Das Tackerunwesen

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 05.11.2014
Rechtsgebiete: Familienrecht12|8188 Aufrufe

Von Anwälten und ihren Hilfskräften wird das Tackerunwesen reichlich und gern ausgeübt.

Es  ist an sich kein vernünftiger Grund erkennbar, einen Schriftsatz und seine beglaubigte und einfache Abschrift  5 - 7 mal (oben links bis mittig) erdbebenfest zu vertackern.

Dahinter steckt ein Mythos:

Bekommt der Anwalt später die  Gerichtsakte in die Hand und stellt fest, dass die einzelnen Blätter der Schriftsätze noch mit Tackernadeln verbunden sind und das Papier oben links bis mittig nicht ausgefranst, perforiert oder abgerissen, sondern völlig unbeschädigt ist, deutet dies angeblich daraufhin, dass der Richter die Akte allenfalls überflogen, nicht aber wirklich durchgearbeitet hat.

Tipp deshalb: Achten Sie bei Ihrem Richter auf abgebrochene Fingernägel. Hat er solche, können Sie Aktenkenntnis voraussetzen.

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Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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12 Kommentare

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Mittig tacker ist natürlich sinnfrei. Aber das Tackern an sich ist die natürliche Reaktion auf das Verhalten mancher Gerichte bzw. deren Geschäftsstellen immer und immer wieder zu behaupten, bestimmte Dokument oder Anlagen seien nicht beigefügt gewesen, sondern irgendwo verloren gegangen. Natürlich kommen solche Hinweise erst nach Fristablauf. Da ist es dann schon sinnvoll, darstellen zu können, dass das eigene Sekretariat die Sachen aneinander getackert hat.

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Ich frage mich das fast jedes mal: tackern oder nicht. Wenn ich nicht klammere habe ich immer ein ungutes Gefühl, eben dass einzelne Seiten verloren gehen könnten. Wenn ich tackere und dutzendweise Nadeln verschieße, komme ich mir auch dämlich vor. Wie wird's denn am besten gemacht? 

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Man nennt sie auch Klammeraffen - die Leute, die immer noch nicht begriffen haben, dass man zum einen mit deutlich weniger Klammern auskommt und zum anderen die Klammern auch "lang" anstatt zweifach umgebogen getackert werden können.

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Die Gerichte tackern ihre Schreiben auch. Und wenn ich das mal so sagen darf: Nicht immer in besonders zweckmäßiger Weise. Verwundert es da, wenn die Rechtsanwälte sich ebenso verhalten?

Zur Schonung der Fingernägel sei die Verwendung eines Enthefters empfohlen.

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Das hier örtlich nah gelegene Amtsgericht (Familiengericht!) hat uns einmal einen nicht ausreichend getackerten Schriftsatz zurückgeschickt, bei dem sich wegen schwächelnder Tacker-Klammern die unteren Blätter des Schriftsatzes gelöst habe. Die Präsidentin des AG hat uns bei dieser Gelegenheit darauf persönlich mitgeteilt, dass Schriftsätze stets ausreichend getackert bei Gericht einzureichen sind, da die Posteingangsstelle des Gerichts wohl teilweise recht rabiat mit Eingangspost umgeht.

 

Angesichts dieser Sachlage halte ich es nicht für erstaunlich, wenn Rechtsanwaltsfachangestellte Frust abbauen und kräftig tackern. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass hier teilweise wirklich zentral und mittig getackert wird. Ich glaube das nennt sich "urkundliche Verbindung".

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LeserRA schrieb:

Also leute, jetzt kriegt doch mal den Nagel in die Wand:

Tackern oder nicht?

 

 

Ich (Rechtspfleger) sage: Tackern ja, aber so, dass man die Schriftsätze noch gut umblättern kann. Also, einmal links oben. Inzwischen gibt es ja auch Hefter ohne Nadeln.

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Ich bin nicht nur bekennender Tackerer, sondern auch Vorabfaxer und "Schriftsätze-persönlich-bei-Gericht-Einwerfer" (sofern ortsnahes Gericht).

 

Die Ausreden der Gerichte sind nämlich unerschöpflich:

 

- da waren keine Anlagen bei

- da waren keine Abschriften dran

- da ist gar kein Schriftsatz eingegangen

- das ist alles verfristet eingangen

 

Zumeist bekommt man dann Wochen nach diesen Ausreden die eigenen Schriftsätze nebst Abschriften und Anlagen "zur Stellungnahme" zurückgesandt, obwohl sie angeblich gar nicht eingegangen sind und der Gegenseite zugestellt werden sollten. 

 

Gerne frage ich deshalb auch noch einmal nach, ob denn der Schriftsatz auch wirklich eingegangen und der Gegenseite zugestellt worden ist, falls ich längere Zeit nichts vom Gericht höre. Denn ich habe keinen Bock mehr,  meine Arbeitstage in Gerichtsterminen zu verschwenden, in denen die einzige relevante Äußerung des Gerichts ist:  "Oh, hier hinten in der Aktentasche ist ja Ihr Schriftsatz, der ist leider nicht an die Gegenseite weitergeleitet (und von mir auch nicht zur Kenntnis genommen worden)".

 

Mich nerven 1000-fach getackerte und x-fach versendete Schriftsätze auch. Aber ich akzeptiere das als reine Notwehr gegen dämliche Ausreden. Im Zweifel ist nämlich nicht das Gericht, sondern der Anwalt schuld, wenn etwas schief läuft. Und bei vielen Gerichten (es sind immer diesselben) läuft leider so viel schief, daß jede Anwaltskanzlei bei gleicher Schlamperei längst pleite wäre.

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RA Hermann schrieb:

Im Zweifel ist nämlich nicht das Gericht, sondern der Anwalt schuld, wenn etwas schief läuft.

 

Genau da liegt meiner Meinung nach die Krux der Sache. Ich kann mir schon vorstellen, dass man sich als Richter über einige "Marotten" der Rechtsanwälte wie tackern oder vorab faxen aufregt oder amüsiert. Allerdings ist es am Ende der Anwalt, der seine Haftpflichtversicherung dafür hinhalten muss, wenn die Frage aufkommt, ob ein Schriftsatz (ggf. komplett) zugegangenn ist. Bei den Ansprüchen, die mittlerweile von der Rechtsprechung an die anwaltliche Sorgfalt gestellt werden, kann m.E. fast schon von Gefährdungshaftung gesprochen werden.

Abhilfe wird mittelfristig wohl nur die elektronische Einreichung von Schriftsätzen bei Gericht bieten. Bei den Finanzämtern klappt das ja schon ganz gut bspw. mit Steuererklärungen.

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Die Versendungspraxis mindestens einiger Gerichte könnte in der Tat verbessert werden. In einem Verfahren verwies eine Klage umfangreich auf Anlagen, die aber nicht beilagen. Also wurde (ob nun aussichtsreich oder nicht) die ordnungsgemäße Erhebung und Zustellung gerügt in der Annahme, diese hätten schon der Klage nicht beigelegen. Dem widersprach die Gegenseite in tatsächlicher Hinsicht nicht einmal, soweit bekannt.

Das Gericht äußerte sich dazu sehr knapp und überraschend in der mündlichen Verhandlung - erst bei nachträglicher Anlyse des Gehörten wurde klar, was man da (nicht) hatte mitteilen wollen: Die Geschäftsstelle habe zwar in der Tat die Anlagen nicht weitergeleitet, auffindbar seien sie auch nicht mehr, aber gegeben habe es sie wohl, und falls da etwas nicht weitergeleitet worden sei, sei das halt Pech der Beklagten. Von der rechtlichen Bewertung einmal abgesehen, aber... einen ganzen Karton Akten erst nicht weitergeleitet, dann komplett verloren? Das ist schon ein starkes Stück. Und niedlich blieb, dass das Gericht im schriftlichen Vorverfahren nicht etwa einmal den Hinweis gegeben hat, die Anlagen seien bei Gericht verloren gegangen, sondern fröhlich dazu vortragen ließ, wie ein Vergessen durch die Klägerin zu bewerten sei. Kollegialität vs. Korpsgeist.

In einem anderen Verfahren sendete das Gericht Ladungen, Hinweise etc. ohne erkennbares Muster mal beiden, mal nur einer Partei zu (vielleicht auch mal keiner, aber das wäre natürlich unbemerkt geblieben). Das ging in der Sache so weit, dass beiden Parteivertretern, offen gesagt, der Arsch so weit auf Grundeis ging, dass man vereinbarte, allen Ein- und Ausgang in Richtung Gericht der Gegenseite direkt zuzusenden. Die beidseitige Sorge, zu einer Frage kein rechtliches Gehör zu erhalten, und später vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, überbrückte da sogar die Differenz in der Sache.

Und in einem dritten Verfahren trafen die Parteien zu ihrer Freude in der mündlichen Verhandlung auf mehrere Zeugen, deren Vernehmung zwar den Zeugen, aber nicht den Parteien mitgeteilt worden war. Wird die vollkommen unvorbereitete Vernehmung deswegen abgebrochen? Natürlich nicht.

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Völlig sinnfrei ist es, wenn ermittelnde Polizeibehörden 60 Seiten Ermittlungsakte felsenfest getackert an die StA versenden.

 

Es gibt nur eine Erstakte. Verteidiger und andere Beteiligte (Nebenklage, Gutachter etc.) müssen dann zum Zweck der Kopie der Akte die Klammern unter größter Verletzungsgefahr lösen.

 

Zumindest in Strafakten sollte Tackern verboten werden.

 

Durch eine vernünftige Paginierung sollte verhindert werden können, dass Seiten fehlen oder die Reihenfolge durcheinander gerät.

 

Nett sind auch vergessene Tacker-Klammern im Hochleistungsscanner.

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