Ein Rechtsanwalt ist nicht Benetton - Schockwerbung bleibt verboten

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 20.11.2014
Rechtsgebiete: Familienrecht13|3819 Aufrufe

Hier hatte ich über einen Anwalt berichtet, der mittels Schockwerbung auf Kaffeetassen auf mehr Mandantschaft hoffte.

Eine der Tassen zeigte folgendes Motiv:

Ein 6-8jähriges Mädchen wird von einer jungen Frau gezüchtigt. Dabei liegt das Mädchen mit entblößtem Gesäß nach oben bäuchlings über den Knien der Frau. Diese wiederum sitzt auf einem Sofa und schlägt das Kind mit einem wohl hölzernen Gegenstand auf das nackte Gesäß. Das Kind scheint zu schreien, jedenfalls zu wimmern. Das skizzierte Motiv ist farbig abgebildet.

Die Abbildung wird mit dünnen gekreuzten, roten Streifen durchstrichen. Links neben der Abbildung befindet sich der Text:

„Körperliche Züchtigung ist verboten (§ 1626 Abs. 2 BGB)“

Rechts neben der Abbildung sind die Kanzleidaten (Name, Adresse, Telefon-Nummer, Telefax-Nummer, E-Mail-Adresse und Internetadresse des Klägers abgedruckt.

Von der für ihn zuständigen Rechtsanwaltskammer erhielt der Anwalt den Hinweis:

Die von Ihnen beabsichtigte Werbemaßnahme auf Kaffeetassen ist nicht mit dem anwaltlichen Berufsrecht und dem Wettbewerbsrecht vereinbar und daher von Ihnen zu unterlassen

Die dagegen gerichtete Klage des Anwalts wies der Anwaltsgerichtshof als unzulässig ab.

Mittlerweile ist der Fall beim BGH gelandet. Dieser führt zu der Tasse aus:


Diese Bewertung wird für den Aufdruck 1 nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Textzeile "Körperliche Züchtigung ist verboten (§ 1626 II BGB)“ für sich genommen einen gewissen Informationsgehalt aufweist und als solche in einer anwaltlichen Werbung nicht zu beanstanden wäre. Denn "Blickfang" für den Betrachter ist - vom Kläger auch so beabsichtigt - die realistische Darstellung des Verprügelns eines Kindes. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass das Kind am Unterleib nackt ist, wobei die Unterhose bis zu den Knien herabgezogen ist. Da Nacktheit fraglos kein essentielles Element der Darstellung einer Kindesmisshandlung ist, legt dies die Annahme nahe, dass bei einem Teil des Betrachterkreises auch sexuelles Interesse geweckt werden soll. Die mit dem Bild in Zusammenhang gesteilte Tatsache, dass die körperliche Misshandlung von Kindern im Rahmen der Erziehung in Deutschland seit langem ausdrücklich verboten ist, gerät auf diese Weise zu bloßem Beiwerk und vermag deshalb auch nicht - was der Kläger zuletzt in den Vordergrund gerückt hat - einen Beitrag zu einer gesellschaftskritischen Auseinandersetzung zu leisten, zumal die Abbildung auf zu Werbezwecken verbreiteten, vom Kläger so genannten "Humpen" aufgedruckt ist. Auch der Umstand, dass der Aufdruck durchgestrichen ist, kann in Anbetracht der reißerischen und sexualisierenden Darstellung keinen Ausgleich schaffen. Die Beklagte hat mit Recht darauf hingewiesen, dass solche Werbung geeignet wäre, bei der rechtsuchenden Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, die Rechtsanwaltschaft habe Derartiges nötig, um Mandate zu erlangen, und damit das Ansehen der Rechtsanwaltschaft insgesamt zu beeinträchtigen.

BGH v.27.10.2014 - AnwZ (Brfg) 67/13

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13 Kommentare

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Die Überschrift nimmt Bezug auf die Benetton-Entscheidungen - aber wirklich zutreffend? Auch in den Fällen Benetton sah der BGH (recht hartnächkig) sog. Schockwerbung als unzulässig an. Der Fall ist insofern nicht anders, sondern sogar sehr ähnlich der Benetton-Fälle.

Erst das BVerfG hatte (im zweiten Anlauf!) dem Gebot der Meinungsäußerungsfreiheit Vorrang verschafft. Die Überschrift sollte man daher m. E. erst so formulieren, wenn/falls das BVerfG entschieden hat. Ohne Entscheidung des BVerfG liegt die Prozessgeschichte eher wie Benetton, nicht anders.

http://de.wikipedia.org/wiki/Benetton-Entscheidungen

 

 

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@ #1

Der vorliegende Fall liegt m.E. anders als Benetton, auch wenn die Prozessgeschichte auf den ersten Blick ähnlich zu sein scheint. Das BVerfG hat bereits entschieden, dass u.a. ein Verbot aufdringlicher Werbemethoden für Rechtsanwälte verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Vor diesem Hintergrund halte ich es für unwahrscheinlich, dass das BVerfG im Fall der Kaffeetasse anders entscheiden würde als der BGH.

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Ehm...

Die angeführte Entscheidung hat die dortige Werbemaßnahme als zulässig bewertet. Dabei ging es um ein Sponsoring eines Presseballs, was natürlich weit weniger spektakulär ist als Tassen mit (verkürzt gesprochen) Nacktbildern. Aber das BVerfG hat nicht etwa geäußert, dass dieses Sponsoring bereits den Rahme des Erlaubten ausschöpfe o. ä. Vielmehr war es das BVerfG, dass darauf hingewiesen hat, dass das Recht der Anwälte auf Werbung nach und nach wieder an die gesetzlich gegebene Freiheit herangeführt hat.

Wie das "Tassenfall" beurteilt wird/würde? Wer weiß. Bisher war das BVerfG meines Wissens immer oder fast immer auf der Seite der Meinungsäußerungsfreiheit (zu Recht, wie ich persönlich finde).

Das BVerfG führt in der von Ihnen zitierten Entscheidung an:

"Welche Werbeformen als üblich, angemessen oder als übertrieben bewertet werden, unterliegt zeitbedingten Veränderungen; dem Wandel - auch außerhalb der freien Berufe - ist Rechnung zu tragen, weil sich hierdurch Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsbereitschaft der Öffentlichkeit ändern (BVerfGE 94, 372 <398 f. - Werbeaufdruck auf Trainingsanzügen>). Allein aus dem Umstand, dass eine Berufsgruppe ihre Werbung anders als bisher üblich gestaltet, kann nicht gefolgert werden, dass dies unzulässige Werbung ist (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 1997, S. 2510 <2511>). "

Vielleicht ist ein - thematisch eingebundenes - Nacktbild im Jahr 2014 nicht mehr unangemessen. Nicht zuletzt das Medium, über das wir gerade kommunizieren, hat sexualisierte Darstellungen insgesamt derart alltäglich gemacht, dass vielleicht nicht mehr unangemessen ist, was noch vor 20 Jahren schockierte Menschen auf die Straße getrieben hätte.

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@ #3

Richtig, die dortige Werbemaßnahme wurde für zulässig erachtet. Das Verbot aufdringlicher Werbemethoden wurde jedoch - abstrakt - aufgestellt.

"Das für Rechtsanwälte geltende Werbeverbot soll das Vertrauen der Rechtsuchenden stärken, der Anwalt werde nicht aus Gewinnstreben zu Prozessen raten oder die Sachbehandlung an Gebühreninteressen ausrichten (vgl. nur BVerfGE 76, 196 <207 f.>). Verboten sind neben irreführender Werbung insbesondere aufdringliche Werbemethoden, die Ausdruck eines rein geschäftsmäßigen, ausschließlich an Gewinn orientierten Verhaltens sind."

Diese Formel hat das BVerfG jedenfalls ein Mal bestätigt.

Zuzustimmen ist Ihnen bei weiterem Durchsehen der BVerfG-Rechtsprechung allerdings darin, dass dort eine berufsfreiheitsfreundliche Rechtsprechung beim Thema Anwaltswerbung zu herrschen scheint. Das relativiert meine ursprüngliche Aussage natürlich ein wenig. Trotzdem bin ich weiter der Meinung, dass bei der streitgegenständlichen Kaffeetasse die Schwelle zur aufdringlichen Werbemethode im Sinne des BVerfG erreicht ist. Denn bei der Kaffeetasse geht es m.E. nur darum, einen "Hingucker" zwecks Mandantenaquise zu produzieren, was wiederum beim Rechtssuchenden den Eindruck des Gewinnstrebens erweckt. Dadurch wird das Vertrauen der Rechtssuchenden auf die Sachlichkeit der Rechtsanwaltschaft  - insbesondere auch durch das gewählte Motiv - geschwächt.

Bei der Berücksichtigung des Zeitenwandels ist m.E. entscheidend darauf abzustellen, dass auf der Kaffeetasse verbotene körperliche Züchtigung eines minderjährigen Kindes dargestellt wird. Ich darf schwer hoffen, dass sich die Zeiten niemals dahin wandeln, dass so etwas als "normale" sexualisierte Darstellung in der Werbung aufgefasst wird.

Man wird - hoffentlich - sehen, wie das BVerfG entscheidet.

 

@Herr Direktor Burschel

Kleiner Fehlerteufel: „Körperliche Züchtigung ist verboten (§ 1626 Abs. 2 BGB)“ ist in der BGH-Entscheidung korrekt als § 1631 Abs. 2 BGB wiedergegeben.

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@ MT: in Ihrer Formulierung "Gewinnstreben = Unsachlichkeit"

MT schrieb:
was wiederum beim Rechtssuchenden den Eindruck des Gewinnstrebens erweckt. Dadurch wird das Vertrauen der Rechtssuchenden auf die Sachlichkeit der Rechtsanwaltschaft  - insbesondere auch durch das gewählte Motiv - geschwächt.

P.S.: Was der BGH wohl dazu sagen würde? ;-)

MT schrieb:
Denn bei der Kaffeetasse geht es m.E. nur darum, einen "Hingucker" zwecks Mandantenaquise zu produzieren, was wiederum beim Rechtssuchenden den Eindruck des Gewinnstrebens erweckt. Dadurch wird das Vertrauen der Rechtssuchenden auf die Sachlichkeit der Rechtsanwaltschaft  - insbesondere auch durch das gewählte Motiv - geschwächt.

Das kann man so sehen, muss es aber nicht. Ist ähnlich wie bei den Farbkleksen, die als moderne Kunst verkauft werden: Ob eine nennenswerte Aussage enthalten ist oder nicht, liegt im Auge des Betrachters. Wenn man will, kann man in den Motiven Beiträge oder auch Anstöße zu einer rechtlichen und politischen Debatte sehen, die zwar forsch ausfallen, den Rahmen des Sachlichen aber noch nicht überschreiten. Oder man kann darin verwerfliche, effektheischende und unnötig sexualisierte Reklame sehen.

Was das BVerfG - wenn es denn angerufen wird - dazu sagen mag, bleibt m. E. spannend.

 

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Die Prämisse, dass eine Rechtsanwaltskanzlei auf Dauer ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen ihres Handelns (vulgo: Gewinnstreben) existieren könnte, ist aber schon sehr wirklichkeitsfremd, um nicht zu sagen naiv.

@ #7

Dabei geht es um die Subsumtion unter die vom BVerfG aufgestellte Formel - "Sachbehandlung an Gebühreninteressen ausrichten". Dass eine Anwaltskanzlei nach Gewinns streben kann und darf, stellt niemand ernsthaft in Frage. Es geht lediglich um die Frage, welchen Grenzen die anwaltliche Werbung unterliegt, mit der die Kanzlei sich nach außen darstellt.

Es ist m.E. nach nicht erstrebenswert, dass in Deutschland die Regulierung so weit zurückgetrieben wird, dass US-amerikanische Verhältnisse herrschen. Auch wenn das verlinkte Video Parodie ist, so weit ist es von manchen in den USA verbreiteten Anwalts-Werbeclips nicht entfernt.

 

@ #8

Stimme mit Ihnen überein, dass man sicher beide Seiten gut vertreten kann.

 

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@ #9: alleine aus der Tatsache, dass ein Anwalt Werbung für sich macht (mit welchen Mitteln auch immer), herzuleiten, er würde die Kundenbeziehung auf Gebührenmaximierung ausrichten, ist schon sehr gewagt.

Und wenn der BGH schon von "realistisch" spricht: ob er wohl hat ermitteln lassen, wie hoch der Anteil der Kinder ist, die bei der dargestellten Methode der Kindesmisshandlung die Hosen anbehalten dürfen/durften? Er dürfte - nach dem, was ich nicht repräsentativ von Betroffenen erfahren habe - verschwindend gering sein.

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, im wesentlichen begründet damit, der Beschwerdeführer habe die Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt.

Rn. 31 schrieb:
Mit alldem setzt sich der Beschwerdeführer nicht hinreichend auseinander. Er gründet seine Behauptung eines Verfassungsverstoßes letztlich allein auf die Überlegung, die Ausgangsgerichte hätten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Werbung der Firma Benetton (BVerfGE 102, 347) auch in seinem Fall anwenden müssen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass er als Rechtsanwalt und damit als Organ der Rechtspflege bei der Werbung für seine berufliche Tätigkeit besonderen Einschränkungen aufgrund des § 43b BRAO unterliegt.

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/201...

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