Augenblicksversagen beim qualifizierten Rotlichtverstoß: Selten!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 18.03.2015

Der "1-Sekunden-Rotlichtverstoß" ist ein Klassiker der Fahrverbotsrechtsprechung. Findet man so auch ausführlich in meinem "Fahrverbot in Bußgeldsachen", dort in § 6. Gerne wird in diesem Rahmen geltend gemacht, es habe ein Augenblicksversagen vorgelegen, so dass dann auch der grobe Pflichtenverstoß und damit die Voraussetzung des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG wegfallen würde. Klappt aber meist nicht, so etwa hier beim OLG Düsseldorf:

Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässiger „Nichtbefolgung eines Rotlichtzeichens“ zu 600 € Geldbuße verurteilt und von der Verhängung des Regelfahrverbots bei schon länger als eine Sekunde andauernder Rotphase abgesehen. Die zu Ungunsten der Betroffenen eingelegte und erkennbar auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Das Amtsgericht hat festgestellt:

„Die Betroffene befuhr am 10. Oktober 2012 um 10.13 Uhr mit dem Pkw (…) in Düsseldorf die Corneliusstraße aus südlicher Richtung kommend und beabsichtigte, nach links in die Herzogstraße abzubiegen. Als die Linksabbiegerampel auf der Corneliusstraße für sie Grünlicht anzeigte, fuhr sie in den Kreuzungsbereich ein. Dort missachtete sie das für sie geltende Rotlicht der weiteren, auf der Kreuzungsmitte befindliche Lichtzeichenanlage in Fahrtrichtung Herzogstraße/Rheinkniebrücke. Die Lichtzeichenanlage zeigte bereits länger als eine Sekunde Rotlicht, als die Betroffene über die Haltelinie und über die Gegenfahrspur der Corneliusstraße fuhr. Die ortsunkundige Betroffene hat die Lichtzeichenanlage auf der Kreuzungsmitte wahrgenommen, diese jedoch anderen Verkehrsteilnehmern zugeordnet.“

2. Der damit fehlerfrei festgestellte „qualifizierte“ Rotlichtverstoß (länger als eine Sekunde Rot) ist durch § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV i. V. m. Nr. 132.3 BKat als grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG „normativ vorbewertet“ (BVerfG, NJW 1996, 1809). Die Feststellungen bieten keine konkreten Anhaltspunkte für ein so genanntes Augenblicksversagen der Betroffenen, das Anlass geben könnte, vom Regelfahrverbot abzusehen.

a) Der Ausdruck „Augenblicksversagen“ beschreibt nur den Umstand, dass der Handelnde für eine kurze Zeit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Dieser Umstand allein ist kein ausreichender Grund, den Schuldvorwurf herabzustufen, wenn die objektiven Merkmale der groben Verletzung gegeben sind. Eine Vielzahl der Fälle unbewusster Fahrlässigkeit, insbesondere bei Regelverstößen im Straßenverkehr, beruht gerade darauf, dass der Handelnde für eine kurze Zeit unaufmerksam ist und das an ihn gerichtete Ge- oder Verbot übersieht. Vielmehr müssen weitere, in der Person des Handelnden liegende besondere Umstände hinzukommen, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen (vgl. BGHZ 119, 147, 149 = NJW 1992, 2418).

b) Ein „Augenblicksversagen“ (oder kurzzeitiges Fehlverhalten, das nicht vorkommen darf, aber erfahrungsgemäß auch dem sorgfältigen und pflichtbewussten Kraftfahrer unterläuft; BGHSt 43, 241, 246; BGH [Z], NJW 2003, 1118, 1119; Burmann/Heß- Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl. [2012], § 25 StVG Rdnr. 15 f mwN), das nicht als grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG (oder schadensrechtlich nicht als grob fahrlässig) zu bewerten ist, kann (muss aber nicht) vorgelegen haben, wenn der oder die Betroffene

– ein unübersichtliches Verkehrsgeschehen falsch gedeutet oder eine verwirrende Verkehrsregelung falsch verstanden hat,

– auf eine besonders schwierige, insbesondere überraschend eingetretene Verkehrslage falsch reagiert oder

– ein Verkehrszeichen schlicht übersehen hat und die sichtbaren äußeren Umstände auch nicht auf eine Beschränkung oder ein Ge- oder Verbot hingedeutet haben (wie etwa: Kreuzung auf Ampel oder Stoppschild, geschlossene Bebauung, Tunnel oder Baustelle auf Geschwindigkeitsbeschränkung; vgl. BGHSt aaO, 251 f).

c) Nach den Feststellungen kam nur in Betracht, dass die Betroffene eine verwirrende Verkehrsregelung falsch verstanden hat. Die Feststellungen bieten aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Verkehrsregelung für Linksabbieger (von der Cornelius- in die Herzogstraße) verwirrend war. Dass die Betroffene die rote Ampel auf der Kreuzungsmitte „wahrgenommen, diese jedoch anderen Verkehrsteilnehmern zugeordnet“ hat, mag richtig sein, heißt aber nicht mehr, als dass sie den Rotlichtverstoß nicht vorsätzlich begangen hat. Dass fehlende Ortskenntnis kein Umstand sein kann, der einen groben Verkehrsverstoß in einem milderen Licht erscheinen lässt, liegt auf der Hand (vgl. KG, 2 Ss 152/00 vom 11. August 2000 <Juris>). Wer sich nicht auskennt, muss das durch erhöhte Aufmerksamkeit und Vorsicht ausgleichen.

3. Der Senat entscheidet gemäß § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst, weil keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind (vgl. BayObLG, DAR 2002, 173 f.; OLGe Frankfurt, 2 Ss OWi 239/09 vom 30. Oktober 2009; Hamm, 3 RBs 120/10 vom 29. Juni 2010; Bamberg, 3 Ss OWi 1756/10 vom 29. November 2010 <Juris>), und ahndet den festgestellten „qualifizierten“ Rotlichtverstoß mit den Regelfolgen des Bußgeldkatalogs (200 € Regelsatz und 1 Monat Fahrverbot, Nr. 132.3 BKat). Gründe, ausnahmsweise nach § 4 Abs. 4 BKatV gegen angemessene Erhöhung des Regelsatzes von der Anordnung des Regelfahrverbots abzusehen, sind nicht ersichtlich.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschl. v. 14.3.2015 - IV-1 RBs 183/13

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

3 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Ich wünsche jedem Richter aus Düsseldorf, in eine ähnliche Verkehrssituation zu gelangen, wie sie an dieser Kreuzung vorherrscht.  

 

   

5

Kommentar hinzufügen