OLG Hamm: bis 250 Euro muss der OWi-Richter auch bei Arbeitslosen nichts schreiben

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.02.2015

Wann muss sich ein OWi-Urteil auch zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen näher äußern? Die Rechtsprechung der OLG ist hier nicht ganz klar. Der 3. Straf- und OWiSenat in Hamm hat jetzt klargestellt: Auch bei Arbeitslosen, die nichts weiter sagen kann bis 250 Euro ohne weiteres verurteilt werden:

Auch der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Das Amtsgericht hat die nach dem Bußgeldkatalog vorgesehene Geldbuße von 120,00 € aufgrund der einschlägigen Voreintragung in einer im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstandenden Weise angemessen auf 160,00 € erhöht. Einer näheren Erörterung bedarf in diesem Zusammenhang allerdings, dass das Tatgericht keine weiteren Ermittlungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen angestellt hat und der Betroffene nach den getroffenen Feststellungen seit Juni 2014 arbeitslos ist.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Betroffenen sind gegebenenfalls vom Gericht aufzuklären, wobei eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen nicht besteht (vgl. KK-OWiG/Mitsch, 4. Auflage, § 17, Rdnr. 86). Daher ist es zunächst zumindest missverständlich, wenn das Tatgericht im Rahmen der Urteilsgründe zur Bußgeldbemessung ausgeführt hat, dass keine besonderen Verhältnisse „vorgetragen“ wurden. Ob der Tatrichter in Verkennung des Amtsermittlungsprinzips an dieser Stelle möglicherweise von einem Beibringungsgrundsatz ausgegangen ist, kann allerdings dahinstehen. Denn im vorliegenden Verfahren bedurfte es einer weiteren Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch das Tatgericht im Ergebnis nicht, so dass sich die vom Tatrichter eventuell rechtsfehlerhafte Annahme eines Beibringungsgrundsatzes nicht auswirkt.

Nach der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung wird im Hinblick auf den in § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG festgesetzten Schwellenwert von 250,00 € eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen grundsätzlich für entbehrlich gehalten, wenn das Regelbußgeld diesen Betrag nicht übersteigt und keine Besonderheiten vorliegen (vgl. Göhler-Gürtler, OWiG, 16. Auflage, § 17, Rdnr. 24 m.w.N.; KK-OWiG/Mitsch, a.a.O., Rdnr. 91 m.w.N.). Auch nach der Rechtsprechung des Senats sind Ausführungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen bei der Verhängung der Regelgeldbuße –  unabhängig von ihrer Höhe im Einzelfall –  grundsätzlich nicht erforderlich, soweit keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse außergewöhnlich gut oder schlecht sind (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. März 2012 – III-3 RBs 441/11, NJOZ 2013, 829 und III-3 RBs 440/11, BeckRS 2012, 11712). Als Anhaltspunkt für eine schlechte finanzielle Situation kann allerdings regelmäßig die Arbeitslosigkeit eines Betroffenen zu sehen sein (vgl. Göhler-Gürtler, a.a.O.; KK-OWiG/Mitsch, a.a.O., Rdnr. 92; Senat, Beschluss vom 20. März 2012 – III-3 RBs 441/11, NJOZ 2013, 829; OLG Dresden, Beschluss vom 10. Januar 2006 – Ss(OWi) 532/05, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Oktober 2006 – 1 Ss 82/06, NStZ 2007, 182; KG Berlin, Beschluss vom 17. Februar 2012 – 3 Ws (B) 52/12 – 162 Ss 372/11, juris).

Unter Berücksichtigung der o.g. Rechtsprechung hätte es im vorliegenden Verfahren daher zwar grundsätzlich einer näheren Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen durch den Tatrichter bedurft, weil das Amtsgericht nicht die Regelgeldbuße verhängt, sondern die nach der Bußgeldkatalogverordnung vorgesehene Regelgeldbuße aufgrund der Voreintragung erhöht hat und hinzu kommt, dass der Betroffene seit Juni 2014 arbeitslos ist. Im Ergebnis vertritt der Senat bei näherer Betrachtung der Ausgangslage in Fortbildung der o.g. Rechtsprechung jedoch die Auffassung, dass Ausführungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen eines Betroffenen in der Regel zudem dann nicht erforderlich sind, wenn eine Geldbuße – unabhängig davon, ob es sich hierbei um das Regelbußgeld oder ein angemessen erhöhtes Bußgeld handelt – von weniger als 250,00 € festgesetzt wird, der Betroffene keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen macht, Anhaltspunkte für eine Schätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vorliegen und eine weitere Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu einer Verzögerung der Entscheidung führen würde. Dabei hat sich der Senat von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen:

aa) Der Gesetzgeber hat in § 17 Abs. 3 OWiG deutlich gemacht, dass Grundlagen für die Bemessung der Geldbuße zunächst die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der den Täter treffende Vorwurf sind, § 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Erst anschließend heißt es, dass „auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters“ in Betracht kommen, wobei diese bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten in der Regel unberücksichtigt bleiben, § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG. Bereits hieraus ergibt sich, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und dem den Täter treffenden Vorwurf nach dem Willen des Gesetzgeber insgesamt nur ein nachrangiges Zumessungskriterium darstellen (vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Juni 2010 – 3 Ss OWi 854/10, NZV 2011, 44 mit Anmerkung Sandherr). Im Wesentlichen unstreitig ist in Rechtsprechung und Literatur in diesem Zusammenhang, dass die Geringfügigkeitsgrenze im Sinne des § 17 Abs. 3, Satz 2, HS 2 OWiG jedenfalls bei Geldbußen bis 35,00 € (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG) in der Regel nicht überschritten ist. Darüber hinaus nimmt die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung jedoch unter Bezugnahme auf den Schwellenwert des § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG eine Obergrenze von 250,00 € an, bis zu deren Erreichen eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse regelmäßig entbehrlich ist, wenn keine Besonderheiten erkennbar sind und die Regelbuße verhängt wird (vgl. Göhler-Gürtler, a.a.O., Rdnr. 24 m.w.N.). Neben der o.g. und sich aus § 17 Abs. 3 OWiG ergebenen Wertung des Gesetzgebers stützt die Rechtsprechung sich dabei u.a. darauf, dass das Ordnungswidrigkeitengesetz auch an anderen Stellen im Interesse der Verfahrensvereinfachung und –beschleunigung ganz bewusst schematisiert und deswegen auch die Rechtsbeschwerde auf die wegen der verhängten Rechtsfolgen bedeutenderen Fälle beschränkt ist (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 3. Februar 1999 – 1 Ss 21/99, NStZ 2000, 95, 96).

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber das Ordnungswidrigkeitengesetz gegenüber dem Strafprozessrecht auch an anderen Stellen vereinfacht hat, was beispielsweise an der vereinfachten Art der Beweisaufnahme (§ 77a OWiG) oder der weiteren Möglichkeit der Ablehnung von Beweisanträgen (§ 77 Abs. 2 OWiG) abzulesen ist. Unter Berücksichtigung dieser Prämissen ist es daher nur konsequent und sachgerecht, die o.g. Rechtsansicht nicht nur auf verhängte Regelgeldbußen anzuwenden, sondern auch auf angemessen erhöhte Bußgelder unterhalb des Schwellenwertes von 250,00 € auszudehnen. Denn auch hierbei beruht die Bemessung der erhöhten Geldbuße letztendlich im Wesentlichen auf der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und dem Vorwurf, der den Täter trifft (§ 17 Abs. 3 Satz 1 OWiG), beispielsweise aufgrund von Voreintragungen.

Für eine solche Auslegung spricht auch, dass es für das Erreichen des in § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG genannten Schwellenwertes ebenfalls nicht darauf ankommt, ob (nur) die Regelbuße verhängt wurde, sondern die Voraussetzung des § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG gemäß § 79 Abs. 2 OWiG selbst dann gegeben ist, wenn wegen einer Tat im prozessualen Sinne mehrere Geldbußen festgesetzt werden und die Addition der entsprechenden Beträge den Wert von 250,00 € übersteigt (vgl. Göhler-Seitz, OWiG, 16. Auflage, § 79, Rdnr. 3 und 23 m.w.N.).

Die nähere Beleuchtung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen ist demnach unabhängig davon, ob die Regelgeldbuße oder ein erhöhtes Bußgeld festgesetzt wird, grundsätzlich entbehrlich, solange dieses unterhalb von 250,00 € liegt und keine Besonderheiten ersichtlich sind (so wohl im Ergebnis auch OLG Celle, Beschluss vom 16. Juli 2008 – 311 SsBs 43/08, NStZ 2009, 295; KG Berlin, Beschluss vom 17. Februar 2012 – 3 Ws (B) 52/12 – 162 Ss 372/11, juris; Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 19. Oktober 2009 – 2 SsBs 38/09, NZV 2010, 42; OLG Koblenz, Beschluss vom 26. August 2011 - 1 SsBs 63/11, BeckRS 2011, 23016).

bb) Unter Berücksichtigung der unter aa) genannten Erwägungen und insbesondere der vom Gesetzgeber gewollten Verfahrensbeschleunigung bestand für das Amtsgericht trotz der festgestellten Arbeitslosigkeit des Betroffenen im vorliegenden Verfahren keine Verpflichtung zu einer weiteren Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Denn zumindest bei Geldbußen von weniger als 250,00 € ist es im Interesse der Verfahrensbeschleunigung nicht zu beanstanden, wenn von einer weiteren Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse zumindest in den Fällen abgesehen wird, in denen der Betroffene keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen macht und keinerlei Anhaltspunkte für eine Schätzung ersichtlich sind. Dies muss von einem Betroffenen, der von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, letztendlich hingenommen werden. Denn anderenfalls müsste ein Tatrichter – der wie im vorliegenden Verfahren erst im Rahmen der Hauptverhandlung Kenntnis von der Arbeitslosigkeit des Betroffenen erlangt – weitere Ermittlungen zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse anstellen, die ohne Verzögerungen in der Regel nicht durchzuführen sind.

Eine solche Vorgehensweise dürfte auch der Intention des Gesetzgebers entsprechen, der dem Tatrichter mit § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG sogar die Möglichkeit an die Hand gegeben hat, einen ohne Grund verspätet vorgebrachten Beweisantrag mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung abzulehnen. Denn entsprechend der in § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG vorausgesetzten Ausgangslage hat es der Betroffene auch in Fällen seiner Arbeitslosigkeit selbst in der Hand, das Tatgericht hierüber frühzeitig in Kenntnis zu setzen, um Verzögerungen zu vermeiden. Tut er dies nicht und macht er auch sonst keine Angaben, muss er es hinnehmen, dass das Gericht auch ohne weitere Aufklärung von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen ausgeht, wenn Anhaltspunkte für eine Schätzung nicht vorliegen und das Verfahren sonst verzögert wird.

In diesem Zusammenhang hat der Senat zudem berücksichtigt, dass die Arbeitslosigkeit eines Betroffenen als solche ohnehin nicht per se auf unterdurchschnittliche wirtschaftliche Verhältnisse hindeuten muss, da beispielsweise auch bei Bezug von ALG I noch durchschnittliche Einkommensverhältnisse gegeben sein können, das Vermögen eines Betroffenen ebenfalls berücksichtigt werden kann und auch die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Ehepartners von Bedeutung sein können (vgl. Göhler-Gürtler, a.a.O., Rdnr. 21).

cc) Eine Vorlagepflicht entsprechend § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 121 Abs. 2 GVG besteht nicht. Die Obergerichte haben – soweit ersichtlich – die Arbeitslosigkeit und eine daraus resultierende Aufklärungspflicht der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen durch das Tatgericht in entscheidungserheblicher Weise bislang nur bei Geldbußen ab 250,00 € angenommen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 10. Januar 2006 – Ss(OWi) 532/05, juris [250,00 €]; KG Berlin, Beschluss vom 17. Februar 2012 – 3 Ws (B) 52/12 – 162 Ss 372/11, juris [über 250,00 €]).

Soweit das OLG Karlsruhe in seinem Beschluss vom 13. Oktober 2006 (1 Ss 82/06, NStZ 2007, 182) ausgeführt hat, dass im Falle von Arbeitslosigkeit des Betroffenen  abgesehen von Geldbußen unterhalb des Höchstbetrages des Verwarnungsgeldes nach § 56 Abs. 1 OWiG unter entsprechender Darstellung im Urteil regelmäßig zu prüfen sei, ob der Betroffene ggf. auch unter Gewährung von Zahlungserleichterungen zur Bezahlung des im Bußgeldkatalog vorgesehenen Regelsatzes in der Lage ist, war diese Rechtsansicht in Bezug auf die Bußgeldhöhe nicht tragend, da das Tatgericht in dem vom Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedenen Fall die Regelgeldbuße von 750,00 € aufgrund der Arbeitslosigkeit des Betroffenen auf 400,00 € ermäßigt hatte.

 Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 8.1.2015 - 3 RBs 354/14

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