Pornographie ist nicht gleich Pornographie - BGH-Urteil vom 11.2.2014 - 1 StR 485/13

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 20.06.2014

Der Bundesgerichtshof hat sich in der Entscheidung vom 11.2.2014 - nur vermeintlich - zum ersten Mal mit dem Pornographiebegriff im Rahmen des Kinderpornographietatbestandes auseinandergesetzt. Die Strafnorm erfasst namentlich "pornographische Schriften (§ 11 Abs. 3), die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern (§ 176 Abs. 1) zum Gegenstand haben (kinderpornographische Schriften)".

Der Senat ist der Auffassung, dass das vorausgesetzte Merkmal "pornographisch" in § 184b StGB etwas anderes meine als in dem Tatbestand "einfacher" Pornographie in § 184 StGB. Während der Pornographiebegriff des § 184 StGB seit jeher eine vergröbernd, sexuell-anreißerische Darstellung erfordert, sei dies in § 184b StGB nicht erforderlich. Eine Betrachtung nach dem Schutzzweck des § 184 StGB einerseits und dem des § 184b StGB andererseits lege nach Ansicht des BGH "keine einheitliche Interpretation des
Begriffs »pornografisch« nahe".

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs für einen von § 184 StGB abweichenden Pornographiebegriff in § 184b StGB mag im Ergebnis – vor allem rechtspolitisch und mit Blick auf den umfassenden Schutz von Kindern vor Missbrauch – zu begrüßen sein. Indes wirft die ergebnisorientierte teleologische Auslegung des Senats doch einige Fragen in Bezug auf die frühere Rechtsprechung des BGH (hierzu nachfolgend 1.) sowie mit Blick auf Bestimmtheitsgebot und Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG auf (hierzu 2.).

1. Zunächst übersieht der BGH, dass er sich sehr wohl bereits zum Pornographiebegriff im Zusammenhang mit dem Tatbestand der Kinderpornographie geäußert hat. Unzutreffend führt der Senat also aus, der Bundesgerichtshof habe sich „zur Auslegung dieses Begriffs für den Tatbestand des § 184b StGB bislang noch nicht geäußert“ und auch zur alten Fassung sei bisher „ersichtlich nur die Frage des Sexualbezugs der dargestellten Handlungen thematisiert“ worden.

Der BGH hat übersehen, dass er in einer frühen Entscheidung vom 21.4.1978 zur vormaligen Fassung des § 184 StGB das diametrale Gegenteil zu seiner jetzigen Ansicht vertreten hatte, dass namentlich eine „Verselbständigung“ des Begriffs des Pornographischen bei pädophilen oder sadistischen Darstellungen „nicht gerechtfertigt“ sei (BGH Urt. v. 21.4.1978 - 2 StR 739/77, bei Holtz MDR 1978, 804). Hierauf nimmt der Senat gar nicht Bezug. Offenbar kennt er die frühere Rechtsprechung des eigenen Hauses nicht und setzt sich hiermit in der Folge auch nicht auseinander.

2. Nicht unproblematisch erscheint der nun relative Pornographiebegriff auch mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot und das Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG. Auch hierzu wird in der Entscheidung gar nicht Stellung genommen. Statt dessen wird über teleologische Erwägungen zu begründen versucht, dass der ohnehin vage Begriff der Pornographie je nach Straftatbestand etwas anderes meinen könne. Eine sexuelle Darstellung mit einer 13jährigen Person (Kind nach § 184b StGB) ist in der Folge der jetzigen Senatsmeinung mithin in der Regel eo ipso pornographisch und damit tatbestandsmäßig. Ist dieselbe dargestellte Person „schon“ 14 Jahre (Jugendliche nach § 184c StGB), müsste ein Pornographiecharakter nach § 184 StGB im Sinne einer sexuell-vergröbernden Darstellung noch hinzutreten.

Die Argumentation des BGH, dass dem Merkmal „Pornographie“ in § 184b StGB eigentlich keine eigene Bedeutung zukomme, da dargestellte sexuelle Handlungen mit Kindern vom Schutzzeck her immer strafbar sein sollten, ist eine politische, keine rechtsmethodische. Der Gesetzgeber hätte es in der Hand gehabt, das Merkmal „pornographisch“ zu streichen (vgl. hierzu BT-Drs. 16/9646, S. 10) und damit die sachpolitisch richtige Entscheidung zu treffen. Hingegen ist es gerade vor dem Hintergrund des im Strafrecht geltenden Bestimmtheitsgebotes und des Analogieverbotes nicht Sache der Rechtsprechung, Versäumnisse des Gesetzgebers bzw. der Politik zurecht zu rücken.

Vor diesem Hintergrund sollte das Urteil nicht als „Bestätigung“ einer vermeintlich vorausblickenden Gesetzgebungspolitik, sondern als mäßig gelungener, ergebnisorientierter Telos-Rettungsversuch angesehen werden, der Unzulänglichkeiten der Gesetzgebung zu begradigen intendiert. Das Urteil darf daher von der Politik als Stammbuchgruß begriffen werden, das Pornographiemerkmal jedenfalls aus dem Tatbestand des § 184b StGB zu streichen, wenn man dort nicht nur „pornographische“ Darstellungen tatbestandlich erfasst wissen will.

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1 Kommentar

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Lieber Herr Liesching,

nun will die Regierung "pornografisch" nicht nur streichen, sondern gleich eine ganz neue Definition der Kinderpornografie einführen. Allerdings besteht der Justizminister darauf, das sei eigentlich nur klarstellend, nicht etwa eine  Ausweitung oder Verschärfung:

Es handelt sich um eine gesetzliche Klarstellung (d.h. es ist auch bislang schon strafbar), dass Bilder von Kindern / Jugendlichen in unnatürlicher geschlechtsbetonter Körperhaltung unter den Begriff der „pornographischen Schriften“ fallen. Künftig wird es aber nicht mehr erforderlich sein, dass die Körperhaltung aktiv eingenommen wird, d. h. auch Bilder von schlafenden Kindern in einer solchen Körperhaltung sind zukünftig strafbar.

Dasselbe soll dann auch in § 184c StGB gelten. Mir geht das zu weit, siehe hier.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

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