BVerfG vs. BAG

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 04.02.2015

Das hat es lange nicht gegeben: Gleich dreimal hat das BVerfG im vergangenen Jahr Verfassungsbeschwerden gegen Urteile des BAG stattgegeben. Zwei Verfahren betrafen Entscheidungen des für das Kündigungsrecht zuständigen Zweiten Senats, eine den Dritten:

1. Loyalitätspflichten im kirchlichen Arbeitsverhältnis

Über den prominentesten Fall hat Markus Stoffels hier im BeckBlog bereits berichtet: Der Arbeitnehmer war Chefarzt in einem katholischen Krankenhaus. Seine erste Ehe war er auch kirchlich eingegangen. Nach der (bürgerlichen) Scheidung heiratete er ein zweites Mal. Die Arbeitgeberin kündigte ihm, weil er hiermit gegen die Grundordnung der katholischen Kirche verstoßen habe. Die erste Ehe bestehe mangels kirchenrechtlicher Aufhebung noch fort. Der Arbeitnehmer verletzte seine Loyalitätsobliegenheiten, wenn er standesamtlich eine Ehe mit einer anderen Frau eingehe als kirchlich. Das BAG hielt die Kündigung für sozial ungerechtfertigt, weil nicht durch Umstände in der Person des Arbeitnehmers begründet (§ 1 Abs. 2 KSchG). Dem hat das BVerfG widersprochen: Die Entscheidung des Zweiten Senats verletze das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 WRV (BVerfG, Beschl. vom 22.10.2014 - 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387).

2. Vertrauensschutz bei Änderung der Rechtsprechung infolge EuGH-Judikatur

Keine acht Wochen später beanstandete das BVerfG erneut ein Urteil des Zweiten Senats. Dem Arbeitnehmer war im Zuge einer Massenentlassung im November 2004 von seiner Arbeitgeberin zum 31.3.2005 gekündigt worden. Die nach § 17 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige erstattete die Arbeitgeberin am 25.1.2005. Das entsprach der seinerzeitigen Interpretation des § 17 KSchG durch das BAG, das seit 1973 in ständiger Rechtsprechung erkannt hatte, dass die Massenentlassung erst zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (der tatsächlichen "Entlassung"), nicht aber schon zum Zeitpunkt der Kündigung angezeigt worden sein müsse. Zwei Tage nach der Massenentlassungsanzeige, am 27.1.2005, entschied der EuGH in der Rechtssache Junk, Art. 2 RL 98/59/EG sei dahingehend zu interpretieren, dass die Anzeige bereits rechtzeitig vor der Kündigung erstattet werden müsse (EuGH, Urt. vom 27.1.2005 - C-188/03, NZA 2005, 213). Die Kündigungsschutzklage des Klägers blieb beim BAG gleichwohl ohne Erfolg: Angesichts der langjährigen gegenteiligen Judikatur des BAG müsse den Arbeitgebern für Kündigungen vor dem Junk-Urteil des EuGH Vertrauensschutz gewährt werden (BAG, Urt. vom 1.2.2007 - 2 AZR 15/06, BeckRS 2011, 72103). Zur Überzeugung des BVerfG verletzt dieses Urteil den grundrechtsgleichen Anspruch des Klägers auf seinen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG): Das BAG hätte den Vertrauensschutz nicht in eigener Kompetenz gewähren dürfen, sondern den EuGH um Vorabentscheidung ersuchen müssen. Es liege allein in der Kompetenz des EuGH zu entscheiden, ob er sich die Gewährung von Vertrauensschutz und die damit (faktisch) einhergehende zeitliche Beschränkung der Wirkung seiner Junk-Entscheidung vorbehält oder ob er sie den nationalen Gerichten überlässt (BVerfG, Beschl. vom 10.12.2014 - 2 BvR 1549/07, BeckRS 2015, 40881). Kritisch mag man anmerken, dass das BVerfG für diese Entscheidung sieben Jahre benötigt hat und in der Zwischenzeit längst alle anderen Verfahren rechtskräftig abgeschlossen worden sind.

3. Die Griechenland-Krise

Bereits im März 2014 hatte der Dritte Senat des BAG Gegenwind aus Karlsruhe bekommen. Streitig ist die Reichweite der deutschen Gerichtsbarkeit. Der Arbeitnehmer steht seit 1989 als Lehrkraft für die „Privaten Volksschulen der Republik Griechenland“ in München und Umgebung im Dienst der Arbeitgeberin, die Trägerin dieser Privatschulen ist. Er bezieht sein Bruttoeinkommen aus öffentlichen Kassen der Republik Griechenland. Art. 8 Abs. 2 seines Arbeitsvertrags sieht vor, dass er in Folge des extraterritorialen Status der Arbeitgeberin selbst verpflichtet ist, die volle Höhe der Sozialversicherungsbeiträge sowie auch die Lohn- und Kirchensteuer an die zuständigen deutschen Behörden beziehungsweise Anstalten abzuführen. Mit Schreiben vom 24.1.2002 teilte ihm das Griechische Generalkonsulat München mit, dass ab dem 1.2.2002 „im Auftrag und Interesse des griechischen Staates ein Prozentsatz von 5%, bezogen auf Ihr monatliches Bruttoeinkommen, als Steuer einbehalten wird“. Dies sollte rückwirkend mit Wirkung vom September 2001 an gelten. Die Erhebung dieser Steuer erfolgte jeweils durch direkten Abzug vom Bruttoeinkommen unter Angabe der griechischen Besteuerungsgrundlage. Der Arbeitnehmer erhob vor dem ArbG München Klage auf Auszahlung der als Steuer einbehaltenen Beträge und erwirkte gegen die nicht erschienene Beklagte (Teil-)Versäumnisurteil. Im Vollstreckungsverfahren erhob die Arbeitgeberin Erinnerung (§ 766 ZPO) und rügte die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Das BAG hielt die Erinnerung für unbegründet, da nach dem deutsch-griechischen Doppelbesteuerungsabkommen Streitigkeiten in dem Staat auszutragen seien, in dem die betroffene Person ansässig ist (BAG, Beschl. vom 14.2.2013 - 3 AZB 5/12, NZA 2013, 468). Auch dies sah das BVerfG anders: Gegenstand des Rechtsstreits sei die Besteuerung des Arbeitnehmers mit der griechischen Quellensteuer durch den griechischen Staat, nicht die unterbliebene vollständige Auszahlung eines im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber geschuldeten (Brutto-)Gehalts. Die Erhebung von Steuern sei eine hoheitliche Tätigkeit des (griechischen) Staates, die ausländischer (deutscher) Gerichtsbarkeit nicht unterliege. Das Teilversäumnisurteil des ArbG München sei daher nichtig, aus ihm dürfe nicht vollstreckt werden (BVerfG, Beschl. vom 17.3.2014 - 2 BvR 736/13, NZA 2014, 1046).

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