Schwarzfahren: Kurze Freiheitsstrafe ist schon ok....

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.03.2015

...meint das OLG Hamm. Dabei ging es im Rahmen des § 265a StGB um Schadensbeträge von 6,50 Euro bis 10,50 Euro. Bei ganz geringen Beträgen wird diskutiert, ob die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unverhältnismäßig sein kann. Einer meiner ersten Aufsätze in der NJW  (NJW 2004, 328: "Verfassungsrechtliches Übermaßverbot und kurze Freiheitsstrafe") befasste sich genau damit. Der 5. Strafsenat hat für die genannten Beträge die kurzen Freiheitsstrafen des zuvor damit befassten LG "gehalten":

Das Amtsgericht Essen verurteilte den Angeklagten am 06. Mai 2014 wegen Erschleichens von Leistungen in 4 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten. Die Vollstreckung der Strafe setzte es zur Bewährung aus. Zudem sah es von einer Einbeziehung der Strafen aus dem Beschluss des Amtsgerichts Bottrop vom 02. April 2014 zur Bildung einer Gesamtstrafe im  Verfahren 27 Cs 43 Js 1889/13 (494/13) ab.

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Berufung ein mit dem Ziel, eine Herabsetzung der Strafe zu erreichen.

Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen als unbegründet verworfen.

Das Landgericht ist dabei von folgenden Feststellungen ausgegangen, die auch dem Geständnis des Angeklagten entsprechen:

Ohne in Besitz des für die Beförderung jeweils erforderlichen Fahrscheins zu sein, nutzte der Angeklagte in 4 Fällen Verkehrsmittel der Deutschen Bahn. Er hatte in jedem Fall von Anfang an vor, das Fahrgeld für die Beförderung nicht zu entrichten.

Der pro Fahrt entstandene Schaden lag in einer Größenordnung von 6,50 € bis 10,50 €.

So benutzte der Angeklagte am 12. August 2013 gegen 15.09 Uhr den Zug Nr. 101## der Deutschen Bahn von F Hauptbahnhof nach L-N im Bereich des Kontrollbahnhofs N an der S. Am 11. September 2013 fuhr er gegen 21.16 Uhr mit dem Zug Nr. 101## der Deutschen Bahn von F Hauptbahnhof nach E Hauptbahnhof im Bereich des Kontrollbahnhofs N1 Hauptbahnhof, am 14. September 2013 fuhr er gegen 17.29 Uhr mit dem Zug Nr. 318## der Deutschen Bahn von O Hauptbahnhof nach E Hauptbahnhof im Bereich des Kontrollbahnhofs E-C und am

21. September 2013 fuhr er gegen 11.21 Uhr mit dem Zug Nr. 106## der Deutschen Bahn  von E Hauptbahnhof nach F Hauptbahnhof im Bereich des Kontrollbahnhofs N an der S.

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht u.a. ausgeführt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Begehung der Taten bereits erheblich und auch einschlägig vorbestraft gewesen sei. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass der Angeklagte vor Begehung der Tat vom 12. August 2013 gerade erst am 15. Januar, 21. Mai und 27. Mai 2013 wegen Erschleichens von Leistungen verurteilt worden sei.  Vor den Taten vom 11. und 14. September 2013 sei er zudem  am 21. August 2013 erneut wegen Erschleichens von Leistungen verurteilt worden. Obwohl er zusätzlich am

20. September 2013 wiederum wegen Erschleichens von Leistungen verurteilt worden sei, habe er am 21. September 2013 dennoch eine weitere Tat begangen.

Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht trotz der zugunsten des Angeklagten zu wertenden Umstände, wie u.a. dem jeweils entstandenen nur geringen Schaden, seiner geständigen Einlassung sowie den von ihm zwischenzeitlich auch bereits verbüßten Ersatzfreiheitsstrafen, es für unumgänglich erachtet, nunmehr durch die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen auf ihn einzuwirken. Dabei hat das Landgericht insbesondere darauf abgestellt, dass der Angeklagte sich durch die Vielzahl der gegen ihn wegen einschlägiger Taten verhängten Geldstrafen bisher in keiner Weise hat beeindrucken lassen und sein  Fehlverhalten, Beförderungserschleichungen zu begehen, stets fortgesetzt hat. Von daher hat das Landgericht für jede vom Angeklagten begangene Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von 3 Monaten und insgesamt unter maßvoller Erhöhung der Einsatzstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von

7 Monaten für unrecht- und schuldangemessen erachtet, deren Vollstreckung jedoch noch zur Bewährung ausgesetzt.

Von einer möglichen Bildung von Gesamtstrafen hat das Landgericht aufgrund des völlig unklaren Vollstreckungsstandes der zahlreichen Verurteilungen des Angeklagten sowie der bereits erfolgten Gesamtstrafenbildungen abgesehen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der von ihm form- und fristgerecht eingelegten Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Insoweit führt er aus, dass die verhängten Einzelstrafen sowie auch die Gesamtstrafe für die von ihm begangenen Schwarzfahrten zu hoch seien.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten ist nicht begründet.

Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Erschleichens von Leistungen in 4 Fällen. Sie weisen keinen Rechtsfehler auf.

Auch die Ausführungen der Strafkammer zum Rechtsfolgenausspruch halten rechtlicher Nachprüfung stand.

So ist die Strafzumessung grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist ausgeschlossen. Ein Eingriff in Einzelakte der Strafzumessung ist lediglich dann möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn  sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldspruch zu sein, also unvertretbar hoch oder niedrig ist (vgl. nur Fischer, StGB, 61. Aufl., § 46 Rdnr. 146 ff.;

Senat, Beschluss vom 16. November 2010 in 5 RVs 84/10; BGHSt 34, 345).

Die Begründung des Urteils muss erkennen lassen, dass die wesentlichen Gesichtspunkte gesehen und in ihrer Bedeutung und ihrem Zusammenwirken vertretbar gewürdigt werden. Dabei reicht es aus, wenn aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter einen Gesichtspunkt bei der Zumessungsentscheidung übersehen hat (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 148 a). In Zweifelsfällen hat das Revisionsgericht die Wertung des Tatrichters zu respektieren (vgl. Fischer, a.a.O., Rdnr. 147).

Hiervon ausgehend ist die von der Strafkammer vorgenommene Strafzumessung nicht zu beanstanden.

So hat die Strafkammer – wie auch von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift ausgeführt – zutreffend die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB als erfüllt angesehen und dessen Anwendung dargelegt. Soweit die Strafkammer als Ergebnis ihrer Strafzumessungserwägungen für jede vom Angeklagten begangene Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von 3 Monaten und eine Gesamtfreiheitsstrafe von

7 Monaten für unrechts- und schuldangemessen erachtet, begegnet auch dies keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Dieser der Strafkammer als Tatgericht obliegende Wertungsakt ist vorliegend vielmehr zu respektieren. Er beruht nicht auf Rechtsfehlern.

Zwar handelt es sich bei den vom Angeklagten begangenen und hier abzuurteilenden Taten der „Schwarzfahrerei“ um sog. Bagatellkriminalität mit nur geringem Schaden.

Weder das Übermaßverbot noch das Gebot schuldangemessenen Strafens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip schließen

jedoch die Verhängung von Freiheitsstrafen, auch über das gesetzliche Mindestmaß von einem Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) hinausgehend, bei Bagatelldelikten bzw. Straftaten mit nur geringem Schaden aus. Aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens ergibt sich auch nicht, dass die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 StGB erst ab einer bestimmten Schadenshöhe in Betracht kommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09. Juni 1994 – 2 BvR 710/94). Ob bei Bagatelldelikten bis zu einer bestimmten Schadensgrenze die Verhängung einer die gesetzliche Mindeststrafe übersteigenden Freiheitsstrafe schuldangemessen ist, entscheidet sich vielmehr nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2007 – 4 StR 400/07; KG Berlin, Beschluss vom 04. November 2008 – (4) 1 Ss 375/08 (249/08); OLG München, Beschluss vom 10. August 2009 – 5 St RR 201/09).

Ausgangspunkt für die Höhe der jeweils zu verhängenden Strafe ist die Vorschrift des § 46 StGB. Es ist eine umfassende Würdigung sämtlicher für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände vorzunehmen, wobei der Höhe des im Einzelfall entstandenen Schadens nur die Bedeutung eines unter vielen Gesichtspunkten für die Strafzumessung zukommt. Bedeutsam für die Verhängung einer Freiheitsstrafe sind insbesondere vielfache, einschlägige Vorstrafen sowie der Umstand, dass ein Angeklagter sich durch die Verhängung von Geldstrafen nicht nachhaltig beeinflussen lässt (vgl. BVerfG a.a.O.; OLG München a.a.O.).

Diesen Anforderungen hinsichtlich der vorzunehmenden Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalls werden die Ausführungen der Strafkammer zur Zumessung der Strafe gerecht.

So stellt die Strafkammer maßgeblich auf die erheblichen – insgesamt fünf -, sämtlich wegen Erschleichens von Leistungen erfolgten Vorverurteilungen des Angeklagten ab, der sich durch die bisher gegen ihn verhängten spürbaren, teilweise hohen Geldstrafen in keiner Weise hat beeindrucken lassen. Dabei misst die Strafkammer gerade auch dem den Angeklagten erschwerend belastenden Umstand besondere Bedeutung bei, dass es sogar zwischen den hier zur Aburteilung anstehenden Taten zu weiteren Verurteilungen kam. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe wird auch deutlich, dass die Strafkammer die hohe Rückfallgeschwindigkeit des Angeklagten bei der Begehung von Straftaten gesehen hat. Sämtliche Vorverurteilungen sowie die erneut vom Angeklagten begangenen Taten datieren in der Zeit von Januar bis September 2013. Die Ausführungen der Strafkammer machen deutlich, dass dieses delinquente Verhalten und seine völlige Resistenz gegenüber staatlichen Sanktionen für eine verfestigte rechtsfeindliche Gesinnung des Angeklagten sprechen. Zutreffend hat die Strafkammer diesem Umstand ersichtlich mehr Gewicht beigemessen als dem jeweils durch die Tat des Angeklagten entstandenen Schaden von maximal 10,50 € und dies zur maßgeblichen Grundlage für die Bemessung der von ihr verhängten Freiheitsstrafen gemacht. Diese Ausführungen der Strafkammer, die sich auch eingehend mit den zugunsten des Angeklagten sprechenden Aspekten auseinandersetzt, lassen die im vorliegenden Fall gebotene sorgfältige Gesamtwürdigung erkennen und tragen sowohl die Höhe der festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen als auch die Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe.

Auch die Begründung, mit der die Strafkammer von einer möglichen Gesamtstrafen-bildung abgesehen hat, ist nicht zu beanstanden.

Oberlandesgericht Hamm, Beschl. v. 10.2.2015 - 5 RVs 76/14

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