Erschütternd: Jeder dritte Jurastudent will die Todesstrafe zurück und nach jedem fünften darf Folter schon sein

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 17.10.2014

Legal Tribune ONLINE berichtet in der aktuellen Ausgabe von der Studie des Erlanger Strafrechtsprofessors Franz Streng, der in den Jahren 1989 - 2012 in seiner Vorlesung, zumeist Erst- oder Zweitsemester, anonyme Fragebogen vorlegte. Im steten Anstieg befürworteten im Jahr 2012 31,9 % die Wiedereinführung der Todesstrafe und 22,1 % sehen Folter als zulässiges Mittel an (hier: von LTO ausgewählte Grafiken & Tabellen).

Das ist erschütternd, zeigt und belegt aber, dass rechtsstaatliche Errungenschaften nicht mit Ewigkeitsgarantie ausgestattet sind und stets von neuem Überzeugungsarbeit zu leisten ist. Nachdem ich Herrn Kollegen Streng persönlich kenne, bin ich davon überzeugt, dass eine "Kontrolluntersuchnung" am Ende seiner Vorlesung doch ein etwas "erfreulicheres" Bild ergeben hätte. Alarmierend ist es aber gleichwohl, mit welcher Geisteshaltung ein nicht unwesentlicher Teil der Jurastudenten ihr Studium beginnt.

Für die universitäre Ausbildung ist die Untersuchung deshalb von enormer Bedeutung, weil sie unterstreicht, wie wichtig es ist, rechtsstaatliche Grundsätze überzeugend zu vermitteln. Denn die Studienanfänger von heute sind diejenigen,denen wir in wenigen Jahren in der Praxis gegenüberstehen.

 

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17 Kommentare

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Diese Geisteshaltung ist vor allem das Ergebnis der häuslichen Erziehung und Wertevermittlung. Da ist es nur folgerichtig, dass es sich in dieser Erhebung niederschlägt, dass der jahrzehntelange Einfluss der CDU/CSU-geführten Bundesregierungen zur Bafög-Reduzierung dazu geführt hat, dass der Anteil der Kinder aus gutsituierten, autoritätsgläubigen, staatsnahen und konservativ-reaktionären Familien an den Studenten gestiegen ist.

Ob die universitäre Ausbildung eine derart menschenrechtsfeindliche Einstellung noch korrigieren kann, ist allerdings sehr zweifelhaft. Eher steht zu befürchten, dass hier ein rechtsgerichterer Marsch durch die Institutionen nicht aufzuhalten ist. Da passt es ins Bild, dass rechtsextremistische Proberichter in Bayern nur durch Zufall auffliegen (ausgerechnet in Bayern, das den Radikalenerlass als letztes abgeschafft hat). 

Da die Abiturienten schon seit mehr als 10 Jahren solche Antworten geben  -  für diese Erkenntnis muss man natürlich die Studie lesen und nicht nur den halbgaren LTO-Aufguss  -  , scheint es ja halbwegs zu gelingen, sie während des Studiums noch "umzudrehen".

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Die Befragungsergebnisse geben im Wesentlichen wieder, was in der jungen Generation gedacht wird. Die Studienanfänger in Jura unterscheiden sich da wahrscheinlich nicht besonders vom Durchschnitt der ca. 18jährigen. Zu berücksichtigen ist, dass sich das Anfängeralter im Verlauf der Zeit erheblich verjüngt hat (wegen G8 und Abschaffung der Wehrpflicht  2 Jahre bei den männlichen, 1 Jahr bei den weiblichen Studenten). Insgesamt entsprechen die Ergebnisse aber allgemeinen Feststellungen über das Punitivitätsklima, das in den 1970er Jahren relativ "liberal" wurde (viele Studienanfänger haben damals die lebenslange Freiheitsstrafe in Frage gestellt), seit den 1990er Jahren aber deutlich "schärfer" geworden ist.

Aber dieses Klima ist nicht auf junge Menschen oder nicht akademisch gebildete Personen beschränkt: Es gibt, wenn man einmal von der Todesstrafe absieht,  auch in der Strafrechtswissenschaft eine "Renaissance der Vergeltung", die man in den 1970er Jahren für kaum mehr möglich gehalten hat.

Hollywood-Blockuster (etwa zuletzt noch "Django-Unchained") verbreiten ihre eigenen Klischees und bleuen uns ein

1) daß man ein Recht auf Rache hat.

2) daß es sich rächt, wenn man zu weich ist.

3) daß man, um "Böses" zu verhindern, "die Bösen" töten muss.

Nicht wenige naive junge Leute lassen sich durch Kino, Fernsehen, Comüuterspiel usw. beeinflussen.

Die Umfrage fand wohl unter 18-20 jährigen Studenten statt, und nicht unter gestandenen Jura-Profs, Staatsanwälten oder Richtern. 

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Medienkonsument1965 schrieb:

Die Umfrage fand wohl unter 18-20 jährigen Studenten statt, und nicht unter gestandenen Jura-Profs, Staatsanwälten oder Richtern. 

Ich wäre mir ehrlich gesagt nicht allzu sicher, dass diese Umfrage deutlich anders ausfallen würde.
Umso interessanter wäre solch eine Studie.

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Unter Juristen würde ich eine höhere Befürwortung von Folter und Todesstrafe vermuten als in der Gesamtbevölkerung, weil Juristen darin geschult sind, ihre Methodenlehre unabhängig von persönlichen Wertvorstellungen anzuwenden (die Ausnahmen bestätigen die Regel, siehe Kommentator #1, der mir jetzt auch gewiss eine passende, reaktionäre bis rechtsradikale Gesinnung diagnostizieren kann). Nach juristischer Methodik ist beides in gewissen Grenzen vertretbar und durch das Rechtsstaatsprinzip keineswegs ausgeschlossen. Die Wertvorstellung des Normalbürgers ist jedoch durch Sozialisation gegen Folter und Todesstrafe ausgerichtet, wahrscheinlich ohne dass die meisten präzise Gründe dafür angeben könnten.

Überraschend scheint mir lediglich der weite Vorsprung der Todesstrafe vor der Befürwortung der Folter.
Für die Todesstrafe gibt es ebenso wenige stichhaltige Argumente wie überhaupt für ein konkretes Strafmaß; das ist eine reine Abwägungsfrage, die angesichts der unter Juristen zu wünschenden Skepsis gegenüber der Treffsicherheit der Justiz eher weg von einer irreversiblen Sanktion führen sollte. Mag sein, dass die Mehrheit meine Skepsis gar nicht teilt.
Hingegen ist es unter Nothilfeaspekten von der gesetzlichen Realität nicht allzu weit entfernt, Folter in Betracht zu ziehen.

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Gast schrieb:
Die Wertvorstellung des Normalbürgers ist jedoch durch Sozialisation gegen Folter und Todesstrafe ausgerichtet, wahrscheinlich ohne dass die meisten präzise Gründe dafür angeben könnten.
Wie wäre es mit Art. 2 (2) S.1 iVm Art. 3 (1) und Art. 1 (3) GG? Die sollten eigentlich auch (laut Ihnen) Nicht-Normalbürgern wie Juristen und Jura-Erstsemestern bekannt sein.

Jemand, der ein verfassungsfeindliches Wertesystem hat, hat in der Juristerei nichts zu suchen.

Zum Thema Folter: es wurde schon längst empirisch und auch wissenschaftlich belegt, dass Gefolterte alles Mögliche gestehen unabhängig vom Wahrheitsgehalt und dass Aussagen unter Zwang und Stress das Erinnerungsvermögen beeinträchtigen und ungenauer sind. Aber dass der Gesetzgeber sich nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, wenn es um Menschenwürde geht, hat er mit der verfassungswidrigen Diskriminierung im Bereich der Genitalverstümmelung ja bereits bewiesen.

Überrascht nicht wirklich. Was käme heraus, wenn man eine anonyme (!) Umfrage unter Politikern unserer und verbündeter Nationen macht? Ich würde ein nicht wesentlich anderes Ergebnis erwarten.

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Man sollte nicht den einfluss amerikanischer Medien verkennen. In US-Gerichtsserien werden solche Vorgänge oft als normal bzw. notwendig dargestellt. Dieses bleibt natürlich nicht ohne Einfluss auf die Einstellung/Meinungsbildung der Zuschauer. 

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@Mein Name

 

Sie täuschen sich, wenn Sie meinen, daß gerade Juristen aus gutsituierten, autoritätsgläubigen, staatsnahen und konservativ-reaktionären Familien solchen Gedanken eher anhingen. Ich kenne viele grüne und sozialdemokratische Strafrichter, die offenbar meinen, Sie müßten sich als besonders "staatstragend" und konservativ in ihrer Rechtsprechung beweisen. Man kennt das ja von politisch Linken. Kaum sind sie selbst an der Macht, mutieren sie in vielen Dingen zu größeren Hartlinern als die Konservativen, um sich bloß nicht den Vorwurf der "vaterlandslosen Gesellen" gefallen lassen zu müssen.

 

Manche fallen aber auch schlicht in die Kategorie "Ökospießer".  Nach außen links, weil es ein modernes Lebensgefühl vermittelt, in öffentlichen Reden immer auf der Seite des Rechts und der Schwachen, im eigenen beruflichen Handeln schlimmer als jedes konservative "Fallbeil". Man möchte ja schließlich das eigene kleine Spießerviertel frei von Kriminellen halten und entblödet sich daher auch nicht, gegen die eigenen Nachbarn Durchsuchungsbeschlüsse zu erlassen, statt auf die rechtsstaatlich nicht fern liegende Idee zu kommen, eine mögliche Befangenheit anzuzeigen...

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Folgendes passt ins Bild: Nach der jetzt veröffentlichten Studierendensurvey  vom Wintersemester 2012/2013 halten 29 % der Studierenden Politik für unwichtig, lediglich 24 % stufen ihr Interesse an Politik als „sehr stark“ ein. Zwischen 2001 und 2013 ist  nach der Studie der Anteil der politisch sehr interessierten um 13 Prozentpunkte gefallen.

 

In den Gründen stellt die Studie nur Vermutungen an. Politik werde immer komplexer und unüberschaubarer, zugleich gebe es einen Trend zur Apathie und Passivität.

Ein Problem wäre wirklich die deutliche Verschlechterung des Ansehens der Justiz und des juristischen Berufes. Es hift aber auch nicht, dieses Ansehen durch realitätsfremdes Beschwören seltener Tugenden retten zu wollen. Ehrbare Studenten bekommen spätestens beim Berufseinstieg einen Schock fürs Leben.

Man muss nicht selbst betroffen sein, um bei ein wenig Interesse ausreichend Quellen für die grundsätzlich methodische Missachtung der Gesetze und Verfahrensregeln durch eine wesentlichen Teil der Justiz erkennen zu können. Wer betroffen ist, praktizierende Juristen sind es wohl alle, weiß prinzipiell um das Ausmaß der Verwerfungen. In diesem problematischen Umfeld "sauber" zu bleiben, ist eine beachtenswerte Leistung.

Man nehme z.B. Prof. Dr. Matthias Jahn zur richterlichen Überzeugungsbildung (Auszug):

LTO: Wann ist ein Tatrichter "überzeugt"?

Jahn: Den Prozess der Überzeugungsfindung muss man sich zweigeteilt vorstellen: Es gibt einmal die subjektive Überzeugung des Tatrichters. Sie ist die Grundlage für Schuld- oder Freispruch. Der andere Teil ist die Frage, wie er diese subjektive Überzeugung nach den Regeln der juristischen Kunst den übrigen Verfahrensbeteiligten und natürlich auch dem Revisionsgericht vermittelt. Es gibt Vorgaben, welche Mindestanforderungen Urteile erfüllen müssen, um die subjektive Überzeugung zu transportieren.

LTO: Es gibt also keine Regeln für die Durchführung der Beweisaufnahme, beispielsweise eine "To-do-Liste", die der Tatrichter abzuarbeiten hat, sondern lediglich Vorgaben für die spätere Darstellung der Überzeugungsbildung im Urteil?

Jahn: Es gibt, das ist historisch gewachsen, weder für den Ablauf einer Hauptverhandlung noch für den Mindestinhalt eines Urteils eine absolut verpflichtende To-do-Liste. Das Urteil muss nur aus sich heraus verständlich, logisch und vollständig sein und darf keine Widersprüche enthalten. Nur dann, wenn Mindeststandards der Logik, also etwa die Beachtung der Denkgesetze oder allgemein anerkannten Erfahrungssätze missachtet werden, der Inhalt des Urteils also nicht mehr vermittelbar ist, muss die Revisionsrechtsprechung eingreifen.

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/richterliche-ueberzeugungsbildun...

1. Tatsachen - 2. Rechtsgrundlagen - 3. Subsumption (2. anwenden auf 1.) - 4. möglichst objektives, angemessenes Urteil.

hätte ich gedacht, bis ich in deutlich mehr als 50 % von dutzenden Fällen das Gegenteil erfuhr.

Zwangsläufig nur eine Frage der Zeit, bis Rechtbeugungsverfahren auch hier ernsthaft Thema werden müssen. Der studierende Juristen-Nachwuchs mag fragwürdige Ansichten mitbringen, wird aber theoretisch von den Hochschullehrern geformt und sich praktisch in jede historische Gewohnheit einpassen. Es kommt also letztlich darauf an, wie die Praxis denkt und funktioniert. Darüber ehrlich zu berichten, würde Vieles verändern. Letztlich zum Guten.

 

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@ Lutz Lippke: nachdem selbst der BGH offensichtlich losgelöst vom Gesetz seine eigenen Regeln macht (siehe Blogbeitrag mit Diskussion aus 2010), wird sich an der weithin praktizierten Abweichung des von Ihnen genannten korrekten Verfahrens (s.a. Schweinehundtheorie) wohl nichts ändern - und davon, dass den willkürlich Handelnden Sanktionen drohen, kann man vermutlich nur träumen.

@Mein Name

Danke für den Hinweis auf die Schweinehundtheorie. Das hätte ich nicht gedacht, dass es dafür sogar einen Namen gibt. Nun kenne ich diese Tendenz, in langwierigen ZPO-Verfahren mehr und mehr durch Schuldzuweisungen als Schweinehund gelabelt zu werden. Ich bin mir aber sicher, dass so ziemlich alle beteiligten Juristen wissen, dass dies nur eine instanzübergreifende Ausflucht vor der eigenen Unfähigkeit ist, Fehler einzugestehen und zu beheben. Also die wissen sehr wohl, dass ich kein Schweinehund bin.

Der behauptete moralische Anspruch nach dem Motto "Es trifft schon keinen Falschen" ist also insofern ein Witz. Oder ist mit Schweinehundtheorie doch das Rechtsbewusstsein von Schweinehunden gemeint? Also damit nur ein Problem der Sitzordnung?

 

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Spielt Ernst Gennat in der juristischen Ausbildung oder in der Kriminologie eigentlich eine Rolle? Es sieht so aus, als würde man hier einen vobildlichen Pionier ignorieren.

Er hat die Verbrecher oder seine Kundschaft wie er immer sagte, nicht schon als Verbrecher empfangen, sondern als Gäste. Er hat mit ihnen eine Plauderei angefangen, hat ihnen vielleicht auch Kaffee und Kuchen angeboten zu vorgerückter Stunde auch mal ein Glas Portwein. Und er hat mit ihnen einfach geplaudert. Und in dieser Plauderei kam es zu so manchem Geständnis und da gibt es auch Zeitzeugen, die ausgesagt haben: "Wenn wir mit Gennat geredet haben, dem haben wir Sachen erzählt, die wollten wir ihm eigentlich gar nicht erzählen. Und das ist seine große Stärke gewesen, und sein Wahlspruch lautete: Hier wird kein Verbrecher angefasst, hier wird keinem etwas zuleide getan, unsere große Stärke, das sind unsere starken Nerven, aber nicht unsere Fäuste, und wer einen Verdächtigen anfasst, der fliegt."

[...]

Es war lange Zeit, bis weit in die 80er Jahre nicht möglich, neutrale Polizeiforschung zu betreiben. Ich hoffe, dass es eine Renaissance gibt und dass man ihn wiederentdeckt.

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