Das Recht auf Nichtwissen

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 10.07.2014
Rechtsgebiete: Familienrecht1|4257 Aufrufe

Nach der Scheidung verblieben die beiden Kinder (16 und 12) bei der Mutter, die alleinige Inhaberin des Gesundheitsfürsorgerechts wurde.

Der Ehemann und Vater erkrankte an Chorea Huntington, einer unheilbaren, vererblichen und zum Tode führenden Erkrankung des Gehirns.

Er befreite den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht und bat diesen, die Mutter über seine Erkrankung zu informieren.

Dies tat der Arzt und wies die Mutter darauf hin, dass die gemeinsamen Kinder die genetische Anlage der Erkrankung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent geerbt hätten.

Ob dieser Mitteilung erlitt die Mutter eine reaktive Depression. Sie ist seit April 2011 dauerhaft krankgeschrieben und nicht in der Lage, einer Erwerbsfähigkeit nachzugehen.

Mit der Klage gegen den Arzt begehrt die Klägerin die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 15.000 € sowie die Feststellung der Ersatzverpflichtung des Beklagten hinsichtlich der ihr entstandenen materiellen und immateriellen Schäden. Sie macht geltend, der beklagte Arzt habe sie über die Erkrankung ihres geschiedenen Mannes nicht, jedenfalls aber so lange nicht unterrichten dürfen. Er habe zunächst klären müssen, ob sie überhaupt Kenntnis von der Erkrankung ihres geschiedenen Mannes habe erlangen wollen.

Der BGH hat die Klage letztinstanzlich abgewiesen.

Dass eine schwerwiegende - möglicherweise auch für die Gesundheit der gemeinsamen Kinder relevante - Krankheit eines Elternteils erkannt und dem anderen Elternteil bekannt wird, sei ein Schicksal, das Eltern jederzeit widerfahren könne. Es gehöre zu den allgemeinen Lebensrisiken, falle aber nicht in den Bereich der Gefahren, vor denen § 823 Abs. 1 BGB schützen will. Die Bestimmung bezwecke nicht den Schutz eines sorgeberechtigen Elternteils vor den psychischen Belastungen, die damit verbunden sind, dass er von einer genetisch bedingten Erkrankung des anderen Elternteils und dem damit einhergehenden Risiko Kenntnis erlangt, dass die gemeinsamen Kinder auch Träger der Krankheit sein könnten.

Auch eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung eines "Rechts auf Nichtwissen" liege nicht vor. Zwar schützte das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Interesse des Einzelnen, nicht mehr über seine genetischen Eigenschaften wissen zu müssen, als er selbst will. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse ein "Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung", das den Einzelnen davor schützt, Kenntnis über ihn betreffende genetische Informationen mit Aussagekraft für seine persönliche Zukunft zu erlangen, ohne dies zu wollen.

Vorliegend sei die Klägerin aber gerade nicht in ihrem "Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung" betroffen. Sie stütze die geltend gemachten Schadensersatzansprüche nicht auf eine Mitteilung ihrer eigenen genetischen Konstitution, sondern darauf dass der Beklagte sie über eine bei ihrem geschiedenen Mann bestehende Erkrankung informiert hat, deren genetische Anlage ihre Kinder möglicherweise geerbt haben. Aus einer etwaigen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ihrer Kinder könne die Klägerin aber keine Schadensersatzansprüche ableiten.

BGH v. 20.5.2014 - VI ZR 381/13

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1 Kommentar

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Früher musste man als Überbringer schlechter Nachrichten um sein Leben fürchten, heute sich nur um sein Bankkonto und Belästigung mit gerichtlichem Schriftverkehr sorgen.

Eine Verbesserung? Zweifelsohne.

Aber so fürchterlich weit sind wir als Menschheit insgesamt in diesem Punkt offenbar noch nicht gekommen (auch wenn der Bote in diesem Fall nach langer Flucht entkommen konnte).

Man stelle sich vor, was eine Verurteilung für eine Klagewelle gegen die Medienunternehmen hätte auslösen können, die geradezu jeden Tag schlechte Nachrichten verbreiten. Wer da nicht geldgierig, will sagen, depressiv wird...

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