"Zu dick" ist noch keine Behinderung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 17.06.2014

Der Fall hat vergangene Woche Schlagzeilen gemacht: Die Klägerin hatte sich 2012 auf die Stelle als Geschäftsführerin des Vereins "Borreliose und FSME Bund Deutschland" beworben. Das erste Gespräch verlief nach ihrer Erinnerung sehr positiv. Dann aber kam der Schock: In einer E-Mail fragte die damalige Stellvertreterin der Organisation bei ihr an, "was dazu geführt hat, dass Sie kein Normalgewicht haben". Und weiter: "Im jetzigen Zustand wären Sie natürlich kein vorzeigbares Beispiel und würden unsere Empfehlungen für Ernährung und Sport konterkarieren. Vielleicht haben Sie ja auch einen plausiblen Grund, der in den Griff zu bekommen ist."

Die Klägerin, 1,70 groß, 83 kg schwer und Konfektionsgröße 42, war schockiert. Sie brach den Kontat ab und klagte beim ArbG Darmstadt auf 30.000 Euro Entschädigung. Erstinstanzlich wurde die Klage abgewiesen. Das Gericht sah in der Ablehnung keinen "entschädigungspflichtigen Eingriff". Zudem hielt es nicht für bewiesen, dass die Klägerin in erster Linie wegen ihres vermeintlichen Übergewichtes erfolglos auf Jobsuche war.

Rechtlich sind für den Anspruch wohl zwei Ansatzpunkte denkbar:

  • Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Dann müsste die Klägerin aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe benachteiligt worden sein. Unter diesen kommt nur die "Behinderung" in Betracht. Dafür war sie aber wohl nicht übergewichtig genug.
  • Schadensersatz wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG). Darauf setzt wohl auch ihr Anwalt. SpiegelOnline zitiert ihn mit der Aussage: "Es geht hier klar um Abschreckung, um den Schutz der Menschenrechte".

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9 Kommentare

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Die Tage des öffentlichen Rechts sind bei mir schon lange vorbei, daher wäre ein kurze Erläuterung nett :

Sind die Artikel des GG tatsächlich persönliche Anspruchsgrundlagen ? Und wie setzt man einen Wert für die Verletzung dieser Rechte fest ?

 

Danke !

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Ja, der BGH stützt Ansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unmittelbar auf das GG. Deswegen fehlt das Persönlichkeitsrecht auch in 253 Abs. 2 BGB.

Die Bemessung ist hier genauso schwer wie beim Schmerzensgeld. Aber Fallmaterial gibt es reichlich, grob geschätzt allein ein Dutzend Urteile betreffend Caroline von Monaco.

Christian.Rolfs schrieb:

der BGH stützt Ansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unmittelbar auf das GG. Deswegen fehlt das Persönlichkeitsrecht auch in 253 Abs. 2 BGB.

Originelle Kausalität!

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@ gastleser:

Nicht originell, sondern nur historisch korrekt:

In der Ursprungsfassung des BGB von 1896 (in Kraft ab 1.1.1900) war das Schmerzensgeld in § 847 BGB verortet. Ausweislich dieser systematischen Stellung wurde es nur bei unerlaubten Handlungen gewährt, nicht aber bei (bloßen) Vertragspflichtverletzungen. Bei einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat der BGH Entschädigungsansprüche unmittelbar auf das GG gestützt (z.B. BGH 15.11.1994 NJW 1995, 861; BGH 1.12.1999 NJW 2000, 2195).

Erst im Zuge der 2. Schadensrechtsänderungsgesetzes (in Kraft ab 1.8.2002) ist § 847 BGB aufgehoben worden und das Schmerzensgeld in die allgemeinen Schadensvorschriften - nämlich § 253 Abs. 2 BGB  - verlagert worden. Bei den Beratungen dieses Gesetzes hat der Gesetzgeber darüber nachgedacht, in diese Vorschrift auch die Verletzung des allg. Persönlichkeitsrechts aufznehmen. Darauf hat er aber mit Blick auf die - ältere, s.o. - Rechtsprechung des BGH bewusst verzichtet (BT-Drucks. 14/7752, S. 25).

Deshalb: "Der BGH stützt Ansprüche wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts unmittelbar auf das GG. Deswegen fehlt das Persönlichkeitsrecht auch in § 253 Abs. 2 BGB."

 

Man darf sich hier schon einmal die Frage stellen, was denn noch "persönlichkeitsrechtsverletzender" sein soll, als wenn ich einem Bewerber gegenüber erkläre, dass er eigentlich zu dick für die Stelle sei...-)

 

Wollen wir nunmehr das allgemeine Persönlichkeitsrecht abschaffen? Gibt es denn überhaupt eine erniedrigendere Begründung, als jemandem zu sagen, dass er/ sie zu dick für die Stelle ist?

 

Offenbar hat man hier aus lauter Verfolgungswahn vor dem AGG wieder das "Denken" ausgeschaltet.

 

Ein Abstellen auf eine mögliche Benachteiligung wegen der Behinderung wäre obsolet gewesen, denn eine klarere Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dürfte kaum vorstellbar sein, als in diesem Fall.

 

Mit der Thematik "abschreckende" Wirkung haben offenbar die meisten deutschen Juristen ein Problem. Sie haben offenbar nicht verstanden, dass "abschreckende Wirkung" heißen soll, dass der rechtsverletzende potentielle Arbeitgeber abgeschreckt werden soll, weitere Rechtsverletzungen zu begehen. Nicht etwa soll ein abgelehnter Bewerber abgeschreckt werden, seine Rechte geltend zu machen.

 

Dass ein Klägerin wegen einer Benachteiligung wegen des AGGs mit Perücke und abgedunkelter Brille im Gerichtssaal erscheinen muss, spricht Bände für unseren "Rechtsstaat".... und für unsere Gesellschaft

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Neue Entwicklung:

Laut Gutachter am EuGH kann Fettleibigkeit Behinderung sein, wenn sie zu deutlichen Einschränkungen bei der Teilhabe am Arbeitsleben führt. Grenzwert: BMI 40.

Die o.g.  Klägerin hat BMI 28,7, was nicht als Fettleibigkeit, sondern als leichtes bis mäßiges Übergewicht gilt und mit der höchsten Lebenserwartung einhergeht.  

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