Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages äußert Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Rente mit 63

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 09.07.2014

Das Rentenpaket der Großen Koalition trotz verbreiteter Kritik ist zügig verabschiedet worden und am bereits am 1. Juli in Kraft getreten. Nunmehr sind in einem wichtigen Punkt verfassungsrechtliche Bedenken geäußert worden, und zwar pikanterweise nicht aus den Reihen der Opposition, sondern vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages. Dies berichtet die Süddeutsche Zeitung (vom 9.7.2014), der das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vorliegt. Zur Erinnerung: Die Rente ab 63 ohne Abzüge erhält, wer 45 Beitragsjahre in der Rentenversicherung nachweisen kann. Dabei werden auch Zeiten anerkannt, in denen Arbeitslosengeld I (nicht Hartz IV) bezogen wurde. Um Frühverrentungen keinen Vorschub zu leisten gibt es allerdings eine Ausnahme: Bei den letzten zwei Jahren vor dem jeweiligen Rentenbeginn werden Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht angerechnet. Wird allerdings die Arbeitslosigkeit in den entscheidenden zwei Jahren durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers verursacht, wird diese Phase bei den 45 Beitragsjahren berücksichtigt. Für betriebsbedingte Kündigungen gilt diese Ausnahme von der Ausnahme allerdings nicht. Um diesen Punkt dreht sich der Streit. Die Gutachter des Wissenschaftlichen Dienstes erkennen zwar an, dass die Bundesregierung durch den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen einen Missbrauch verhindern wolle, der zu mehr Frühverrentungen führt. Sie hegen aber "schwerwiegende Bedenken an der Angemessenheit der Ungleichbehandlung" und gelangen zu dem Ergebnis, dass die Ausnahmeregelung "wohl gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3, Abs. 1 GG verstoße". Es sei "nicht nachvollziehbar, dass diejenigen, die aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung ausscheiden und infolgedessen tatsächlich unfreiwillig arbeitslos werden, weniger schutzwürdig sein sollen als diejenigen, die aufgrund einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden". Die Unterscheidung in dem Gesetz sei beliebig. Dies würde besonders dann deutlich, wenn man daran denkt, dass betriebsbedingte Entlassungen eine bereits drohende Insolvenz oder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers abwenden können. Hier "hinge es nur vom Zufall ab", aus welchem Grund die Person arbeitslos würde. In der Tat fällt die Rechtfertigung dieser Differenzierung, die letztlich einen politischen Kompromiss darstellt, nicht leicht. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Frage über oder kurz oder lang über die mit ihr befassten Sozialgerichte an das Bundesverfassungsgericht herangetragen wird. 

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