Moderne Zeiten - Bundeskartellamt gibt alte Marktabgrenzung im Gasbereich auf

von Dr. Rolf Hempel, veröffentlicht am 23.10.2014

Der Schritt war lange erwartet worden. Das Bundeskartellamt hat seine überkommene Marktabgrenzung im Gasbereich geändert. Unmittelbarer Anlass war das Fusionskontrollverfahren EWE / VNG (Gesch.-Z. B 8 – 69/14). Das Bundeskartellamt hat den Erwerb alleiniger Kontrolle über VNG durch die EWE ohne Auflagen freigegeben und hierüber in einer Pressemitteilung berichtet (vgl. hier).

In dieser Pressemitteilung stellt das Bundeskartellamt seine neue Marktabgrenzung im Gasbereich dar:

Das Bundeskartellamt gibt die bisherige Unterscheidung zwischen der Belieferung durch überregionale Ferngasgesellschaften und regionaler Ferngasunternehmen auf und fasst beide Marktstufen zu einer einheitlichen Gasgroßhandelsstufe zusammen, die auch die Gashändler (ohne konzernverbundene Netzbetreiber) beinhaltet. Die praktisch wesentlich bedeutsamere Änderung liegt darin, dass dieser Großhandelsmarkt für Erdgas bundesweit abgegrenzt wird. Nach der alten Praxis war das Bundeskartellamt von netzbezogenen oder jedenfalls marktgebietsbezogenen räumlichen Marktabgrenzungen ausgegangen.

Auf der Endkundenseite unterscheidet das Bundeskartellamt zwischen einem Markt für die Belieferung von leistungsgemessenen Kunden (RLM-Kunden, insbesondere Industriekunden) und Standardlastprofilkunden (SLP-Kunden, Haushaltskunden). Ersteren Markt grenzt das Bundeskartellamt jetzt bundesweit ab. Bei den Haushaltskunden unterscheidet das Bundeskartellamt wie im Strombereich zwischen Grundversorgung und Sondervertragskunden. Der Markt für Sondervertragskunden soll bundesweit abgegrenzt werden.

Das Bundeskartellamt hat ein Schaubild zu seiner neuen Marktabgrenzung veröffentlicht (vgl. hier).

Die Änderung der Marktabgrenzungspraxis durch das Bundeskartellamt war lange überfällig. Die bisherige Marktabgrenzung spiegelt die Realität schon seit Längerem nicht wider. Das Bundeskartellamt geht in der Pressemitteilung nicht auf den Umstand ein, dass es sich bei den Fernleitungsnetzbetreibern wegen der energieregulatorischen  Vorgaben um fast vollständig von den konzernverbundenen Gasliefergesellschaften getrennten Unternehmen handelt (sog. Entflechtung). Auch deswegen konnte auf den Marktstufen, die der Belieferung von Endkunden vorgelagert sind, nicht mehr von einer netzbezogenen Marktabgrenzung ausgegangen werden.

Die Änderung der Marktabgrenzung durch das Bundeskartellamt wirkt sich nicht nur in der Fusionskontrolle aus. Sie hat auch Bedeutung für die Anwendung der übrigen kartellrechtlichen Vorschriften und z.B. auch für die Anwendbarkeit der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung. Die ursprünglichen Grundsätze des Bundeskartellamts zu langfristigen Gaslieferverträgen (zwei Jahre / vier Jahre-Schema) werden damit obsolet.

Die Veröffentlichung der Entscheidung in der Sache EWE / VNG darf also mit einigem Interesse erwartet werden. Das Bundeskartellamt wird die Änderung seiner Marktabgrenzung dort näher erläutern.

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