P U N K T E R E U E

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.11.2014

"Punktereue" ist sicher eine neue Wortschöpfung, beschreibt aber ganz gut die Motivation des Verurteilten in nachfolgend dargestellter Entscheidung. Der Betroffene hatte nämlich eine (angeblich falsche) Verurteilung rechtskräftig werden lassen, weil er dachte, es gebe keine weiteren Folgen (sprich: keine Punkte). War aber natürlich nicht so. Jetzt wollte er plötzlich Wiedereinsetzung. Gab es aber richtigerweise nicht:

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 16. Juli 2013 wurde der geständige Angeklagte „wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort“ zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 70 Tagessätzen zu je 100,- € verurteilt. Von der Verhängung einer Maßregel gemäß §§ 69, 69 a StGB sah das Amtsgericht aufgrund des langen Zeitablaufs seit der Tat vom 17. Juli 2011 ab. Nach Rechtsmittelbelehrung erklärten der Angeklagte und sein damaliger Verteidiger Rechtsmittelverzicht.

Durch Schriftsatz seiner (zwischenzeitlich neu mandatierten) Verteidigerin vom 23. Dezember 2013 hat der Angeklagte nunmehr (Sprung-)Revision gegen das amtsgerichtliche Urteil eingelegt, diese - unter Vorlage u.a. einer eigenhändig unterschriebenen eidesstattlichen Versicherung vom 20. Dezember 2013 - mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist beantragt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der im Hauptverhandlungstermin am 16. Juli 2014 erklärte Rechtsmittelverzicht sei gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO wegen einer vorangegangenen (informellen) Verständigung, die unter Verstoß gegen § 257c StPO zustande gekommen sei, unwirksam. Der Angeklagte sei zudem davon ausgegangen, dass zu der ausgeurteilten (Gesamt-)Geldstrafe keine weiteren Folgen hinzukommen würden. Insbesondere sei er über die straßenverkehrsrechtliche Folge in Form der Verhängung von Punkten im Verkehrszentralregister infolge des amtsgerichtlichen Urteils von anwaltlicher Seite nicht aufgeklärt worden. Davon habe er erst später durch eine entsprechende Mitteilung der Straßenverkehrsbehörde erfahren. Wenn er diese Folge gekannt hätte, hätte er sich weder geständig gezeigt noch sich auf die (von der Revision behauptete) Absprache mit dem Gericht eingelassen. Er sei angesichts des erklärten Rechtsmittelverzichts davon ausgegangen, gegen das Urteil kein Rechtsmittel einlegen zu können, und habe erst  am 23. Dezember 2013 von seiner neuen Verteidigerin von den bestehenden und nunmehr ausgeschöpften Rechtsmittelmöglichkeiten erfahren. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Revisionsrechtfertigung sowie die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags – jeweils vom 23. Dezember 2013 - Bezug genommen.

In der eidesstattlichen Versicherung des Angeklagten vom 20. Dezember 2013 heißt es nach Schilderung des Ablaufs des Sitzungstages bzw. des Hauptverhandlungstermins am 16. Juli 2013 insoweit:

(…) Ich habe mich insoweit auf die Angaben der Anwälte, dass es keine weiteren Folgen (außer der verhängten Gesamtgeldstrafe – Anm. des Senats) geben würde, verlassen, und habe das Urteil angenommen und auf Rechtsmittel verzichtet.

In der Zeit nach dem Urteil habe ich auch die Geldstrafe bezahlt. Ich dachte auch, dass man nun gegen das Urteil nichts mehr machen kann.

Dann erhielt ich die Mitteilung, dass die Straßenverkehrsbehörde aufgrund des Urteils 14 Punkte ins Verkehrszentralregister eingetragen hat. Wenn ich diese Folge gekannt hätte, hätte ich nie ein Geständnis angegeben und mich auf diese Absprache mit dem Gericht nicht eingelassen. Denn ich Wirklichkeit war der Sachverhalt anders als in der Anklage steht. Mein Geständnis nehme ich ausdrücklich zurück.

Ich bin bis zuletzt davon ausgegangen, dass man wegen des Rechtsmittelverzichts nicht gegen das Urteil vorgehen kann. Das hatte man mir so erklärt. Erst nachdem ich Frau Q die Akte zur Prüfung vorgelegt habe, habe ich erfahren, dass es doch noch eine Möglichkeit gibt.“

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat unter dem 18. Juli 2014 Stellung genommen und beantragt, die Revision angesichts des Rechtsmittelverzichts als unzulässig zu verwerfen; den Wiedereinsetzungsantrag hält sie für gegenstandslos.

Der Angeklagte hat durch Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 21. August 2014 eine schriftliche Gegenerklärung abgegeben und seine Auffassung mit näheren Ausführungen, auf die verwiesen wird, bekräftigt.

II.

Dem Wiedereinsetzungsantrag ist der Erfolg zu versagen. Infolgedessen ist die Revision wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist (§ 341 Abs. 1 StPO) als unzulässig zu verwerfen, § 349 Abs. 1 StPO.

1.

Es kann offen bleiben, ob der Wiedereinsetzungsantrag, über den der Senat nach § 46 Abs. 1 StPO zu entscheiden hat, - wie die Generalstaatsanwaltschaft meint - bereits deshalb keinen Erfolg hat, weil er infolge eines wirksamen Rechtsmittelverzichts durch den Angeklagten und seinen damaligen Verteidiger im Anschluss an die Urteilsverkündung im amtsgerichtlichen Hauptverhandlungstermin am 16. Juli 2013 unzulässig ist. Denn die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist nach § 341 Abs. 1 StPO kann jedenfalls nicht bewilligt werden, da der Angeklagte schon nicht im Sinne des § 44 Abs. 1 StPO „verhindert“ war, die „Frist einzuhalten“.

Eine Frist im Sinne des § 44 StPO versäumt derjenige, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 44 Rn. 5 m.w.N.). Demgegenüber ist jemand, der von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht, nicht nach Satz 1 der Vorschrift an dessen Einlegung „verhindert“ (BGH, Beschluss vom  20. August 2013 zu 1 StR 305/13, zitiert nach juris Rn. 12; BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 zu 3 StR 194/12, zitiert nach juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 10. August 2000 zu 4 StR 304/00, zitiert nach juris Rn. 3; OLG Koblenz, OLGSt 27 Nr. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 44 Rn. 5). Dies gilt auch dann, wenn ein Angeklagter - auch nach Beratung durch seinen Verteidiger - die Rechtsfolgen oder die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels möglicherweise falsch einschätzt (BGH, Beschluss vom 10. August 2000 zu 4 StR 304/00, zitiert nach juris Rn. 3; BGH, Beschluss vom 19. Juni 2012 zu 3 StR 194/12, zitiert nach juris Rn. 5 m.w.N.; OLG Koblenz, OLGSt 27 Nr. 14).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt ein Fall der Fristversäumung im Sinne des § 44 StPO nach dem eigenen Vorbringen des Angeklagten nicht vor.

Die eigenhändig unterschriebene eidesstattliche Versicherung des Angeklagten belegt, dass dieser - ungeachtet des am 16. Juli 2013 erklärten Rechtsmittelverzichts – den Willen, gegen das amtsgerichtliche Urteil vorzugehen, bzw. den Entschluss zur Einlegung von Rechtsmitteln, erst dann gebildet bzw. gefasst hat, als er die Mitteilung der Straßenverkehrsbehörde über die Eintragung von 14 Punkten in das Verkehrszentralregister erhalten hatte. Mangels anderer Angaben - insbesondere zum Zeitpunkts des Zugangs der Mitteilung der Straßenverkehrsbehörde – im Schriftsatz der Verteidigerin vom 23. Dezember 2013 sowie in der eidesstattlichen Versicherung des Angeklagten vom 20. Dezember 2013 und mangels sonstiger anderer Anhaltspunkte ist aber davon auszugehen, dass dies indes zu einem Zeitpunkt geschah, in dem die einwöchige Revisionseinlegungsfrist nach § 345 Abs. 1 StPO bereits abgelaufen war. Demgegenüber wollte er - innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO - bis zu dieser Mitteilung gerade nicht gegen das amtsgerichtliche Urteil vorgehen, durch das er ausschließlich mit einer (Gesamt-)Geldstrafe belegt worden war. Diese Konstellation ist aber nicht anders zu beurteilten als diejenige, in der jemand – ohne dass er Rechtsmittelverzicht erklärt hätte – bewusst innerhalb der laufenden Einlegungsfrist kein Rechtsmittel einlegt und sich nach Fristablauf mit einer nicht bedachten oder falsch eingeschätzten Folge der Entscheidung konfrontiert sieht. Denn § 44 StPO stellt ausschließlich auf unverschuldete Hindernisse bei der Einhaltung einer Frist ab. Als ein solches Hindernis kommt die unverschuldete Unkenntnis von Umständen nur insoweit in Betracht, als letztere für den Beginn und Lauf einer einzuhaltenden Frist maßgeblich sind. Demgegenüber stellt eine unverschuldete Unkenntnis von Umständen, die lediglich den Beweggrund zur Wahrung einer Frist beeinflussen können (wie hier die falsche Einschätzung sämtlicher Folgen des Urteils), kein solches Hindernis dar (OLG Koblenz, OLGSt 27 Nr. 14).

Die von dem Angeklagten behauptete irrige Beurteilung der Folgen des amtsgerichtlichen Urteils derart, dass außer der (Gesamt-)Geldstrafe keine weiteren Konsequenzen eintreten würden, beeinflusste lediglich seine Willensbildung dahin, nicht gegen das Urteil vorzugehen, also letztlich die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels nicht auszunutzen. Das Ergebnis dieser freien Willensentscheidung ist von der Frage der Wirksamkeit des erklärten Rechtsmittelverzichts gänzlich unabhängig zu beurteilen und hat nichts mit der Versäumung von Fristen im Sinne des § 44 StPO zu tun. Nach seinem eigenen Vorbringen in der eidesstattlichen Versicherung vom 20. Dezember 2013 war namentlich der Rechtsmittelverzicht nicht kausal für seine Willensbildung, gegen das amtsgerichtliche Urteil nicht vorzugehen, sondern ausschließlich seine irrige Beurteilung sämtlicher - auch der mittelbaren straßenverkehrsrechtlichen - Folgen des Urteils. Dementsprechend wird auch nicht vorgetragen oder ist sonst ersichtlich, dass der Angeklagte ohne Rechtsmittelverzicht bzw. in Kenntnis einer (etwaigen) Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts unabhängig von der Mitteilung der Straßenverkehrsbehörde rechtzeitig (Sprung-)Revision eingelegt hätte.

2.

Die Revision ist nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen, da sie verspätet eingelegt wurde (§ 341 Abs. 1 StPO). Denn die nach § 341 Abs. 1 StPO einwöchige Frist zur Einlegung der Revision gegen das am 16. Juli 2013 in Anwesenheit des Angeklagten und seines damaligen Verteidigers verkündete Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom selben Tage war bereits lange abgelaufen, als die Revision mit vorab per Telefax am 23. Dezember 2013 beim Amtsgericht Dorsten eingegangenem Schriftsatz seiner neuen Verteidigerin eingelegt worden ist.

OLG Hamm, Beschl. v. 9.9.2014 - 5 RVs 67/14

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen