EuGH: italienische Regelung über befristete Arbeitsverträge im Schulbereich verstößt gegen das Unionsrecht

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 30.11.2014

Befristungen im Schulbereich sind auch in Deutschland ein brisantes Thema. Von daher wird man eine neue Entscheidung des EuGH (Urteil vom 26.11.2014 in den verbundenen Rechtssachen C-22/13, C-61/13 bis C-63/13 und C-418/13- Raffaella Mascolo u.a.) zu einer italienischen Regelung über befristete Arbeitsverträge von Lehrkräften an staatlichen Schulen auch hierzulande sehr genau zu studieren haben. Die italienischen Rechtsvorschriften sehen u. a. vor, dass die tatsächlich bis zum 31. Dezember freien und verfügbaren Stellen „bis zum Abschluss von Auswahlverfahren“ durch Jahresvertretungen besetzt werden. Dabei wird auf Ranglisten zurückgegriffen, in die, nach Dienstalter gestaffelt, Lehrkräfte aufgenommen werden, die ein Auswahlverfahren bestanden, aber keine Festanstellung erhalten haben, sowie Lehrkräfte, die von Weiterbildungsschulen für den Unterricht veranstaltete Lehrgänge besucht haben. Lehrkräfte, die solche Vertretungen wahrnehmen, können nach Maßgabe verfügbarer Stellen und ihres Vorrückens auf den Listen eine Planstelle erhalten. Dies kann auch unmittelbar aufgrund des Bestehens eines Auswahlverfahrens geschehen. Von 1999 bis 2011 fanden jedoch keine Auswahlverfahren statt. Frau Mascolo und weitere Personen waren in öffentlichen Schulen auf der Grundlage aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge als Lehr- und Verwaltungskräfte tätig. Die Dauer ihrer Beschäftigung war verschieden, betrug aber in keinem Fall weniger als 45 Monate in fünf Jahren. Da sie die genannten Verträge für rechtswidrig halten, haben sie auf deren Umqualifizierung in unbefristete Arbeitsverhältnisse, auf Zuweisung einer Planstelle, auf Zahlung der Gehälter für die Zeiträume der Unterbrechungen zwischen den Verträgen und auf Schadensersatz geklagt. Auf entsprechende Vorlagen durch mehrere italienische Gerichte weist der EuGH in seinem jetzt ergangenen Urteil zunächst darauf hin, dass die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge auf alle Arbeitnehmer anwendbar ist, ohne Unterscheidung danach, ob sie einen öffentlichen oder einen privaten Arbeitgeber haben, und unabhängig von der betroffenen Branche. Sodann stellt er fest, dass das italienische Recht weder Maßnahmen zur Begrenzung der insgesamt zulässigen Dauer der Verträge oder der zulässigen Zahl ihrer Verlängerungen vorsehe noch eine gleichwertige Maßnahme, sodass ihre Verlängerung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein müsse. Insoweit erkennt der EuGH durchaus die Notwendigkeit besonderer Flexibilität an, die den Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge im Schulbereich objektiv rechtfertigen kann. Das enthebe den italienischen Staat jedoch nicht der Erfüllung der Verpflichtung, angemessene Maßnahmen vorzusehen, um den missbräuchlichen Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge gebührend zu ahnden. Dieser Verpflichtung sei der italienische Staat indes nicht nachgekommen. Aus diesen Gründen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge einer Regelung entgegensteht, die bis zum Abschluss von Auswahlverfahren zur Einstellung von planmäßigem Personal der staatlichen Schulen die Verlängerung befristeter Verträge zur Besetzung freier und verfügbarer Planstellen für Lehrkräfte sowie Verwaltungs-, technisches und Hilfspersonal zulässt, ohne einen genauen Zeitplan für den Abschluss dieser Auswahlverfahren anzugeben und unter Ausschluss jeder Ersatzmöglichkeit für den durch eine solche Verlängerung entstandenen Schaden. Dieser Regelung ließen sich nämlich keine objektiven und transparenten Kriterien für die Prüfung entnehmen, ob die Verlängerung tatsächlich einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Sie enthalte auch keine andere Maßnahme zur Vermeidung und Ahndung eines missbräuchlichen Rückgriffs auf derartige Verträge.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

3 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Kann man das dahingehend interpretieren, dass das TzBefrG, das weder "objektive und transparente Kriterien zur Prüfung", ob eine Befristung aus sachlichen Gründen tatsächlich gerechtfertigt ist (insbesondere wenn diese mehrfach verlängert wird) noch "Maßnahmen zur Vermeidung und Ahndung eines missbräuchlichen Rückgriffs auf derartige Verträge" enthält, möglicherweise ebenfalls Unionsrecht verletzt?

Und dass das ebenso auf das AÜG anwendbar ist, da es dort gleichfalls weder Kontrollkriterien noch Sanktionsmaßnahmen dahingehend gibt, dass die Arbeitnehmerüberlassung laut Gesetz nur vorübergehend erfolgt (was zur Folge hat, dass ein Entleiher nichts zu befürchten hat, wenn er Dauerstellen mit Leiharbeitern besetzt)?

Vielen Dank, Herr Bender.

Demnach ist es eher eine weitere Klarstellung, dass die RiLi auch für öffentliche Arbeitgeber gilt (was der italienische Staat ja bestritten hat)? Lassen sich Ihrer Ansicht nach dem aktuellen Urteil Hinweise entnehmen, ab welcher Dauer einer Kettenbefristung (auch aus sachlichem Grund) Missbrauch vorliegt oder war das Fehlen sachlicher Gründe bzw. "objektiver und transparenter Kriterien" hier der Knackpunkt?

Kommentar hinzufügen