Erstaunliches aus Stuttgart

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 29.12.2014
Rechtsgebiete: Familienrecht4|3762 Aufrufe

Das OLG Stuttgart hat seiner Entscheidung vom 02.12.2014 (11 UF 173/14)  folgenden amtlichen Leitsatz beigefügt:

§ 1626a BGB enthält keine gesetzliche Vermutung oder ein Leitbild dahingehend, dass die gemeinsame elterliche Sorge gegenüber der Alleinsorge vorzugswürdig ist.

Aus der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 1626 a BGB:

Das Familiengericht überträgt den Eltern die elterliche Sorge gemeinsam, wenn dies dem Kindeswohl nicht widerspricht. Anders als nach der Übergangsregelung des BVerfG im Beschluss vom 21. Juli 2010 ist keine positive Feststellung erforderlich, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl entspricht. Liegen keine Gründe vor, die gegen die gemeinsame elterliche Sorge sprechen, sollen grundsätzlich beide Eltern gemeinsam sie tragen.

Dies ist das Leitbild des Entwurfs. Die danach vorgesehene nur negative Kindeswohlprüfung bringt die Überzeugung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass die gemeinsame elterliche Sorge grundsätzlich den Bedürfnissen des Kindes nach Beziehungen zu beiden Elternteilen entspricht und ihm verdeutlicht, dass beide Eltern gleichermaßen bereit sind, für das Kind Verantwortung zu tragen (BVerfGE 107, 150 ff., 155). Es entspricht dem Kindeswohl, wenn ein Kind in dem Bewusstsein lebt, dass beide Eltern für es Verantwortung tragen, und wenn es seine Eltern in wichtigen Entscheidungen für sein Leben als gleichberechtigt erlebt. Diese Erfahrung ist aufgrund der Vorbildfunktion der Eltern wichtig und für das Kind und für seine Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit prägend……

Angesichts des gesetzlichen Leitbildes, das nunmehr nach Möglichkeit die in gemeinsamer Verantwortung ausgeübte Sorge beider Elternteile vorsieht, ist zu verlangen, dass konkrete Anhaltspunkte dafür dargetan werden, dass eine gemeinsame Sorge sich nachteilig auf das Kind auswirken würde.

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4 Kommentare

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Aus der Entscheidung (Rdnr. 14 ff.):

Ebenso enthält § 1626a BGB keine gesetzliche Vermutung oder ein Leitbild (so aber OLG Stuttgart FamRZ 2014, 1715) dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge gegenüber der Alleinsorge vorzugswürdig sei. Die Vorschrift beinhaltet lediglich die Vermutung, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht, wenn keine Gründe ersichtlich sind, die dem entgegenstehen (so auch OLG Frankfurt NJW 2014, 2201).
    
Die gemeinsame Sorge widerspricht vorliegend dem Kindeswohl, weil die Eltern nicht über die für die gemeinsame Sorgetragung erforderliche Kooperationswilligkeit oder Kooperationsfähigkeit verfügen.
    
Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt nach der Rechtsprechung des BVerfG eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen (BVerfGE 107, 150 ff., 169).
    
Eine solche ist nicht ersichtlich, vielmehr besteht auf der Kommunikationsebene eine schwerwiegende und nachhaltige Störung, die bereits seit vielen Jahren eine gemeinsam Entscheidungsfindung nicht ermöglicht hat und auch aktuell den Antragsteller dazu bewegt, ohne Rücksicht auf die Belange und Bedürfnisse des Kindes Handlungen zu unternehmen, von denen er annimmt, dass sie die Antragsgegnerin verletzen.

Mein Name schrieb:

    
Die gemeinsame Sorge widerspricht vorliegend dem Kindeswohl, weil die Eltern nicht über die für die gemeinsame Sorgetragung erforderliche Kooperationswilligkeit oder Kooperationsfähigkeit

danke @ meine Name für das Zitat.

Das mag in dem Einzelfall ja zutreffend sein, trotzdem rechtfertigt das m.E. Nicht den Leitsatz

Was ist denn ein "Leitbild"? Könnte das Gericht eine Rechtsfolge, die sich  -  unterstelltermaßen  -  mit § 1626a Abs. 2 BGB nicht tragfähig begründen ließe, auf ein in der Entwurfsbegründung behauptetes "Leitbild" stützen?

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Gern geschehen.

Sehe ich auch so; der Beschluss hätte auch ohne diese unhaltbare Behauptung so ergehen können - sogar mit ausdrücklichem Hinweis auf das Leitbild. Ich kann nur vermuten, dass sich da ein Minderheitenmeiner profilieren wollte.

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