Was ist ein Geständnis wert? - TV-Hinweis

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 01.04.2015

Ein Blogleser weist mich auf folgende Sendung hin, die noch heute Abend um 23.50 Uhr auf 3sat läuft, aber auch noch einmal im  MDR FERNSEHEN, am 09.04.2014 um 20:45 Uhr wiederholt wird:

Wahrheit, Irrtum, Lüge Was ist ein Geständnis wert?

Es geht um den Fall Ulvi K. und die Gefahr, dass falsche Geständnisse nicht als solche entlarvt werden.

Auszüge aus der Vorinformation zum Film:

Es sind vor allem die Schwachen und Labilen, die ein falsches Geständnis ablegen, meint der Vernehmungsforscher Jo Reichertz. Sie können die Folgen ihrer Aussage nicht abschätzen. Doch warum konnte der vom Gericht bestellte Psychiater nicht feststellen, dass Ulvi K. eine falsche Aussage gemacht hat? Er bescheinigt, dass Ulvis Geständnis mit hoher Wahrscheinlichkeit einen realen Erlebnishintergrund hatte. Doch heute weiß man: Dem Psychiater lagen nicht alle Informationen vor, und manche waren schlicht falsch. Außerdem haben die vernehmenden Beamten offenbar massiven Druck auf den Verdächtigen ausgeübt, ihn mit falschen Beweisen konfrontiert und ihm das Geständnis letztlich suggeriert.

(...)

Gemeinsam mit dem renommierten Glaubwürdigkeitsgutachter Günther Köhnken und dem Vernehmungsforscher Jo Reichertz beleuchtet die Reportage, die Sie am Mittwoch, 1. April 2015, 23.50 Uhr sehen können, die Aussagen von Ulvi K. neu. Filmautorin Nadja Malak geht der Frage nach, wie es zu dem falschen Geständnis kommen konnte. Sie zeigt die Widersprüche des Verfahrens auf, beleuchtet die Arbeit der Polizei und geht der Frage nach, wie schwierig es ist, ein falsches Geständnis zu entlarven.

Vielleicht lässt sich ja hier nach dem Film auch eine sachlich-fachliche Diskussion über die Gefahr von Falschgeständnissen führen.

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23 Kommentare

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Nicht überzeugend

Andreas schrieb:

Hierzu empfehle ich auch das Buch "Wahre und falsche Geständnisse in Vernehmungen": http://www.boorberg.de/sixcms/detail.php?id=567466&hl=

Beste Grüße Andreas

Danke für den Hinweis, aber leider gar nicht überzeugend. Aus dem Abstract:

Quote:

"Ziel der Masterarbeit war es, die Zahlenangaben (Daten) zu falschen Geständnissen von Kassin (2005) aus kriminaltaktischer bzw. kriminalpsychologischer Sicht zu überprüfen und festzustellen, inwieweit sich Hinweise für das Vorhandensein falscher Geständnisse in polizeilichen Ermittlungsverfahren in Deutschland ergeben und falls ja, in welcher Zahl sie vorhanden sind. Daneben sollte die besondere Problematik falscher Geständnisse hinsichtlich Entstehung, Häufigkeit und ursachenbedingter Faktoren verdeutlicht und ins Bewusstsein aller Kriminalisten, Psychologen und Juristen gerückt werden.
Anhand einer empirischen Erhebung (Aktenanalyse von rund 750 aufgeklärten Straftaten) konnten die Zahlenangaben und Ergebnisse von Kassin nicht oder nur ansatzweise bestätigt werden. Es liegen ausschließlich wahre Geständnisse vor."

Es liegen "ausschließlich" wahre Geständnisse vor. Donnerwetter - und das angesichts Kapitel 5.

Anmerkung: Ulvi Kulac wird nicht erwähnt.

Es dürfte einen relativ eindeutigen Ansatz geben, wenn es darum geht 'falsche Geständnisse' zu verhindern. Voraussetzung hierfür wäre, dass es in der Gesellschaft einen unumstößlichen Konsens darüber gibt, dass ein funktionierender Rechtsstaat eine unumgängliche Voraussetzung für unsere Demokratie ist. Hieran fehlt es:

 

1.)

 

Richter sind entweder zu bequem bzw. zu überlastet und damit vom Staat alleingelassen, wenn es darum geht, Rechtsstaatlichkeit zu leben.

 

Bei Gerichten überwiegt das Interesse an der schnellen Beendigung des Verfahrens das Interesse an der Verwirklichung des Rechtsstaats.

 

2.)

 

Die Ermittlungsorgane verkennen, dass es nicht ihre Aufgabe sein kann, einen Täter um jeden Preis zu ermitteln und zur Verurteilung zu bringen

 

3.)

Verteidiger buhlen um die Gunst der Gerichte und drängen ihre Mandanten teilweise zu Geständnissen auch um dann künftig aus wirtschaftlichen Gründen bei Gericht als Pflichtverteidiger bestellt zu werden.

 

4.)

 

es gibt Journalisten, die ihre Kontrollfunktion innerhalb der Demokratie aus monetären Gründen völlig aufgegeben haben. Einige von ihnen betreiben Auftragsjournalismus. Dies bedeutet u.a. dass Justizskandale im Verborgenen bleiben und die Öffentlichkeit gar keinen Überblick über das Ausmaß von Justizskandalen hat, weil ein politisches Interesse bzw. Ein Lobbyisten-Interesse dahinter steckt.

 

5.)

 

Die Öffentlichkeit und damit ein Großteil der Bürger hat es verlernt, staatskritisch zu denken. Es herrscht die fatale Stimmung und der fatale Aberglaube, dass wir tatsächlich in einem Rechtsstaat leben. Es ist auch ein viel schönerer Gedanke, dass man in einem Staat lebt, in dem Recht und Ordnung herrschtund es ist ein Leichtes Gegenteiliges gedanklich auszuklammern, solange man nicht selbst betroffen ist. 99% der Bevölkerung erleben die Strafjustiz auch nicht als Unrechtsjustiz, weil sie selbst mit ihr nicht in Berührung kommen.

 

Diese Umstände führen unmittelbar oder mittelbar zu diesen fragwürdigen Geständnissen. Was ist denn passiert, als sich im 

vermeintlichen Mordfall des Bauern Rupp einer der Verurteilten wegen seines 'Geständnisses' damit rechtfertigte, dass ihm vom Vernehmungsbeamten eine Waffe an den Kopf gehalten wurde? Er wurde wegen Falschaussage verfolgt. Der Vernehmungsbeamte wurde offenbar nicht belangt. 

 

Wir haben es über Jahrzehnte hinweg versäumt, einen wirksamen Kontrollmechanismus für Justiz und Strafverfolgung zu schaffen. Die Konsequenz ist ein völlig normales menschliches Verhalten: Justiz und Strafverfolgung haben sich ihren eigenen Staat im Staat geschaffen und machen was sie wollen, losgelöst von Gesetz und Rechtsstaatlichkeit...

 

Angesichts dessen darf sich nicht die Frage stellen, wie es im konkreten Fall Ulvi zu einem Geständnis kam, denn der Staat hat institutionalisierte Mechanismen geschaffen, um diese 'Arbeitsvereinfachungsmaßnahme' umzusetzen.

 

In Bayern kennt jeder Verteidiger die Fälle, in denen Menschen allein deswegen in Untersuchungshaft sitzen, um sie klein zu Kriegen und um sie mürbe zu machen. Bilder von Richtern und Staatsanwälten, die dann noch gemeinsam in der Justizkantine sitzen und sich süffisant über den Spruch 'U-Haft schafft Rechtskraft' amüsieren, setzt dem Ganzen dann noch die Krone auf.

 

ich bin gespannt, wer angesichts dieses vorgeebneten Weges zu Geständnissen noch Verwunderung zum Ausdruck bringt über den Fall 'Ulvi'

4

@ Nils Kartzer

 

Sie schreiben:

"Richter sind entweder zu bequem bzw. zu überlastet und damit vom Staat alleingelassen, wenn es darum geht, Rechtsstaatlichkeit zu leben."

 

Wo haben Sie das denn her?

5

Richterlein schrieb:

"Richter sind entweder zu bequem bzw. zu überlastet und damit vom Staat alleingelassen, wenn es darum geht, Rechtsstaatlichkeit zu leben."

 

Wo haben Sie das denn her?

Na aus den Einlassungen von Richtern, wenn mal ein Malheur passiert ist. Dann war das nie Vorsatz, sondern stets die mangelhafte sächliche Austattung und die geringe Entlohnung. (Personalmangel zu reklamieren käme bei den Entscheidungsträgern schlecht an)

 

So gesehen im Untersuchungsausschuss Mollath:

 

Auf die Frage, warum die Beschwerde nicht bearbeitet wurde, antwortet der Richter völlig schambefreit: Schreibmaschine kapputt und Schreibkraft desertiert.

Na dann...

Plus: Richter und u.U. auch Staatsanwälte hinterfragen Geständnisse nicht....

Paradebeispiel: Der laut den Geständnis "ermordete" zerstückelte und an Hunde oder Schweine verfütterte Bauer aus Regensburg, dessen Leiche im Mercedes in der Donau gefunden wurde, wo es nach meinem Wissen weder DNA noch andere forensische Spuren gab, die dieses Geständnis stützten....d.h. schon alleine von der Spurensicherung her sollte da ein fettes Fragezeichen auftauchen....besonders bei der beschriebenen Entsorgungsmethode der Leiche.....

bombjack

3

John Grisham, der ja auch Jurist ist, liefert in seinem Buch "Das Geständnis" ein meines Erachtens lebensnahes Psychogramm der   Beteiligten und Täter, die ein falsches Geständnis zuerst erzwingen und dann gegen alle Wahrheiten und besseres Wissen verteidigen. 

Letzteres, die Fehlerleugnung, ist auch in Bayern das primäre Problem! 

3

Sehr geehrte Kommentatoren,

auch nach meinem Empfinden hat der Film, der - überflüssige technische Gimmicks am Anfang mal beiseite gelassen - durchaus interessante Ausführungen der interviewten  Experten zusammengetragen hat, eine Lücke gelassen:

Die Fehler der Polizei bei der Vernehmung des Herrn Kulac, die fehlende Bestätigung des Geständnisses durch objektive Beweismittel (z.B. Fund der Leiche aufgrund der Angaben des Vernommenen) oder wenigstens anderes  Täterwissen,  hätte bei den juristischen "Profis" der Beweiswürdigung unbedingt den Verdacht auslösen müssen, dass es sich um ein Falschgeständnis handeln könnte. Nahezu alle erhältlichen Informationen über Falschgeständnisse (enthalten zum Teil in verbreiteten Kommentaren und Lehrbüchern) hätten Hinweise darauf ergeben, dass dieses von einem Polizeibeamten in einem Gedächtnisprotokoll formulierte Geständnis und sein Zustandekommen geradezu ein Paradebeispiel für ein Falschgeständnis ist. Die Alarmglocken hätten doppelt und dreifach schrillen müssen. Das Gleiche hätte auch dem Gutachter auffallen müssen, einem Psychiater, der allerdings noch nicht durch besondere aussagepschologische Kenntnisse aufgefallen ist. Das Tatgericht hat sich hier offenbar leider nicht als - auch kritischer - Garant für die Objektivität der Urteilsfindung verstanden, sondern als Bestätigungsinstanz für unzureichende staatsanwaltliche und polizeiliche Ermittlungen.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-123856912.html

Systemfehler in der bayrischen Justiz: wer die Karriereleiter hoch und Gruppenleiter bei der StA werden will, darf nicht als StA-kritischer Richter auffallen. Insbesondere nicht dann, wenn der Innenminister einen neuen Besen an die Spitze der SOKO pflanzt und Ergebnisse fordert.

Auch der Fall Rupp gehört zu den Prozessen, wo die Richter nicht nur versagt haben, sondern sich nicht einmal eines Mitverschulden bewusst sind. Nein, sie rufen den Angeklagten per Urteilsbegründung noch ein höhnisch es "selber schuld, Pech gehabt" hinterher. Wer derart inkompetent ist, was Beweiswürdigung angeht, gehört zur Bußgeldstelle versetzt.

Henning Ernst Müller schrieb:

Das Gleiche hätte auch dem Gutachter auffallen müssen, einem Psychiater, der allerdings noch nicht durch besondere aussagepschologische Kenntnisse aufgefallen ist.

 

Wenn ich mich richtig erinnere, glaubte der Gutachter durch ein Aufwachsen in Bethel ausreichend Kenntnis über Menschen mit geistiger Behinderung zu haben, um ein Gutachten erstellen zu können. Die Besonderheiten von Menschen mit geistiger Behinderung oder Lernbehinderung werden zu wenig berücksichtigt, leider werden selten Sachverständige ausgewählt, die Spezialisten für Menschen mit geistiger Behinderung sind.

Ich habe jetzt nochmal recherchiert, was der Gutachter in seinem zweiten Gutachten ausgesagt hat, interessant sind die Presseberichte. Während in zwei Medien berichtet wird, dass er nur noch von "hoher Wahrscheinlichkeit" spricht und damit vom Erstgutachten abweicht, schreibt ein Reporter, der Gutachter bleibe bei seiner Einschätzung.

http://www.tvo.de/peggy2014/

http://www.frankenpost.de/regional/oberfranken/laenderspiegel/Gutachter-...

http://www.nordbayerischer-kurier.de/nachrichten/fall-peggy-der-gutachte...

 

Im zweiten Beispielsfall waren die Mitglieder der Familie des Bauern Rupp nach Medienberichten sehr einfach strukturierte Menschen, vielleicht ist es auch eine geringgradige geistige Behinderung. Auch hier ist die Frage, ob die Persönlichkeit der Menschen ausreichend berücksichtigt wurde? Gibt es bei der Polizei für Vernehmungen mit Menschen mit geistiger Behinderung eigentlich besondere Spezialisten?

 

Menschen mit geistiger Behinderung werden leider sehr oft benachteiligt.

http://www.heise.de/tp/artikel/44/44582/1.html

 

Und wenn Reichertz feststellt, dass es vor allem die Schwachen und Labilen wären, die ein falsches Geständnis ablegen würden, müsste - vorausgesetzt zutreffend - diese Erkenntnis einen Aufstand verursachen. Was ist das für ein Umgang mit Menschen? Die Polizeischulen müssten ihre Ausbildung hinterfragen, die Staatsanwaltschaft die Vernehmungsmethoden und die Gerichte ebenfalls. Haben da bei irgendwem Alarmglocken geschrillt bei dieser Aussage?

 

 

 

 

3

Horst schrieb:
... schreibt ein Reporter, der Gutachter bleibe bei seiner Einschätzung
Das war Otto Lapp, der seit dem Wiederaufnahmeverfahren Mollaths von niemandem mehr als auch nur annähernd objektiver Berichterstatter wahrgenommen wird.

Hat Lapp nicht einen Journalistenpreis bekommen?

Mein Name schrieb:
Horst schrieb:
... schreibt ein Reporter, der Gutachter bleibe bei seiner Einschätzung
Das war Otto Lapp, der seit dem Wiederaufnahmeverfahren Mollaths von niemandem mehr als auch nur annähernd objektiver Berichterstatter wahrgenommen wird.

Und wenn das so ist, kann das mit  dem niemand mehr ... ganz und gar nicht richtig sein.

 

Vor Jahrzehnten sagte mir ein Jurist, die Aussage eines Menschen sei der beste Beweis, den es geben würde, denn der Mensch sei das höchste Wesen, was es in der Rechtsordnung gibt.

Ich habe mal gehört, in Österreich sei allein der Besitz einer Hanfpflanze kein Beweis, dass diese zur Suchtmittelgewinnung diene. Der Besitzer müsse mit der Schere in der Hand auf dem Weg zur Ernte erwischt werden, damit er wegen Vorsatz verurteilt werden kann. Falls der Besitzer sage, die Pflanze sei Zimmerdekoration, so sei das so. Dort scheint noch ein anderes Menschenbild zu bestehen.

0

Hatte der relgiöse oder sonstige Grillen?

Gast schrieb:

Vor Jahrzehnten sagte mir ein Jurist, die Aussage eines Menschen sei der beste Beweis, den es geben würde, denn der Mensch sei das höchste Wesen, was es in der Rechtsordnung gibt.

Man kann ja vieles sagen. Aber was für eine Funktion hat es denn, so was hier zu posten?

 

Ich wurde mal als Schüler eine ganzen Vormittag bei der Kripo als Zeuge vernommen. Ein Wechselspiel mit gutem Cop vorn, schlechtem Cop hinten, dann draußen Warten, Drohgebärden, Zuspruch und "Wir haben Zeit". Ein Zangengriff.

Man wollte von mir Aussagen zu einer angezeigten Auseinandersetzung, in die ein Schulfreund verwickelt war. Mehrfach ging es bei der Vernehmung um Nebenthemen und Unterstellungen, z.B. welche Belege für Fehlverhalten man bei genauerer Untersuchung vielleicht noch so finden könnte.

Ich hatte nichts zu Verleugnen, war sogar eingestandenermaßen durch eine unbedachte, ironische Bemerkung Auslöser der Handgreiflichkeiten, hatte die folgende Klopperei dann aber eingedämmt.

Irgendwann nahm man dann nach gefühlter Ewigkeit doch meine Zeugenaussage schriftlich auf. Dann wieder draußen warten. Dann sollte ich die Aussage unterschreiben. Ich las das Getippte, es war nicht komplett falsch, aber es hatte eine ganz andere Interpretation als meine wahrheitsgetreue Aussage. Es war nicht meine Aussage, sondern das was der Beamte daraus machen wollte. Ich bemängelte das und wollte korrigieren, da ging das ganze Nervenspiel von vorne los. "Das kann noch lange gehen, wir haben Zeit". Ich war hungrig, ermüdet und als 14 Jähriger allein. Kein Anrufen, kein Essen, offenes Ende. Ich unterschrieb den Wisch. Das war in der DDR. Kein Vorbild für einen Rechtsstaat. Meine Mutter beschwerte sich über die Behandlung und erreichte wenige Tage später eine neue Vernehmung. Der Beamte einer anderen Dienststelle erklärte mir, dass man ein fehlerhaftes Protokoll nicht unterschreiben sollte und nahm meine Aussage dann korrekt auf. Es dauerte 1/2 Stunde.

Die Darstellung der heute "üblichen" Vernehmungsmethoden, wie mehrere ganztägige Verhöre mit Rollenspielen, Tricks und Ausübung von Druck, erinnern mich an die dagegen noch harmlose Erfahrung meiner Jugendzeit. Dann erinnere ich mich an das Heilbronner Phantom, die Frau ohne Gesicht im Heilbronner Polizistenmord, die möglicherweise noch viele andere Straftaten verübt haben sollte. Ursache der groß angelegten Ermittlungspanne sollen bei der Verpackung verunreinigte Wattestäbchen gewesen sein. Der Polizistenmord ist wohl noch immer ungeklärt und hängt mit den NSU-Geschehen zusammen. Man kann die Geschichte eigentlich kaum glauben.

http://www.spiegel.de/panorama/justiz/ermittlungspanne-phantom-moerderin...

Warum dieser Zusammenhang?

Es ist das Gefühl und die Ahnung, das es den Behörden und der Justiz an grundlegenden Fähigkeiten, Transparenz und Kontrollstrukturen fehlt. Ein Hort des Unvermögens, der Selbstgenügsamkeit und der Manipulation. Ausnahme oder übliche Regel?

     

0

@ Lutz Lippke: es ist immerhin begrüßenswert, dass seit einigen Jahren auch in deutschsprachigen "Populärsendungen" das Thema behandelt wird (Beispiel ab 11:20 und ab 20:30). Sehr gut finde ich, wie eindeutig Jens Hoffmann hier Stellung bezieht: lange konfrontative Verhöre führen zwangsläufig zu falschen Geständnissen, um aus der zunehmend unerträglichen Situation herauszukommen - koste es was es wolle, auch ein falsches Geständnis (von dem man wähnt, die Falschheit würde ja doch durch die weiteren Ermittlungen belegt werden).

Eine analoge oder auch nur fiktionale Aufarbeitung des Pascal-Prozesses, Montessori-Prozesses, der Wormser Prozesse oder der Rupp-Affäre hat sich in Deutschland noch kein Fernsehsender getraut. Möglicherweise ist deshalb das Problembewusstsein noch sträflich unterentwickelt und es werden immer die gleichen Fehler wiederholt

Nennt man das Rechtssicherheit?

Mein Name schrieb:

... Möglicherweise ist deshalb das Problembewusstsein noch sträflich unterentwickelt und es werden immer die gleichen Fehler wiederholt

immer die gleichen Fehler wiederholen... Leugnen oder bagatellisieren im Dienste der [Schein-] "Rechtssicherheit"

Der Deal als eine Quelle falscher Geständnisse

Ein neue wichtige Quelle für Falschgeständnisse ist der Deal, etwa beim sexuellen Missbrauch, wenn ein Geständnis Bewährung, ein volles aufwendiges Verfahren mit Befragung der OpferzeugIn (Zur Tortur der Kinder hier) ansonsten z.B. 3 Jahre sicher in Ausicht stellt.

Im Fall Ulvi Kulac habe ich seinerzeit einige Hauptquellen für Falschgeständnisse nach Gudjonsson 1992 zusammengetragen:

  • Freiweilige falsche Geständnisse ("voluntary falce confessions")
    • Aufmerksamkeits- oder Mittelpunktstreben
    • Selbstbetrafungsmotive
    • Probleme Phantasie und Wirklichkeit auseinanderzuhalten
  • Erzwungene falsche Geständnisse ("coerced-compliant false confessions") aufgrund spezieller, langer Vernehmungsmethoden und besonders zunehmenden Druck
    • Es hinter sich bringen wollen
    • Endlich seine Ruhe haben wollen
  • Verinnerlichte Falschgeständnisse ("coerced internalzed false confessions") bei unklaren oder fehlenden Erinnerungen an die Tat (die ja nicht begangen wurde) werden die (suggestiven) Vorgaben der Vernehmer mehr und mehr verinnerlicht.

Quelle: http://www.sgipt.org/forpsy/Kulac/MKEAKroeb.htm#Zusammenfassung%20der%20...

@Mein Name

Danke für den Hinweis auf J. Hoffmann. Da ist einiges Material im Internet zu finden.

Bei einer kurzen Durchsicht von Täterprofile und Fallanalysen http://www.i-p-bm.com/images/stories/pdf/tterprofile%20und%20fallanalysen.pdf

fiel mir folgender Hinweis auf Jo Reichertz auf. S.105 (Fußnote 118):

In Deutschland sind wenige Studien festzustellen, die das polizeiliche Verhalten
als Untersuchungsgegenstand wählen. Beispielsweise interessieren hier Fragen der Verdachtsschöpfung, der Tatortarbeit bei komplexen Sachverhalten, spezielle Formen der Fahndung – etwa der Öffentlichkeitsfahndung – usw. Eine der wenigen Arbeiten zur Analyse des polizeilichen Ermittlungshandelns und Rekonstruktion der Aufklärungsarbeit von Verbrechen sind die umfangreichen Forschungen von Jo Reichertz. Im Mittelpunkt seiner Feldstudie steht die Suche nach einem logischen Verfahren, mit dessen Hilfe Kriminalbeamte schon seit Jahrzehnten in der Praxis Verbrechen aufklären und wie solche Verfahren organisiert sind. Vgl. hierzu Jo Reichertz: Aufklärungsarbeit. Stuttgart 1991; Jo Reichertz und Norbert Schröer (Hg.): Polizei vor Ort.
Stuttgart 1992.

Folgt man dem Hinweis auf Jo Reichertz findet man u.a. auf der Webseite "Zur organisierten Aufklärung von Verbrechen" einige Publikationen.

https://www.uni-due.de/kowi/R_Polizei.shtml

Zum Beispiel:

2003: Hermeneutische Polizeiforschung.
In: Martin Möllers & Robert van Ooyen (Hrsg.) Jahrbuch Öffentliche Sicherheit. S. 29-56.
Zitat S. 29:

"Dieser Sachverhalt hat gewiss auch etwas damit zu tun, dass diese Gruppen offensichtlich die Macht haben, den Sozialforschern den Zugang zu ihrem Feld entschieden und nachhaltig zu verwehren. Auch die Polizei - sowohl Schutz- als auch Kriminalpolizei - hat es in Deutschland immer wieder verstanden, sich die vermeintlich schlecht gesonnenen Sozialwissenschaftier vom Leibe zu halten".

Wissenschaft ist natürlich nicht alles und vor allem auch nicht vor Fehlern gefeit. Aber objektive und methodische Erkenntnisse zu Erkenntnisverfahren auszusperren, zeugt nicht von Professionalität.

5

@R. Sponsel:

Dass die Studie eben eine andere Thematik hat (Prüfung der Zahlen Kassins), haben Sie aber schon registriert. Warum sollte Kulac in der Studie erwähnt werden? Die Arbeit stammt aus 2012; dass und warum Kulacs Geständnis  ein Falschgeständnis sein soll  und wie es zustande gekommen ist wurde ausführlich erst  im Rahmen der Wiederaufnahme 2014 verhandelt (und ob es eines war oder nicht ist ja auch nach dem Wiederaufnahmeverfahren  2014 offen). Da hätte Kroll schon hellsehen müssen. Aber wie gesagt, die Analyse des einzelnen Falles Kulac war auch nicht Thema seiner Studie.

Abgesehen davon setzt er sich in seiner Arbeit, wie man der Leseprobe entnehmen kann, mit der Reid-Methode kritisch auseinander und kommt zu dem Schluss:

"Bei der Vernehmungsmethode nach Reid handelt es sich aufgrund der aufgezeigten

Schwachstellen und Kritikpunkte – sowohl aus rechtlichen als

auch vernehmungspsychologischen Aspekten – um ein Vorgehen, das in

Deutschland in ihrer Gesamtheit so nicht zulssig ist und eine Umsetzung

in die polizeiliche Praxis unterbleiben sollte."

 

5

Gerade wegen der Reid-Methode ...

gaestchen schrieb:

@R. Sponsel:

... Abgesehen davon setzt er sich in seiner Arbeit, wie man der Leseprobe entnehmen kann, mit der Reid-Methode kritisch auseinander und kommt zu dem Schluss:

"Bei der Vernehmungsmethode nach Reid handelt es sich aufgrund der aufgezeigten

Schwachstellen und Kritikpunkte – sowohl aus rechtlichen als

auch vernehmungspsychologischen Aspekten – um ein Vorgehen, das in

Deutschland in ihrer Gesamtheit so nicht zulssig ist und eine Umsetzung

in die polizeiliche Praxis unterbleiben sollte."

Eben. Der Fall Peggy/Kulac war natürlich auch vorher schon bekannt: Geständnis eines geistig Behinderten unter dubiosen Randbedingungen.

Dass Ihnen aber nicht zu denken gibt, dass es nur wahre Geständnisse gegeben haben soll, spricht allerdings für sich.

Ich werde mir die Arbeit bei Gelegenheit noch einmal genau ansehen, vielleicht sogar eine Besprechung machen udn dann hier wieder berichten.

 

 

Gibt es in Deutschland nur wahre Geständnisse? Kritik einer preisgekrönten Masterarbeit von Ottmar Kroll: Wahre und falsche Geständnisse in Vernehmungen:
http://www.sgipt.org/forpsy/Aussage/WuFG.htm

Zusammenfassung - Abstract - Summary
Die Arbeit stellt die Behauptung auf, dass Geständnisse, die auf "erdrückender Beweislage" beruhen, wahr und damit also nicht falsch sind. Der theoretische Satz lautet demnach: Geht ein Geständnis mit erdrückender Beweislast einher, so ist es wahr und nicht falsch (es ist klar, dass die Umkehrung empirisch sicher nicht stimmen kann). Das wäre ein wichtiger - nicht nur theoretischer, sondern auch praxisrelevanter - Satz gewonnen, wenn er denn richtig wäre. Die Richtigkeit dieses Satzes zu erweisen, also zu begründen und zu belegen, wäre die Aufgabe dieses Büchleins gewesen, die aber nicht geleistet wird. Hierzu wäre es erstens erforderlich gewesen, die Kriterien von wahren - in Abgrenzung zu falschen - Geständnissen darzulegen und bei den 263 Geständnissen zu signieren und auszuwerten. Zweitens hätte "erdrückende Beweislast" operationalisiert und signiert werden müssen, und zwar für alle 743 Fälle. Sodann hätte man rechnen können, wie die Zusammenhänge sind. Ein Untersuchungsdesign zur Hypothesenprüfung wird nicht vorgelegt.

rs - schönen Sonntag ...

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