Mandanten ein, das "gehöre eben dazu" und könne nur positiv sein. Ich habe noch kein einziges psychiatrisches Sachverständigengutachten gelesen, das sich positiv für den Mandanten ausgewirkt hätte.  Die Strafkammern wählen häufig mit Bedacht jene Sachverständigen aus, von denen Sie wissen, daß sie möglichst viel aus dem Angeklagten "herauskitzeln" und die offen formulierten oder vermuteten "Wünsche" des Gerichts und der Staatsanwaltschaft erfüllen werden. Die gefürchteten "Hofsachverständigen für alles", zu deren beruflichen Selbstverständnis es gehört, 95% ihres Einkommens mit Gutachten für ein und diesselbe Strafkammer zu erzielen und die im Gegenzug für botmäßige Gutachten Schutz vor jedem Befangenheitsantrag oder fachlichen Zweifeln genießen.

 

Durch ein Sachverständigengutachten entgleitet der Verteidigung zumeist völlig die Kontrolle über den Mandanten und die Verteidigungsstrategie.  Ich kann man Mandanten nur davon abraten, es sei denn, man möchte möglichst hart bestraft werden oder in die Psychiatrie oder gar in die Sicherungsverwahrung. Auf § 21 StGB darf man nicht spekulieren, zumal die Milderungsmöglichkeit im Ermessen des Gerichts steht und man überhaupt nicht kontrollieren kann, welche Strafe mit oder ohne Anwendung des § 21 StGB herausgekommen wäre.

 

Natürlich gibt es Ausnahmen, z.B. schwer drogen- oder alkoholabhängige oder psychisch schwer kranke Mandanten, bei denen es im wohlverstandenen Interesse des Angeklagten liegt, Hilfe zu erhalten, die vielleicht auch selbst eine Unterbringung dem Gefängnis vorziehen. Aber oftmals hilft ein SV-Gutachten nur dem Gericht und der Staatsanwaltschaft.

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Ich glaube, in Deutschland hätte man ihm auch nicht dazu geraten. Aber vielleicht ticken die Uhren in Südafrika diesbzgl. ja ganz anders? Eine spannende Frage.

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Im gestern nach sechswöchiger Unterbrechung fortgesetzten Prozess haben die Gutachter Oscar Pistorius für voll schuldfähig erklärt. Starverteidiger Barry Roux akzeptierte grundsätzlich die Gutachten, betonte aber, er müsse sie vor einer endgültigen Stellungnahme noch im einzelnen prüfen.

 

Nun droht dem 27-jährigen Paralympicsstar bei einem Schuldspruch eine lebenslange Haftstrafe, welche die Staatsanwaltschaft erstrebt.

 

Wie beiden Blogbeiträge ebenfalls schon anmerkten, hätte ich als Verteidiger dieses Faß nicht aufgemacht. Ob dies die zutreffende Sicht der Dinge ist, wird das Urteil zeigen.

Aus gegebenem Anlass ...

Ich muss sagen, dass das südafrikanische System der Urteilsverkündung - ausführliches Eingehen auf die Argumente der Anklage und Verteidigung sowie auf die Beweise und Zeugenaussagen vor der Urteilsverkündung - ein Maß an Transparenz aufweist, das man sich für deutsche Strafprozesse nur wünschen kann.

Ob es daran liegt, dass dort die HV protokolliert werden muss - also richtig, d.h. wortgetreu protokolliert und nicht nach Gusto des Gerichts.

Liveblogs u.a.:

The Guardian

CNN

Update: Mord (premeditated murder) oder Totschlag (murder without premeditation) nicht nachweisbar; Pisotrius hatte keine Tötungsabsicht als er auf die Tür schoss, aber handelte dabei "ungesetzlich" und nahm vorher bewusst die Waffe an sich. Bleiben als Möglichkeit Selbstverteidigung/Notwehr oder fahrlässige Tötung (culpable homicide).
Update: Pistorius' Handlungen waren nicht die eines verständigen Menschen ("reasonable man test"). Damit Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung sicher, noch kein Strafausspruch. Keine Mindeststrafe, Höchststrafe 15 Jahre - Urteilsverkündung wird morgen fortgesetzt. Weitere, noch nicht entschiedene Anklagepunkte: Abfeuern einer Waffe in der Öffentlichkeit (zwei Mal, Höchststrafe 5 Jahre) und illegaler Besitz von Munition (Höchststrafe 15 Jahre).

Nach ersten Berichten und Kommentaren hat die Richterin einen Eventualvorsatz bejaht, falls Reeva Steenkamp hinter der Tür gewesen wäre (dann wäre es Totschlag), aber für einen angenommenen Eindringling verneint - was ein Rechtsfehler wäre. Nach anderen Interpretationen ist das nicht der Fall.

Das wird die Staatsanwaltschaft nicht auf sich sitzen lassen. Denn die Richterin hat den Vorsatz rechtsfehlerhaft auf das Opfer beschränkt, obwohl Pistorius hinter der Tür einen Einbrecher vermutete. Dass er den Tod der Person hinter der Tür in Kauf nahm als er vier mal mit Hohlkörpermunition auf das winzige Badezimmer feuerte, kann nicht bestritten werden.

Möglich, dass das gleichzeitige Vorliegen von Putativnotwehr und Error in Persona die Richterin an ihre Grenzen geführt hat.

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Mich hat es überrascht, dass die Richterin trotz der gegebenen Örtlichkeit einen bedingten Tötungsvorsatz verneint. Bei (meiner Erinnerung nach) vier Schüssen spricht die in der Toilette herrschenden Enge in meinen Augen zunächst einmal dagegen!

Ich vermute auch, dass die Staatsanwaltschaft ins Rechtsmittel gehen wird.

Sehe ich nicht so, wenn man ein voluntatives Element verlangt. Dass vier, mangels Sichtkontakt ungezielte Schüsse auf diese Fläche tödlich enden, ist auch bei aufpilzender "Black Talon" Munition (in der Presse fälschlich als Splitter-Munition bezeichnet) keineswegs zwangsläufig, selbst wenn man drei Treffer als vorhersehbar ansieht, obwohl die Schüsse keine taktisch kluge Streuung erkennen lassen. Oder umgekehrt: Ich denke nicht, dass jemand mit Schusswaffenerfahrung nach diesen vier Schüssen fest davon ausgehen würde, die Person hinter der Tür getötet zu haben. Wie kann man dann aufgrund dieses Verhaltens jeden Zweifel über den Vorsatz ausräumen?
Andererseits schießen natürlich viele in Angst handelnde defensive Schützen die Waffe leer, was eine eigene Frage aufwirft.

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@ Gast

Allgemein zum Vorsatz

Unstreitig: Vorsatz in seiner stärksten Form als Absicht verlangt sowohl ein intellektuelles wie auch ein volontatives Element. 

Die h.M. (Rechtsprechung und ganz überwiegende Literatur) verlangen auch beim bedingten Vorsatz ein voluntatives Element (jeder Student kennt alsbald die Formel vom "billigenden Inkaufnehmen"  - mit ihren Schwächen (Lederriemenfall), wonach ich auch "billigend in Kauf nehmen" könne, was mir unerwünscht sei). Die Mindermeinung zwischen Haupt- (End- oder Zwischenziel) und Nebenfolgen (nicht Handlungsgrund) unterscheidend halte ich für überzeugend: Beim bedingten Vorsatz kommt es danach allein darauf an, ob der Täter zum Handlungszeitpunkt urteilt, die Tatbestandsverwirklichung sei als Folge der Handlung nicht unwahrscheinlich (Jakobs AT, 2. Aufl., 8/23). Die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und Fahrlässigkeit erfolgt danach allein aufgrund des intellektuellen Sachverhalts. Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Täter um die konkrete Möglichkeit der Tatbestandsverwirklichung weiß, weil er sie entweder zwar als abstrakte Gefahr gesehen, aber als konkrete ausgeschlossen oder an die Gefahr überhaupt nicht gedacht hat.

 

Zur Feststellung des Vorsatzes

Da bin ich ganz auf der Linie der Rechtsprechung: Auf den Vorsatz kann nur aufgrund einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalls geschlossen werden, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage mit einzubeziehen sind. - Kann der Tatrichter auf dieser Grundlage Zweifel an der subjektiven Tatseite nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt.

Bei der konkreten Örtlichkeit sehe ich nur wenige Möglichkeiten, wie jemand, der sich hinter der Tür befindet, bei vier Schüssen nicht verletzt werden kann, zumal wenn er auf der Toilette sitzen sollte. Sicher ist abgeklärt worden, an welcher Stelle  der Toilette das Opfer in welcher Lage getroffen wurde. Das ist mir nicht bekannt. Ich wollte nur ganz allgemein bemerken, dass bei einer so engen Räumlichkeit bedingter Tötungsvorsatz im Raum steht.

 

@Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg:

Der Mindermeinung bzgl. des bedingten Vorsatzes mag ich nicht folgen. Meines Erachtens muss es schon eine bewusste Fahrlässigkeit geben, bei der die konkrete Gefahr erkannt wird. Denn der Handelnde nimmt doch eher eine konkrete Risikoabschätzung vor.

Was den Sachverhalt angeht, halte ich das Abfeuern der vier Schüsse objektiv gerade nicht für zwingend verbunden mit der Todesgefahr. Eine Verletzung ist natürlich sehr wahrscheinlich, wenn nicht sicher, aber zum Töten reicht das längst nicht. Jemand, der mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt hätte, hätte, vor diese "Aufgabe" gestellt, wohl das Magazin leer geschossen, womit er ggü. panisch Handelnden nicht aufgefallen wäre. Festgelegt auf nur vier Schüssen, hätte er idealerweise zunächst zwei horizontal verteilte Schüsse in Brusthöhe und dann zwei ebenfalls verteilte Schüsse in Kniehöhe setzten müssen. Pistorius schoss viermal ca. hüfthoch: http://bilder.bild.de/fotos/thedoorthroughwhichreevasteenkampwasshotis_3...
Die erste Kugel traf auch in die Hüfte. Steenkamp hätte wahrscheinlich überlebt, wäre sie auf den Boden gesackt, und nicht auf einen Zeitschriftenständer gefallen. Dort erlitt sie dann die tödliche Kopfverletzung durch eine weitere Kugel. Die Staatsanwaltschaft meinte dazu, Pistorius hätte willentlich in Richtung des Zeitschriftenständers gefeuert, als er Steenkamp fallen hörte. Mir scheint das äußerst fernliegend, da er Sekundenbruchteile zuvor eine großkalibrige Waffe in einem kleinen Raum ohne Gehörschutz abgefeuert hatte. Wenn er ein solches Geräusch überhaupt wahrgenommen hätte, hätte er kaum die Richtung präzise bestimmen können. Die Schüsse liegen auch so eng beisammen, dass sie ohne weiteres als eine gerichtete Salve durchgehen. Und in dieser Richtung war der Tod Steenkamps mehr unglücklicher Zufall als zwangsläufig.

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@ Gast

Hinsichtlich der von Jakobs vertretenen Mindermeinung will ich hier keine weitere Überzeugungsarbeit leisten, zumal die einschlägigge Fundstelle zitiert ist.

Interessanter sind Ihre Ausführungen zur Vorsatzfrage. Sie stellen auf einen - wenn ich es richitig interpretiere - dolus directus 2. Grades ab. Soll das, was Sie argumentativ entwickelt haben, auch dafür gelten, dass bei Pistorius nur bedingter Vorsatz vorlag, der mangels voluntativen Elements nicht gegeben sei? Einverstanden, aber die Lederriemenentscheidung BGHSt 7, 363 würden Sie dann doch wohl ablehnen oder nicht?

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