Erstmalige Fahrerlaubnisentziehung 1 Jahr und 7 Monate nach einer ganz normalen Unfallflucht?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.12.2014

Mannomann, ganz schön knackig. Da wird dem Angeklagten ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort vorgeworfen . begangen kurz vor Weihnachten 2012. Erst am 18.7.2014 wird dann die Fahrerlaubnis nach § 111a StPO vorläufig entzogen. Für die Tat ist das zweifellos gerechtfertigt. Aber: 1 Jahr und 7 Monate zwischen Tat und Urteil, das ist schon sehr spät. Bei einer schnellen Verfahrensführung (vielleicht 3-4 Monate) und einer tatnahen Entziehung wäre die Sperre (üblicherweise ca. 1 Jahr)  sicher längst abgelaufen und man hätte dem Angeklagten sicher auch seine Fleppe schon zurückgegeben. Man könnte da also gut denken, dass allein die vergangene Zeit dazu führt, den Eignungsmangel, der sich aus der Tat ergibt, nun nicht mehr feststellen zu können. Diese Problematik hatte ich in einem meiner ersten Aufsätze mal näher behandelt ( Krumm Fahrverbot und Fahrerlaubnisentziehung bei langer Verfahrensdauer, NJW 2004, 1627).

Das LG Erfurt fand die später Entziehung aber ok:

1.    Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 18.07.2014, Az.: 982 Js 9002/13 48 Ds, wird — als unbegründet — verworfen.

2.    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Angeklagte zu tragen.

Gründe: 

I.
Mit Anklageschrift vom 25.03.2013, Az.: 982 Js 9002/13, wirft die Staatsanwaltschaft Erfurt dem Angeklagten unerlaubtes Entfernen vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr.1 StGB zur Last. Der Angeklagte sei aufgrund der Ermittlungen verdächtig, am 20.12.2012 gegen 08:20 Uhr mit dem LKW Mercedes, amtliches Kennzeichen pp. mit Anhänger, amtliches Kennzeichen pp., auf der BAB 4 in Richtung Erfurt gefahren zu sein. Dort habe er in Höhe Km 212 den PKW VW, amtliches Kennzeichen pp- des Zeugen L. überholt. Beim Wiedereinordnen habe der Hänger des Angeklagten den PKW VW gestreift, wodurch ein Fremdschaden von ca. 3500,00 EUR entstanden sei. Obwohl der Angeklagte den Unfall bemerkt und erkannt habe bzw. damit gerechnet habe, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden gewesen sei, habe er die Unfallstelle verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Durch die Tat habe der Angeklagte sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.

Mit Beschluss vom 06.11.2013 hat das Amtsgericht Erfurt die vorbezeichnete Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Erfurt — Strafrichter — eröffnet. Nachdem das Amtsgericht mehrere anberaumte Hauptverhandlungstermine (30.01.2014, 12.03.2014, 04.06.2014, 02.07.2014) aus diversen Gründen verlegt bzw. aufgehoben hat, hat die Staatsanwaltschaft Erfurt unter dem 10.07.2014 beantragt, dem An-geklagten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen.

Mit Beschluss vom 18.07.2014, Az.: 982 Js 9002/13 48 Ds, hat das Amtsgericht Erfurt dem Angeklagten die Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass aufgrund des in der Anklageschrift dargestellten Sachverhalts dringende Gründe für die Annahme vorhanden seien, dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen werden wird (§§ 69 Abs. 1 und 2; 142 StGB). Zur Sicherung gegen weitere Gefährdungen sei es erforderlich, die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen.

Daraufhin wurde durch die Polizeidirektion Leipzig am 04.08.2014 der Führerschein des Angeklagten sichergestellt.

Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Erfurt hat der Angeklagte durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 04.08.2014 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Beschluss zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO aufzuheben und dem Angeklagten den Führerschein wieder auszuhändigen. Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass der Beschluss nicht durch den zuständigen Richter ergangen sei, da ausweislich des Beschlusses der Ermittlungsrichter gehandelt habe, allerdings gemäß § 162 Abs. 3 S. 1 StPO das mit der Sache befasste Gericht zuständig sei. Zudem sei der Beschluss auch infolge des Zeitablaufes zwischen Tathandlung und vorläufiger Entziehung der Fahrerlaubnis von insgesamt ca. 1 Jahr und 7 Monaten unter Beachtung des Beschleunigungsgebotes nicht verhältnismäßig. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 04.08.2014 Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 15.08.2014 der Beschwerde des Angeklagten nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung der Beschwerdekammer des Landgerichts Erfurt vorgelegt, wo sie am 25.08.2014 einging. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beschluss vom zuständigen Strafrichter in seiner Funktion als Strafrichter erlassen worden sei. Der Zeitablauf beruhe auf wiederholten Fristverlängerungs- und Terminverschiebungsanträgen des Angeklagten. Ein längeres Zuwarten sei den übrigen Verkehrsteilnehmern nicht mehr zuzumuten. Aufgrund des eklatanten Fehlverhaltens des Angeklagten und des hohen Sachschadens sei der Angeklagte derart ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges, das eine Aufhebung des Beschlusses nicht in Betracht komme. Die Kammer hat dem Angeklagten daraufhin rechtliches Gehör gewährt. Der Angeklagte hat mit Schreiben seines Verteidigers vom 15.09.2014 sein bisheriges Vorbringen ergänzt und erweitert. Wegen der Einzelheiten wird auf dieses verwiesen.

II.
Die Beschwerde des Angeklagten ist gemäß § 304 StPO zulässig; in der Sache jedoch unbegründet.

Zunächst wurde der Beschluss vom gemäß § 162 Abs. 3 S. 1 StPO zuständigen Richter erlassen. Zwar ist der Beschwerde insoweit zu folgen, dass entsprechend dieser Vorschrift nach Erhebung der öffentlichen Klage nicht mehr der Ermittlungsrichter (vgl. § 162 Abs. 1 StPO) sondern das mit der Sache befasste Gericht die Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a Abs. 1 StPO zu treffen hat.

Genau dieser Richter hat vorliegend aber auch die Anordnung erlassen. Aufgrund der Personenidentität von Ermittlungsrichter und mit der Sache befassten Richter hat jedenfalls der zuständige Richter in Person entschieden. In der Gesamtbetrachtung ändert sich für den Angeklagten auch nichts, da die zur Entscheidung berufene Person tätig geworden ist. Es ist zwar zutreffend, dass der Beschluss die fehlerhafte Bezeichnung Amtsgericht Erfurt „— Ermittlungsrichter —" enthält, gleichfalls beinhaltet dieser aber mit der Bezeichnung „Ds" im Aktenzeichen ,,982 Js 9002/13 48 Ds" gerade jenes Zeichen für „Sachen des Strafrichters" und nicht des Ermittlungsrichters.

Des Weiteren liegen auch die Voraussetzungen für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO bezüglich des Angeklagten vor.

Die Annahme eines dringenden Tatverdachts des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr.1 StGB gegen den Angeklagten durch das Amtsgericht Erfurt ist nicht zu beanstanden. Dieser beruht insbesondere auf den Angaben der Zeugen L.t (BI. 5 Eißmann (BI. 8f. d.A.), sowie den am — vom Angeklagten bei der Firma B. GmBH Anhängerservice — gemieteten Anhänger, amtl. Kennzeichen pp, vorgefundenen Farbabrieb (vgl. Lichtbilder Bl. 19 ff.). Dafür, dass der Angeklagte entgegen seiner Vernehmung bei der Polizeidirektion Leipzig vom 28.01.2013 den Zusammenstoß bemerkt hat, spricht neben dem vorliegenden Schadensbild am Fahrzeug des Geschädigten insbesondere die vom Zeugen E. beschriebene Verringerung der Geschwindigkeit durch den Angeklagten nach dem Zusammenstoß.

Der Angeklagte ist somit einer Katalogtat nach § 69 Abs. 2 StGB dringend verdächtig, wobei aufgrund des Schadensbildes (ausweislich der Lichtbilder vom Fahrzeug des Zeugen L. BI. 13 ff d.A.) konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Grenze für einen bedeutenden Schaden an fremden Sachen i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB von 1.300,00 EUR (vgl. OLG Jena, NStZ-RR 2005, 183; Fischer, StGB, 61. Auflage, § 69 Rn. 29 mwN.) überschritten wurde. Das Vorliegen einer solchen Katalogtat begründet dabei grundsätzlich eine Indizwirkung dafür, dass der Täter als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist. Da nach Abschluss des Verfahrens in diesen Fällen eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 StGB grundsätzlich zu erfolgen hat, ist regelmäßig die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis erforderlich und geboten.

Vorliegend ist die Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis trotz des zwischenzeitlichen Zeitablaufs von ca. einem Jahr und sieben Monaten nach dem Tatgeschehen auch verhältnismäßig.

Zwar ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO eine Präventivmaßnahme, die der Allgemeinheit Schutz vor weiteren Verkehrsstraftaten gewähren soll. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis muss dabei auch im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Dieser Grundsatz setzt staatlichen Eingriffen Grenzen, die insbesondere durch Abwägung der in Betracht kommenden Interessen zu ermitteln sind.

Es ist aber hier nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht dem öffentlichen Interesse am Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Kraftfahrern den Vorrang vor dem Interesse des Angeklagten am Bestand seiner Fahrerlaubnis beigemessen hat.

Mit Blick auf die gebotene Beschleunigung hinsichtlich strafprozessualer Eingriffe in Grund- rechte sowie den Charakter als Eilmaßnahme verneinen allerdings Teile der Rechtsprechung die Berechtigung des Staates zur vorläufigen Einziehung der Fahrerlaubnis nach Eintritt eines gewissen Zeitablaufs zwischen Tatgeschehen und Anordnung. Dabei werden zum Teil
— wie vom Verteidiger zitiert — bereits Entziehungen nach Ablauf von Zeitspannen zwischen vier (vgl. LG Trier, VRS 63, S. 210 f.) und fünf Monaten (vgl. LG Kiel, StV 2003, S. 325) als unverhältnismäßig angesehen (vgl. auch Meyer-Goßner, § 111a StPO, 56. Aufl., Rn. 3 mwN.). Nach anderer Ansicht lässt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aber die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auch noch in einem späteren Verfahrensabschnitt zu (vgl. OLG München, NJW 1992, S. 2776 f.: nach drei Jahren; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15.03.2005, 2 BvR 364/05: 15 Monate).

In Hinblick auf die aus dem dringenden Tatverdacht sprechende grobe Verkehrswidrigkeit des Verhaltens des Angeklagten ist der Sicherheit des Straßenverkehrs Vorrang gegenüber dem eingetretenen Zeitablauf und der hier- bis zur erstmaligen Terminierung durch das Amtsgericht — zu erkennenden Verfahrensverzögerung einzuräumen. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch die Tat zum Ausdruck kommende Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zwischenzeitlich weggefallen sei.

Auch wenn der Antragsteller seit der Anlasstat beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat, führt dies unter Beachtung der Wertung des Gesetzgebers, dass der Täter einer Unfallflucht in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist, nicht zwangsläufig dazu, die Ungeeignetheit zu negieren. Dies gilt hier unter Berücksichtigung des in der Akte enthaltenen Fahreignungsregisters beim Kraftfahrtbundesamt bezüglich des Angeklagten umso mehr. Dieses weist seit 2009 die Begehung von fünf Ordnungswidrigkeiten — in zwei Fällen mit einem Fahrverbot sanktioniert — aus.

Die Bedeutung der Verfahrensdauer wird zudem dadurch gemindert, dass die unterbliebene Verfahrensbeschleunigung nicht den Zeitraum der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis selbst betrifft.

Auch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes wiegen hier nicht besonders schwer, weil der Angeklagte — ausweislich der ihm zugestellten Anklageschrift vom 25.03.2013, die von der Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen bereits ausgeht — die Möglichkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis im Hauptverfahren ernsthaft in Betracht ziehen musste. Dass das Amtsgericht ursprünglich bei zeitnaher Hauptverhandlung das Ergebnis der Beweisaufnahme abwarten wollte, eine solche sich unabhängig von der Verursachung der einzelnen Terminsverschiebungen jedoch nicht realisieren ließ, aber nunmehr aufgrund vorgenannter Gesamtumstände die vorläufige Entziehung für erforderlich erachtet, hat den Angeklagten insofern auch nicht benachteiligt.

 LG Erfurt, Beschl. v. 23.10.2014 - 7 Qs 199/14

(Entscheidung gefunden bei www.burhoff.de)

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